Rechtstipp 06/2024 Haftung wegen Planungs-, Aufklärungs- und Behandlungsfehlern / Bemessung des Schmerzensgeldes
LG Karlsruhe: Haftung wegen Planungs-, Aufklärungs- und Behandlungsfehlern / Bemessung des Schmerzensgeldes
Urteil vom 26.07.2023
Das Landgericht (LG) Karlsruhe hat am 26.07.2023 (Az.: 6 O 140/17) Zahnärzte wegen Planungs-, Aufklärungs- und Behandlungsfehlern bei der Zahnsanierung zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 15.000,00 EUR sowie Schadensersatz für die daraus resultierenden langfristigen gesundheitlichen Schäden in Höhe von 2.850,78 EUR verurteilt. Das Gericht stellte fest, dass die Beklagten ihre Aufklärungs- und Behandlungspflichten verletzt hatten, was zu den vom Patienten geltend gemachten Schäden führte.
Nach den Ausführungen des Sachverständigen, war bereits die Planung der beabsichtigten Sanierung des Oberkiefers nicht ausreichend:
„Zu einer fachgerechten prothetischen Planung gehörten verschiedene Befunderhebungen mit Überprüfung der Werthaltigkeit der zu überkronenden Zähne: Vitalitätsprüfung, Prüfung der Lockerung, Paradontalzustand (Zahnhalteapparat – Zahnfleisch, Kieferknochen, Parodontalspalt, Wurzelhaut, Faserapparat der Zahnbefestigung), Röntgenbefunde und weitere Indizes. Im Rahmen der prothetischen Planung ist keine Vitalitätsprüfung der zu überkronenden Zähne dokumentiert. Das der Planung zugrunde liegende präprothetische Orthopantomogramm […] lässt keine eindeutige Einschätzung der apikalen Situation, d. h. der Entzündungssituation der Wurzelspitzen […] verschiedener Zähne (11, 13, 14, 15, 16, 21, 22, 23, 24) zu. Zudem besteht bei 25 ein deutlicher Verdacht auf eine apikale Aufhellung, in der Regel die Folge des Absterbens der Pulpa […]. Hier wäre in der Planungsphase durch scharf zeichnende Einzelaufnahmen abzuklären gewesen, ob sich die Zähne zur Überkronung eignen. Zwei Detailaufnahmen der Oberkieferfront von 13 bis 23 vom 30.12.2011 sind für eine Planung im Jahr 2014 zu alt […].“
Nach eigener Prüfung legt das Gericht diese Feststellungen seiner Entscheidung zugrunde und stellt fest: Ist die prothetische Planung im Hinblick auf die gewählte Behandlung nicht ausreichend, so kann der Patient durch den behandelnden Zahnarzt grundsätzlich auch nicht ordnungsgemäß aufgeklärt werden.
Nach gefestigter Rechtsprechung haftet ein Arzt für alle den Gesundheitszustand des Patienten betreffenden nachteiligen Folgen, wenn der ärztliche Eingriff nicht durch eine wirksame Einwilligung des Patienten gedeckt und damit rechtswidrig ist. Eine wirksame Einwilligung des Patienten setzt dessen ordnungsgemäße Aufklärung voraus. Kern der Aufklärung ist zunächst die Selbstbestimmungsaufklärung in Form der Behandlungsaufklärung (§ 630e Abs. 1 S. 3 BGB). Die Behandlungsaufklärung – als vertragliche Pflicht aus dem Behandlungsvertrag sowie als Ausfluss der deliktischen Garantenstellung des Arztes – verlangt im Besonderen auch die Erläuterung der Tragweite des Eingriffs. Dies betrifft vor allem den als sicher oder regelmäßig eintretend vorhersehbaren postoperativen Zustand, sowie, dass der Arzt dem Patienten innerhalb des vom Patienten bestimmten Therapieziels Kenntnis von Behandlungsalternativen verschaffen muss, wenn gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden mit wesentlich unterschiedlichen Risiken und Erfolgschancen eine echte Wahlmöglichkeit für den Patienten begründen. Eine Aufklärung kann nur dann erforderlich werden, wenn die Behandlungsalternativen zu jeweils wesentlich unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen, oder wesentlich unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten.
[…] Einen wesentlichen Anhaltspunkt für die Tatsache, dass ein Aufklärungsgespräch stattgefunden hat, gibt dabei das von dem Arzt und dem Patienten unterzeichnete Formular, mit dem der Patient sein Einverständnis zu dem ärztlichen Eingriff gegeben hat. Dieses Formular ist – sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht – zugleich ein Indiz für den Inhalt des Aufklärungsgesprächs.
Zu den Behandlungs- und Aufklärungsfehlern:
Zahn 11, 12 und 13: In seinem Gutachten hatte der Sachverständige ausgeführt, dass in der Herstellungsphase des Zahnersatzes nach der Abnahme der alten Versorgung notwendig wurde, bei Zahn 12 eine Wurzelbehandlung durchzuführen, was zugleich die Aufnahme der Zähne 11 und 13 bedingte. Die sich daraus ergebenden Befunde bedeuten für die Beklagte, dass sie zumindest nach Abnahme der alten Kronen und der Wurzelbehandlung bei Zahn 12 hätte erkennen können, dass bei diesen Zähnen ein erhöhtes Frakturrisiko besteht und eine Einzelüberkronung äußerst risikoreich ist. Hierüber hätte der Kläger aufgeklärt werden müssen.
Wäre bei der Versorgung der Frontzähne 13 – 23 eine dem Befund entsprechende Planung und damit einhergehende Aufklärung durchgeführt worden, hätte mit großer Wahrscheinlichkeit der Verlust von Zahn 13, die Erneuerung der Kronen 11 und 12 und die erneute Überkronung der Zähne 21 – 23 durch Verblockung und Einbeziehung in eine neue Versorgung der Zähne 12 – 23 vermieden werden können. Insoweit hat sich das Aufklärungsrisiko auch verwirklicht.
Zahn 16: Aufgrund des röntgenologischen Befundes hätte der Sachverständig den Zahn 16 nicht mehr in eine prothetische Versorgung einbezogen, da die Prognose angesichts des fast vollständigen Verlustes der Zahn Hartsubstanz, der erhöhten Bruchgefahr als Folge der Wurzelfüllung und der reduzierten Qualität der Wurzelfüllung sehr unsicher war. Ferner hätte die Beklagte hinsichtlich des Zahnes 16 über die Behandlungsalternative einer Wurzelbehandlung und eines Brückengliedes aufklären müssen, da die bei Zahn 16 ursprünglich vorhandene Füllung mit hoher Wahrscheinlichkeit an die Knochengrenze reichte. Zusammen mit dem eindeutigen Befund, dass zusätzlich eine unvollständige Wurzelfüllung vorliegt, wäre in diesem Fall die Entfernung des Zahnes und die Versorgung entweder mit einer Brücke oder einem Implantat die sicherere und zudem preisgünstigere Lösung gewesen. Die Implantation von zwei Implantaten 15 und 16 stellt eine erfolgversprechende und dem aktuellen Standard entsprechende Alternative zu der hier von der Beklagten gewählten Brücke 14 – 17 dar, worüber der Kläger nicht aufgeklärt wurde.
Brücke 14 – 17: Die Brücke 14 – 17 zur Versorgung der Lücke 15, 16 war verfrüht während der Ausheilphase eingesetzt worden, sodass es zu einer Spaltbildung zwischen der Brückenbasis und dem Zahnfleisch (Gingiva) kam. Bei der vorliegend „definitiv zementierten Brücke“ kommt keine Nachbesserung, sondern nur eine Neuplanung- und -anfertigung des Zahnersatzes in Betracht. Hierbei handelt es sich objektiv um einen Behandlungsfehler.
Zahn 25: Bei den beiden präprothetischen OPG ergab sich ein deutlicher Verdacht auf eine apikale Aufhellung (chronische Vereiterung), der im Rahmen der Planung mittels einer Einzelaufnahme hätte abgeklärt werden müssen. Vor der Überkronung wären lege artis und auch nach den Zahnersatzrichtlinien der gesetzlichen Kassen endodontische Maßnahmen angezeigt gewesen. Der Zahn hätte vorerst nur provisorisch versorgt werden dürfen. Erst nach Ausheilung wäre definitiver Zahnersatz angezeigt gewesen. Im Nachhinein kann nicht darauf geschlossen werden, dass der Zahn nicht verloren gegangen wäre, wenn die Beklagten vor der Überkronung bereits eine Wurzelkanalbehandlung durchgeführt hätten. Es handelt sich vielmehr um eine schicksalhafte Komplikation nach Wurzelbehandlung.
Nachbehandlung Oberkiefer: Aufgrund der mangelhaften Brücke 14 -17, des Verlustes von Zahn 13 und 16, der notwendigen Extraktion von Zahn 25 und der Kronenfraktur der Zähne 11 bis 13 war überwiegend eine neue prothetische Planung und Versorgung notwendig. Die Entscheidung des Nachbehandlers, die Lücke bei Zahn 13 durch ein Implantat zu ersetzten und einen weiteren Pfeiler durch ein Implantat bei Zahn 15 zu bekommen, um den wurzelgefüllten Zahn 14 zu entlasten, war die fachlich korrekte Entscheidung. Durch die Neuversorgung der Zähne 12 und 11 und Verblockung mit den linken Nachbarzähnen 21, 22 und 23 ist das Frakturrisiko zumindest deutlich verringert worden.
Zur Bemessung des Schmerzensgeldes:
Mit der gefestigten Rechtsprechung hängt die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes entscheidend von dem Maß der Lebensbeeinträchtigung ab. Die Schwere dieser Belastungen wird vor allem durch die Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen bestimmt, wobei etwaigen Dauerfolgen der Verletzungen besonderes Gewicht zukommt.
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist bei dem Kläger zunächst zu berücksichtigen, dass die Implantatbehandlung des Oberkiefers von Anfang an rechtswidrig war, weshalb die Beklagte die Leidenszeit einer zahnprothetischen Behandlung des Klägers insgesamt bis in das Jahr 2019 verlängerte. Dabei ist jedoch wiederum zu beachten, dass der Kläger besondere Umstände dieser Verlängerung nicht substantiiert dargelegt hat, sondern pauschal auf eingereichte Unterlagen, insbesondere die Karteikarten der Ärzte verwies, aus denen sich zwar bei sorgfältiger Lektüre die einzelnen Arztbesuche herauslesen lassen, nicht jedoch ein besonderes Leiden über die vier Jahre hinweg. Auch wird nicht deutlich, warum die Behandlung so lange gedauert hat. Besonders sind demgegenüber die Verluste der Zähne 13 und 16 zu berücksichtigen. Die Brücke hätte bei Erhalt des Zahnes 16 dann nicht von Zahn 14 bis 17 erstellt werden müssen. Ferner fällt ins Gewicht, dass beim Kläger wegen der überwiegenden Ungeeignetheit der von der Beklagten gefertigten Prothetik die Kronen von Zahn 11 und 12 erneuert, die Zähne 21 – 23 neu überkront und durch Verblockung und Einbeziehung der Zähne 12 – 23 neu versorgt werden mussten. Zahn 25 hätte vorerst nur provisorisch versorgt werden dürfen; erst nach Ausheilung wäre definitiver Zahnersatz angezeigt gewesen. Bei Festsetzung des Schmerzensgeldes ist daher dem Ausgleichsgedanken insgesamt besondere Bedeutung beizumessen.
Dies zu Grunde gelegt ist ein Schmerzensgeld von insgesamt 15.000,00 EUR erforderlich, aber auch unter Berücksichtigung der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion in Würdigung und Wägung der zuvor aufgezeigten erlittenen Schäden und daraus folgenden Beeinträchtigungen ausreichend.
Juradent-ID: 4731