Neues Urteil zum Urlaubsanspruch für schwangere Mitarbeiterinnen
BAG: Urlaubsanspruch für Schwangere bleibt trotz Beschäftigungsverbot erhalten
Urteil vom 20.08.2024
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) Erfurt hat mit Urteil vom 20.08.2024 (Az.: 9 AZR 226/23) zugunsten einer Zahnärztin entschieden, dass der angesammelte Urlaubsanspruch auch nach mehreren aufeinanderfolgenden Schwangerschaften mit nahtlos ineinandergreifenden Beschäftigungsverboten erhalten bleibt.
Geklagt hatte eine angestellte Zahnärztin, die im Juli 2018 und im September 2019 Kinder bekommen hatte. Am 1. Dezember 2017 sprach ihr Arbeitgeber ein erstes Beschäftigungsverbot aus und für das zweite Kind ein weiteres. Aufgrund von Beschäftigungsverboten, Mutterschutz und Stillzeiten konnte sie bis zum Ende ihres Arbeitsverhältnisses Ende März 2020 zwei Jahre und vier Monate nicht arbeiten.
Der Arbeitgeber hatte geltend gemacht, während der Beschäftigungsverbote seien keine Urlaubsansprüche entstanden. Für die Zeiten nahtlos ineinandergreifender Beschäftigungsverbote bestünde keine Arbeitspflicht, die ein Erholungsbedürfnis habe begründen können. Jedenfalls seien etwaige Urlaubsansprüche gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG mit Ablauf des Monats März des jeweiligen Folgejahres erloschen. Dem stehe die Regelung in § 24 Satz 2 MuSchG nicht entgegen. Danach verfalle nur Urlaub nicht, den eine Frau „vor“ Beginn eines Beschäftigungsverbots nicht oder nicht vollständig erhalten habe.
Aus den Entscheidungsgründen:
Das BAG entschied, dass die Urlaubsansprüche entstanden sind, obwohl die Klägerin ihre Tätigkeit als Zahnärztin in der Zeit vom 1. Dezember 2017 bis zur rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. März 2020 nicht ausüben konnte und sind nicht gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen.
Nach § 24 Satz 2 MuSchG könne eine Frau Urlaub, den sie vor Beginn eines Beschäftigungsverbots nicht oder nicht vollständig erhalten habe, nach dem Ende des Beschäftigungsverbots im laufenden oder im nächsten Urlaubsjahr beanspruchen. Die Vorschrift regle eine Ausnahme von dem Grundsatz des § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG, dass der Erholungsurlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden müsse.
Die Vorschrift des § 24 Satz 2 MuSchG knüpfe ihre Rechtsfolge fortlaufend an das Ende eines jeden einzelnen Beschäftigungsverbots. Folgten mehrere Beschäftigungsverbote nahtlos aufeinander, könne die Arbeitnehmerin ihren – ggf. über mehrere Beschäftigungsverbote angesammelten – Urlaub nicht vor Beginn des letzten Beschäftigungsverbots „erhalten“. Die Arbeitnehmerin könne in diesem Fall den gesamten bis dahin aufgelaufenen Urlaub gemäß § 24 Satz 2 MuSchG nach Ende des letzten Beschäftigungsverbots im laufenden oder im nächsten Urlaubsjahr beanspruchen. Dies folge bereits aus dem Gesetzeswortlaut, der darauf abstelle, dass die Frau ihren Urlaub vor Beginn „eines“ Beschäftigungsverbots nicht oder nicht vollständig erhalten habe. Die Norm differenziere weder nach der Art des Beschäftigungsverbots noch danach, aus welchen Gründen der Urlaub zuvor nicht genommen werden konnte. Maßgeblich sei allein, dass der Urlaub vor Beginn des (jeweils neuen) Beschäftigungsverbots nicht genommen werden konnte.
Systematisch würden durch die Auslegung Wertungswidersprüche vermieden, weil bei sich nahtlos aneinanderreihenden Beschäftigungsverboten die gleichen Rechtsfolgen einträten wie bei aufeinanderfolgenden Mutterschutzfristen und Elternzeiten. Die Ausnahme von dem Grundsatz, dass der Erholungsurlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss, gelte in beiden Fällen gleichermaßen.
Diese Auslegung des § 24 Satz 2 MuSchG entspreche den unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union müsse gewährleistet sein, dass Arbeitnehmerinnen, die ihre Aufgaben wegen Mutterschaftsurlaubs nicht erfüllen können, den bezahlten Erholungsurlaub zu einer anderen Zeit als der ihres Mutterschaftsurlaubs in Anspruch nehmen können.
Juradent-ID: 4773