OLG Düsseldorf: Pauschale „Vollvereinbarung“ über dem 3,5-fachen GOZ-Satz kann wirksam sein
Urteil vom 24.06.2025
Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat mit Urteil vom 24.06.2025 (Az.: 13 U 19/24) klargestellt, dass auch eine umfassende und vorformulierte „Anfangsgebührenvereinbarung“, die sämtliche GOZ-Leistungen pauschal oberhalb des 3,5-fachen Steigerungssatzes vorsieht, nicht automatisch unwirksam ist. Entscheidend sei, dass die Vereinbarung als Individualvereinbarung geschlossen wurde und der Patient die Möglichkeit hatte, sich bewusst für oder gegen die Behandlung zu entscheiden.
Der Fall
Ein Patient war seit 2010 bei seinem Zahnarzt in Behandlung. Im Februar 2017 schloss er – wie alle Patienten der Praxis – vor Beginn weiterer Behandlungen eine schriftliche Gebührenvereinbarung.
- Diese Vereinbarung umfasste sämtliche GOZ-Leistungsziffern und setzte durchweg einen Steigerungsfaktor über dem 3,5-fachen Satz fest.
- Der Patient erhielt das Formular zunächst im Wartezimmer zusammen mit einem Erläuterungsblatt und unterzeichnete es später im Behandlungszimmer.
- In den folgenden Jahren erfolgten 58 Behandlungstermine mit Rechnungen über insgesamt ca. 15.000 Euro. Zusätzlich wurden kieferorthopädische Behandlungen mit ca. 8.700 Euro abgerechnet.
Die private Krankenversicherung des Patienten erstattete nur teilweise. Sie hielt die Vereinbarungen für unwirksam und argumentierte, es handele sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), die den Patienten unangemessen benachteiligten. Außerdem sei die Forderung nicht fällig, weil ihr die vom Zahnarzt geführte Patientenkarteikarte nicht zur Verfügung gestellt worden sei.
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Gericht wies die Argumente der Versicherung zurück und stellte zugunsten des Zahnarztes fest:
Wirksame Individualvereinbarung (§ 2 Abs. 2 GOZ)
- Eine Gebührenvereinbarung muss vor Beginn der Behandlung geschlossen werden.
- Auch wenn ein Formular verwendet wurde, sei es keine AGB, sondern eine Individualvereinbarung, da sie mit dem Patienten im persönlichen Kontakt besprochen und unterzeichnet wurde.
- Es ist nicht erforderlich, dass die Vereinbarung nur einzelne, bereits konkret geplante Leistungen aufführt. Auch eine „Anfangsgebührenvereinbarung“ über sämtliche denkbaren GOZ-Positionen sei zulässig, weil sich der konkrete Behandlungsbedarf oft erst während der Behandlung ergibt.
Kein Verstoß gegen § 5 Abs. 2 GOZ (Angemessenheit der Vergütung)
- Die Überschreitung des 3,5-fachen Steigerungssatzes macht die Vereinbarung nicht automatisch unangemessen.
- Bei der Beurteilung der Angemessenheit ist eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen: Schwierigkeit, Zeitaufwand, verwendete Techniken und besondere Umstände der Behandlung können höhere Honorare rechtfertigen.
- Im konkreten Fall habe der Zahnarzt ein besonders aufwendiges Behandlungskonzept angewendet, das die höheren Sätze rechtfertigte.
Kein auffälliges Missverhältnis (§ 192 Abs. 2 VVG)
- Die Versicherung kann ihre Leistungspflicht nur verweigern, wenn die Rechnung in einem auffälligen Missverhältnis zur erbrachten Leistung steht. Ein hoher Betrag allein genügt hierfür nicht. Maßgeblich sei der objektive Wert der Behandlung.
- Als Vergleichsmaßstab sind rein privat tätige Zahnärzte heranzuziehen, die nicht mit der GKV abrechnen und daher sämtliche Praxiskosten und das unternehmerische Risiko in ihre Honorargestaltung einbeziehen müssen.
- Der von der Versicherung vorgelegte Vergleich mit durchschnittlichen Abrechnungen früherer Jahre sei untauglich, weil er nicht auf rein privat tätige Praxen beschränkt war und die individuellen Umstände der Behandlung nicht berücksichtigte.
Zur Verfügung stellen der Behandlungsdokumentation
- Bei einer Patientenkarteikarte oder einer Behandlungsdokumentation handelt es sich nicht um einen Beleg im Sinne des § 31 Abs. 1 S. 2 VVG. Somit gehöre es nicht zu den Obliegenheiten des Versicherten, die ihn betreffende Patientenakte der Versicherung zur Verfügung zu stellen.
Juradent-ID: 4849
