Angstpatienten: Wenn die Furcht Wurzeln schlägt

Jeder Dritte hat Angst vorm Zahnarzt. Und doch kann der Besuch nicht ewig vermieden werden – also einfach Zähne zusammenbeißen? Ein Spezialist teilt exklusiv seine Hacks mit uns.

Die Angst vor dem Zahnarzt ist ein weitverbreitetes Phänomen, das für viele Praxen zum täglichen Brot gehört. Eine Umfrage von Doctolibzeigt, dass knapp ein Drittel der Deutschen (29 Prozent) Angst vor einem Zahnarztbesuch hat, wobei fast jeder Zehnte den Gang in die Praxis gänzlich zu vermeiden versucht. Doch wie begegnet man diesen Patienten adäquat im eng getakteten Praxisalltag? Wie lässt sich das Vertrauen von Menschen gewinnen, die oft jahrelange Leidensgeschichten mitbringen?

 

Dr. Langenbach hat sich in seiner Praxis in Köln auf die Behandlung von Angstpatienten spezialisiert. Sein Ansatz zeigt, dass ein erfolgreicher Umgang weniger von spezieller Praxisausstattung als vielmehr von Empathie, klaren Strukturen und einem geschulten Team abhängt. Seine Philosophie zielt darauf ab, den Teufelskreis aus Angst und Vernachlässigung nachhaltig zu durchbrechen und den Patienten nicht nur ihre Zahngesundheit, sondern auch ein Stück Lebensqualität zurückzugeben.

Von Nervosität bis zur Phobie

Im Praxisalltag ist eine klare Differenzierung entscheidend. „Man muss natürlich ein bisschen unterscheiden zwischen einem Patienten, der einfach nur ein bisschen Angst vor der Spritze hat, und einem Patienten, der eine richtige Angststörung hat“, erklärt Dr. Langenbach. Während viele Patienten eine gewisse Anspannung verspüren und vielleicht „30 Sekunden mehr Zeit brauchen“, bevor eine Injektion gesetzt wird, sind Extrempatienten eine völlig andere Kategorie. Diese Patienten, die oft über zehn oder sogar zwanzig Jahre keine Praxis mehr von innen gesehen haben, leiden unter einer manifesten Phobie.

Ihre Angst äußert sich in körperlichen und psychischen Reaktionen: Sie weinen bereits vor dem Betreten der Praxis, benötigen oft eine Begleitperson und sind psychologisch stark belastet. Dr. Langenbach begegnet in seiner Praxis täglich ein bis zwei dieser Extremfälle – ein Beleg dafür, dass der Bedarf an spezialisierten Behandlungskonzepten hoch ist.

Die Wurzeln der Furcht

Die Gründe, warum Patienten eine derart ausgeprägte Angst entwickeln, sind vielfältig, doch fast immer lassen sie sich auf negative persönliche Erfahrungen zurückführen. Dr. Langenbach identifiziert zwei Hauptfaktoren: traumatische Erlebnisse in der Jugend und schmerzhafte Behandlungen im Erwachsenenalter. „Besonders die Generation der heute über 50- oder 60-Jährigen hat oft noch Behandlungen erlebt, bei denen Milchzähne ohne Betäubung gezogen wurden“, so der Zahnarzt. Diese prägenden Erfahrungen manifestieren sich als tief sitzende Furcht.

Der häufigste Auslöser ist jedoch die Angst vor Schmerzen während der Behandlung: „Die Hauptangst ist in den meisten Fällen die Angst, wir bohren los und es tut weh“, präzisiert Dr. Langenbach. Ein kurzer, unerwarteter Schmerzreiz, weil die Betäubung noch nicht vollständig wirkt, kann das Vertrauen eines Patienten nachhaltig erschüttern. Hier spielt der Umgang des behandelnden Zahnarztes eine entscheidende Rolle. Zeitdruck und administrative Belastungen im Praxisalltag führen oft zu Ungeduld, die eine adäquate, empathische Zuwendung verhindert.

Die Entstehung eines Teufelskreises

Wenn Patienten nach jahrelanger Abstinenz schließlich doch den Weg in die Praxis finden, ist es oft „kurz nach zwölf“, wie Dr. Langenbach es formuliert. Der Leidensdruck ist dann meist enorm. Die Betroffenen haben oft mehrere gescheiterte Versuche bei anderen Zahnärzten hinter sich, die sich „diesen Angstpatienten nicht unbedingt widmen wollten“. Die Konsequenz ist nicht selten eine umfassende Sanierungsbedürftigkeit. Der Wunsch, wieder selbstbewusst lachen und am sozialen Leben teilnehmen zu können, ist letztlich die treibende Kraft, die enorme Hürde zu überwinden.

Dr. Langenbachs Ansatz basiert auf drei Säulen: einem empathischen Erstkontakt, einer klaren Behandlungsstruktur und der gezielten Schaffung positiver Erfahrungen. Gerade bei Patienten, die jahrelang keine Behandlung in Anspruch genommen haben, handelt es sich oft um komplexe Sanierungsfälle. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in einer strukturierten, vorausschauenden Planung. Dr. Langenbach beschreibt dies mit einer treffenden Metapher: „Ich bin nicht nur Zahnarzt, ich bin auch Architekt. Wir bauen Ihr Haus von unten auf – und dafür muss ich zunächst die Statik verstehen.“ Da Unsicherheit Ängste verstärkt, setzt er auf ein transparentes Drei-Termine-Konzept, das den Patienten von Beginn an einen klaren Fahrplan bietet.

Erster Termin: Beratung und Planung

Der erste Termin ist entscheidend für den Aufbau einer Vertrauensbasis. Dr. Langenbach führt dieses Gespräch bewusst nicht auf dem Behandlungsstuhl, sondern in einer neutraleren Umgebung. „Ich nehme mir erstmal 10 Minuten Zeit, nur zu reden, reden, reden“, erklärt er. In dieser Phase geht es darum, dem Patienten das Gefühl zu geben, gehört und verstanden zu werden. Ein zentraler Punkt ist dabei, den Patienten ihre Geschichte erzählen zu lassen.

Dieser Termin dient ausschließlich der Diagnostik, dem Kennenlernen und der Erstellung eines umfassenden Behandlungs- und Kostenplans. Es finden keine invasiven Maßnahmen statt. Der Patient kann die Praxis mit einem klaren Verständnis der nächsten Schritte verlassen, ohne eine Behandlung über sich ergehen lassen zu müssen.

Zweiter Termin: Therapie

In diesem Termin findet die eigentliche Behandlung statt. Je nach Umfang kann dies eine einzelne Sitzung oder, bei größeren Sanierungen, ein umfassender Eingriff, oft unter Sedierung oder Narkose, sein.

Dritter Termin: Abschluss

Der Patient erhält seinen endgültigen Zahnersatz und die primäre Behandlung ist abgeschlossen. Das Ziel, wieder normal aussehen und kauen zu können, ist in einem absehbaren Zeitrahmen erreicht.

Diese strukturierte Vorgehensweise reduziert die Komplexität des gesamten Prozesses und macht ihn für den Patienten greifbar und weniger bedrohlich. Bei Patienten mit moderater Angst verfolgt Dr. Langenbach eine Strategie der schrittweisen Desensibilisierung. Er beginnt bewusst mit Behandlungen, die als wenig bedrohlich wahrgenommen werden. Eine erste positive Erfahrung, beispielsweise eine absolut schmerzfreie professionelle Zahnreinigung, kann das Fundament für weiteres Vertrauen legen. Das Ziel ist, dass der Patient die Praxis mit dem neu gewonnenen Selbstbewusstsein verlässt und der Erkenntnis: „Es gibt auch Zahnmedizin, die schmerzfrei funktioniert.“

Die Rolle des Teams

Die Praxismitarbeiter sind von ihm persönlich im Umgang mit Angstpatienten geschult worden. Diese Schulung findet weniger in formalen Seminaren als vielmehr durch eine intensive Einarbeitung und das tägliche Vorleben der Praxisphilosophie statt. Ein einfaches, aber wirkungsvolles Protokoll ist beispielsweise, Angstpatienten niemals lange allein im Behandlungszimmer sitzen zu lassen. „Die Angst, die man dann noch aufbaut, wenn man den Patienten lange dasitzen lässt, startet die Spirale im Kopf“, so Dr. Langenbach. Ein abgestimmtes Team, das schnell reagiert und präsent ist, kann diese Angstspirale von vornherein unterbinden. Das beginnt bei den empathischen Empfangsmitarbeitern und setzt sich im gesamten Behandlungsteam fort.

Frühe Vorbereitung auf die „Extremfälle“

Das zahnmedizinische Studium vermittelt zwar die Grundlagen der Empathie, bereitet aber laut Dr. Langenbach nur unzureichend auf die Konfrontation mit extremen Angstpatienten und komplexen Sanierungsfällen vor. Er plädiert daher dafür, dass bereits in der Ausbildung ein stärkerer Fokus auf die systematische Gesamtplanung gelegt werden sollte. Das Durchspielen komplexer Fälle, das Erstellen von Behandlungsstrategien und das Abwägen von Prognosen sind Fähigkeiten, die einen guten Prothetiker und Behandler ausmachen.

Mindestens ebenso wichtig ist die Rolle des Mentorings in der Assistenzzeit. „Sich einen Chef zu suchen, der mit einem diese großen Fälle durchgeht, ist wertvoll. Da lernt man von erfahrenen Zahnärzten, die nicht alles direkt rausreißen, was vielleicht verloren scheint.“ Die Bereitschaft, sich auch als erfahrener Zahnarzt mit Kollegen auszutauschen, führt nach dem Vier- oder Sechs-Augen-Prinzip oft zu besseren und durchdachten Therapiekonzepten.

Die Behandlung von Angstpatienten ist eine der anspruchsvollsten, aber auch lohnendsten Aufgaben in der Zahnmedizin. Dr. Langenbach bringt es zum Schluss auf eine einfache Formel: „Man muss immer schön lieb sein.“ Ein Satz, der banal klingt, aber in seiner Konsequenz den Kern professioneller Zahnmedizin trifft – gerade dann, wenn Angst und Vertrauen die eigentlichen „Baustellen“ sind.

 

Quelle:

Thiele: Mit Angst und Aggression professionell umgehen. Die junge Zahnmedizin, 2025. doi:

10.1007/s13279-024-1950-0