Cholesterin und Demenz: Riskantes Auf und Ab
Gutes Cholesterin, schlechtes Cholesterin – so einfach ist es nicht. Für das Demenzrisiko scheinen Schwankungen wichtiger zu sein als die absoluten Werte. Was das für die Statintherapie bedeuten könnte.
Zu den vielen bekannten Risikofaktoren für Demenz kommen ständig neue hinzu. Forscher haben jetzt einen überraschenden Faktor entdeckt, der das Demenzrisiko deutlich erhöhen kann. Für viele Faktoren ist bereits gut erforscht, wie sie zur Entstehung einer Demenz beitragen können. Glücklicherweise sind viele dieser Faktoren durch unser Verhalten beeinflussbar, sodass wir unser Schicksal zumindest teilweise selbst in die Hand nehmen können. Große mediale Aufmerksamkeit erregte die Veröffentlichung der Lancet Commission on Dementia, die zu dem Schluss kam, dass fast die Hälfte aller Demenzerkrankungen verhindert werden könnte, wenn man 14 Risikofaktoren in den Griff bekäme. Auch wenn der Wert von fast 50 % vielleicht etwas hoch gegriffen erscheint, so steht doch fest, dass jeder Einzelne sein individuelles Risiko beeinflussen kann.
Die Sache mit dem Cholesterin
Zu den beeinflussbaren Risikofaktoren gehört beispielsweise ein erhöhter LDL-Cholesterinspiegel im mittleren Lebensalter. Wer im Alter von 50 Jahren einen hohen LDL-Cholesterinwert aufweist, hat im Alter von 80 Jahren ein erhöhtes Risiko, an Demenz zu erkranken. Dabei spielt das Alter, in dem ein erhöhter Cholesterinspiegel gemessen wird, eine entscheidende Rolle. Während der Zusammenhang im mittleren Lebensalter (40–60 Jahre) eindeutig belegt ist, ist die Datenlage für ältere Menschen uneinheitlich. Hier konnte in den meisten Studien kein Zusammenhang zwischen einem erhöhten LDL-Cholesterin und einem erhöhten Demenzrisiko nachgewiesen werden. Eine etwas ältere Studie konnte sogar zeigen, dass ein hohes Gesamtcholesterin bei älteren Menschen im Hinblick auf das Demenzrisiko von Vorteil ist. Diese und andere Studien führten zu einer Abkehr vom damals vorherrschenden Schwarz-Weiß-Denken in Sachen Cholesterin. Die Wahrheit war wieder einmal komplexer als der einfache Zusammenhang „Cholesterin ist schlecht“.
Cholesterin schwankt hin und her
Während bisherige Studien die Cholesterinwerte zu einem bestimmten Zeitpunkt betrachteten, stellten amerikanische Forscher die Hypothese auf, dass weniger der absolute Wert als vielmehr die Schwankungen der Werte im Laufe der Zeit von Bedeutung sein könnten. Hintergrund ist die Beobachtung, dass die Cholesterinwerte mit zunehmendem Alter dynamischer werden und mal höher und mal niedriger ausfallen. Die Messung zu einem bestimmten Zeitpunkt könnte daher nicht ausreichen, um ein Gesamtbild des Cholesterinstoffwechsels zu erhalten.
Statineinnahme verboten
Um ihre Hypothese zu testen, untersuchten die Wissenschaftler eine bereits bestehende Studienkohorte. Knapp 10.000 Studienteilnehmer wurden in die Analyse einbezogen. Ausgeschlossen wurden Studienteilnehmer, die im Untersuchungszeitraum eine Therapie mit lipidsenkenden Medikamenten (meist Statine) begonnen oder beendet hatten. Damit sollte eine Verzerrung der Ergebnisse durch die Medikamenteneinnahme vermieden werden. Dennoch sind die Ergebnisse nicht völlig frei von Statineinflüssen, da sowohl Teilnehmer eingeschlossen wurden, die über den gesamten Zeitraum Statine einnahmen, als auch solche, bei denen die Dosis im Verlauf geändert wurde, da keine Daten über die Dosierung der Medikamente vorlagen.
Gefährliches Schwanken
Bei den Studienteilnehmern wurden über einen Zeitraum von mindestens drei Jahren jährliche Cholesterinmessungen durchgeführt. In der Nachbeobachtungszeit wurde dann der Zusammenhang zwischen der Variabilität der einzelnen Messwerte und dem Auftreten von kognitiven Einschränkungen oder Demenz untersucht. Dazu wurden die Teilnehmer entsprechend ihrer Cholesterinvariabilität in vier Gruppen eingeteilt. In der Gruppe mit der größten Variabilität der Messwerte war auch das Risiko, später an Demenz zu erkranken, signifikant erhöht. In der Gruppe mit der höchsten Schwankung des Gesamtcholesterins erkrankten 11,3 Personen pro 1.000 beobachteten Personenjahren, in der Gruppe mit der niedrigsten Schwankung nur 7,1. Dies entspricht einem um 60 % erhöhten Risiko bei hoher Schwankung des Gesamtcholesterins. Bei einer hohen Schwankung des LDL-Cholesterins war das Risiko um 48 % höher als bei einer geringen Schwankung. Für HDL-Cholesterin und Triglyceride war dieser Zusammenhang nicht gegeben, hier hatte die Schwankungsbreite keinen Einfluss.
Zeitverlauf schlägt punktuelle Messung
Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass die Variabilität des Gesamtcholesterins und des LDL-Cholesterins ein neuer Risikofaktor sein könnte, der das Demenzrisiko besser vorhersagt als die einmalige Messung. Das bedeutet für die Praxis: Statt nur auf absolute Werte zu achten, sollte auch der zeitliche Verlauf stärker berücksichtigt werden. In anderen Bereichen der Medizin ist dieser Ansatz längst etabliert. Eine Hyponatriämie ist viel gefährlicher, wenn das Natrium rasch fällt, als wenn sich über lange Zeit ein Gleichgewicht eingestellt hat. Auch beim Körpergewicht gibt eine rasche Gewichtsabnahme mehr Anlass zur Sorge, als wenn ein Mensch sehr schlank veranlagt ist und dauerhaft ein unterdurchschnittliches Körpergewicht hat.
Erklärung gesucht
Eine mögliche Erklärung für diesen Zusammenhang ist, dass Schwankungen der Cholesterinwerte auf eine Entgleisung des Stoffwechsels hinweisen. Verschiedene Erkrankungen im Alter können zu einem gestörten (Fett-)Stoffwechsel führen, der wiederum das Demenzrisiko erhöhen kann. Die schwankenden Cholesterinwerte wären dann ein Hinweis darauf, dass es dem Körper zunehmend schwerfällt, die metabolischen Auf- und Abbauprozesse im Gleichgewicht zu halten. Eine andere mögliche Erklärung ist, dass die schwankenden Cholesterinwerte die Blutgefäße des Gehirns direkt schädigen. In den Blutgefäßen bilden sich häufig Plaques. Wenn sie stabil sind, verursachen diese Plaques kaum Probleme. Mit steigendem oder sinkendem Cholesterinspiegel kann sich jedoch die Zusammensetzung der Plaques verändern, die Plaques verlieren ihre Stabilität und die Gefahr von Rissen und Gefäßverschlüssen steigt.
Implikationen für Statintherapie?
Wenn schwankende Cholesterinwerte an sich gefährlich sind und zu Schäden an den Blutgefäßen führen, wäre dies vielleicht auch ein Argument, mit einer zu aggressiven medikamentösen Cholesterinsenkung im Alter zurückhaltend zu sein. Da der Einfluss von Medikamenten aber in der Studie nicht untersucht wurde, lassen sich auch keine belastbaren Rückschlüsse auf den Nutzen oder Schaden einer bestimmten Therapie ziehen. Wie so oft sind weitere Untersuchungen nötig, um den komplexen Zusammenhang zwischen Cholesterinwerten und Demenzrisiko weiter zu entschlüsseln.
Quellen: Livingston et al. Dementia prevention, intervention, and care: 2024 report of the Lancet standing Commission. Lancet, 2024. doi: 10.1016/S0140-6736(24)01296-0 Mielke et al. High total cholesterol levels in late life associated with a reduced risk of dementia. Neurology, 2005. doi: 10.1212/01.WNL.0000161870.78572.A5 Zhou et al. Association of Year-to-Year Lipid Variability With Risk of Cognitive Decline and Dementia in Community-Dwelling Older Adults. Neurology, 2025. doi: 10.1212/WNL.0000000000210247 |