Die Beihilfe will meine Begründungen nicht
Praktische Tipps zum Umgang mit der GOZ 2012 — Dr. Peter Esser in der DZW (Die Zahnarzt-Woche) zu Fragen der GOZ-Abrechnung (170) (Hervorhebungen durch Admin)
Immer wieder höre ich „Hilfe: Die Beihilfe will meine Begründungen nicht! Was soll ich bloß tun? Ich habe die Begründung wie empfohlen sorgfältig formuliert. Dennoch beanstandet die Beihilfe meine Begründung. Nun ist der Patient ärgerlich.”
Rückfrage: Ärgerlich auf wen? Auf die Beihilfe, die nicht zahlt? Oder auf Sie? Wenn der Patient ärgerlich auf die Beihilfe ist, dann ist das berechtigt.
Denn eine verordnungskonforme Begründung zu beanstanden, also zahnmedizinisch-inhaltlich anzuzweifeln oder gar als nicht zutreffend zu bezeichnen, steht einem Beihilfesachbearbeiter nicht zu, ist unter Umständen anmaßend und gegebenenfalls sogar ein nicht hinnehmbarer rechtsrelevanter Übergriff: Zu zahnmedizinisch-inhaltlicher Prüfung ist der Laie „Sachbearbeiter” nicht befähigt. Dafür bedarf es in der Regel zahnärztlichen Sachverstandes, zum Beispiel eines Gutachters oder der Zahnärztekammer.
Formale Fehler wie tatsächlich fehlende Begründung, Bemessen unzulässiger Kriterien statt Schwierigkeit, Zeitaufwand und Umstände oder „Begründung” ohne jeden konkreten Grund etc. kann der Sachbearbeiter allerdings aufzeigen.
Ist der Patient ärgerlich auf den Zahnarzt? Dann hat dieser wohl im Vorfeld einen Fehler gemacht, denn der Hinweis ist nach üblicher Vorgehensweise der Beihilfe und auch der Postbeamtenkrankenkasse mittlerweile obligat, dass bestimmte Beihilfestellen (auch private Krankenversicherer) prinzipiell versuchen, jedwede Erstattung über den Durchschnittsatz hinaus vorzuenthalten, egal mit welchen Argumenten. Dem neuen Patientenrechtegesetz folgend könnte dann sogar eine Verpflichtung gesehen werden, den Beihilfeberechtigten über das übliche Standardvorgehen zwecks Verweigerung jedweder Erstattung oberhalb des Durchschnittsatzes vorab aufzuklären.
Aufklärung
Wenn das versäumt wurde und der Patient „ärgerlich” ist, muss man diese Aufklärung wenigstens nachholen und zusätzlich darauf verweisen, dass bis auf wenige ab 2012 höher bewertete Gebührenziffern — seit 1987 keine Gebührenerhöhung erfolgt ist. Mit Jahrzehnte stagnierender Vergütung ist eine den aktuellen Möglichkeiten der Zahnmedizin voll entsprechende Behandlung mit dem dazu nötigen Zeitaufwand unter Einsatz moderner Behandlungsmaterialien und -techniken nicht möglich. Wenn derartige Behandlung aber erfolgt ist, muss das mittels Faktorerhöhung berechnet werden.
Was ist nach dieser Aufklärung zu tun? Man hält sich ohne Zögern und Aufschub strikt an die Rechtslage: Die sieht vor, dass der die Rechnung ausstellende Zahnarzt auf Verlangen des Zahlungspflichtigen die schriftlich abgegebene Begründung erläutert. So steht es unmissverständlich in Paragraf 10 (3) 2 GOZ. Das ist eine Verpflichtung des Rechnungsausstellers, und ohne dieser nachzukommen wird die über den Durch-schnittssatz hinausgehende Vergütung nicht fällig.
Konkret
Ohne tatsächlich verlangte Erläuterung muss der an sich zahlungspflichtige Patient den über den Durchschnittsatz hinausgehenden Betrag vorerst nicht zahlen und die Beihilfe nicht erstatten.
Es erhebt sich allerdings die Frage, warum bezüglich der Begründungen von seiten der Erstatter derart herumargumentiert wird, oft seitenlang mit nicht, kaum oder nur stellenweise zutreffendem Textbausteinschutt, anstatt dem Berechtigten klipp und klar zu sagen: „Wir haben die Begründung nicht verstanden. Lassen Sie sich bitte die Begründung erläutern, wie es Paragraf 10 (3) 2 GOZ vorsieht. Dann können wir unsererseits höher erstatten.”
So ist die Rechtslage, das sind die Fakten. Derartige Hinweise an den Berechtigten beziehungsweise Zahlungspflichtigen kommen von den Erstattern allerdings fast nie. Es ist nicht zu hoch gegriffen, das bewusste Verschweigen der Rechtslage als rechtswidrig zu bezeichnen. Warum aber wird der Hinweis auf die Erläuterungspflicht seitens der Erstatter systematisch unterlassen? Weil dann der Berechtigte auf die Idee käme, tatsächlich Erläuterung einzuholen um dann gegenüber der Beihilfe (auch PKV) zu erklären, nun sei die in der GOZ vorgeschriebene Formalie erfolgt, also seien ab jetzt Zahlung und Erstattung fällig.
Was ist nun zu tun, wenn sich die Beihilfe wieder einmal an der Erstattung vorbeimogeln will? — Ohne Zögern die Begründung erläutern, am besten schriftlich und mit dem Hinweis, dass der Rechnungsaussteller dem Berechtigten zur Seite steht.
Sofort erläutern
„Erläutern” ist eigentlich einfach: Es ist das für den Laien verständliche, nachvollziehbare Erklären der auf der Rechnung genannten Gründe. Nicht mehr und nicht weniger. Es werden die tatsächlichen Gründe mit einfachen Worten erneut etwas ausführlicher und somit verständlicher dargelegt, was sie konkret bedeuten für die Behandlung, das Durchführen der Behandlung und für den Behandler beziehungsweise das Behandlungsteam.
Die Begründung „weit überdurchschnittliche Schwierigkeit wegen des besonderen Umstands eines permanent hohen Zungendrucks” bedeutet, dass die übertrainierte Zunge anatomisch vergrößert ist, daher die Sicht auf die Unterkieferbezahnung ständig verdeckt und dem Oberkiefer außer bei maximaler, kaum länger durchzuhaltender Öffnungsweite ebenfalls anliegt. Beim Abhalten wird unwillkürlich Gegendruck aufgebaut, der dann bei verstärktem Bemühen um Zungenverdrängung entweder zu reflektorischer Verringerung der Mundöffnung oder zu Würgereif führt mit der Folge, dass die Weiterbehandlung häufiger und zeitaufwendig unterbrochen werden muss.
So gut erklärt, kommt der Erstatter nicht daran vorbei, auch tatsächlich die Erstattung vorzunehmen. Zumindest aber hat die Praxis damit alle ihre rechtlichen Verpflichtungen erfüllt, insbesondere wenn der Zahlungspflichtige erklärt, dass er die Erläuterung verstanden hat.
Es ist klar, dass Erläuterung nach Paragraf 10:(3) 2 GOZ nur der Zahlungspflichtige vom Zahnarzt verlangen kann, nicht der Erstatter. Der kann sein Verlangen nur an den Versicherten beziehungsweise Berechtigten richten, der gegebenenfalls die Erläuterung weiterleitet.
Manchmal wird man aber das Gefühl nicht los, dass keine Begründung schön genug sein kann, um sie nicht erst einmalversuchsweise zu verwerfen, wenn beim Erstatter an einem Tag das Soll an Streichungen nicht gedeckt ist.
Vielleicht denkt man, dass sich der Berechtigte dann nicht rührt, die Praxis verzichtet und wenn nicht, wenigstens beim nächsten Mal zögert, die an sich erforderliche Gebührenhöhe zu berechnen.
Wer als Zahnarzt nicht richtig mit sofortiger Erläuterung oder sogar nachgebend reagiert, lädt zu derartigen Regressionspraktiken ein. Manchmal sind Nichterstattungsbescheide ein wahrhaftes Ärgernis und mit seriösem Geschäftsgebaren kaum mehrvereinbar.
Hier ein Beispiel (Zitat):
„In der Rechnung konnten wir nicht den vollen Rechnungsbetrag anerkennen: Bitte beachten Sie dazu die folgenden Erläuterungen: Berechnung über dem Regelhöchstsatz. Im Rahmen der Novellierung der Gebührenordnung für Zahnärzte zum 01.01.2012 wurden beispielsweise die Gebührenziffern für definitive Versorgungen im Grundwert zwischen 23 Prozent und 107 Prozent aufgewertet Ziel dieser Neubewertung war es, die jeweiligen Leistungen dem aktuellen wissenschaftlichen Stand anzupassen und auch die durchschnittliche Schwierigkeit angemessen abzubilden. Somit sollte mit Bezug- 2007 (Az.: IIIZR 54/07) bis auf Wenige speziell begründete Ausnahmen eine Berechnung der Gebührenziffern maximal bis zum 2,3 fachen Regelsatz erfolgen. Selbst dieser ist nicht schematisch berechenbar, weil bei einer einfachen, unter dem Durchschnitt liegenden Leistung ein niedrigerer Gebührensatz als der 2,3 fache anzusetzen wäre.
Die von Ihrem Zahnarzt angegebenen Begründungen beschreiben lediglich die in der jeweiligen Gebühr beinhaltete Leistung aber keine individuellen Erschwernisse bei der Leistungserbringung.“
Bewertung
Der Bescheid des Kostenerstatters ist irreführend falsch. Es wurden nicht „die Gebührenziffern” sondern nur einige wenige nach 23 Jahren Stillstand angehoben.
Tatsächlich wurde dabei eine einzige Ziffer um 107 Prozent angehoben (Nummer 2150 GOZ), die allerdings fast nie vorkommt, somit als Erhöhung völlig wirkungslos bleibt. Die wenigen Anhebungen, die es gegeben hat, bewegen sich alle unterhalb der Kostensteigerungsrate, die sich in den vergangenen 23 Jahren aufsummiert hat.
Es wurde in Wirklichkeit bei der GOZ-Novellierung nicht einmal versucht, den aktuellen Stand der Wissenschaft abzubilden, sondern derartige Leistungen wurden gemäß Paragraf 6 (1) einer Analogberechnung (Berechnung mittels Vergleichen) zugeführt. Und das angeführte Urteil des Bundesgerichtshofs besagt im Wesentlichen das Gegenteil wie angegeben, nämlich dass eine „bis auf wenige Ausnahmen” auf den 2,3-fachen Satz behauptete Begrenzung der Gebührenberechnung (für die große Mehrzahl aller Behandlungsfälle) falsch und unzutreffend ist. Die tendenziöse Worterfindung der Nichterstatter „Regelhöchstsatz” statt Durchschnittssatz ist unzutreffend und provokativ: Es handelt sich beim 2,3-fachen Gebührensatz in der Regel um die Untergrenze zutreffend kalkulierter Berechnung, um Vergütung durchschnittlich zum GKV-Kassensatz.
Nutzen der Gebührenvereinbarung
Es gibt aber einen ultimativen Rat zur Beanstandungsmisere bezüglich der Gebührenbemessung und -begründung: Vorheriges Vereinbaren der Gebührenhöhe nach Paragraf 2 (1 2) GOZ hilft da ganz grundsätzlich.
Dann gibt es immer eine primäre gebührentechnische Begründung für die vereinbarte Gebührenhöhe auf der Rechnung, die lautet: „Gebührenhöhe gemäß Vereinbarung nach Paragraf 2 (1, 2) GOZ“. Die muss man auch nicht erläutern. Das hat zur Folge, dass dann eine im gegebenen Fall zutreffende, zusätzliche (sekundäre) Begründung für Gebühren innerhalb der Spanne 2,3 bis 3,5 mit Schwierigkeit, Zeitaufwand oder Umstände nicht mehr begründend für das Honorar des Zahnarztes wirkt, sondern allenfalls die Erstattung ermöglichend.
Dann ist der offenkundige Zweck der vielen Beanstandungen nicht mehr zu erreichen, nämlich die verursachte Erstattungsproblematik in die Zahnarztpraxis zu verlagern und sie dem Zahnarzt anzulasten: Das geht dann nicht mehr, weil die Vereinbarung vorrangig ist.
Dr. Peter Esser, Würselen
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