Notaufnahme an Karneval: Betrunken und aggressiv?
Rund um Rosenmontag sind die Notaufnahmen mit alkoholisierten Patienten überlaufen – da ist eine Eskalation oft nicht weit. Wie bewegen sich Ärzte sicher auf dem schmalen Grat zwischen Selbstschutz und Straftat?
Karneval, Fasching, Fastnacht – egal wie man es nennt, die „fünfte Jahreszeit“ bringt neben ausgelassener Feierstimmung auch eine alljährliche Herausforderung für die Notaufnahmen mit sich. Während draußen Konfetti fliegt und Schunkellieder erklingen, herrscht drinnen Hochbetrieb: Sturzverletzungen, Alkoholvergiftungen und eskalierende Auseinandersetzungen sorgen oft für einen unruhigen Dienst für alle Beteiligten.
Besonders herausfordernd sind dabei die vielen alkoholisierten Patienten – sei es der freundliche, aber komplett desorientierte Karnevalist im Clownskostüm oder der aggressive Partygast, der sich mit der Security angelegt hat. Im Umgang mit diesen Patienten drängen sich neben der medizinischen Behandlung immer wieder Fragen auf: Was tun, wenn der Patient aggressiv wird? Darf ich ihn festhalten? Wenn ja, wie lange? Die Notaufnahme ist voll, kann ich den Betrunkenen nicht einfach wieder vor die Tür setzen?
Zwischen Fürsorge und Frustration
Ein betrunkener Patient kann von tiefenentspannt bis hochaggressiv jede Facette menschlichen Verhaltens zeigen. Wer in der Notaufnahme arbeitet, weiß: Geduld, Deeskalation und eine ruhige, klare Kommunikation sind essenziell. Damit die Situation möglichst erst gar nicht aus den Fugen gerät, lohnt es sich, selbst einmal durchzuatmen und sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Auch wenn nach 16 behandelten Alkoholvergiftungen die siebzehnte nerven kann: Für den Patienten ist es trotzdem ein Notfall. Also gilt es, ruhig und empathisch zu bleiben – Zen-Modus an!
Alkoholisierte Menschen haben meist eine begrenzte Aufnahmefähigkeit. Es empfiehlt sich daher, mit kurzen, klaren Sätzen zu kommunizieren, um Missverständnisse zu vermeiden. Zudem ist es sinnvoll, hektische Bewegungen und laute Geräusche zu vermeiden. Zu viele Reize können nämlich ein aggressives Verhalten fördern. Ein Unterfangen, das sich in der vollen Notaufnahme jedoch leider nicht immer umsetzen lässt.
Vorbeugung ist schön, wirkt aber nicht immer
Egal, wie viel Mühe man sich gibt, manchmal lässt sich auch mit dem besten Willen eine Eskalation nicht vermeiden – oder ein Patient kommt bereits aggressiv in der Notaufnahme an. Was dann? Zuerst einmal gilt: Sicherheit für das Personal hat oberste Priorität. Wenn möglich, sollte man zunächst körperliche Distanz wahren, Fluchtwege offenhalten und Kollegen und Security hinzuziehen. Sobald genügend Personal im Raum ist, kann es mit einer strukturierten und koordinierten Deeskalation losgehen.
Am besten übernimmt eine Person die verbale Führung, während die anderen unterstützend agieren. Weiterhin gilt, dass der Patient möglichst mit ruhiger, aber bestimmter Stimme angesprochen werden sollte. Ebenso sollte man auf eine offene, nicht-bedrohliche Körperhaltung achten. Wenn eine verbale Deeskalation keine ausreichende Wirkung zeigt und vom Patienten eine akute Selbst- oder Fremdgefährdung ausgeht, können jedoch eine kurzfristige körperliche Fixierung und beruhigende Medikation notwendig sein.
Mit einem Bein im Gefängnis?
Für die körperliche Fixierung und die medikamentöse Sedierung von Patienten gelten zu Recht strenge Regeln. Diese führen jedoch auch häufig zu Unsicherheiten aufseiten des medizinischen Personals; es kann das Gefühl aufkommen, mit einem Bein im Gefängnis zu stehen. Hier hilft ein Blick auf die – zugegebenermaßen trockene – Gesetzeslage.
Da es sich auch beim kurzen Festhalten bereits um eine Freiheitsberaubung gemäß § 239 StGB handelt, muss die Fixierung gut gerechtfertigt sein, um nicht strafrechtlich relevant zu werden. Das bedeutet konkret, dass der Patient entweder einwilligen oder die Fixierung medizinisch notwendig sein muss. Dies ist z. B. bei Selbst- oder Fremdgefährdung durch akute Erregtheit gegeben. Die Fixierung darf zudem nur so lange aufrechterhalten werden, wie die Gefährdungslage besteht. Ist eine längerfristige Fixierung notwendig (mehr als 30 Minuten), muss nach § 1831 BGB eine richterliche Genehmigung eingeholt werden.
Notwendigkeit ist Auslegungssache
Auch bei einer Dauer unter 30 Minuten darf die Fixierung nur nach ärztlicher Anordnung durchgeführt werden. Ist zu Beginn der eskalierten Situation kein Arzt anwesend, so darf das Pflege- oder Sicherheitspersonal den Patienten trotzdem festhalten, wenn ein sogenannter „rechtfertigender Notstand“ nach § 34 StGB vorliegt. Es ist jedoch Aufgabe des Arztes, schnellstmöglich die Verantwortung für die Maßnahme durch deren Anordnung zu übernehmen.
Ähnliches gilt für den Einsatz sedierender Medikamente: Diese dürfen nur in Ausnahmefällen und niemals ohne medizinische Indikation gegeben werden, ein Einsatz zur alleinigen „Ruhigstellung“ eines Patienten aus Bequemlichkeit ist nicht zulässig. Es muss zudem beachtet werden, dass bei alkoholisierten oder auch mischintoxikierten Patienten eine erhöhte Gefahr für eine Atemdepression besteht und ein Monitoring notwendig ist.
Behandlung ablehnen?
„Am liebsten würde ich den Patienten einfach wieder vor die Tür setzen“ – Diesen Gedanken kennen die meisten Ärzte, auch wenn sie ihn lieber nicht aussprechen. Aber dürfte man das vielleicht sogar? Tatsächlich besteht für Ärzte in Deutschland keine allgemeine Behandlungspflicht. Sowohl der Arzt als auch der Patient müssen einer Behandlung zustimmen, damit ein Behandlungsvertrag zustande kommt. Dazu reicht eine mündliche Zustimmung.
Demgegenüber steht jedoch die Strafbarkeit von unterlassener Hilfeleistung nach § 323c StGB. Diese Regelung ist für Ärzte und anderweitig medizinisch geschultes Personal strenger als für Laien. Zudem dürfen Ärzte eine Behandlung grundsätzlich nur dann ablehnen, wenn kein Notfall bzw. keine besonderen rechtlichen Verpflichtungen bestehen (§ 7 MBO-Ä). Prinzipiell darf auch ein bestehender Behandlungsvertrag beendet werden, z. B. bei Beschimpfungen oder körperlichen Übergriffen – allerdings nur, wenn diese nicht Ausdruck der zugrundeliegenden Erkrankung, wie z. B. einer akuten Alkoholintoxikation, sind.
Eine Alkoholintoxikation ist als Notfall zu werten, auch wenn es sich dabei oft um eine selbstverschuldete Notlage handelt. Da der Patient dringende Hilfe benötigt, muss diese auch geleistet werden.
Andersherum ist es auch möglich, dass der Patient die Behandlung ablehnt, was ihm grundsätzlich freisteht, sofern er über eine ausreichende Urteils- und Einsichtsfähigkeit verfügt. Diese kann jedoch bei starkem Alkoholkonsum eingeschränkt sein. In diesem Fall gilt der mutmaßliche, wirkliche Wille des Patienten als Handlungsgrundlage. Eine Behandlung kann in dem Fall durchgeführt werden, sofern Gefahr im Verzug ist.