Rechtstipp November 2008 Die Einholung eines neuen Sachverständigengutachten
Die Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens
Im Prozess Pflicht, wenn Vorgutachten unvollständig Dr. Susanna Zentai berichtet über ein BGH-Urteil, wonach ein neues Gutachten vorgeschrieben ist, wenn ein Vorgutachten nicht alle prozessrelevanten Fragen gebührend berücksichtigt hat.
Aus: „Spektator“ (Deutscher Ärzteverlag), mit freundlicher Genehmigung.
Kommentierung einer BGH-Entscheidung vom Mai 2008
Der Bundesgerichtshof (BGH) stellte jüngst mit Beschluss vom 06.Mai 2008 (Az. VI ZR 250/07) klar: Im Arzthaftungsprozess hat das Gericht zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts in der Regel einen Sachverständigen einzuschalten. Dies kann im Einzelfall entscheidend für den Ausgang des Verfahrens sein. Grundsätzlich kann der Richter sich auf ein Gutachten aus einem anderen Verfahren stützen. So zum Beispiel aus einem anderen gerichtlichen, staatsanwaltlichen Verfahren oder einem solchen vor einer Schlichtungsstelle. Der Richter muss aber ein eigenes Gutachten einholen, wenn ein bereits vorliegendes Gutachten nicht alle Fragen beantwortet. Beispiel am Fall Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde, der auf die Zahnheilkunde übertragbar ist: Nach einem Sturz beim Schlittschuhlaufen erlitt die 47-jährige Patienten eine Trümmerfraktur der linken Kniescheibe. Bei der Aufnahmeuntersuchung im Krankenhaus wurde ein Kniescheibenmehrfragmentbruch diagnostiziert und eine konventionelle Behandlung durch Ruhigstellung angeordnet. Wegen der zunehmenden Beschwerden der Patientin erfolgte eine erneute Röntgenuntersuchung, wobei eine deutliche Stufenbildung der Bruchstellen der Kniescheibe festgestellt wurde. Daraufhin wurde die operative Behandlung der Fraktur angeordnet. Das Knie blieb eingeschränkt bewegungsfähig. Die Patientin machte für die Folgen die nur konservative Therapie verantwortlich. Die Operation sei zu spät und fehlerhaft durchgeführt worden. Sie leide nun an einer Chondropathie III. Grades in Form einer ausgeprägten Arthrose des linken Kniegelenks. Die Klage wurde in zwei Instanzen abgewiesen. Bezug genommen wurde auf ein Gutachten, das im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens eingeholt worden war und zu dem Ergebnis kam, die Behandlung sei nicht fehlerhaft gewesen. Diese Entscheidung wurde ausschließlich auf das Gutachten gestützt, das allerdings relevante Fragen offengelassen hatte. Deswegen befand der BGH, dass der Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt sei und ein neues Gutachten eingeholt werden müsse. Mit dieser Aufgabenstellung wurde die Angelegenheit an die letzte Instanz zurückverwiesen.
Fazit
Es ist üblich, dass Gerichte Gutachten aus Vorinstanzen verwenden und nicht immer ein neues und/oder ergänzendes Gutachten einholen. Dies kann sein bei einem Prozeß, der sich an ein selbstständiges Beweisverfahren oder an ein außergerichtliches Streitschlichtungsverfahren anschließt. In einem solchen Fall sollte dringend auf die Darlegung und Erläuterung der Punkte Wert gelegt werden, die in dem bereits vorliegenden Gutachten unbeantwortet geblieben sind. Die Notwendigkeit der Einholung eines Gutachtens läßt sich selbstverständlich auf Streitigkeiten wegen Gebührenrechts und Honorarforderungen übertragen. Sachverständigengutachten sind dort erforderlich, wo die eigene Sachkunde des Richters nicht ausreicht. Dies ist bei medizinischen Fragestellungen in der Regel der Fall, ungeachtet des konkreten Schwerpunktes.
Dr. Susanna Zentai, Köln Rechtsanwältin
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