Anwendung des Medikaments Toxavit nur in Ausnahmefällen

OLG Jena: Anwendung des Medikaments Toxavit nur in Ausnahmefällen

Urteil vom 23.01.2024

Trotz bestehender Zulassung wird die Applikation aldehydhaltiger Devitalisierungsmittels (z.B. Toxavit®) unter gesundheitlichen Gesichtspunkten für Patienten nicht mehr empfohlen. So wird laut Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Zahn- und Kieferheilkunde (DGZMK) die Anwendung von aldehyd- oder formokresolhaltigen Präparaten zur Pulpotomie wegen mutagener und kanzerogener Eigenschaften deutlich in Frage gestellt (DGZMK, Stellungnahme: Endodontie im Milchgebiss, Stand Juni 2002).
Auch aus juristischer Sicht erscheint die die Anwendung für den Zahnarzt kritisch. So führt das Oberlandesgericht (OLG) Hamm in seiner Entscheidung vom 24.10.2006 (Az.: 26 U 171/05) aus, dass die Verwendung des Medikamentes Toxavit zur Abtötung des Pulpengewebes einen groben Behandlungsfehler darstellt.
Mit Urteil vom 23.01.2024 (Az.: 7 U 1170/22) hält das Oberlandesgericht (OLG) Jena die Anwendung des Medikaments Toxavit als behandlungsfehlerhaft. Sachverständig beraten habe das Erstgericht festgestellt, dass die Mortaltechnik, d. h. die Abtötung des noch schmerzreaktiven Nervengewebes zum Zweck der Schmerzbeseitigung unter Verwendung des Medikaments Toxavit, nicht mehr dem gegenwärtigen zahnmedizinischen Kenntnisstand entspreche.
Die Anwendung von Toxavit könne in bestimmten Ausnahmefällen indiziert sein; sie erfordere eine Risikoabwägung und es bedürfe dann einer – dokumentationspflichtigen – entsprechenden Begründung durch den Zahnarzt. Aus der Behandlungsdokumentation des Beklagten ergeben sich diese Voraussetzungen indes nicht.
Kein grober Behandlungsfehler
Allerdings konnte der Patient das Vorliegen eines Behandlungsfehlers nicht nachweisen. Das Landgericht sei, den plausiblen Ausführungen des Sachverständigen folgend, in nicht zu beanstandender Würdigung des Beweisergebnisses zu der Überzeugung gelangt, dass die vom Kläger erlittene Entzündung des Kieferknochens nicht auf die Medikation zurückzuführen sei. Somit stelle die Anwendung des Medikaments Toxavit keinen groben Behandlungsfehler dar, der zur Umkehr der Beweislast führe.
Von Expertenmeinung kann abgewichen werden
Zudem gelte zu berücksichtigen, dass das Medikament Toxavit nach wie vor im Handel erhältlich und in der Bundesrepublik Deutschland auch als Arzneimittel zugelassen sei. Zwar werde in der zahnmedizinischen Fachliteratur von der Anwendung von Mortaltechniken abgeraten und die Anwendung von Devitalissationsmedikamenten wie Toxavit kritisch gesehen, da ihnen ein ungünstiges Nutzen-Risiko- Verhältnis zugeschrieben werde. Bei dieser zahnmedizinischen Fachliteratur handle es sich aber bestenfalls um eine S1-Leitlinie, das heißt, um eine durch ärztliche Fachgremien gesetzte Handlungsempfehlung, die aber nicht unbesehen mit dem medizinischen Standard gleichzusetzen sei und damit um eine Expertenmeinung, von der abgewichen werden könne.