BGH: Gericht darf sich keine medizinische Sachkunde anmaßen

BGH: Gericht darf sich keine medizinische Sachkunde anmaßen

Urteil vom 12.03.2024

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich mit Urteil vom 12.03.2024 (Az.: VI ZR 283/21) mit den Grenzen der richterlichen Entscheidungsbefugnis im Rahmen medizinischer Fragestellungen befasst. Der BGH betont, dass ein Richter auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur dann verzichten darf, wenn er entsprechende eigene besondere Sachkunde verfügt.

Konkret ging es um eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen. Das Oberlandesgericht Köln hatte einem physisch wie psychisch erkrankten Mann Arbeitsfähigkeit „attestiert“, ohne ein Sachverständigengutachten einzuholen und hatte sich damit eigenständig über entgegenstehende Atteste des Hausarztes und einer Psychotherapeutin hinweggesetzt.

Gericht hatte keine entsprechende Sachkunde

Der BGH führt dazu aus, dass Art. 103 Abs. 1 GG das Gericht verpflichtet, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben.

Der Tatrichter darf, wenn es um die Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage geht, auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur dann verzichten, wenn er entsprechende eigene besondere Sachkunde auszuweisen vermag.

Zudem muss der Tatrichter, wenn er bei seiner Entscheidung eigene Sachkunde in Anspruch nehmen will, den Parteien zuvor einen entsprechenden Hinweis erteilen.

Diesen Anforderungen genügt das Berufungsurteil nicht. Damit hat sich das Berufungsgericht medizinische Sachkunde bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit des Geschädigten angemaßt, deren Voraussetzungen es den Parteien nicht offengelegt hat.

Das Berufungsgericht hätte die Arbeitsfähigkeit im angenommenen Umfang angesichts der von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen – die entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht lediglich „bloße Behauptungen“ der Klägerin, sondern qualifizierten Sachvortrag zur Frage der Arbeitsfähigkeit des Geschädigten darstellen – nicht bejahen dürfen, ohne sich auf das Gutachten eines hinsichtlich der berührten medizinischen Bereiche fachärztlich qualifizierten Sachverständigen zu stützen.