Chlorotonil lässt Bakterien chemisch „ausbluten“
Die Entwicklung und Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen stellt eine der größten Bedrohungen für die globale Gesundheit dar. Um diese Resistenzen zu überwinden, werden Medikamente mit neuartigen Wirkmechanismen dringend benötigt – Chlorotonile könnten hier zukünftig einen innovativen Weg beschreiten.
Chlorotonile entfalten ihre Wirkung auf zwei Ebenen: Zum einen destabilisieren sie die Zellmembran von Bakterien, zum anderen blockieren sie gezielt Enzyme, die für die Synthese von Zellwand und Proteinen unerlässlich sind. [Symbolbild]
Die rasante Verbreitung von Antibiotikaresistenzen zählt zu den größten Bedrohungen für die globale Gesundheit. Weltweit suchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler daher nach Wirkstoffen, die Bakterien auf bislang ungenutzte Weise angreifen – und so die bestehenden Resistenzmechanismen aushebeln. Forschende des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) haben nun einen entscheidenden Fortschritt erzielt: Sie konnten den Wirkmechanismus einer neuartigen Naturstoffklasse, der sogenannten Chlorotonile, entschlüsseln.
Doppelschlag gegen Bakterien
Chlorotonile entfalten ihre Wirkung demnach auf zwei Ebenen: Zum einen destabilisieren sie die Zellmembran von Bakterien, zum anderen blockieren sie gezielt Enzyme, die für die Synthese von Zellwand und Proteinen unerlässlich sind. Dieser kombinierte Angriff setzt die Bakterien so stark unter Druck, dass sie absterben – auch solche, die gegen viele gängige Antibiotika bereits resistent seien, so die Autoren, die ihre Ergebnisse unlängst in der Fachzeitschrift Cell Chemical Biology veröffentlichten.
Wirksam gegen Krankenhauskeime
Entdeckt wurde die Substanzklasse bereits 2008 im Bodenbakterium Sorangium cellulosum. Frühere Studien zeigten, dass Chlorotonile gegen gefährliche Erreger wie Staphylococcus aureus und Enterococcus faecium wirksam seien – beides Keime, die in Krankenhäusern besonders gefürchtet würden. Sogar der Malaria-Erreger Plasmodium falciparum lasse sich mit Chlorotonilen bekämpfen, schreiben die Autoren weiter. Doch der genaue Wirkmechanismus blieb lange ein Rätsel.
Angriff auf die Zellmembran
Unter der Leitung von Dr. Jennifer Herrmann und Prof. Rolf Müller konnten die HIPS-Forschenden nun zeigen, wie Chlorotonile im Detail wirken. Besonders ungewöhnlich: Die Moleküle binden direkt an Lipide in der Zellmembran. Dadurch kommt es zum unkontrollierten Austritt von Kaliumionen, was das elektrische Potenzial der Membran verändere. Die Folge: Der osmotische Druck in der Zelle bricht ein, lebenswichtige Prozesse geraten aus dem Gleichgewicht – und die Zelle stirbt schließlich ab.
Enzymhemmung verstärkt die Wirkung
Zusätzlich hemmen Chlorotonile zwei zentrale Enzyme: die Phosphatase YbjG und die Methionin-Aminopeptidase MetAP. Beide seien an der Herstellung von Zellwandbestandteilen und Proteinen beteiligt. Die gleichzeitige Störung mehrerer lebenswichtiger Funktionen mache es den Bakterien besonders schwer, effektive Abwehrmechanismen zu entwickeln.
Schwachstelle der Bakterien gezielt ausgenutzt
Ein Grund für die resistenzbrechende Wirkung liege im Angriffsziel selbst: Lipide lassen sich von Bakterien nicht so einfach verändern wie Proteine, heißt es weiter. Während bei enzymbasierten Angriffen häufig Mutationen ausreichten, um Resistenz zu erzeugen, sei das bei Membranlipiden deutlich schwieriger. Nur durch gezielte Mutationen im Lipidefflux-System – das die Zusammensetzung der Membran reguliere – konnten Forschende resistentere Bakterienstämme erzeugen.
Basis für neue Medikamente
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Chlorotonile ein völlig neues Wirkprinzip verfolgen und gleichzeitig mehrere kritische Strukturen in der Bakterienzelle angreifen“, erklärt Projektleiterin Dr. Herrmann. Diese Erkenntnisse eröffnen neue Perspektiven in der Antibiotikaforschung – und die Möglichkeit, gezielt nach weiteren Substanzen mit vergleichbarem Wirkprofil zu suchen.
Aktuell arbeite das HIPS-Team an der Weiterentwicklung der Chlorotonile, um deren Wirksamkeit und Sicherheit zu verbessern. Parallel dazu laufen im Rahmen des Förderprogramms GO-Bio initial erste Schritte zur Entwicklung eines Medikaments gegen Malaria. Die Forschung an den Chlorotonilen könnte damit nicht nur im Kampf gegen multiresistente Bakterien, sondern auch bei der Bekämpfung parasitärer Erkrankungen letztlich einen Durchbruch bringen, wie es abschließend heißt.
Originalpublikation: Deschner F et al., Natural products chlorotonils exert a complex antibacterial mechanism and address multiple targets. Cell Chemical Biology 2025. DOI: 10.1016/j.chembiol.2025.03.005