Neue „Beihilferechtliche” Hinweise zum zahnärztlichen Gebührenrecht

Hilfe zur Beihilfe — Dr. P. Esser zu Fragen der GOZ-Abrechnung (175)

In dieser Folge geht es um den „RdErl. d. Finanzministeriums v. 16.11.2012″, den Runderlass des Finanzministeriums Nord­rhein-Westfalen.

Ein „Erlass” ist ein hoheitlicher Akt mit Rechts­wirkung in dem Bereich, zu dem er ausdrücklich ergangen ist. Das ist in diesem Fall das Beihilferecht, es betrifft Sachbearbeiter etc. und Berechtigte, aber nicht das zahn­ärztliche Gebührenrecht (GOZ).

Das bedeutet in aller Klarheit, dass diese Anordnungen keine Wirkung auf die Gebührenordnung für Zahn­ärzte (GOZ) entfalten, weder wie der Zahnarzt sie anzuwenden noch zu interpretieren hat.

Eine Kommentierung (Ausle­gung) der Gebührenordnung muss vertretbar sein: Das heißt, sie darf nicht abwegig, unlogisch und un­begründet sein und natürlich nicht einhellig von der Fachkommentie­rung, insbesondere nicht von der einschlägigen höherinstanzlichen Rechtsprechung, bereits abge­lehnt sein. Dasselbe gilt umge­kehrt natürlich auch für Beihilfe­hinweise.

Der „Runderlass” datiert vom 16. November 2012. Er ist wohl der erste spezifische Beihilfeer­lass nach Novellierung der GOZ, also genau ein Jahr nach deren endgültiger Verabschiedung. Es handelt sich bei diesem Erlass um eine zwiespältige Zusammen­stellung von Selbstverständlich­keiten, aber auch unbegründeten Feststellungenund Fehlinterpretationen, sowie an bestimmten Stellen um Übergriffe ins Gebüh­renrecht, statt sich auf das Erstat­tungsrecht zu beschränken.

Natürlich ist die Versuchung da­zu riesengroß (Zitat verkürzt):

„Nach [ ] der Beihilfeordnung sind die notwendigen Aufwendun­gen in angemessenem Umfang bei­hilfefähig. Die Angemessenheit der Aufwendungen für zahnärztli­che Leistungen beurteilt sich grund­sätzlich nach der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) [ ]. Da­mit setzt die Beihilfefähigkeit vo­raus, dass der Zahnarzt die Rechnungsbeträge bei zutreffender Auslegung der Gebührenordnung zu Recht in Rechnung gestellt hat”

Das heißt ganz prinzipiell, dass alle notwendigen Leistungen dem Grunde nach beihilfefähig sind.

Diese vorrangige Regelung be­züglich prinzipieller Erstattung al­ler zahnmedizinisch notwendigen Leistungen wird in den folgenden Hinweisen relativiert und ausge­höhlt.

In manchen Passagen er­scheinen die Hinweise so restriktiv ohne jeden Beleg, dass Zweifel an deren Wirksamkeit bei recht­licher Würdigung aufkommen.

Bleiben wir beim Thema der vorigen Ausgaben der DZW, dem (gemäß Wortlaut des Erlasses) „5. Überschreiten des Schwel­lenwertes (§ 5 GOZ)”.

Und damit wäre bereits beihilfe­seitig in der Überschrift geschickt ein Begriff platziert, den es in der GOZ gar nicht gibt. Dort ist in Wirk­lichkeit vom „2,3-fachen Gebüh­rensatz” und von „durchschnittlich” die Rede, nicht von einem „Schwellen-wert”.

Ein Vorschlag: Wir nennen den 2,3-fachen Satz jetzt alle „unte­rer Schwellenwert”, denn es gibt ja unzweifelhaft auch einen „obe­ren Schwellenwert” beim 3,5-fa­chen Gebührensatz. Da nämlich ist die Schwelle erreicht, zu deren Überschreiten eine Vereinbarung nach Paragraf 2 (1, 2) GOZ erfor­derlich ist; man kann die aber auch bereits ab dem unteren Schwel­lenwert abschließen.

Der Erlass fährt fort mit Punkt 5.1 (Zitat der GOZ):

„Nach Para­graf 5 Absatz 1 Satz 1 GOZ bemisst sich die Höhe der einzelnen Ge­bühr nach dem Einfachen bis Drei­einhalbfachen des im Gebühren­verzeichnis angegebenen Gebüh­rensatzes.”

Hier endet das Zitat und die In­terpretation beginnt: „Paragraf 5 Absatz 2 GOZ bestimmt, wie die in­dividuell „angemessene“ Gebühr in dem von Paragraf 5 Absatz 1 Satz 1 GOZ eröffneten Gebühren­rahmen zu finden ist. Bemes­sungskriterien sind:

•        Schwierigkeit der einzelnen Leistung,

•        Zeitaufwand der einzelnen Leis­tung sowie

•        Umstände bei der Ausführung.”

In Wirklichkeit findet sich an der Stelle auch, dass „die Gebühren [  ] nach billigem Ermessen zu bestimmen” sind. Ver­gessen wird also bei dieser Text­darstellung (natürlich nicht mit „durchgängigem Täuschungswil­len” wie bei bestimmten Doktor­arbeiten), das „billige Ermessen” zu erwähnen.

Das ist jedoch er­wähnenswert, da es nicht einfach „angemessen” bedeutet, sondern freies, unbeeinflusstes, wohl ab­gewogenes persönliches Ein­schätzen „unter Berücksichtigung von Schwierigkeit” etc. Zutreffen­der wäre also eine Beschreibung „subjektivangemessen, aber ge­rechtfertigt”. Und Bemessungs­kriterium ist nicht einfach nur die Schwierigkeit, sondern gegebe­nenfalls auch die „Schwierigkeit des Krankheitsfalls”, die natur­gemäß Auswirkung auf eine Rei­he davon betroffener Leistungen haben kann.

Die Beihilfehinweise fahren fort, zunächst mit Halbzitat:

„Bemes­sungskriterien, die bereits in der Leistungsbeschreibung im Ge­bührenverzeichnis berücksichtigt wurden, bleiben bei der Gebüh­ren-bemessung außer Acht.”

Dann beginnt die Interpretation, ja Spe­kulation: Das können Leistungen sein, die nach Schwierigkeiten ge­stuft sind (zum Beispiel Umfang bei den Nummern 6060 ff. GOZ), Leistungen, bei denen die Schwie­rigkeit in der Leistungsbeschrei­bung aufgenommen ist (zum Bei­spiel die Gefährdung anatomi­scher Nachbarstrukturen in der Nummer 3045 GOZ), oder Leistungen, bei denen bestimmte Min­destzeiten vorgesehen sind.

Diesem Hinweistext muss zahn­medizinisch-fachlich, aber auch gebührentechnisch dringlich wi­dersprochen werden:

1. Bei den Leistungen nach den Nummern 6030 bis 6080 GOZ (Kie­ferumformung und Bisseinstel­lung) ist der Umfang der Maß­nahmen exakt beschrieben in der näheren Leistungsbeschreibung, zum Beispiel „Ausmaß der Zahn­bewegung: mehr als zwei Milli­meter”. Wenn ein Zahn in dem betreffenden Kiefer mehr als zwei Millimeter bewegt werden muss, ist der Umfang der Umformungs­maßnahme in Punkt b) erfüllt. Der Umfang der einzelnen Maßnah­me sagt nichts —gar nichts — über die damit verbundene Schwierig­keit und den dazu nötigen Zeit­aufwand aus, schon gar nichts über die tatsächliche Anzahl der so bewegten Zähne in zwei Zahn­gruppen (Punkt a).

Klar wird der Fehler, resultierend aus beihilfeseitigem Verwechseln von Schwierigkeit mit Umfang ei­ner Behandlung, spätestens dann, wenn zum Beispiel das Ausmaß der Zahnbewegung in drei Zahn­gruppen mehr als drei Millimeter beträgt, gegebenenfalls bei Anky­losierungstendenz und unacht­samem Umgang des Patienten mit Behandlungsgerät/-apparatur.

Klar ist: Eine Begründung „we­gen zwei bewegten Zahngruppen mit je einem mehr als zwei Milli­meter-bewegten Zahn” rechtfertigt keinen Steigerungssatz, weder ei‑

nen 1,3- noch einen 2,3- noch ei­nen 3,3-fachen Gebührensatz, weil es sich tatsächlich nicht um eine Begründung, sondern einen Teil der Leistungsbe-schreibung han­delt.

2. Genauso falsch wäre natürlich zum erhöhten Gebührensatz bei Nummer 3045 (Entfernen eines ex­tremverlagerten retinierten Zahns durch umfangreiche Osteotomie bei gefährdeten anatomischen Nachbarstrukturen) eine Begrün­dung „erhöhter Zeitaufwandwegen gefährdeter anatomischer Nach­barstruktur”. Der ist unzweifelhaft enthalten in der Leistungsbeschrei­bung. Logisch nicht abzuweisen wäre jedoch „50 Prozent erhöhter Zeitaufwand und extreme Schwie­rigkeit wegen hochgradig gefähr­detem Nervus mandibulae und Nachbarzahn infolge Nerv um­schließender Wurzeln und dop­peltem Osteotomieumfang”.

3. Bei einer Leistung, bei der die Mindestzeit 15 Minuten (zum Bei­spiel Nummer 1010) vorgesehen ist, kann selbstverständlich nicht die Nennung der Mindestzeit „ [ ] wegen Dauer von 15 Minu­ten” als Begründung herhalten, etwa für den 3,5-fachen Gebüh­rensatz. Wer sind wir Zahnärzte, dass man uns in der obersten Bei­hilfeetage derartiges Ungeschick unterstellt!

Aber wie wäre es mit der zwin­genden Begründung (zum Bei­spiel Faktor 7,0)

„den Gebühren­rahmen überschreitender Zeit­aufwand von 30 Minuten und ge­mäß Vereinbarung nach Paragraf 2 (1, 2) GOZ” und der gegebenen­falls später verlangten Erläute­rung „Gebührenhöhe unbedingt erforderlich wegen betriebswirt­schaftlich trotz Volldelegation bereits bei 15 Minuten Zeitaufwand randvoll ausgeschöpftem Gebüh­renrahmen”!

Wir können nach den erfolgten Erkenntnissen über den letzten Satz der Beihilfehinweise mit ei­nem müden Achselzucken hin­weggehen: „Die derart im Gebüh­renverzeichnis aufgenommenen Umstände, Schwierigkeiten oder Zeiten gelten als bei der Gebühr bereits berücksichtigt und kön­nen nicht „nochmals“ zur Gebüh­renbemessung herangezogen wer­den.”

Nein, natürlich nicht einmal und nicht nochmals, nur besonders.

Dr. Peter Esser, Würselen

 

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