Rechtstipp 2/2025: OLG Bayern: Gutachterliche Kritik an Kollegen ist nicht berufswidrig Beschluss vom 14.12.2024
Fachliche Aussagen eines (Zahn-)Arztes im Rahmen eines medizinischen Gutachtens stellen keine Verletzung der Berufspflicht zum kollegialen Verhalten dar, wenn sie sachlich sind. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Bayern mit Beschluss vom 14.12.2024 (Az.: 301 LBG-Z 1/23) entschieden und festgestellt, dass dem Gutachter bei seiner Expertise bezüglich der Eignung und Notwendigkeit seiner Ausführungen ein Freiraum zusteht, in den das Berufsgericht nicht ohne weiteres eingreifen darf. Es bedarf einer Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Antragsgegners einerseits und der von der Berufsordnung geschützten Rechtsgüter andererseits.
Sachverhalt:
Patienten eines Zahnarztes hatten sich über die medizinische Notwendigkeit von Heilbehandlungen sowie über seine vermeintlich fehlerhaften Kostenvoranschläge und Rechnungen bei ihrer privaten Krankenversicherung beschwert. Diese beauftragte daraufhin einen Zahnarzt, ein schriftliches Gutachten bezüglich der zahnärztlichen Befunderhebung, der Behandlungsplanung, der Behandlung nebst deren wissenschaftlichen Grundlagen und der Abrechnung zu erstellen.
Aufgrund der Ausführungen im Gutachten sah sich der behandelnde Zahnarzt unkollegial behandelt und verlangte die Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens. Er hatte dem Gutachter vorgehalten, er habe gegen das Gebot, den Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihm entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen, gegen das Gebot der Kollegialität und gegen das Gebot, Gutachten neutral und unabhängig zu erstellen, verstoßen.
Somit hatten die Richter des OLG zu beurteilen, ob sich der beklagte zahnärztliche Sachverständige unkollegial verhalten hatte, indem er in seinem Gutachten folgende Aussagen traf:
Fall 1: die Rechnungsstellungen des Behandlers seien für den Patienten unzumutbar, intransparent und befremdlich; diverse Abrechnungspositionen identischer Behandlungstage seien unchronologisch jeweils in drei separat erstellten Rechnungen aufgeführt und dem Patienten gegenüber doppelt abgerechnet worden
Fall 2: die nach einer abgeschlossenen kieferorthopädischen Behandlung vorgenommene Beschleifung der fünf Frontzähne 12, 11, 21, 22 und 23 der damals 20- jährigen Patientin zu Kronenstümpfen sei medizinisch nicht indiziert gewesen und mit Blick auf das Alter der Patientin sei das Vorgehen „riskant“; es hätte sehr viel gesunde Zahnhartsubstanz gekostet, die hätte erhalten werden müssen
Fall 3: die Behandlung mittels einer sogenannten MAGO-Schiene würde bei der Patientin zu grundlegenden Problemen führen, sei in ihrer Zielsetzung und im beabsichtigten Nutzen unverständlich und durch keinen Befund belegt und aufgrund der vorgelegten Situationsmodelle oberflächlich, wenig glaubhaft und verwirrend
Fall 4: es irritiere sehr, dass dem Behandler der aktuelle Standard der Funktionslehre offenbar nicht bekannt sei, obgleich dieser in diesem Fachgebiet arbeite
Aus den Entscheidungsgründen:
Zutreffend hat das Berufsgericht die vom Antragsteller dargestellten Äußerungen des Antragsgegners als Meinungsäußerungen beurteilt, die den Schutz von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG genießen.
Für die Entscheidung, ob eine Äußerung die Grenze des rechtlich Zulässigen überschreitet, muss stets sorgfältig zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen unterschieden werden. Während Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit geprägt werden und der Überprüfung mit Mitteln des Beweises zugänglich sind, handelt es sich bei einer Meinung um eine Äußerung, die durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt ist. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat anschließt, handelt es sich bei Ausführungen eines Gutachters zudem Ergebnis der vorangegangenen Untersuchung in der Regel um ein Werturteil und nicht um die Behauptung einer Tatsache, weil das Ergebnis, mag es auch äußerlich als Tatsachenbehauptung formuliert sein, auf Wertungen beruht.
Das OLG weist zudem darauf hin, dass einem Gutachter im Rahmen seiner Expertise bezogen auf seine Ausführungen ein Freiraum zusteht, in den das Berufsrecht nicht ohne Weiteres eingreifen darf. Das Offenlegen von – gravierenden – Pflichtverletzungen eines Behandlers kann den Pflichten eines gutachterlich tätigen Zahnarztes nicht widersprechen. Vielmehr entspricht sie ihnen. Die dadurch hervorgerufene Transparenz dient einerseits dem Schutz des Patienten, aber auch dem Ethos des Berufsstands und einer funktionierenden Gesundheitsfürsorge.
Danach kommt der Senat in Übereinstimmung mit dem Berufsgericht zum Ergebnis, dass in allen Fällen die Meinungsfreiheit überwiegt und die vom Antragsteller beanstandeten Formulierungen somit von der Meinungsfreiheit gedeckt sind. Vor dem Hintergrund dessen scheidet die Verhängung einer berufsgerichtlichen Maßnahme aus rechtlichen Gründen aus, weshalb die Eröffnung des berufsgerichtlichen Verfahrens abzulehnen war.
Von Angelika Enderle, erstellt am 09.12.2024, zuletzt aktualisiert am 09.12.2024
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