Rechtstipp 07/2024 Beweiswert einer ärztlichen Dokumentation in einer Patientenakte

BGH: Beweiswert einer ärztlichen Dokumentation in einer Patientenakte

Urteil vom 05.12.2023

Der Behandlungsdokumentation kommt in Arzthaftungsprozessen häufig eine entscheidende Bedeutung zu. Mit Urteil vom 05.12.2023 (Az.: VI ZR 108/21) hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass die Eintragungen in einer Behandlungsdokumentation nur Indizwirkung haben und nicht zu einer Beweislastumkehr führen.

Im vorliegenden Rechtsstreit hat eine gesetzliche Kranken- und Pflegekasse rechtliche Schritte gegen eine Beleghebamme sowie den behandelnden Assistenzarzt auf Schadensersatz aus übergegangenem Recht eines Neugeborenen wegen behaupteter Behandlungsfehler im Rahmen der Geburt eingeleitet. Streitig war im zugrunde liegenden Fall, wem die Beweislast für den Behandlungsfehler oblag. Das Berufungsgericht war den Eintragungen der Beleghebamme gefolgt, die auf Fehler des Assistenzarztes hindeutete und bejahte eine Haftung des Arztes für den Geburtsschaden. Dieser hatte dagegen unter anderem notiert, dass er keine Informationen hatte.

Die Grundsätze, die der BGH aufstellt, gelten in allen medizinischen Fächern und auch für digitale fälschungssichere Behandlungsdokumentationen:

Einer ordnungsgemäßen, zeitnah erstellten Dokumentation in Papierform, die keinen Anhalt für Veränderungen, Verfälschungen oder Widersprüchlichkeiten bietet, kommt zugunsten der Behandlungsseite Indizwirkung zu, die im Rahmen der freien tatrichterlichen Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO zu berücksichtigen ist.

Als Urkunde begründet eine Behandlungsdokumentation gemäß § 416 ZPO vollen Beweis (nur) dafür, dass die darin enthaltenen Erklärungen abgegeben wurden, nicht aber dafür, dass sie inhaltlich zutreffend sind.

In die Beweiswürdigung sind alle vom Beweisgegner vorgebrachten Gesichtspunkte einzubeziehen. Der Beweisgegner muss nicht die inhaltliche Richtigkeit der Dokumentation widerlegen. Ihm obliegt nicht der Beweis des Gegenteils. Vielmehr genügt es, wenn er Umstände dartut, die bleibende Zweifel daran begründen, dass das Dokumentierte der Wahrheit entspricht, das Beweisergebnis also keine Überzeugung im Sinne von § 286 ZPO rechtfertigt. So verhält es sich insbesondere, wenn der Beweisgegner Umstände aufzeigt, die den Indizwert – die abstrakte Beweiskraft – der Dokumentation in Frage stellen.

An dem erforderlichen Indizwert der Dokumentation fehlt es dann, wenn der Dokumentierende Umstände in der Patientenakte festgehalten hat, die sich zu Lasten des im konkreten Fall in Anspruch genommenen Mitbehandlers (Beweisgegners) auswirken, und nicht ausgeschlossen werden kann, dass dies aus eigenem Interesse an einer Vermeidung oder Verringerung der eigenen Haftung erfolgt ist.

Eine andere Beurteilung folge auch nicht aus § 630 h Abs. 3 BGB. Dieser kodifiziert die bisherige Rechtsprechung zur Beweislastumkehr bei Dokumentationsversäumnissen. Eine positive Beweisvermutung spricht die Norm nicht aus, so der BGH.

Das Berufungsurteil war deshalb aufzuheben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.