Studie zu Einflussfaktoren auf die Mundgesundheit

Deswegen haben Kleinkinder in Belgien so schlecht
Keine Zeit, das Kind kooperiert nicht, Eltern sind kein Vorbild, andere kulturelle Normen, und Ärzte wie Sozialkräfte schieben die Verantwortung weg: Das sind die Ursachen für die schlechte Mundgesundheit von Kleinkindern in Belgien.

2023 lag der T-Health-Index bei fünf- bis siebenjährigen Kindern in Belgien bei 17,7 (Der T-Health-Index basiert auf dem Kariesindex DMFT, gibt jedoch den funktionellen Zustand wieder, indem gesunde Zähne höher als gefüllte oder fehlende Zähne bewertet werden). Viele Länder in Europa haben Programme zur Verringerung von Karies eingeführt, auch Belgien, doch die nach wie vor hohe Karieserfahrung bei Kindern zeigt, dass weitere Anstrengungen zur Verbesserung der Mundgesundheit vonnöten sind.

Daten der belgischen Regierung zur Inanspruchnahme der Gesundheitsversorgung belegen, dass 2023 fast die Hälfte der belgischen Kinder unter vier Jahren noch nie beim Zahnarzt war (47,9 Prozent), bei Kindern aus Familien mit niedrigem Einkommen waren es sogar 62 Prozent). Vor dem Hintergrund, dass die Krankenversicherung die zahnärztliche Untersuchung für diese Kinder vollständig übernimmt, wollten die Forschenden mit der vorliegenden Studie wissen, wie es zu dieser Diskrepanz kommt.

Milchzahnkaries ist nach wie vor weit verbreitet

Ziel war, im Dialog mit den Eltern die bewussten und unbewussten Mechanismen dahinter zu erforschen und möglicherweise blinde Flecken in der zahnmedizinischen Versorgung aufzudecken. Es wurden außerdem Informationen von Fachkräften eingeholt, die regelmäßig mit Kleinkindern und ihren Familien arbeiten und direkt oder indirekt an der Förderung der Mundgesundheit von Kindern beteiligt sind.

Die Studie wurde von einem interdisziplinären Team aus Forschern und Praktikern aus der Gesundheitsförderung, Zahnmedizin und Primärversorgung durchgeführt. Die Teilnehmer waren Eltern von Vorschulkindern und Fachkräfte, die mit kleinen Kindern und ihren Familien in Gent, einer Provinzstadt in Flandern, arbeiten. Einschlusskriterien waren:

  1. mindestens 18 Jahre alt,
  2. ein Kind zwischen 6 Monaten und 6 Jahren und

  3. Niederländisch- oder Englischkenntnisse.

Eltern, die im Gesundheitswesen tätig waren, wurden ausgeschlossen. Zunächst wurde eine gezielte Stichprobenziehung durchgeführt, um eine Vielfalt der Probanden hinsichtlich Alter, Geschlecht, sozioökonomischem Status, ethnischer Zugehörigkeit sowie Anzahl und Alter der Kinder sicherzustellen.

Insgesamt wurden acht Einzel- und drei Fokusgruppeninterviews mit Eltern von Kindern im Alter von sechs Monaten bis sechs Jahren durchgeführt (insgesamt 30 Elternteile). Dabei wurde darauf geachtet, auch Eltern aus Randgruppen mit einzubeziehen (19 Elternteile waren nicht in Belgien geboren). Außerdem wurden Einzelinterviews mit acht Fachkräften aus verschiedenen Gesundheits- und Sozialbereichen initiiert, die in Gent mit Kleinkindern und Familien arbeiteten. Hauptthemen der Befragungen waren das Verhalten bei der Mundhygiene, Ernährungsgewohnheiten und Zahnarztbesuche.

Alltägliche Hürden beim Zähneputzen

Die Mundgesundheit von Kleinkindern wird demnach von verschiedenen Faktoren beeinflusst, maßgeblich sind:

  • Zeitmangel: Obwohl fast alle Eltern wussten, dass sie die Zähne ihrer Kinder zweimal täglich für zwei Minuten putzen sollten, blieb dies insbesondere morgens teilweise aus, weil die Zeit drängte und der Familienalltag hektisch verlief. Der Mundhygiene wurde dann eine geringere Priorität als anderen Dingen eingeräumt.
  • unkooperatives Verhalten der Kinder: Nahezu alle Eltern beschrieben, dass ihre Kinder zuweilen unkooperativ waren, beispielsweise den Mund nicht öffneten, den Kopf wegdrehten oder gegen das Zähneputzen protestierten. Die Eltern begegneten diesem Verhalten mit Strategien, das Zähneputzen zu einem angenehmen Erlebnis oder Spiel zu machen oder das Kind abzulenken. Andere reagierten mit Zwang, Verärgerung oder Drohungen. Oder sie versuchten dem Kind zu erläutern, warum die Zahnpflege wichtig ist und übertrugen somit die Verantwortung dafür dem Kind. Nicht alle Eltern hatten die Ausdauer oder Konsequenz, das Zähneputzen durchzusetzen. Gleichzeitig berichteten Eltern, bei denen das Zähneputzen zur Routine geworden war, dass ihr Kind kooperativer war.

  • Mundhygienegewohnheiten der Eltern: Auch beim Zähneputzen sind die Eltern ein wichtiges Vorbild für ihre Kinder. Dabei „färbten“ nicht nur die Frequenz und Dauer des Zähneputzens ab, sondern auch die Art und Weise, zum Beispiel, ob eine Handzahnbürste oder ein elektrisches Modell verwendet wurde oder wie regelmäßig Kontrolluntersuchungen in der Zahnarztpraxis wahrgenommen wurden.

  • familiäre und kulturelle Normen: Die eigenen Gewohnheiten und Erfahrungen in der Kindheit prägten das Verhalten der Eltern. Einige wollten ihre Kinder etwa vor schlechten Erfahrungen bewahren, die sie selbst gemacht hatten. Zum Teil übernahm auch ein Elternteil das bessere Mundhygieneverhalten des anderen. Einige Eltern mit Migrationshintergrund berichteten, dass sie der Mundhygiene aufgrund kultureller Prägung weniger Bedeutung beimaßen und ihre Zahnarztpraxis eher bei Schmerzen als zur Vorbeugung aufsuchten. Beschwerden bei den Kindern motivierten manche Eltern dazu, die Mundhygiene ihrer Kinder zu verbessern.

  • unklare Zuständigkeiten und mangelndes Wissen bei Gesundheitsfachkräften: Familienhilfen sowie Kinder- und Hausärzte sind wichtige Ansprechpartner für Eltern, aber über das Thema Mundgesundheit zum Teil nicht ausreichend informiert. Sie gaben in den Interviews sogar vereinzelt falsche Empfehlungen. Es war die Tendenz zu erkennen, dass die Verantwortung „weitergereicht“ wurde. Gleichzeitig hatten gerade Eltern mit Migrationshintergrund mehr offene Fragen und Zweifel, die auf diese Weise möglicherweise unbeantwortet blieben.

„Im Allgemeinen wissen alle Eltern über die Mundgesundheitspflege von Kleinkindern Bescheid“, stellten die Autoren abschließend fest. Ihnen fehle allerdings vor allem die Fähigkeit, dieses Wissen bei unkooperativem Verhalten in die Praxis umzusetzen. Die aktuellen Interventionen, die auf das Wissen der Eltern über Mundgesundheit setzen, seien daher unzureichend, um das Verhalten der Eltern zu ändern. Stattdessen sollten Interventionen auch auf Erziehungskompetenzen wie Verhaltensmanagement ausgerichtet sein.

Kampagnen könnten die Situation verbessern

„Festgestellt wurde ein Bedarf an Zeit und Ressourcen, um die Mundgesundheitsvorsorge für kleine Kinder zu verbessern und an die Lebenswirklichkeiten junger Eltern anzupassen“, resümieren die Wissenschaftler. Sie halten Kampagnen für geeignet, um die Aufmerksamkeit für das Thema zu erhöhen und Eltern dazu anzuregen, das Thema Mundhygiene bei Arztbesuchen aktiv aufzugreifen und ihre Fragen zu stellen.

Goossens, J., Poppe, L., Lambert, M. et al. A qualitative study on the factors influencing oral health care for young children in Belgium. BMC Public Health 25, 1018 (2025). https://doi.org/10.1186/s12889-025-22153-0

Pathoblocker: Neue Waffe im Kampf gegen Salmonellen

Ein gemeinsames Team der Universität Tübingen und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung entdeckte unlängst einen Stoff, der Signalketten der Salmonellen bei der Zellinvasion hemmt – ein neuer Ansatz für deren Bekämpfung?


Pathoblocker wirken nicht, indem sie Bakterien abtöteten, sondern indem sie deren Pathogenitätsmechanismen stören.

Salmonellen zählen zu den gefährlichsten bakteriellen Krankheitserregern im Magen-Darm-Trakt. Um sich im Körper zu verbreiten, injizieren sie sogenannte Effektorproteine in die Zellen des Darmgewebes – ein Mechanismus, der nun ins Visier der Forschung gerät, wie die Forschenden in Science Advances schreiben.

Früher Eingriff in den Infektionsprozess

Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Professor Samuel Wagner vom Exzellenzcluster „Kontrolle von Mikroorganismen zur Bekämpfung von Infektionen“ (CMFI) an der Universität Tübingen und dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) hat eine Substanz entdeckt, die den Infektionsprozess frühzeitig unterbrechen könne. Der künstlich erzeugte Stoff mit dem Kürzel C26 verhindert die Injektion der Effektorproteine – und könnte so die Ausbreitung der Bakterien im Körper stoppen.

Alternative zu Antibiotika: Pathoblocker

Da Salmonellen zunehmend Resistenzen gegen herkömmliche Antibiotika entwickelten, bestehe ein wachsender Bedarf an neuen Therapieansätzen. Pathoblocker wie C26 bieten hier eine gezielte Alternative. Sie wirkten nicht, indem sie Bakterien abtöteten, sondern indem sie deren Pathogenitätsmechanismen störten – in diesem Fall bevor die Erreger überhaupt in das Gewebe eindringen.

„Diese gezielte Wirkung verringert auch das Risiko, dass Resistenzen von anderen Bakterien übernommen werden“, erklärt Wagner.

Molekulare Zielstruktur: Der Regulator HilD

Im Zentrum der neuen Entdeckung stehe der Transkriptionsregulator HilD, ein Schlüsselprotein für die Aktivierung der Infektionsmechanismen bei Salmonellen. „Wir haben bei HilD eine spezifische Bindungsstelle gefunden, die sich hervorragend für Wirkstoffe eignet“, sagt Dr. Abdelhakim Boudrioua, Erstautor der Studie und Forscher am CMFI.

Die Wirkweise sei raffiniert: Der Wirkstoff C26 passe wie ein passgenauer Schlüssel in die molekulare „Tasche“ von HilD und blockiere so dessen Funktion – mit dem Effekt: die Infektionskaskade wird gestoppt.

Wirkstoff mit viel Potenzial

Um die Substanz zu identifizieren, durchsuchte das Team umfangreiche Substanzdatenbanken. C26 erwies sich als besonders vielversprechend. Anschließend wurden Strukturanalysen und Tests durchgeführt, unter anderem in Makrophagen – Immunzellen, in denen sich Salmonellen verstecken können. Dabei zeigte sich: C26 blockiert gezielt den Infektionsprozess, ohne das menschliche Mikrobiom zu beeinträchtigen.

„Wir haben damit einen idealen Ausgangsstoff zur Entwicklung eines Medikaments gegen Salmonelleninfektionen“, resümiert Wagner.

Ein bedeutender Fortschritt aus der Grundlagenforschung, aber …

Trotz des vielversprechenden Ansatzes liege noch ein weiter Weg zur marktreifen Therapie vor den Forschenden. Doch das Potenzial sei groß – nicht nur für den Einsatz beim Menschen, sondern auch in der Tiermedizin, insbesondere in der Geflügelzucht. Anders als klassische Antibiotika dürfte ein gezielter Pathoblocker wie C26 das körpereigene Mikrobiom nicht angreifen – ein entscheidender Vorteil für die Gesundheit von Mensch und Tier, so die Forschenden abschließend.

 

Originalpublikation: Boudrioua A et al., Discovery of synthetic small molecules targeting the central regulator of Salmonella pathogenicity. Science Advances 2025. https://doi.org/10.1126/sciadv.adr5235

Leitlinie des Interdisziplinären Arbeitskreises Oralpathologie und Oralmedizin mit DGMKG und DGZMK

Rezidivierende Aphthen gehören zu den häufigsten Mundschleimhaut-Erkrankungen. Ihre Ätiologie ist wahrscheinlich multifaktoriell, diskutiert werden unter anderem Genetik, Infektionen, lokales Trauma und Stress.

In etwa 85 Prozent der Fälle handelt es sich um Minor-Aphthen, in zirka 10 Prozent um Major-Aphthen. Da schwere aphthoide Veränderungen in der Regel in Fachpraxen oder -kliniken diagnostiziert und behandelt werden, fokussiert diese Kurz-Empfehlung auf das Management von Minor-Aphthen. Detaillierte Informationen enthalten der Leitlinientext und der Methodenreport [1, 2].

A. Merkmale Minor-Aphthen (Typ Mikulicz)

  • Oberflächliche Erosion oder Ulzeration, plan oder gering erhabener Randwall
  • Durchmesser: meist 2 bis 5 mm, selten bis 10 mm
  • Lokalisation: meist nicht keratinisierte Schleimhaut, ein bis vier Aphthen gleichzeitig
  • Verlauf: Rasch entstehend, Schmerz mäßig bis stark
  • Heilungsdauer: 7 bis 10 Tage, keine Narbenbildung
  • Hohe Rezidivneigung, 3- bis 6-mal pro Jahr

Beim Typus herpetiformis (Typ Cooke, Anteil zirka 5 Prozent) entstehen multiple kleine Läsionen auf der gesamten oralen Schleimhaut. Major-Aphthen (Typ Sutton) dringen in tiefere Gewebeschichten ein, verheilen narbig, sind zwei bis vier Wochen präsent, sehr schmerzhaft und mit Lymphadenopathien verbunden. Aphthenähnliche (aphthoide) Läsionen manifestieren sich auch bei einigen Syndromen und systemischen Erkrankungen. Sie lassen sich zum Teil nur schwer von Aphthen unterscheiden.

B. Diagnostische Empfehlungen

Die Diagnose wird vor allem morphologisch gestellt (vergleiche Punkt A). Hinzu kommen:

  1. Eine umfassende oral- und allgemeinmedizinische Anamnese (Malabsorptions- und Mangelzuständen, Arzneimittel-Unverträglichkeiten, systemische Erkrankungen usw.)
  2. Eine intra- und extraorale Untersuchung (Inspektion und Palpation)
  3. Bei lokal begrenzten Läsionen zunächst mögliche mechanische Ursachen abklären, zum Beispiel durch Prothesen, Restaurationen, persistierende Fadenreste oder Watterollen, chemische oder thermische Irritationen, topische Medikamente
  4. Achtung: Bei Läsionen, die nach zwei Wochen nicht abheilen, sollten Patienten zur Abklärung möglicher maligner Veränderungen unverzüglich an spezialisierte Praxen oder Kliniken überwiesen werden.

C. Therapeutische Empfehlungen

Die Therapie chronisch-rezidivierender (rekurrierender) Aphthen der Mund- und Rachenschleimhaut (oropharyngeal) ist wegen ihrer unklaren Ätiologie symptomatisch ausgerichtet. Sie zielt auf:

  • Linderung von Schmerzen und funktionellen Einschränkungen und
  • Reduzierung von Häufigkeit und Schweregrad von Rezidiven.

Lokale Maßnahmen sind wegen des niedrigen Risikos systemischer Nebenwirkungen erste Wahl:

  • Erste Therapiestufe: filmbildende Präparate, zum Beispiel AphtoFix (Hyaluronsäure, Aloe Vera, Zink) oder Sucralfat (Aluminiumhydroxid und Saccharose-octasulfat)
  • Zweite Therapiestufe: glukokortikoidhaltige Haftsalbe (Triamcinolon-acetonid 0,1%)
  • Laser (CO2, Dioden, Nd:YAG)
  • Topische Adstringenzien (zum Beispiel Myrrhe) und Antiseptika (CHX-Gele)
  • Topische Lokalanästhetika
  • Antibiotische Spüllösungen (Tetrazyklin oder Minozyklin, bei Major-Aphthen)

Bei häufiger und die Lebensqualität des Patienten deutlich einschränkender Rezidivneigung kann eine systemische Behandlung erforderlich werden, zum Beispiel mit Glukokortikoiden. Bei komplexen Aphthosen werden lokale und systemische Maßnahmen kombiniert (siehe Flow-Chart unten). Eine Tabelle mit differenzierten therapeutischen Empfehlungen und weitere Hinweise enthalten der Volltext der Leitlinie (S. 21) und der Leitlinienreport [1, 2].

Konzept und Methodik

Die für diese Kurzübersicht verwendete Leitlinie gibt den Stand des Wissens von April 2023 wieder und gilt bis April 2028 [1, 2]. Sie richtet sich an Zahnärzte sowie an Fachärzte unter anderem für MKG-Chirurgie, HNO-Heilkunde, Dermatologie, Innere Medizin und Pädiatrie. Aufgrund der begrenzten Datenlage ist die Empfehlung konsensbasiert (S2k) und wurde in einem „nominalen Gruppenprozess“ von allen beteiligten Fachgesellschaften verabschiedet. Hier geht es direkt zur Leitlinie.

Dr. Jan H. Koch, Freising

Bei Kurz-Empfehlungen in der Rubrik Oralmedizin kompakt handelt es sich nicht um offizielle Publikationen von Fachgesellschaften, sondern um Beiträge mit fachjournalistischer Auswahl von Inhalten und ohne die in Leitlinien vorgegebene methodische Stringenz.  

Literatur

[1] AKOPOM, DGMKG, DGZMK. Diagnostik und Therapieoptionen von Aphthen und aphthoiden Läsionen der Mund- und Rachenschleimhaut“, Long version, 2.0, 20230430, AWMF no. 007–101, https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/007–101.html, accessed 20250217. 2023.
[2] AKOPOM, DGMKG, DGZMK. Diagnostik und Therapieoptionen von Aphthen und aphthoiden Läsionen der Mund- und Rachenschleimhaut, S2k-Leitlinie (Leitlinienreport); AWMF-Registernummer: 007–101 Stand: April 2023; Gültig bis: April 2028. 2023.

Kassen fordern: Jetzt Mehrwertsteuer auf Arzneimittel senken

Die gesetzlichen Krankenkassen in Niedersachsen beklagen deutlich steigende Ausgaben für Arzneimittel. Im vergangenen Jahr gaben sie gut 5,2 Milliarden Euro für Präparate aus öffentlichen Apotheken aus – gut 500 Millionen Euro oder 10,75 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, wie der Verband der Ersatzkassen unter Berufung auf Statistiken des Deutschen Apothekerverbandes mitteilte. Bundesweit stiegen die Arzneimittelkosten 2024 im Vergleich zum Vorjahr um 9,7 Prozent – enthalten sind Ausgaben für Arzneimittel, Rezepturen und Verbandstoffe, nicht aber für Impfstoffe und Hilfsmittel.

„Die Ausgabenspirale im Arzneimittelbereich dreht sich rasend schnell nach oben“, mahnte der Verbands-Landesleiter Hanno Kummer. Er forderte daher „Instrumente für faire Arzneimittelpreise“ – „vor allem für neue patentgeschützte Präparate. Hier bedarf es dringend einer Preisanpassung.“ Außerdem verlangte er, die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel von derzeit 19 auf 7 Prozent zu senken. Das würde seinen Worten zufolge die Beitragszahler in Deutschland um jährlich sechs bis sieben Milliarden Euro entlasten.

ZFA ist der zweitbeliebteste Ausbildungsberuf bei Frauen

Damit entschieden sich 2024 mehr Frauen für den ZFA-Beruf als für den der MFA, geht aus einer aktuellen Erhebung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) über neu abgeschlossene Ausbildungsverträge hervor.

Laut BIBB unterzeichneten 15.597 junge Frauen einen neuen Ausbildungsvertrag zur Zahnmedizinischen Fachangestellten (ZFA). Im Vorjahr hatte die Zahl noch bei 13.320 gelegen. Für die Ausbildung zur Medizinischen Fachangestellten (MFA) entschieden sich 15.432 junge Frauen (2023: 16.071).

Die meisten neuen Ausbildungsverträge bei Frauen wurden nach BIBB-Informationen im Beruf Kauffrau für Büromanagement abgeschlossen. Mit 15.720 neuen Verträgen bleibt dieser Beruf wie im Vorjahr weiter auf Platz eins der Rangliste. Hinter ZFA und MFA folgen die Berufe Verkäuferin, Industriekauffrau und Kauffrau im Einzelhandel. „Auf diese ersten sechs Berufe entfallen 40,9 Prozent aller zum 30.09.2024 neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge mit Frauen“, teilte das Institut mit.

Bundesweit waren diese Jobs besonders gefragt

In der Gesamtschau liegt die Ausbildung zum/zur „Kraftfahrzeugmechatroniker/-in“ mit 25.221 abgeschlossenen Verträgen auf Platz eins des Rankings vor „Kaufmann/-frau für Büromanagement“ mit 22.245 und „Verkäufer/-in“ mit 20.742 neuen Verträgen.

Insgesamt wurden nach Angaben des BIBB 486.711 neu abgeschlossene Ausbildungsverträge erfasst. Knapp zwei Drittel (63,6 Prozent) wurden demnach mit männlichen Auszubildenden, etwas mehr als ein Drittel (36,3 Prozent) mit weiblichen Auszubildenden abgeschlossen.

Herpes und Alzheimer: Die geheime Affäre

Herpes und andere Viren stehen im Verdacht, Alzheimer auszulösen. Wie es zu dieser versteckten Liebelei kommt und was das für zukünftige Therapien bedeuten kann.

Bei Morbus Alzheimer kommt es zu einer Ansammlung von Amyloid-Beta (Aβ) und von Tau-Protein im Gehirn. Plaques bei Alzheimer bestehen hauptsächlich aus Amyloid-Beta, die sich zwischen Nervenzellen im Gehirn bilden. Neurofibrilläre Tangles, sprich Ablagerungen innerhalb der Nervenzellen, enthalten phosphoryliertes Tau.

Kausale, effektive Therapien gegen Alzheimer gibt es bislang nicht. Doch Wissenschaftler haben eine neue, heiße Spur: Zunehmend rücken virale Infektionen, vor allem durch das Herpes-simplex-Virus Typ 1 (HSV-1) und das Varizella-Zoster-Virus (VZV), in den Fokus. HSV-1 hat eine Seroprävalenz von über 80 % in der Bevölkerung, beim (VZV) sind es sogar über 95 %. Beide Viren können die Blut-Hirn-Schwanke passieren.

Das Tau-Protein zwischen Gut und Böse

Forscher analysierten Gehirnproben von Alzheimer-Patienten mit besonders empfindlichen Methoden. Sie fanden, dass die Expression eines HSV-1-Proteins namens ICP27 mit dem Fortschreiten der Erkrankung zunahm. Besonders auffällig: ICP27 war eng mit phosphoryliertem Tau (p-Tau), aber nicht mit Aβ, assoziiert. In Bereichen mit neurofibrillären Degenerationen und Amyloid-Ablagerung stieg die Expression von ICP27. Diese Ko-Lokalisation war besonders in fortgeschrittenen Krankheitsstadien ausgeprägt.

Experimente an 2D- und 3D-Zellkulturen zeigten, dass eine HSV-1-Infektion die Phosphorylierung von Tau verstärkt. Diese Aktivierung schien eine kurzfristig wünschenswerte Schutzfunktion zu übernehmen. Sie bremste die virale Proteinexpression und verhinderte den Untergang von Neuronen. In Organoid-Modellen sank die Apoptose-Rate von 64 % auf 7 %.

Im Gehirn wird laut Studie HSV-1 über den cGAS-STING-Signalweg erkannt, einem Mechanismus der angeborenen Immunantwort. Er löst eine Entzündungsreaktion aus, die wiederum zur Tau-Phosphorylierung führt. Eine Blockade des Enzyms TBK1(TANK-binding kinase-1) in diesem Signalweg konnte den Schritt verhindern.

Das Fazit der Autoren: Kurzfristig scheint p-Tau vor viralen Infektionen zu schützen – langfristig könnte der Signalweg die Bildung neurofibrillärer Tangles fördern.

Mechanische Erschütterung als möglicher Auslöser

Doch damit nicht genug: Eine weitere Studielegt nahe, dass leichte traumatische Hirnverletzungen das latent im Gehirn vorhandene HSV-1 reaktivieren und so zur Neurodegeneration beitragen könnten. Das Forscherteam hat zunächst ein 3D-Gehirnmodell aus Seidenprotein und Kollagen entwickelt, das mit neuronalen Stammzellen besiedelt wurde. Diese Zellen reiften zu Neuronen heran, kommunizierten miteinander und bildeten ein Netzwerk, das die Bedingungen im menschlichen Gehirn nachahmt.

Um zu prüfen, ob mechanische Stimuli eine ähnliche Reaktion hervorrufen können, unterzogen die Forscher ihr Gehirnmodell wiederholten, kontrollierten Stößen. In HSV-1-infiziertem Gewebe reaktivierte der Reiz das Virus, führte zu einer verstärkten Produktion von Aβ und p-Tau und löste Gliosen aus – Faktoren, die mit Alzheimer und anderen neurodegenerativen Erkrankungen in Verbindung stehen. Diese Effekte verstärkten sich mit weiteren Verletzungen, traten jedoch in virusfreiem Gewebe nicht auf.

Zusammenfassung für Eilige:

  • Typisch für Morbus Alzheimer sind Ansammlungen von Amyloid-Beta (Aβ) und vom Tau-Protein im Gehirn.
  • Infektionen mit dem Herpes-simplex-Virus Typ 1 (HSV-1) verstärken in einem Modell die Phosphorylierung des Tau-Proteins. Dieser Mechanismus scheint Neuronen kurzfristig zu schützen, könnte aber langfristig die Bildung neurofibrillärer Tangles begünstigen.
  • In einem Gehirnmodell gelang es Forschern, durch leichte Traumata HSV-1 zu reaktivieren. Es kam zur stärkeren Bildung von Aβ und p-Tau.
  • Eine Datenbank-Recherche zeigt, dass u. a. antivirale und antiinflammatorische Wirkstoffe mit einem niedrigeren Alzheimer-Risiko assoziiert sind.
Quellen

Hyde et al: Anti-herpetic tau preserves neurons via the cGAS-STING-TBK1 pathway in Alzheimer’s disease. Cell Rep, 2025. doi: 10.1016/j.celrep.2024.115109

Cairns et al: Repetitive injury induces phenotypes associated with Alzheimer’s disease by reactivating HSV-1 in a human brain tissue model. Sci Signal, 2025. doi: 10.1126/scisignal.ado6430

Underwood et al: Data-driven discovery of associations between prescribed drugs and dementia risk: A systematic review. Alzheimers Dement, 2025. doi: 10.1002/trc2.70037

Aktuelle Studie zur Zahngesundheit

Immer mehr Deutsche sind kariesfrei

Die Jungen haben seltener Karies, die Älteren behalten länger ihre Zähne: In Bezug auf die Zahngesundheit haben Menschen in Deutschland gut lachen. Doch es gibt auch eine besorgniserregende Entwicklung.
Die meisten Deutschen behalten länger ihre Zähne und haben dank Vorsorgemaßnahmen zunehmend kariesfreie Gebisse. Zu dem Ergebnis kommt die sechste Deutsche Mundgesundheitsstudie. Bei den Zwölfjährigen sind mit 78 Prozent mittlerweile mehr als drei Viertel kariesfrei. Problematisch bleiben schwere Parodontalerkrankungen, von denen rund 14 Millionen Menschen in Deutschland betroffen sind.

Immer weniger Zahnlose in Deutschland

Für die Studie – die mittlerweile sechste seit dem Jahr 1989 – wurden von 2021 bis 2023 an bundesweit 90 Standorten rund 3400 Menschen befragt und zahnmedizinisch untersucht. Dabei zeigte sich, dass nicht nur der Großteil der älteren Kinder kariesfrei ist. Auch bei den jüngeren Erwachsenen zwischen 35 und 44 Jahren halbierte sich demnach die Zahl der von Karies betroffenen Zähne binnen 35 Jahren auf im Schnitt rund acht.Gleichzeitig können immer mehr Zähne erhalten werden. Bis zur Mitte ihres Lebens haben Menschen in Deutschland heute praktisch noch ein vollständiges Gebiss. Nur fünf Prozent der 65- bis 74-Jährigen sind komplett zahnlos, was einen Rückgang um 80 Prozent seit 1989 bedeutet, wie Rainer Jordan vom Institut der Deutschen Zahnärzte erklärte.

Allerdings hängt die Zahngesundheit auch vom Bildungsgrad ab. Jüngere Senioren mit niedrigem Bildungshintergrund sind demnach häufiger komplett zahnlos (8,8 Prozent) als jene mit hohem Bildungsabschluss (1,9 Prozent). Auch bei Karies zeigt sich ein Bildungsgefälle – je niedriger etwa der Bildungshintergrund der Familien, desto häufiger sind Kinder von Karies betroffen.

Blutspenden verändert Ihre Gene

jüngste Forschungen des Francis Crick Institute haben faszinierende genetische Anpassungen in den Blutstammzellen von regelmäßigen Blutspendern aufgedeckt, die die Produktion neuer, nicht-krebsartiger Zellen unterstützen, ohne das Krebsrisiko zu erhöhen, wie in der Zeitschrift Blood berichtet.

Klonahemapoese bei Spendern

Die Studie untersuchte Blutproben von über 200 regelmäßigen Spendern, definiert als Personen, die dreimal im Jahr über 40 Jahre hinweg Blut gespendet hatten, was insgesamt mehr als 120 Spenden ergibt. Diese Proben wurden mit denen von sporadischen Spendern verglichen, die weniger als fünfmal gespendet hatten1. Während beide Gruppen ähnliche Niveaus klonaler Diversität aufwiesen, unterschied sich die Zusammensetzung der Blutzellpopulationen signifikant zwischen regelmäßigen und sporadischen Spendern2. Diese Forschung liefert wertvolle Einblicke, wie sich der menschliche Körper an regelmäßige Blutspenden anpasst, und könnte Wissenschaftlern helfen, die Unterschiede zwischen vorteilhaften genetischen Veränderungen und solchen, die zu Blutkrebs führen könnten, besser zu verstehen.

Wichtige Erkenntnisse zu genetischen Anpassungen

Die Studie zeigte keinen signifikanten Unterschied in der Gesamtinzidenz der klonalen Hämatopoese (CH) zwischen häufigen und sporadischen Blutspendern1. Allerdings wurden unterschiedliche Mutationsmuster in DNMT3A, dem am häufigsten betroffenen Gen bei CH, beobachtet1. Bemerkenswerterweise zeigten die genetischen Varianten, die bei häufigen Spendern angereichert waren, ein konkurrenzfähiges Wachstumspotenzial, wenn sie mit Erythropoetin (EPO) stimuliert wurden, einem Hormon, das als Reaktion auf Blutverlust ansteigt1. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass häufiges Blutspenden genetische Varianten selektieren könnte, die besonders effizient auf den Stress regelmäßigen Blutverlusts reagieren, indem sie die Produktion roter Blutkörperchen steigern, ohne das Krebsrisiko zu erhöhen.

Rolle von DNMT3A-Mutationen

DNMT3A-Mutationen spielen eine entscheidende Rolle bei der genetischen Anpassung von Blutstammzellen bei häufigen Blutspendern. Diese Mutationen, die insbesondere im DNMT3A-Gen häufig vorkommen, ermöglichen es den Zellen, besser auf den Stress durch regelmäßigen Blutverlust zu reagieren1. Im Gegensatz zu anderen DNMT3A-Mutationen, die mit einem Leukämierisiko verbunden sind, fördern die bei häufigen Spendern gefundenen Varianten eine gesunde Regeneration der Blutzellen, ohne das Krebsrisiko zu erhöhen.

  • DNMT3A ist an der epigenetischen Programmierung beteiligt und beeinflusst die Genaktivität, um Zellen bei der Anpassung an sich ändernde Bedingungen zu unterstützen.

  • Zellen mit diesen spezifischen DNMT3A-Mutationen haben einen Vorteil bei der schnellen Ersetzung verlorener Blutzellen nach einer Spende.

  • Unter dem Einfluss von Erythropoetin (EPO), das nach Blutverlust ansteigt, setzen sich diese mutierten Zellen gegenüber anderen Stammzellen durch.

  • Die Mutationen scheinen die EPO-gesteuerte Bluterneuerung zu verbessern, ohne die normale Blutbildung zu stören oder das Leukämierisiko zu erhöhen.

Diese genetische Anpassung zeigt die bemerkenswerte Fähigkeit des Körpers, seine Reaktion auf die regelmäßige Herausforderung der Blutspende zu optimieren, was möglicherweise erklärt, wie häufige Spender trotz wiederholter Spenden gesunde Blutwerte aufrechterhalten können.

Funktionale Vorteile bei Spendern

Regelmäßiges Blutspenden wird mit mehreren funktionalen Vorteilen für Spender in Verbindung gebracht, die über die genetischen Anpassungen in Blutstammzellen hinausgehen. Diese Vorteile umfassen kardiovaskuläre Verbesserungen und potenzielle metabolische Effekte:

  • Niedrigerer Blutdruck und ein reduziertes Risiko für Herzinfarkte wurden mit regelmäßigem Blutspenden in Verbindung gebracht.

  • Blutspenden kann helfen, den Eisenspiegel im Körper auszugleichen, was besonders für Personen mit hohen Eisenspeichern von Vorteil ist.

  • Einige Studien legen nahe, dass häufiges Spenden die Glukosetoleranz und Insulinsensitivität verbessern könnte, was potenziell schützende Effekte gegen Typ-2-Diabetes bietet.

Darüber hinaus kann der Akt des Blutspendens positive psychologische Auswirkungen haben. Spender berichten oft von reduziertem Stress, verbessertem emotionalen Wohlbefinden und einem Gefühl der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft. Obwohl diese Vorteile ermutigend sind, ist es wichtig zu beachten, dass weitere Forschung erforderlich ist, um die langfristigen Auswirkungen von häufigem Blutspenden auf die allgemeine Gesundheit vollständig zu verstehen.

Gewalt in Arztpraxen: Viel Zuspruch für Reinhardts Meldesystem-Vorschlag – aber auch Skepsis

Angriffe durch Patienten sollten Niedergelassene und ihre Praxisteams künftig schnell und unkompliziert über extra dafür eingerichtete Online-Plattformen melden können, fordert die Bundesärztekammer. Eine große Mehrheit der Ärztinnen und Ärzte findet diese Idee gut, zeigt eine aktuelle Umfrage des Ärztenachrichtendienstes. Viele sind aber skeptisch, ob das in der Realität so nutzenbringend umgesetzt werden kann. In Sachen Schutzvorkehrungen in der eigenen Praxis kommt die Umfrage zu einem überraschenden Ergebnis.

Bund und Länder müssten im Internet zentrale Meldesysteme bereitstellen, über die niedergelassene Ärztinnen und Ärzte „unkompliziert mit wenigen Klicks“ Vorfälle mit pöbelnden und gewalttätigen Patienten und Patientinnen anzeigen könnten, schlug Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt kürzlich vor. Polizei und Justiz sollten diesen Fällen dann grundsätzlich unmittelbar nachgehen. Reinhardt reagierte damit auf einen Gewalt-Vorfall in einer Arztpraxis im nordrhein-westfälischen Spenge, der sich Ende Januar ereignet hatte. Ein Patient hatte dort einen Hausarzt angegriffen und bewusstlos geschlagen. Der Arzt wurde dabei so schwer verletzt, dass er im Krankenhaus behandelt werden musste.

BÄK-Präsident Reinhard erklärte wenige Tage nach dem Angriff, dieser sei keineswegs ein Einzelfall. „Gereiztheit ist weit verbreitet und die Schwelle, an der sie übergeht in Aggression, ist definitiv gesunken.“ In den Praxen komme es immer häufiger zu gewaltsamen Übergriffen.

Könnten die von der BÄK vorgeschlagenen Online-Melderegister womöglich dabei helfen, die Angriffe auf Niedergelassene und ihre Praxisteams besser zu verfolgen und somit auf lange Sicht einzudämmen? Wir haben die änd-Leserinnen und -Leser gefragt, was sie von Reinhardts Vorstoß halten. 34 Prozent sagten, die Idee sei gut und sie könne dazu führen, dass derartige Vorfälle dann schneller verfolgt und bestraft würden. Weitere 47 Prozent gaben ebenfalls an, dass der Vorschlag zwar nicht schlecht, aber dennoch zu befürchten sei, dass sich Polizei und Justiz dann trotzdem nicht rascher um solche Vorfälle kümmern würden. Immerhin knapp ein Fünftel hält den Vorstoß für „Unsinn“ – er trage nichts zur Problemlösung bei.

Bei der aktuellen Umfrage handelt es sich bereits um die zweite, die der änd zum Thema Gewalt in der Arztpraxis durchgeführt hat. 2017 hatte die Redaktion die Leserinnen und Leser schon einmal nach ihren Erfahrungen mit entsprechenden Vorfällen gefragt. Damals hatten 43 Prozent der Ärztinnen und Ärzte geantwortet, dass sich ihre Medizinischen Fachangestellten (MFA) mindestens einmal pro Woche mit Patienten beziehungsweise Patientinnen auseinandersetzen müssten, die verbal aggressiv aufträten. Diese Zahl ist bei der aktuellen Umfrage mit 41 Prozent in etwa gleichgeblieben.

Auch bei der Frage nach Erfahrungen mit körperlicher Gewalt zeigt sich kaum eine Entwicklung nach oben oder nach unten: Während bei der ersten Umfrage 25 Prozent der Befragten mitgeteilt hatten, in der eigenen Praxis bereits mit körperlich gewalttätigen Patienten und Patientinnen konfrontiert gewesen zu sein, waren es bei der jetzigen Umfrage 23 Prozent. Alarmierend: Von denjenigen, die laut der aktuellen Umfrage bereits Gewalterfahrungen gemacht haben, berichteten insgesamt 26 Prozent davon, dass sie dabei schon einmal oder mehrfach leicht (23 Prozent) oder sogar schwer (3 Prozent) verletzt worden seien.

Ein Viertel hat schon einmal die Polizei gerufen – damals wie heute

Nach eigenen Verletzungen hatte die änd-Redaktion die Niedergelassenen bei der Umfrage im Jahr 2017 nicht gefragt, wohl aber nach Verletzungen des Praxispersonals. Damals hatten 16 Prozent der Ärztinnen und Ärzte mit Gewalterfahrungen in der eigenen Praxis angegeben, dass schon einmal eine oder mehrere ihrer Mitarbeiterinnen durch gewalttätige Patienten verletzt worden seien. Bei der gleichlautenden Frage in der aktuellen Umfrage ist diese Zahl mit 17 Prozent fast identisch.

Ebenfalls kaum etwas geändert hat sich bei den Antworten auf die Frage, ob man aufgrund aggressiver Patienten beziehungsweise Patientinnen schon einmal die Polizei rufen musste: Aktuell sagten 25 Prozent, das sei mindestens schon einmal vorgekommen. Damals (2017) hatten dies in etwa gleich viele Befragte (24 Prozent) angegeben.

Ein kleiner Unterschied lässt sich hingegen bei den Antworten auf die Frage erkennen, mit welchen Konsequenzen Patienten und Patientinnen zu rechnen haben, die sich in der Praxis danebenbenehmen. Mittlerweile scheinen die Niedergelassenen in diesem Fall weniger nachsichtig zu sein als noch vor acht Jahren, denn bei der aktuellen Befragung gaben 40 Prozent an, dass sie in solchen Fällen sofort ein Praxisverbot aussprächen. Damals hatten mit 31 Prozent etwas weniger Ärztinnen und Ärzte diese Option ausgewählt. Das „klärende Gespräch“ war bei der ersten Umfrage mit 64 Prozent die mit Abstand am häufigsten genannte Antwort gewesen. Aktuell sagten hingegen nur 49 Prozent der Befragten, sie würden mit pöbelnden Patienten und Patientinnen zunächst ins Gespräch gehen, da jeder eine zweite Chance verdient habe. 2 Prozent (aktuell) beziehungsweise 6 Prozent (2017) ziehen hingegen nach eigenen Angaben gar keine Konsequenzen.

Mehr Befragte als damals bezeichnen Anti-Gewalt-Trainings für Praxispersonal als „Unsinn“

Dass das Thema „Gewalt in der Arztpraxis“ mittlerweile etwas mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erfährt, davon sind jetzt offenbar mehr Ärztinnen und Ärzte überzeugt als noch vor einigen Jahren. Zwar gaben bei der aktuellen Befragung immer noch 56 Prozent an, sie hätten den Eindruck, dass kaum jemand wisse, was in den Praxen in dieser Hinsicht so abgehe. Im Jahr 2017 war diese Zahl mit 87 Prozent jedoch deutlich höher. 38 Prozent der Befragten sind heute der Auffassung, dass das Problem zwar immer mehr, aber immer noch zu wenig wahrgenommen wird.

Eine interessante Entwicklung lässt sich bei der Frage nach Schulungen und Kursen für Praxispersonal zum Umgang mit gewalttätigen Patienten und Patientinnen beobachten: Bei der ersten Umfrage hatten 18 Prozent der Ärztinnen und Ärzte solche Angebote als „Unsinn“ bezeichnet. Diese Auffassung ist mittlerweile wohl noch stärker verbreitet, denn bei der aktuellen Befragung gaben nun 27 Prozent an, dass solche Schulungen „Unsinn“ und somit nutzlos seien. Immerhin 58 Prozent sagten aber, so etwas sei eine gute Idee und man wolle das demnächst in der eigenen Praxis umsetzen. Und 15 Prozent berichteten, dass die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereits entsprechende Kurse besucht hätten. Im Jahr 2017 hatten 64 Prozent geantwortet, derartige Angebote seien eine gute Idee und 18 Prozent hatten diese auch tatsächlich schon umgesetzt.

Schutzvorkehrungen bei den meisten Fehlanzeige

Der änd wollte dieses Mal auch von den Niedergelassenen wissen, ob und welche Schutzvorkehrungen sie in ihrer Praxis getroffen oder eingerichtet haben, um bei Angriffen schnell reagieren zu können. Das Ergebnis ist bemerkenswert: Obwohl aggressive und pöbelnde Patienten und Patientinnen längst keine Seltenheit mehr sind und man auch bei gewalttätigen Übergriffen in Arztpraxen nicht mehr von Einzelfällen sprechen kann, hat eine Mehrheit der Befragten (65 Prozent) nach eigener Aussage keine Schutzmaßnahmen in der eigenen Praxis installiert. Nur 8 Prozent gaben an, eine Alarmanlage zu haben, die sich im Notfall schnell auslösen lasse und deren Lärm dann abschreckend wirke. 16 Prozent der Befragten berichteten, sie hätten in ihrer Praxis Waffen zur Selbstverteidigung wie Pfefferspray oder Taser griffbereit liegen. Und lediglich 4 Prozent der Ärztinnen und Ärzte haben nach eigenen Angaben in ihrer Praxis eine Überfall-Meldeanlage mit versteckten Alarmknöpfen eingerichtet, mit der sich ein Sicherheitsdienst oder die Polizei rufen lassen.

An der aktuellen Online-Umfrage zum Thema „Gewalt in der Praxis und Schutzvorkehrungen“ beteiligten sich vom 20. Februar bis zum 3. März insgesamt 667 niedergelassene Haus- und Fachärztinnen und -ärzte.

Veröffentlichung im Bundesanzeiger: So üppige Vorstandsgehälter werden bei den gesetzlichen Krankenkassen gezahlt

Steigende Beitragssätze und trotzdem zu wenig Geld: Die gesetzlichen Krankenkassen klagen immer lauter über ihre schlechte Finanzlage.

Geld genug für üppige Vorstandsgehälter ist allerdings dennoch da, zeigen die aktuellen Veröffentlichungen im Bundesanzeiger.

Topverdiener bleibt der Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas. 392.700 Euro beträgt sein Grundgehalt, inklusive sonstiger Vergütungsbestandteile kommt er auf 400.057 Euro Jahresgehalt, dazu kommen Rückstellungen für die private Altersversorgung in Höhe von 51.349 Euro.

Bei der Barmer bekommt der Vorstandsvorsitzende 358.957 Gesamtvergütung, bei der DAK sind es 348.084 Euro. Der Vorstand der KKH bekommt eine Gesamtvergütung von 313.148 Euro. Die hkk, die bundesweit einen der geringsten Zusatzbeiträge erhebt, zahlt ihrem Vorstand  314.679 Euro. Deutlich geringer fällt die Gesamtvergütung der vdek-Chefin Ulrike Elsner aus: Sie liegt bei 264.179 Euro.

AOK-Bundesverbands-Chefin Carola Reimann hingegen geht mit 398.444 Euro nach Hause. Auch die Vorstände der einzelnen AOKen verdienen gut: Kaum einer geht mit weniger als 300.000 Euro im Jahr nach Hause.

Bei den Innungskrankenkassen sieht das anders aus: Dort kommt nur der Chef der IKK classic über die 300.000 Euro. Er bekommt eine Gesamtvergütung von 342.015 Euro im Jahr.

Auch bei den im Vergleich kleineren BKKen liegen die Vorstandsvergütungen meist niedriger. Ausnahme: Der Vorstandsvorsitzende der Audi BKK: Seine Gesamtvergütung wird mit 308.928 Euro angegeben. Und: Die relativ kleine BKK Viacticv, die immer wieder mit Regressen gegen Ärzte aufgefallen ist, gönnt ihrem Vorstandsvorsitzenden 286.813 Euro Gesamtvergütung.