Die Medizinprodukte-Betreiberverordnung 2025 und Praxishygiene

Neufassung der MPBetreibV: Was ist neu und warum betrifft das die Hygiene?

Seit 20. Februar 2025 gilt die neu gefasste Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV). Sie präzisiert Betreiberpflichten und strukturiert die Aufbereitungsvorschriften klarer: Paragraf 8 regelt die „normale“ Aufbereitung (unter Beachtung der Herstellerangaben, mit geeigneten validierten Verfahren), Paragraf 9 die Aufbereitung und Weiterverwendung von Einmalprodukten. Der bekannte Hygienestandard wird bestätigt, die Anforderungen sind nun übersichtlich getrennt und damit leichter anwendbar.

Die Aufbereitung muss weiterhin unter Berücksichtigung der Herstellerangaben mit geeigneten validierten Verfahren erfolgen; die ordnungsgemäße Aufbereitung wird vermutet, wenn die gemeinsame KRINKO-/BfArM-Empfehlung beachtet wird.
Gemäß Neufassung des Paragrafen 9 MPBetreibV ist die (Wieder-)Aufbereitung von Einmalprodukten nur unter engen Voraussetzungen zulässig; im dentalen Alltag bleibt die Entsorgung nach Gebrauch der Regelfall.

Die MPBetreibV ist die zentrale rechtliche Leitplanke für die sichere, nachvollziehbar validierte Aufbereitung in der Zahnarztpraxis – also für die täglichen Prozesse von der Reinigung über Desinfektion bis zur Sterilisation.

Bedeutung, Einstufung und Ablauf der Aufbereitung

Die fachgerechte Aufbereitung von Dentalinstrumenten verhindert Kreuzkontaminationen und ist Herzstück des Infektionsschutzes. Verantwortlich ist eine approbierte zahnärztliche Person; Aufbereitungsaufgaben dürfen qualifiziert delegiert werden. Aufbereitung, Wartung, Instandhaltung und die Freigabe zur Nutzung dürfen nur durch Personen mit speziellen Sachkenntnissen durchgeführt werden (in der Regel ZFA; fehlende Inhalte sind durch Fortbildungen zu ergänzen).

Rechtlicher Grundsatz: Aufbereitung unter Berücksichtigung der Herstellerangaben mit geeigneten, validierten Verfahren; der Erfolg muss nachvollziehbar gewährleistet sein. Für die richtige Risikobewertung steht vor jeder Aufbereitung die Einstufung der Medizinprodukte in folgende Kategorien:

  • unkritisch (Kontakt mit intakter Haut),
  • semikritisch (Kontakt mit Schleimhaut),
  • kritisch (Durchdringen von Haut/Schleimhaut, Kontakt mit Blut/Geweben/Wunden).

Semikritische und kritische Produkte werden danach noch feiner eingeteilt in die Gruppen A (Aufbereitung ohne besondere Anforderungen), B (erhöhte Anforderungen an die Aufbereitung) und C (besonders hohe Anforderungen an die Aufbereitung).

Diese Einteilung gemäß KRINKO-/BfArM-Empfehlung entscheidet über die für die Aufbereitung zu treffenden Maßnahmen. Im Zweifel: höhere (kritischere) Stufe wählen. Kritische Produkte müssen steril angewendet werden; Verpackung, validierter Sterilisationsprozess und sterile Lagerung sind essenziell. Die Aufbereitung läuft in den folgenden fünf Schritten ab:

1) Vorbereitung und Transport
Grobe Verschmutzungen sofort am Behandlungsplatz entfernen; Trockenlagerung bevorzugen. Geschützter Transport in den Aufbereitungsbereich; maximale Zeit bis zur Aufbereitung im Verfahren festlegen (Korrosions-/Antrocknungsrisiken minimieren).

2) Reinigung und Desinfektion – bevorzugt 
maschinell

  • RDG: Nach festgelegtem Beladungsmuster; Hohlkörper auf Injektordüsen adaptieren; Programmwahl; anschließend Sicht-/Funktionsprüfung. Alle Programme für semikritische/kritische Medizinprodukte sind zu 
validieren.
  • Kombinationsgeräte für Übertragungs-
instrumente: Reinigung, Desinfektion und Pflege in einem Gerät; semikritisch B 
danach unverpackt lagerfähig, kritisch 
anschließend verpackt/sterilisiert.
  • Manuelle Verfahren: Zulässig, aber RDG bevorzugt; strikt nach Standardarbeitsanweisungen mit geprüften, materialverträglichen Mitteln. Bei manueller Desinfektion mit „begrenzt viruziden“ Mitteln ist eine 
abschließende thermische Desinfektion 
im Dampfsterilisator erforderlich.
  • Eintauchverfahren/Ultraschall: VAH-gelistete Mittel nutzen; Konzentrationen/Einwirkzeiten exakt; gründliches Abspülen/Trocknen; Sichtprüfung, gegebenenfalls Nach-
reinigung und erneute Desinfektion.
  • Innenflächen (zum Beispiel Hand-/Winkelstücke): nur mit dafür vorgesehenen Präparaten und Adaptern; Vorreinigung unmittelbar nach Patientenkontakt, dann gezielte 
Innen-/Außenreinigung und Desinfektion

3) Abschließende thermische Behandlung 
und Sterilisation

  • Semikritisch A/B, die nur begrenzt viruzid desinfiziert wurden: abschließende thermische Desinfektion im Dampfsterilisator (unverpackt).
  • Kritisch A/B: gereinigt/desinfiziert, dann verpackt und Dampfsterilisation (meist 
134 Grad Celsius); Zyklusdaten (Temperatur, Druck, Zeit) dokumentieren. Für Zahnarztpraxen sind B-Zyklen (fraktioniertes Vorvakuum) zentral – auch für Hohlkörper 
und poröse Güter.

4) Verpacken, Beladen, Freigabe

  • Verpackung (Sterilbarrieresystem) muss dampfdurchlässig, mikrobiell sicher, mechanisch stabil und aseptisch zu öffnen sein; Kennzeichnungen (Datum, Charge, Lagerfrist, Inhalt, Verfahren) aufbringen.
  • Beladung des Sterilisators beeinflusst Wirksamkeit/Trocknung: Weichverpackungen oben, Metallcontainer unten; Beladungsmuster mit Validierer festlegen.
  • Routineprüfungen/Chargenkontrolle: Sichtprüfungen/Gerätechecks. Freigabe stets durch autorisierte Person dokumentieren.

5) Dokumentation und Lagerung

  • Jeder Arbeitsschritt ist zu dokumentieren; möglich sind Chargendokumentation oder Tagesabschlussdokumentation (mit Negativliste), abhängig von Landesvorgaben; Aufbewahrung mindestens fünf Jahre.
  • Lagerung: semikritisch (unverpackt) sauber/trocken/staubgeschützt; Sterilgut in Schränken/Schubladen. Übliche Lagerdauer: sechs Monate; bei intakter Verpackung begründet verlängerbar.

Einmalprodukte (zum Beispiel Kanülen, Polierbürsten) sind nach Gebrauch zu entsorgen. Eine Wiederaufbereitung ist nur nach Paragraf 9 MPBetreibV und unter strengen Voraussetzungen zulässig; in der Praxis ist dies nur selten sinnvoll.

Praxis-Checkliste

  • Hygienekonzept an MPBetreibV Struktur anpassen: Paragraf 8 (Standardaufbereitung) und Paragraf 9 (Einmalprodukte) in Arbeitsanweisungen abbilden.
  • Zuständigkeiten/Freigabeberechtigung schriftlich festlegen; Schulungen dokumentieren.
  • Validierungen (RDG-Programme, Sterilisation) vollständig vorhalten; Beladungsmuster festlegen; Routine- und Chargenkontrollen standardisieren.
  • Hand-/Winkelstücke stets außen und innen aufbereiten; Adapter und nicht proteinfixierende Reiniger einsetzen; Pflege nach Herstellerangaben.
  • Dokumentation konsequent führen; Auf-
bewahrung mindestens fünf Jahre.
  • Einmalprodukte grundsätzlich entsorgen; Wiederaufbereitung nur ausnahmsweise und strikt nach Paragraf 9 MPBetreibV.

Fazit: Die MPBetreibV 2025 bestätigt den etablierten Hygienestandard und macht ihn anwendungsfreundlicher. Wer Herstellerangaben beachtet, validierte Verfahren nutzt, die KRINKO-/BfArM-Empfehlung einhält und sauber dokumentiert, ist rechtlich und fachlich auf der sicheren Seite.

RA Horst Meurers,
Bad Homburg

Analoge Berechnung der Kariesdiagnostik mittels Laser

Kein Leistungsbestandteil der GOZ-Nr. 0010 oder GOÄ-Nrn. 5, 6

Bei Ihrer Untersuchung wurde zur Kariesdiagnostik ein Laserfluoreszenzverfahren eingesetzt und analog gemäß der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) § 6 Abs. 1 berechnet.

Ihre Versicherung verweigert nun die Kostenübernahme dieser modernen und schonenden Diagnosemethode mit dem Argument, der Einsatz des Lasers sei bereits in der GOZ-Nr. 0010 (Eingehende Untersuchung zur Feststellung von Zahn-, Mund- und Kiefererkrankungen) bzw. in der GOÄ-Nr. 5 (Symptombezogene Untersuchung) oder der GOÄ-Nr. 6 (Vollständige körperliche Untersuchung) entalten und damit abgegolten. (Unzutreffendes bitte streichen)

Diese versicherungsinterne Auffassung ist fachlich und gebührenrechtlich nicht korrekt.

In den GOZ und GOÄ Positionen zu den Untersuchung sind lediglich die konventionellen Untersuchungsmethoden beschrieben, also die Kombination aus klassischer Sonde und Röntgendiagnostik. Doch die mechanische Erkennung kann gesunde Zahnsubstanz schädigen und ggf. besonders bei Kindern Schmerzen und Stress auslösen. Auch die Röntgenaufnahme ist noch immer mit Strahlenbelastung verbunden und für die Kariesfrüherkennung nur bedingt geeignet.
Die Kariesdiagnostik mittels Laser hingegen eignet sich zur Früherkennung auch ohne Röntgen und ohne mechanische Belastung.

So stellt der in der Rechtsprechung anerkannte „Kommentar zu BEMA und GOZ“ von Liebold/Raff/Wissing fest (Stand Januar 2014):
„In neuester Zeit haben sich im Rahmen der Kariesdiagnostik besondere apparative Verfahren entwickelt wie z. B. Fluoreszenzverfahren (z. B. Diagnodent®, VistaProof®, VistaCam®, SoproLife®), die faseroptischen Transilluminationen oder elektrische Widerstandsmessungen.
Die Anwendung dieser Kariesdiagnoseverfahren ist in der GOZ 2012 nicht beschrieben, daher ist diese Behandlung als selbstständige Leistung analog gemäß § 6 Abs. 1 GOZ zu berechnen.“

Zudem hat das Landgericht (LG) Hagen in seiner Entscheidung vom 07.05.2013 (Az.: 4 O 358/10) die medizinischen Notwendigkeit und analoge Berechnungsfähigkeit der Kariesdiagnostik mittels Laser bestätigt:
„Der Einsatz der Laserdiagnostik ermögliche insbesondere an schwer einsehbaren Stellen des Mundraums die Diagnose von Karies, an denen eine solche Diagnose sonst nicht ohne weiteres möglich sei. Der Einsatz dieser Methode sei demzufolge medizinisch sinnvoll und daher auch erforderlich.“

Die bei Ihnen durchgeführte Laserfluoreszenz-Kariesdiagnostik wurde demzufolge vollkommen korrekt in Ansatz gebracht.

Anti-Aging zum Anbeißen

Wer will es nicht: Gesund altern. Komplexe Kohlenhydrate spielen dabei eine Schlüsselrolle. Warum es nicht nur auf die Menge, sondern vor allem auf die Art der Kohlenhydrate ankommt, lesen Sie hier.

 

Dass man durch den regelmäßigen Verzehr von komplexen Kohlenhydraten lang, gesund und vital leben kann, konnte ein amerikanisches Team von Wissenschaftlern zeigen. Dabei wurde der präventive Effekt von Kohlenhydraten nachgewiesen: Frauen, die in ihren mittleren Lebensjahren auf ballaststoffreiche Pflanzenkost setzen, waren drei Jahrzehnte später tendenziell gesünder und fitter.

Die prospektive Kohortenstudie wurde am 16. Mai im renommierten Fachjournal JAMA Network Open veröffentlicht und stützt sich auf Daten der Nurses’ Health Study (NHS), eine der größten und längsten Gesundheitsstudien weltweit. Über 47.500 amerikanische Krankenschwestern, die in den 1980er-Jahren zwischen 42 und 55 Jahre alt waren, nahmen daran teil.

Drei Jahrzehnte später wurde ihre Gesundheit erneut beurteilt. Dabei zeigte sich, dass es nicht nur darauf ankommt, wie viele Kohlenhydrate man verzehrt, sondern vor allem welche. Hochwertige Kohlenhydrate fördern nicht nur das gesunde Altern, sondern helfen auch, chronische Krankheiten zu vermeiden sowie die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit im Alter zu erhalten.

Kraftstoff für den Alltag

Kohlenhydrate sind unsere Haupt-Nahrungsquelle. Sie liefern rund die Hälfte unserer gesamten Kalorienzufuhr und landen in verschiedenen Formen auf unseren Tellern. Während isolierte und angereicherte Kohlenhydrate wie Haushaltszucker und Auszugsmehl in Form von stark verarbeiteten Fertigprodukten – darunter süße Brotaufstriche, Müsliriegel, Cornflakes, Toastbrot, Gebäck, Pasta, Chips und Softdrinks – mit gesundheitlichen Risiken verbunden sind, können komplexe naturbelassene Kohlenhydrate wie Obst, Gemüse, Pilze, Hülsenfrüchte, Nüsse, Saaten und Vollkornprodukte einen positiven Einfluss auf unsere Gesundheit ausüben.

In den USA stammen etwa 42 % der täglichen Kalorienzufuhr aus raffinierten Kohlenhydraten und nur rund 8 % entfallen auf hochwertige Quellen. In Deutschland liegt der durchschnittliche Anteil sämtlicher Kohlenhydrate an der täglichen Energiezufuhr bei Männern bei etwa 45 % und bei Frauen bei rund 49 %. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt, dass Kohlenhydrate 45–60 % der täglichen Energiezufuhr ausmachen sollten.

Anspruchsvolles Studienziel

Über die unmittelbaren Auswirkungen von Nahrungs-Kohlenhydraten auf den Blutzuckerspiegel, die Insulinausschüttung und das Körpergewicht gibt es zahlreiche Untersuchungen. Wenig bis gar nichts ist jedoch darüber bekannt, was der langjährige Verzehr von Kohlenhydraten über einen Zeitraum von mehreren Dekaden für die Gesundheit im fortgeschrittenen Alter bedeutet.

Im Fokus der Studie stand deshalb die Frage, welchen Einfluss Menge und Qualität von verschiedenen Kohlenhydraten in der mittleren Lebensphase auf den Alterungsprozess von Frauen haben. Der primäre Endpunkt, „gesundes Altern“, wurde definiert als das Fehlen schwerwiegender chronischer Krankheiten (KrebsTyp-2-DiabetesHerzinfarktkoronare Herzkrankheit (Bypass-Operation, Koronar-Angioplastie), HerzinsuffizienzNiereninsuffizienzCOPDParkinsonMultiple SkleroseAmyotrophe Lateralsklerose), kognitiver und körperlicher Funktionseinschränkungen sowie psychischer Beeinträchtigungen am Ende des dreißigjährigen Beobachtungszeitraums.

Umfassendes Methodenarsenal

Aus den Ernährungsfragenbögen (Food Frequency Questionnaires) ermittelten die Forscher die Gesamt-Kohlenhydratmenge, die Menge der raffinierten und komplexen Kohlenhydrate sowie den Ballaststoffgehalt der verzehrten Lebensmittel und errechneten, wie viel davon aus Vollkorn, Obst und Gemüse, Hülsenfrüchten oder Weißmehl und Zucker stammten.

Die Kohlenhydrataufnahme wurde als Prozentsatz der gesamten Energieaufnahme ausgedrückt, der Ballaststoff-Verzehr wurde in kalorienkorrigierten Gramm pro Tag angegeben. Die Qualität der Kohlenhydrate wurde anhand des Alternative Healthy Eating Index (AHEI) beurteilt. Das Verhältnis der Gesamtkohlenhydratzufuhr zur Ballaststoffmenge wurde berechnet, indem die Aufnahme der Gesamtkohlenhydrate durch die Ballaststoffaufnahme dividiert wurde. Darüber hinaus wurde der glykämische Index bestimmt, also die Geschwindigkeit, mit der die Kohlenhydrate in Glukose umgewandelt werden und im Blutkreislauf erscheinen.

Mit Hilfe von multivariaten logistischen Regressionsmodellen wurden die Odds Ratios (ORs) und 95 %-Konfidenzintervalle (KI) für den Zusammenhang zwischen den einzelnen Kohlenhydrat-Arten und dem gesunden Altern berechnet. Dabei wurden relevante Einflussfaktoren wie Rauchen, Alkoholkonsum, körperliche Aktivität, Gesamtenergieaufnahme, Proteinzufuhr, Übergewicht (BMI), Anwendung postmenopausaler Hormone, Einnahme von Aspirin und Multivitaminpräparaten, Bluthochdruck, Hypercholesterinämie, ethnische Zugehörigkeit sowie Bildungs- und Familienstand berücksichtigt. Zahlreiche Sensitivitätsanalysen rundeten die statistische Auswertung ab.

Schwergewicht unter den Gesundheitsstudien

Die Nurses’ Health Study ist eine der größten und ältesten Gesundheitsstudien weltweit. Sie ging 1976 mit 121.700 weiblichen Pflegekräften im Alter von 30-55 Jahren an den Start. Demografische, anthropometrische, lebensstil-, gesundheits- und ernährungsbezogene Informationen der Teilnehmerinnen wurden alle zwei Jahre mittels umfangreicher Fragebögen erhoben.

Die Nachverfolgungsrate lag bei über 90 %. Von den 81.702 Teilnehmerinnen, die 1984 (Studienbeginn) ihre Fragebögen zurückgeschickt hatten, wurden diejenigen ausgeschlossen, die zu diesem Zeitpunkt bereits 60 Jahre oder älter waren, eine der elf chronischen Krankheiten hatten und bei denen unvollständige Ernährungsfragebögen (FFQ, AHEI) oder nicht plausible Angaben zur täglichen Kalorienzufuhr vorlagen (< 500 kcal oder > 3500 kcal).

Nur jede dreizehnte Frau altert gesund

Von den 47.513 untersuchten Studienteilnehmerinnen erfüllten 30 Jahre nach Studienbeginn (2014) nur 3.706 Frauen (7,8 %) alle Kriterien für gesundes Altern, d. h. sie hatten das 70. Lebensjahr erreicht, litten an keiner der elf häufigsten chronischen Krankheiten und hatten auch sonst keine gravierenden körperlichen oder kognitiven Funktionsstörungen bzw. psychische Einschränkungen.

Die untersuchten Frauen nahmen durchschnittlich rund 47 % (SD 7,1 %) ihrer täglichen Kalorien in Form von Kohlenhydraten auf. Davon entfielen 23,2 % (SD 6,1 %) auf raffinierte und 13,6 % (SD 5,6 %) auf hochwertige Kohlenhydrate. Zucker aus Milchprodukten, Fruchtsäften, Trockenfrüchten und Fertigprodukten trugen mit 10,2 % zur Energiezufuhr bei.

Ernährung in der Lebensmitte entscheidend

Die Ergebnisse zeigen, dass Frauen, die überwiegend hochwertige Kohlenhydrate konsumieren, eine um 6–37 % höhere Chance für ein gesundes Altern und eine gute psychische und körperliche Gesundheit haben. Im Gegensatz dazu führte der vermehrte Konsum von stärkehaltigem Gemüse und von raffinierten Kohlenhydraten zu einer um 10–13% geringeren Wahrscheinlichkeit für einen gesunden Alterungsprozess.

Konkret fanden die Forscher erhöhte Wahrscheinlichkeiten, gesund zu altern für folgende Kohlenhydrat-Arten:

  • Gemüse, ohne Kartoffeln und Hülsenfrüchte [OR 1,37; 95 % KI 1,20–1,57]
  • Komplexe Kohlenhydrate [OR 1,31; 95 % KI 1.22–1.41]
  • Früchte, ohne Fruchtsäfte [OR 1,22; 95 % KI 1,15–1,28]
  • Gesamtkohlenhydrate [OR 1,17; 95 % KI 1,10–1,25]
  • Vollkorngetreide [OR 1,11; 95 % KI 1,01–1,21]
  • Hülsenfrüchte [OR 1,06; 95 % KI 1,01-1,12]

Auch der Konsum von Ballaststoffen erhöhte laut Auswertung die Wahrscheinlichkeit gesund zu altern um 7–17 %:

  • Gesamtballaststoffe [OR 1,17; 95 % KI 1,13–1,22]
  • Ballaststoffe aus Obst [OR 1,14; 95 % KI 1,10–1,19]
  • Ballaststoffe aus Gemüse [OR 1,11; 95 % KI 1,07–1,15]
  • Ballaststoffe aus Getreide [OR 1,07; 95 % KI 1,03–1,11]

Die glykämische Last (GL), also das Produkt aus GI und Kohlenhydratmenge, war ebenfalls mit einer höheren Wahrscheinlichkeit, gesund zu altern, assoziiert. In Substitutionsanalysen erwies sich der isokalorische Austausch von raffinierten Kohlenhydraten, Gesamtfett, tierischem Protein und trans-Fettsäuren (TFA) durch hochwertige Kohlenhydrate als vorteilhaft.

Die Kehrseite der Kohlenhydrate

Anders sah es hingegen bei Frauen aus, die hauptsächlich auf raffinierte Kohlenhydrate setzten, also auf Weißbrot, zuckerhaltige Cerealien, stark verarbeitete Getreideprodukte, stärkehaltige Gemüsesorten (Kartoffeln, Mais) oder gesüßte Getränke. In diesen Gruppen verringerten sich die Chancen auf ein gesundes Altern um 13–10 %:

  • Raffinierte Kohlenhydrate [OR 0,87; 95 % KI 0,80–0,95]
  • Stärkehaltiges Gemüse [OR 0,90; 95 % KI 0,82–0,99]

Auch der glykämische Index (GI) spielte eine Rolle: Ein höherer GI war mit einer um 24 % geringeren Wahrscheinlichkeit für gesundes Altern assoziiert (OR 0,76; 95 % KI 0,67–0,87). Nicht zuletzt war auch ein ungünstiger Quotient aus Gesamtkohlenhydratzufuhr und Ballaststoffmenge mit einer um 29 % geringeren Wahrscheinlichkeit für gesundes Altern assoziiert (OR 0,71; 95 % KI 0,62–0,81).

Aussagekraft der Studienergebnisse

Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine Untersuchung, die höchsten methodischen Standards genügt und nach bester wissenschaftlicher Praxis durchgeführt wurde. Neben einer mehr als 30-jährigen Beobachtungsdauer und einer weitgehend lückenlosen Erfassung sämtlicher Daten besticht die Studie auch durch ihre hohe Teilnehmerzahl. Epidemiologische Studien dieser Art stellen derzeit die einzige Möglichkeit dar, langfristige Auswirkungen dauerhaft veränderter Ernährungsgewohnheiten aufzuspüren.

Ein wesentlicher Schwachpunkt der Studie ist der Tatsache geschuldet, dass die Studienpopulation überwiegend aus gut ausgebildeten weißen Frauen in Gesundheitsberufen besteht und damit eine Übertragung auf andere Bevölkerungsgruppen nicht möglich ist. Ferner kann nicht ausgeschlossen werden, dass verbliebene oder nicht gemessene Störfaktoren die Ergebnisse verzerren.

Einordnung der Resultate

Dennoch fügen sich die Ergebnisse dieser groß angelegten Beobachtungsstudie nahtlos in die aktuelle Evidenzlage einer gesunden pflanzenbasierten Ernährung ein. Sie sollten jedoch unter Berücksichtigung prinzipieller methodischer Einschränkungen interpretiert werden. So kann auch diese großangelegte Beobachtungsstudie keinen unumstößlichen kausalen Ursache-Wirkungs-Nachweis erbringen. Dazu hätte es eines randomisierten kontrollierten Studiendesigns (RCT) bedurft. Dennoch stärken die Studienbefunde die Empfehlungen vieler Ernährungs-Fachgesellschaften für eine pflanzenbasierte, vollwertige Kost und unterstreichen einmal mehr, welchen entscheidenden Einfluss die Qualität der Kohlenhydrate auf einen gesunden Alterungsprozess hat.

Evidenzbasierte Übereinstimmung

Darüber hinaus stehen die gewonnenen Erkenntnisse im Einklang mit den Resultaten zahlreicher Untersuchungen, die vermehrt Gemüse, Obst, Vollkornprodukte und Hülsenfrüchte auf dem Speiseplan mit einem geringeren Risiko für chronische Erkrankungen in Verbindung bringen. Umgekehrt gibt es eine Fülle von Studien, die den Verzehr raffinierter Kohlenhydrate in Form von Zucker und Weißmehl für die Entwicklung häufiger Zivilisationserkrankungen verantwortlich machen. So z. B. auch das natürliche Experiment, das auf der Zuckerrationierung in England nach dem zweiten Weltkrieg basiert. Die Studie zeigt eindrucksvoll, dass eine geringe Zuckermenge in der frühen Kindheit positive Auswirkungen auf die Gesundheit im Erwachsenenalter hat.

Gestützt werden die vorliegenden Ergebnisse auch durch den Nachweis einer linearen Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen den einzelnen Kohlenhydrat-Arten und dem primären Endpunkt. Außerdem liegt dem beobachteten Zusammenhang mit dem Kohlenhydrat-Insulin-Modell (KIM) auch ein plausibler Wirkungsmechanismus zugrunde. Das KIM besagt, dass die anhaltende Aufnahme großer Mengen raffinierter Kohlenhydrate zu einer dauerhaft hohen Insulinausschüttung führt, die ihrerseits die Entwicklung von Übergewicht fördert und dadurch zahlreiche Zivilisationserkrankungen wie z. B. Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Leiden und Krebs begünstigt.

Nicht zuletzt gehen die Studienautoren davon aus, dass die komplexen Kohlenhydrate und Ballaststoffe durch ihre positive Wirkung auf die Verdauung und das Mikrobiom, ihren hohen Gehalt an Vitaminen und sekundären Pflanzenstoffen sowie ihre sättigende Wirkung maßgeblich zu den beobachteten gesundheitlichen Effekten beitragen. Schon kleine Veränderungen auf dem Teller können also einen großen Unterschied für ein gesundes und aktives Altern machen – am besten fangen Sie heute noch damit an.

Quellen:


Korat et al.: Dietary Carbohydrate Intake, Carbohydrate Quality, and Healthy Aging in Women. JAMA Network Open, 2025. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2025.11056

Reynolds et al.: Carbohydrate quality and human health: a series of systematic reviews and meta-analyses. Lancet, 2019. doi: 10.1016/S0140-6736(18)31809-9 

Gracner et al.: Exposure to sugar rationing in the first 1000 days of life protected against chronic disease. Science, 2024. doi: 10.1126/science.adn5421

Hill: The Environment and Disease: Association or Causation? Proceedings Of The Royal Society Of Medicine,1965. 10.1177/003591576505800503

Hall: A review of the carbohydrate–insulin model of obesity. European Journal Of Clinical Nutrition, 2017. 10.1038/ejcn.2016.260

Kasack im Keimschleudergang

Wer seine Dienstkleidung zu Hause reinigt, riskiert mehr als nur Flecken. Schon ein paar Runden in der heimischen Waschmaschine können resistente Erreger züchten. Wann Bequemlichkeit gefährlich werden kann.

Nosokomiale Infektionen zählen zu den häufigsten und gefährlichsten Komplikationen medizinischer Behandlungen. Immer öfter sind dafür multiresistente Keime verantwortlich, meist die ESKAPE-Erreger: Enterococcus faeciumStaphylococcus aureusKlebsiella pneumoniaeAcinetobacter baumanniiPseudomonas aeruginosa und Enterobacter spp. Sie entziehen sich nicht nur gängigen Therapieansätzen, sondern sind auch maßgeblich an Ausbrüchen in Krankenhäusern beteiligt.

Unterschätzte Infektionsquelle: Keime auf Berufskleidung

Beim Infektionsschutz stehen meist Hände und Oberflächen bzw. Geräte im Mittelpunkt; Textilien werden häufig übersehen. Dabei können sie ein erhebliches Risiko darstellen: Gefährliche Erreger wie Pseudomonas aeruginosaEscherichia coliEnterococcus faecium und Staphylococcus aureus überleben auf Baumwollgewebe bis zu 20 Tage. Selbst auf Polyester bleiben E. faecium und S. aureus noch eine Woche biologisch aktiv.

 

Dass die mangelhafte Reinigung von Textilien schwere Folgen haben kann, zeigen zwei Fälle: Im Jahr 2012 kam es zu chirurgischen Wundinfektionen, nachdem Ärzte mit Gordonia bronchialis kontaminierte Kittel getragen hatten. Und im Jahr 2019 infizierten sich Neugeborene mit Klebsiella oxytoca. Quelle der Erreger waren in beiden Fällen Haushaltswaschmaschinen. Erst nachdem die Geräte entsorgt wurden, traten keine weiteren Infektionen mehr auf.

Das Problem: In Großbritannien waschen über 80 Prozent der Pflegekräfte ihre Dienstkleidung zu Hause. Auch in deutschen Arztpraxen ist dieses Vorgehen weit verbreitet – die Kleidung wird „mal eben“ mit der privaten Wäsche in die Waschmaschine gesteckt. Doch genau das kann für Patienten ein erhebliches Risiko darstellen, wie Forscher herausgefunden haben.

Unterschätzte Schwachstellen bei Temperatur und Waschprogrammen

Haushaltswaschmaschinen arbeiten meist mit voreingestellten Programmen. Doch wie zuverlässig sind diese Geräte, wenn es um die Entfernung potenziell gefährlicher Keime geht? Angesichts zunehmender Antibiotikaresistenzen untersuchten britische Forscher diese Frage. Sie haben sechs gängige Modelle getestet: Mit Bakterien kontaminierte Textilproben wurden in Schnell- und Normalprogrammen bei üblichen Temperaturen gewaschen – eben so, wie Pflegekräfte ihre Kleidung oft zu Hause reinigen.

Das Ergebnis war ernüchternd: In der Hälfte der Fälle wurde die eingestellte Temperatur von 60 °C, die für eine wirksame Keimabtötung erforderlich ist, trotz entsprechender Temperaturprogramme nicht erreicht. Vor allem Kurz- und Ökoprogramme schnitten schlecht ab. In einem Drittel der getesteten Maschinen blieb die Dekontamination unzureichend – nur drei der sechs Geräte konnten überhaupt die geforderte Keimreduktion von mindestens 5 log₁₀ CFU (Colony Forming Units), also um fünf Zehnerpotenzen, zu erreichen.

Resistente Keime und Biofilme in Waschmaschinen

Zusätzliche Metagenom-Analysen deckten auf: In älteren getesteten Maschinen befanden sich pathogene Bakterien wie Mycobacterium, Pseudomonas und Acinetobacter. Zum Teil stießen Wissenschaftler auf Gene, die mit Antibiotika-Resistenzen in Verbindung stehen. Diese kodieren beispielsweise Effluxpumpen, also Transportproteine in der Zellmembran von Bakterien. Sie haben die Aufgabe, toxische Substanzen, darunter auch Antibiotika, aktiv aus der Zelle hinauszupumpen. So wird verhindert, dass das Antibiotikum im Zellinneren seine Wirkung entfalten kann.

In Laborexperimenten verwandelte sich ein ursprünglich empfindlicher Staphylococcus-aureus-Stamm durch wiederholten Kontakt mit handelsüblichen Waschmitteln ohne direkten Antibiotikaeinsatz in eine MRSA-Variante. Das legt nahe, dass Waschmittel selbst ein Selektionsdruck sein können, der die Entstehung gefährlicher Resistenzen begünstigt.

Ein weiteres Risiko stellt die Bildung von Biofilmen in Waschmaschinen dar. In diesen feuchten Nischen können sich Keime dauerhaft festsetzen und vermehren. Dort fanden Wissenschaftler resistente Bakterien wie Alpha- und Gammaproteobakterien sowie weitere Resistenzgene. Biofilme sind nicht nur schwer zu entfernen, sondern fördern auch die Weitergabe von Resistenzmechanismen unter Mikroorganismen.

Wäsche braucht professionelle Standards

Um diese Risiken zu vermeiden, sollte Dienstkleidung idealerweise nur in zertifizierten klinikinternen oder industriellen Wäschereien gereinigt werden. Dort werden Temperatur, Waschmittel und Waschprozesse kontrolliert und regelmäßig validiert. Die Reinigung zu Hause ist selbst bei Vorgaben zu Waschmitteln und zu Geräten keine gute Wahl.

Für Eilige: Das Wichtigste auf einen Blick

  • Dienstkleidung landet oft in der heimischen Waschmaschine, vor allem in Arztpraxen.
  • Nur die Hälfte der in einer Studie getesteten Haushaltswaschmaschinen erreichte bei 60 °C eine ausreichende Keimreduktion – insbesondere Kurzprogramme schnitten schlecht ab.
  • In den Maschinen wurden potenziell pathogene Bakterien (z. B. Mycobacterium, Pseudomonas, Acinetobacter) und Antibiotika-Resistenzgene nachgewieseinige Bakterien entwickelten nach Kontakt mit Waschmitteln eine erhöhte Toleranz gegenüber Detergenzien und zeigten Kreuzresistenzen gegen wichtige Antibiotikagruppen.
  • Die Studienautoren raten dringend zur zentralen oder industriellen Reinigung, um Infektionen und Resistenzen besser einzudämmen.

Quelle

Caroline Cayrou et al.: Domestic laundering of healthcare textiles: Disinfection efficacy and risks of antibiotic resistance transmission. PLOS One, 2025. doi: 10.1371/journal.pone.0321467

Neue S2k-Leitlinie Der richtige Implantationszeitpunkt

Die neue S2k-Leitlinie „Implantationszeitpunkte“ der Deutschen Gesellschaft für Implantologie (DGI) und der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) soll implantologisch Tätigen eine Entscheidungshilfe für den geeigneten Implantationszeitpunkt an die Hand geben und so die Versorgungsqualität der betroffenen Patientengruppe verbessern. Dafür wurde der aktuelle wissenschaftliche Kenntnisstand systematisch aufbereitet. Die wichtigsten Empfehlungen finden Sie hier.

Neben der sicheren und nachhaltigen Wiederherstellung der Funktion und Ästhetik durch den implantatgetragenen Zahnersatz spielen für Patientinnen und Patienten behandlungsspezifische Modalitäten eine zentrale Rolle. So soll die Behandlungsmethode nicht nur möglichst schmerzfrei und mit einer möglichst geringen Zahl an Eingriffen stattfinden, sondern auch mit einer geringen Morbidität und schnellen Heilung assoziiert sein.

Behandlerseitig stehen eine prädiktive Behandlungsmethode sowie ein einfaches und standardisiertes Behandlungsverfahren mit wenigen Komplikationen im Fokus. Die Wahl des Implantationszeitpunkts hat einen direkten Einfluss auf die oben erwähnten Wünsche und kann je nach gewählter Behandlungsmethode im direkten Widerspruch zu diesen stehen [Hammerle et al., 2004].

Folgende Fragestellungen wurden in der Leitlinie fokussiert:

  • Hat die Auswahl des Implantationszeitpunkts einen Einfluss auf das Implantatüberleben?
  • Welche systemischen und welche lokalen Faktoren sind bei der Auswahl des Implantationszeitpunkts zu beachten?

  • Welche zusätzlichen Maßnahmen sind dabei relevant?

Die Entscheidung zum Insertionszeitpunkt eines Implantats ist multifaktoriell. Sie wird nach einer Zahnextraktion insbesondere durch die jeweiligen sich im Laufe der Heilung verändernden weich- und hartgeweblichen Eigenschaften der Alveole bestimmt. Die Extraktion geht in der Regel mit einer sowohl horizontalen als auch vertikalen Dimensionsänderung im Hart- und Weichgewebe von individueller Dynamik einher. Dabei ist der horizontale Knochenverlust im Bereich des Alveolarkamms mit 29 bis 63 Prozent (2,46–4,56 mm) stärker ausgeprägt als der vertikale Knochenverlust mit 11 bis 22 Prozent (0,8–1,5 mm) [Chen et al., 2004; Van der Weijden et al., 2009; Tan et al., 2012].

Tabelle 1 zeigt die verschiedenen Typen der Implantationszeitpunkte vom traditionellen Protokoll (Typ IV) bis hin zur Sofortimplantation (Typ I), bei der in der Regel noch in derselben Sitzung inseriert wird [Hammerle et al., 2004; Mello et al., 2017; Gallucci et al., 2018; Tonetti et al., 2019].

Gegenüberstellung Implantationszeitpunkte und Heilungsverlauf der Extraktionsalveole
Implantationszeitpunkt Einteilung nach ITI-Konsensuskonferenz 2004 [Hammerle et al., 2004] Zeitfenster Physiologische Heilungsphasen nach Zahnextraktion [Chen et al., 2004]
Sofortimplantation Typ I < 1 Tag Blutkoagel
Frühimplantation Typ II 4–8 Wochen Weichgewebliche Abheilung abgeschlossen
Typ III 12–16 Wochen Partielle knöcherne Ausheilung (circa 2/3 der Alveole)
Spätimplantation Typ IV > 16 Wochen Knöcherne Ausheilung der Alveole abgeschlossen
Tab. 1

Therapieplanung

Die Planung für eine Implantattherapie sollte laut Konsens bereits beginnen, sobald die Indikation für eine Zahnextraktion mit anschließender implantologischer Versorgung besteht. Hierbei sollen Patientinnen und Patienten über die relevanten Therapiealternativen aufgeklärt werden. Zudem soll anhand der Anamnese, der klinischen und radiologischen Befunde eine patientenindividuelle Risikoevaluation durchgeführt werden [Heydecke et al., 2012].

Diagnostik

Die angeführten Empfehlungen zur Diagnostik basieren auf allgemeingültigen und in der Literatur beschriebenen notwendigen Untersuchungen, die bei der Therapieentscheidung für eine Implantatinsertion herangezogen werden. Bei Risikopatientinnen und -patienten (zum Beispiel nach Radiatio im Kopf-Halsbereich, Diabetikern, mit Immundefizienz oder unter antiresorptiver Therapie) sind gegebenenfalls zusätzliche Untersuchungen (Blutentnahme, weiterführende Bildgebung) für eine Risikobewertung notwendig. Die notwendigen Basisuntersuchungen zur Therapieentscheidung umfassen:

  • Anamnese
  • klinische Untersuchung

  • radiologische Bildgebung

Neben dem allgemeinmedizinischen Risikoprofil muss eine Beurteilung der lokalen Ausgangssituation vor der geplanten Implantattherapie vorgenommen werden [Kan et al., 2018]. Dazu zählen:

  • Qualität, Quantität und Morphologie des Hartgewebes
  • Qualität, Quantität und Morphologie des Weichgewebes

  • Vorhandensein von lokalen Pathologien

  • Zustand der Nachbarzähne

Implantationszeitpunkte

Die Typen I–IV der Implantationszeitpunkte weisen jeweils unterschiedliche klinische Schwierigkeiten und Behandlungsrisiken auf. Die Auswahl hängt von individuellen patientenseitigen systemischen und lokalen Faktoren ab. Werden die jeweiligen notwendigen spezifischen Auswahlkriterien nicht erfüllt und/oder ist die Durchführung des klinischen Verfahrens von unzureichender Qualität, kann sich der gewählte Zeitpunkt negativ auf das Überleben und den Erfolg auswirken. Die Vorteile der verschiedenen Implantatinsertionsprotokolle und die damit verbundenen Risiken sollten für jeden Fall sorgfältig abgewogen werden.

Spätimplantation (Typ IV)

Bei der Spätimplantation erfolgt die Implantation nach frühestens vier bis sechs Monaten, um eine vollständige weich- und hartgewebliche Abheilung der Extraktionsalveole abzuwarten [Hammerle et al., 2004]. Sie weist exzellente Überlebensraten auf und ist in der Literatur mit den längsten Nachbeobachtungszeiträumen dokumentiert [Heydecke et al., 2012; Moraschini et al., 2015]. Durch die extraktionsbedingten Umbauprozesse im Bereich des Alveolarkamms kann es jedoch in dieser Zeit zu deutlichen Atrophiephänomenen kommen, die eine Augmentation zum Zeitpunkt der Implantatinsertion zwingend erforderlich machen. Dieser physiologische Abbauprozess im Bereich der Extraktionsregion ist in den ersten drei bis sechs Monaten am stärksten ausgeprägt und der Knochenverlust kann in der horizontalen Dimension 29 bis 63 Prozent und in der vertikalen 11 bis 22 Prozent betragen [Chen et al., 2004; Van der Weijden et al., 2009, Tan et al., 2012].

Eine Vielzahl von Erkrankungen beziehungsweise Therapien führt zu einer verzögerten Knochenumbau- und Knochenneubildungsrate. In diesen Fällen wird eine Spätimplantation präferiert, insbesondere um durch die Beobachtung des Heilungsprozesses nach der Zahnextraktion eine klinische Aussage über das Regenerationspotenzial der geplanten Implantatregion treffen zu können [Ullner, 2016].

Maßnahmen zum Erhalt des Alveolarkamms (ARP = Alveolar Ridge Preservation) nach der Zahnextraktion erweisen sich als effektiv hinsichtlich der Vermeidung oder Reduktion von Augmentationen bei Spätimplantationen. In der Literatur werden dafür verschiedene Techniken und Materialien erfolgreich beschrieben [Tröltzsch et al., 2020; Avila-Ortiz et al., 2019]. In einem aktuellen systematischen Review mit Metaanalyse (7 RCT und 3 CCT) zeigte sich hinsichtlich des Implantaterfolgs kein Unterschied zwischen einer Sofortimplantation und einer Spätimplantation nach ARP, jedoch ein signifikant besseres Implantatüberleben (98 vs. 93 Prozent) für Spätimplantationen [Mareque et al., 2021].

Konsensbasiertes Statement 1
In der Literatur ist die Spätimplantation auch bei Vorliegen von lokalen und systemischen Risikofaktoren zum Zeitpunkt der Zahnextraktion mit hohen Implantatüberlebensraten beschrieben.
Literatur: [Moraschini et al., 2015; Schiegnitz 2015; Beckmann 2019; Cosyn et al., 2019; Wiegner, 2021]
starker Konsens
Konsensbasierte Empfehlung 3
Für die Spätimplantation ist von Bedeutung, dass es nach der Zahnextraktion zu Resorptionsvorgängen im Bereich der Alveole kommt, die patientenindividuell zu vertikalem und horizontalem Knochenverlust führen können. Wenn eine Spätimplantation aus patientenspezifischen Gründen indiziert ist, sollte ein Verfahren zur Erhaltung des Alveolarkamms (ARP = Alveolar Ridge Preservation) nach der Zahnextraktion empfohlen werden.
Literatur: [Tröltzsch et al., 2020; Chen et al., 2004; Van der Weijden et al.; 2009, Tan et al., 2012; Buser et al., 2017; Avila-Ortiz et al., 2019; Atieh et al.; 2021]
Konsens

Frühimplantation (Typ II/III)

Die Frühimplantation hat zum Ziel, die Behandlungsdauer einer Spätimplantation zu verkürzen und gleichzeitig einige Nachteile der Sofortimplantation durch eine partielle Ausheilung der Alveole zu umgehen. Einer der wichtigsten Vorteile ist die abgeschlossene Weichgewebsheilung. Dadurch kann unkritischer ein Mukoperiostlappen gebildet werden, wenn augmentative Maßnahmen erforderlich werden. Insbesondere bei akut infizierten Alveolen und ausgeprägten lokalen Pathologien kann durch die Verschiebung des Implantationszeitpunkts das Risiko für eine Wundinfektion beziehungsweise bakterielle Kontamination minimiert werden [Buser et al.; 2017; Graziani et al., 2019].

Konsensbasierte Empfehlung 4
Wenn aufgrund von akuten entzündlichen Prozessen oder anatomischer Kompromittierung eine Sofortimplantation nicht indiziert ist, kann die Frühimplantation empfohlen werden. Die zu diesem Zeitpunkt abgeschlossene weichgewebliche Abheilung ermöglicht die Implantatinsertion sowie augmentative Maßnahmen bei geringerem Resorptionsgrad im Vergleich zur Spätimplantation.
Literatur: [Sanz et al., 2012; Buser et al., 2017; Bassir et al., 2019; Graziani et al., 2019]
starker Konsens

Sofortimplantation (Typ I)

Die klinische Datenlage für Sofortimplantationen ist bereits durch die starke Variabilität in der operativen Technik (Wahl des Zugangs, Implantatregion, -position oder der Augmentationstechnik und des -materials) sehr heterogen. Hinzu kommen eine große Anzahl von möglichen lokalen Einflussfaktoren wie die Beschaffenheit der Hart- und Weichgewebe oder die Entzündungssituation der Alveole. Das erklärt die teilweise weite Spannbreite der Studienergebnisse hinsichtlich Implantatüberleben beziehungsweise Implantaterfolg für die Sofortimplantation. Ein weiterer erschwerender Faktor bei der Bewertung von Randomized controlled trials (RCT) sind die unterschiedlichen Ein- und Ausschlusskriterien beim Vergleich der Sofortimplantation zu anderen Implantationszeitpunkten, die sich bereits durch die veränderte Ausgangssituation hinsichtlich der frischen Extraktionsalveole und der ausgeheilten Alveole ergeben. Die sehr hohen Überlebensraten aus systematischen Reviews [Lang et al., 2012; Slagter et al., 2014] basieren in der Regel auf einer strengen Selektion und der großen klinischen Erfahrung im Bereich der Sofortimplantation der teilnehmenden Studienzentren.

Aktuelle Metaanalysen von RCTs zeigen jedoch eine signifikant schlechtere Überlebensrate für Sofortimplantationen in der Einzelzahnregion im Vergleich zu einer Früh- beziehungsweise Spätimplantation. In Abhängigkeit von den Einschlusskriterien für die klinischen Studien variiert die Differenz bei den Analysen zwischen drei bis vier Prozent (98 versus 95 Prozent [Mello et al., 2017]; 99 versus 95 Prozent [Cosyn et al., 2019], 93 versus 97 Prozent [Chrcanovic et al., 2015]).

Es gibt außerdem nur sehr wenige Studien, die die Erfahrung der Behandelnden als Einflussfaktor für das Implantatüberleben untersuchten [Jemt et al., 2016; Chrcanovic et al., 2017]. Hinsichtlich Sofortimplantationen gibt es keine klinischen Studien mit dieser Fragestellung. Sicherlich ist die Implantatinsertion in die frische Extraktionsalveole technisch deutlich anspruchsvoller als in einer ausgeheilten Situation mit ausreichendem Knochenangebot. Einerseits ist das Erreichen einer guten Primärstabilität deutlich schwerer und stark abhängig vom Restknochen apikal der Extraktionsalveole beziehungsweise von der Breite des interradikulären Septums bei mehrwurzeligen Zähnen. Andererseits wird bei der Sofortimplantation häufig bewusst auf die Bildung eines Mukoperiostlappens verzichtet, um das Trauma auf das Gewebe zu reduzieren, was jedoch die Übersicht deutlich einschränkt. Zusätzlich sind gegebenenfalls additive weich- und/oder hartgewebliche Augmentationen in gleicher Sitzung notwendig, die die Komplexität des chirurgischen Eingriffs erhöhen. Die Sofortimplantation ist damit die techniksensibelste Variante.

Konsensbasiertes Statement 2
Die Sofortimplantationen zum Ersatz einzelner Zähne weisen im Vergleich zu Früh- beziehungsweise Spätimplantationen eine reduzierte Überlebensrate auf.
Literatur: [Chrcanovic et al., 2015; Mello et al., 2017; Cosyn et al., 2019]
starker Konsens
Konsensbasierte Empfehlung 5
Die Sofortimplantation ist ein komplexes chirurgisches Verfahren und erfordert entsprechende klinische Expertise. Da ihr Erfolg zusätzlich von einer Vielzahl von patientenseitigen systemischen und lokalen Faktoren abhängig ist, soll die Indikation für jeden Fall nach sorgfältiger Abwägung individuell getroffen werden.
Literatur: [Chen and Buser 2009; Kan et al., 2018; Cosyn et al., 2019; Gamborena et al., 2021]
starker Konsens

Implantationszeitpunkt bei Risikogruppen

Eine Vielzahl von Erkrankungen beziehungsweise Therapien führt zu einer verzögerten Osseointegration oder sie sind im Vergleich zu gesunden Patientinnen und Patienten mit einer erhöhten Verlustrate für Implantate assoziiert. Dies ist auf eine reduzierte Knochenumbau- und Knochenneubildungsrate zurückzuführen. Die Empfehlungen für Betroffene mit Immundefizienz, Diabetes mellitus, mit Kopf-Hals-Bestrahlung oder unter medikamentöser Behandlung mit Knochenantiresorptiva sowie Parodontitis finden sich in der Leitlinie unter Punkt 6.4. mit Verweis auf die S3-Leitlinien der AWMF zur Implantation bei diesen Patientengruppen.

3-D-Röntgendiagnostik bei der Sofortimplantation

Jede Implantatplanung erfordert eine präoperative röntgenologische Diagnostik. Die 3-D-Röntgendiagnostik bietet eine detaillierte räumliche Beurteilung der anatomischen Strukturen und der pathologischen Veränderungen. Dieser Vorteil kann insbesondere bei einer geplanten Sofortimplantation von großem klinischem Nutzen sein und ermöglicht bereits präoperativ eine Risikoabschätzung hinsichtlich der lokalen Ausgangssituation [Kan et al., 2018]. Die Volumentomografie ist der Computertomografie bei Darstellung der relevanten anatomischen Strukturen in implantologischen Fragestellungen nicht unterlegen, weist jedoch in der Regel eine geringere Strahlenbelastung auf. Daher sollte ihr bei der Diagnostik in der Implantologie entsprechend der aktuellen Leitlinien der Vorzug gegeben werden (Statement 3).

Konsensbasiertes Statement 3
Die Anfertigung eines dreidimensionalen Röntgenbildes kann über die genaue Darstellung der Knochendimension und mögliche lokale Pathologien hinaus wertvolle Hinweise zur lokalen Situation liefern und somit für die Entscheidungsfindung zur Sofortimplantation hilfreich sein. Hierfür verweisen wir auch auf die aktuellen S2k-Leitlinien „Dentale digitale Volumentomographie“ (AWMF-Registernummer: 083-005) und „Indikationen zur implantologischen 3-D-Röntgendiagnostik und navigationsgestützte Implantologie“ (AWMF-Registernummer: 083-011).
Literatur: [Nitsche, 2011; Schulze, 2013; Kan et al., 2018]
starker Konsens

Technisches Vorgehen bei der Sofortimplantation

Die Vorhersagbarkeit des Implantaterfolgs bei der Sofortimplantation ist abhängig von der lokalen Ausgangssituation. Dabei ist die Qualität und Quantität der Hart- und Weichgewebe von zentraler Bedeutung. So ist es klinisch plausibel, bei der Zahnextraktion das Trauma auf das Weich- und Hartgewebe so gering wie möglich zu halten [Gamborena et al., 2021]. Ein operativer Zugang ohne Bildung eines Mukoperiostlappens („Flapless“) scheint einen positiven Effekt auf die Knochenstabilität zu haben [Lin et al., 2014; Zhuang et al., 2018]. Der Verzicht auf die Bildung eines Mukoperiostlappens erschwert jedoch gleichzeitig die lokale Beurteilbarkeit der knöchernen Situation. Inwieweit ein invasiverer Zugang bei der Sofortimplantation gewählt werden sollte, ist im Einzelfall zu diskutieren. Neben den lokalen Faktoren ist entscheidend, ob und welche augmentativen Maßnahmen simultan bei der Implantatinsertion geplant sind.

Konsensbasierte Empfehlung 9
Bei geplanter Sofortimplantation soll die Zahnextraktion chirurgisch so atraumatisch wie möglich erfolgen. Nach der Extraktion soll eine sorgfältige Entfernung des Granulationsgewebes in der Alveole und eine Kürettage des Alveolarknochens vorgenommen werden.
Literatur: [Hammerle et al., 2004; Raes et al., 2011; Iyer and Haribabu 2013; Kan et al., 2018; Zhuang et al., 2018; Tonetti et al., 2019]
starker Konsens

Des Weiteren ist die Primärstabilität ein entscheidender Faktor für die Osseointegration des Implantats [Meredith, 1998]. Ist durch lokale Pathologien oder anatomische Gegebenheiten nicht ausreichend Restknochen nach der Zahnextraktion vorhanden, um das Implantat in der korrekten 3-D-Ausrichtung primärstabil inserieren zu können, sollte von einer Sofortimplantation abgesehen werden [Hammerle et al., 2004; Chrcanovic et al., 2017; Cosyn et al., 2019; Tonetti et al., 2019]. In einer Metaanalyse konnte die Implantatposition als eigenständiger Risikofaktor für die Entstehung von vestibulären Rezessionen bestätigt werden [Hammerle et al., 2012]. In der Oberkieferfront wird eine palatinale Implantatposition angestrebt [Kan et al., 2018].

Konsensbasierte Empfehlung 10
Bei ausgedehnten knöchernen Defekten, die eine Primärstabilität des Implantats verhindern, soll keine Sofortimplantation durchgeführt werden.
Literatur: [GCP; Hammerle et al., 2004; Chrcanovic et al., 2017; Cosyn et al., 2019; Tonetti et al., 2019]
starker Konsens
Konsensbasierte Empfehlung 11
Die Sofortimplantation stellt hinsichtlich der korrekten dreidimensionalen Position und Stabilisierung in der Extraktionsalveole eine besondere Herausforderung dar. In der Oberkieferfront sollte die achsengerechte und positionsgerechte Implantatinsertion palatinal orientiert sein.
Literatur: [Hammerle et al., 2012; Kan et al., 2018]
starker Konsens

Lokale Faktoren bei der Sofortimplantation

Bei der Sofortimplantation sind die lokalen Faktoren von entscheidender Bedeutung für die Therapieplanung und die Abschätzung des Therapieerfolgs [Buser et al., 2017]. In einem Konsensuspapier der ITI aus 2014 wird bei Nichterfüllung der erwähnten lokalen Kriterien sogar von einer Sofortimplantation abgeraten [Morton et al., 2014].

Patientinnen oder Patienten mit einem dünnen Gingivaphänotyp beziehungsweise dünner vestibulärer Knochenlamelle zeigen deutlichere Resorptionsphänomene nach der Zahnextraktion. Die Gefahr für vestibuläre Rezessionen ist bei dieser Ausgangssituation deutlich erhöht [Chen und Buser, 2009; Tan et al., 2012; Chen et al., 2004]. Dies gilt auch bei einer sehr dünnen Knochenlamelle (< 1 mm) oder knöchernen Defekten im Bereich der vestibulären Knochenlamelle. Knochendefekte im Bereich der vestibulären Lamelle sind daher in vielen klinischen Studien Ausschlusskriterien [Cosyn et al., 2019]. Die Vorhersagbarkeit des Therapieerfolgs ist in diesen Fällen deutlich kritischer und muss bei der Therapieplanung berücksichtigt werden. Das erklärt, warum bei gleichzeitig qualitativen und quantitativen weich- und hartgeweblichen Defiziten eine Sofortimplantation insbesondere in der Frontzahnregion aufgrund des hohen ästhetischen Risikos von vielen Autoren abgelehnt wird [Buser et al., 2017].

Durch eine gleichzeitige hart- und/oder weichgewebliche Augmentationsmaßnahme bei der Implantatinsertion kann versucht werden, dem entgegenzuwirken [Lin et al., 2014; Cosyn et al., 2019]. Eine retrospektive Analyse zeigte, dass sich durch simultane hart- und weichgewebliche Augmentation auch bei bestehenden Rezessionen suffiziente Langzeiterfolge bei der Sofortimplantation erzielen lassen [Noelken et al., 2018]. Eine Aussage zur Wahl der Augmentationstechnik beziehungsweise zum Material kann aktuell aufgrund der reduzierten und inhomogenen Datenlage nicht getroffen werden.

Daraus ergeben sich folgende Empfehlungen:

Konsensbasierte Empfehlung 12
Bei Patienten mit einem dicken Gingivatyp, dicker und intakter vestibulärer Knochenlamelle (> 1 mm) und einem geringen horizontalen Spalt zwischen dem Implantat und der vestibulären Knochenlamelle (< 2 mm) kann auf eine simultane Augmentation bei der Sofortimplantation verzichtet werden.
Literatur: [Hammerle et al., 2004; Chen und Buser 2014; Morton et al., 2014]
starker Konsens
Konsensbasierte Empfehlung 13
Bei dünnem Gingivatyp beziehungsweise dünner vestibulärer Knochenlamelle und vertikalem Gewebedefizit in der ästhetischen Zone sollte eine simultane weichgewebliche und/oder hartgewebliche Augmentation/Optimierung des Implantatlagers im Rahmen der Sofortimplantation durchgeführt werden.
Literatur: [Clementini et al., 2015; Kan et al., 2018; Cosyn et al., 2019]
starker Konsens

Komplikationen vermeiden

In einem aktuellen systematischen Review [Saijeva und Juodzbalys, 2020] konnte kein negativer Einfluss auf die Implantatverlustrate beziehungsweise -überlebensrate bei der Sofortimplantation in einer infizierten Extraktionsalveole im Vergleich zu einer nicht infizierten Extraktionsalveole nachgewiesen werden. Anhand der Studienlage kann keine Aussage über das Ausmaß der Infektion getroffen werden, die noch für eine Sofortimplantation akzeptabel erscheint. Jedoch ist es aus klinischer Sicht sicherlich sehr kritisch, in eine akut infizierte und putride Alveole zu implantieren. Starker Konsens bestand im Leitliniengremium, dass eine Sofortimplantation unter sorgfältiger Abwägung durchgeführt werden kann, das infizierte Gewebe jedoch vollständig entfernt werden soll. Zudem sollte eine perioperative systemische Antibiotikaapplikation durchgeführt werden.

Die Sofortimplantation ist eine techniksensitive Behandlungsmethode und somit mit einem relevanten Komplikationsrisiko behaftet. Dieses Risiko kann durch additive Maßnahmen wie Augmentation oder Sofortversorgungen im Rahmen der Sofortimplantation erhöht werden. Zur Vermeidung von biologischen und technischen Komplikationen in der Einheilphase soll bei einer Sofortimplantation darüber hinaus, insbesondere in Kombination mit einer Sofortversorgung, eine engmaschige klinische Nachsorge erfolgen [GCP; Lang et al., 2012; Saijeva und Juodzbalys, 2020].

Fazit

Die Behandlungsplanung für eine Implantattherapie sollte beginnen, sobald die Indikation für eine Zahnextraktion mit anschließender implantologischer Versorgung besteht. Hierbei weisen die zur Möglichkeit stehenden Implantationszeitpunkte differenzierte Indikationsbereiche mit unterschiedlichen klinischen Schwierigkeiten und Behandlungsrisiken auf. Dabei wird die Auswahl des Implantationszeitpunkts durch die individuellen, patientenseitigen systemischen und lokalen Faktoren bestimmt.

Hinsichtlich der systemischen Risikofaktoren ist zu beachten, dass eine Vielzahl von Erkrankungen beziehungsweise Therapien in einer kompromittierten Knochenumbau- und Neubildungsrate resultieren. Diese gestörte Knochenphysiologie sollte die Zahnärztin oder der Zahnarzt bei der Festlegung des Implantationszeitpunkts berücksichtigen. Der gewählte Implantationszeitpunkt kann sich negativ auf das Überleben und den Erfolg auswirken, wenn die jeweiligen notwendigen spezifischen Voraussetzungen nicht oder nur teilweise erfüllt werden.

Weiterhin wird die Entscheidung zum Insertionszeitpunkt von einer Vielzahl an lokalen Faktoren beeinflusst und ist direkt abhängig von den jeweiligen weichgeweblichen und hartgeweblichen Eigenschaften der sich in Heilung befindlichen Alveole. Die Vorhersagbarkeit des Implantaterfolgs wird maßgeblich von diesen lokalen Faktoren bestimmt, wobei diese Ausgangssituation durch augmentative Maßnahmen modifiziert werden kann. Die Implantatinsertion ist eine techniksensitive chirurgische Intervention, die in Abhängigkeit vom Implantationszeitpunkt in ihrer Komplexität variiert und somit unterschiedliche Anforderungen an die klinische Expertise des Behandlungsteams stellt.

Letztlich müssen die Vor- und Nachteile der verschiedenen Implantatinsertions-Protokolle patientenindividuell analysiert und für jeden Fall sorgfältig abgewogen werden.

Alle Details und Statements finden sich in der Leitlinie: DGI, DGZMK: „Implantationszeitpunkte“, Langfassung, Version 1.0, 2022, AWMF-Registriernummer: 083-040

Autoren: Keyvan Sagheb, Isabel Becker, Kawe Sagheb, Stefan Wentaschek, Robert Nölken, Eik Schiegnitz, Bilal Al-Nawas, Christian Walter

Neue Praxis-Materialliste der KZV Hamburg aktuell

Praxismaterialkosten Zahnersatz

Leider ist die KZV-Nordrhein nicht in der Lage für einen nicht unerheblichen Beitrag unsererseits Ihren Mitgliedern derartiges zur Verfügung zu stellen.

Darum diese Information für unsere Mitglieder von anderer Stelle.

Verbessert Vergrößerung die Präparationsqualität?

Lupenbrillen und Mikroskope sind gut für Körperhaltung und Augen

Die Qualität von Präparationen beeinflusst die Passgenauigkeit und den Randschluss festsitzender prothetischer Versorgungen. Besonders ­hohe Anforderungen gelten für mit CAD/CAM-Systemen hergestellte Kronen und Brücken [1].

Kurz und klar

  • Vergrößernde Sehhilfen können über verbesserte Arbeitshaltung und Augenschonung körperliche Langzeitschäden reduzieren.
  • Die Qualität von Präparationsergebnissen ist mit Sehhilfen nach einer Literaturübersicht in vitro höher, aber nicht signifikant.
  • Die Ergebnisqualität wurde überwiegend bei unerfahrenen Anwendern (Studenten) untersucht und könnte mit mehr Erfahrung weiter steigen.
  • Störfaktoren bei der Behandlung stellen die Übertragbarkeit auf klinische Situationen in Frage (Forschungsbedarf!).
  • Eine stärkere Vergrößerung scheint nicht mit besseren Präparationsergebnissen verbunden zu sein.
  • Die zunehmende Verwendung intraoraler Scanner könnte den Stellenwert von Vergrößerungshilfen verändern.
  • Möglicherweise lassen sich auch neu verfügbare Miniaturkameras für Lupenbrillen nutzen, die für die Patientenaufklärung vorgesehen sind.

Mehr Präzision, weniger Belastung für die Augen

Eine nicht-systematische Übersichtsarbeit aus Brasilien kommt zu dem zusammenfassenden Ergebnis, dass vergrößernde Sehhilfen die ­Präparationsqualität verbessern, wahrscheinlich durch größere Präzision, günstigere Arbeits­haltung und geringere Belastung der ­Augen [2].

Die ergonomischen Vorteile sind laut Review-Artikel gut dokumentiert, insbesondere die Entlastung des Visus. Die reduzierte Fokussierung wirkt sich günstig auf die Entwicklung von Altersweitsichtigkeit aus, also auf die reduzierte Sehfähigkeit im Nahbereich. In Bezug auf die Arbeitshaltung werden vor allem Lupenbrillen nach Kepler-Bauart und Mikroskope gut bewertet, weniger Lupenbrillen nach Galilei mit geringerer Vergrößerungsleistung und ohne optimiertem Arbeitsabstand [3]. Wichtig ist weiterhin eine gute Beleuchtung, wobei bei LED-Licht spezielle Filter für Blau-Ausgleich verwendet werden sollten [3].

Präparationsqualität 
mit Fragen

Die Qualität von Präparationen lässt sich dagegen laut vorliegender Studiendaten mit vergrößernden Sehhilfen statistisch nicht signifikant steigern [2]. Da sie aber auch nicht beeinträchtigt wird, könnte angesichts der großen Anzahl von Präparationen im Arbeitsleben dennoch ein wichtiger positiver Effekt eintreten. Hinzu kommt die oben erwähnte bessere Ergonomie, die über erhöhte Leistungsfähigkeit der Behandelnden langfristig ebenfalls die Qualität der Arbeitsergebnisse fördern dürfte.

Ein weiterer Faktor ist laut Literatur der motorische Trainingseffekt, der durch das Arbeiten mit Vergrößerung erreicht werden kann [2]. Stärkere Vergrößerung, zum Beispiel mit Mikroskopen im Vergleich zu Lupenbrillen, hat dagegen keinen zusätzlichen Effekt.

Überwiegend Studenten: relativierende Effekte

Die Tatsache, dass die Probanden in den ausgewerteten Studien überwiegend Studenten waren, sehen die Autoren nur bedingt als verzerrenden Faktor [2]. So könne einerseits angenommen werden, dass unerfahrene Zahnärzte (Oralmediziner) am Patienten zum Beispiel mit plötzlichen Patientenbewegungen, eingeschränkter Sicht durch Zunge und Wangen oder Speichel zurechtkommen müssen und damit der positive Effekt vergrößernder Sehhilfen reduziert wird.

Andererseits könnten Anwender durch langfristiges Training bessere Ergebnisse erzielen als Berufsanfänger, so dass die Daten mit erfahrenen Probanden besser ausfallen könnten. Um diese Annahmen zu prüfen, sei aber weitere Forschung notwendig.

Intraoralscanner und Minikameras

Die Qualität von Präparationsergebnissen lässt sich auch durch die vergrößerte Darstellung digitaler intraoraler Scans am Bildschirm prüfen. Mit Augmented-Reality-Brillen lässt sich dies auch während der Präparation und ohne den Blick auf einen Monitor erreichen [4].

Eine Alternative könnten hier auch Lupenbrillen mit aufgesetzten Minikameras sein, die über Fußpedalsteuerung Fotos für die Patientenkommunikation aufnehmen. Diese ließen sich grundsätzlich auch für die Kontrolle der eigenen Arbeitsergebnisse einsetzen. Studien, die diese neueren Technologien mit der Verwendung konventioneller Lupenbrillen vergleichen, fehlen im Review-­Artikel [2].

Reale Verbesserung erwartbar

Fazit: Die methodische Qualität der für das Review ausgewerteten Studien bewerten die Autoren als „mäßig“ [2]. Bei allen Schlussfolgerungen sei zu bedenken, dass die Ergebnisse nur in vitro und überwiegend von Studenten ermittelt wurden.

Sie lassen sich damit nur im Analogschluss auf die klinische Situation übertragen und genügen damit keinen höheren wissenschaftlichen Ansprüchen. Der zunehmende Einsatz insbesondere von Lupenbrillen in der Praxis spricht aber dafür, dass diese die tägliche Arbeit – und wahrscheinlich auch die Ergebnisqualität – in unterschiedlichen Anwendungsbereichen im klinischen Alltag ganz real verbessern.

Dr. Jan H. Koch, Freising

Der Autor erklärt, dass er in Verbindung mit diesem Beitrag keine Interessenkonflikte hat.

Hinweis: Beiträge in der Rubrik Oralmedizin kompakt können nicht die klinische Einschätzung der Leser ersetzen. Sie sollen lediglich – auf der ­Basis aktueller Literatur und/oder von Experten-Empfehlungen – die eigenverantwortliche Entscheidungsfindung unterstützen

Literatur

[1] Renne W, McGill ST, Forshee KV, et al. Predicting marginal fit of CAD/CAM crowns based on the presence or absence of common preparation errors. J Prosthet Dent. 2012;108(5):310-5.
[2] de Oliveira FAS, Moraschini V, de Almeida DCF, et al. Effects of magnification on restorative dental preparation performance: a scoping review and level of evidence mapping. Clinical Oral Investigations. 2024;28(8):447.
[3] Arnold M. Integration von Lupenbrillen und Dentalmikroskopen in die Praxis. zahnärztliche mitteilungen. 2020;110(17):64-73.
[4] Koch JH. Neuigkeiten auf der IDS 2019. Praxisrelevantes entdecken im digitalen Rauschen zahnärztliche mitteilungen. 2019;109(5):80-5.

Was bei einer Praxisabgabe zu beachten ist

In absehbarer Zeit will ich in den Ruhestand gehen – und was jetzt? Diese Frage stellen sich viele Praxisinhaberinnen und -inhaber früher oder später. Organisatorisch und steuerrechtlich ist bei einer Praxisübergabe vieles zu beachten, zeigte eine Veranstaltung der Apobank.

Rund 20 Prozent der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte sind älter als 60 Jahre – und einige davon wollen zeitnah oder auf Sicht ihre Praxen abgeben. Drastischer formulierte es Moderatorin und Abteilungsleiterin bei der Apobank Nora Zumdick: „Wenn wir jetzt davon ausgehen, dass das gewünschte Renteneintrittsalter mit 64 Jahren beginnt, dann steht im Prinzip gerade eine ganze Generation vor der Frage, wie gebe ich meine Praxis ab.“ Wie Ärztinnen und Ärzte dabei vorgehen sollten und was zu beachten ist, darüber hat die Apobank am Mittwoch informiert.

Möchte man die Praxis abgeben, stellt sich zunächst die Frage, an wen. Während einige Praxen in der Familie bleiben, gehen andere an Ärztinnen und Ärzte von außerhalb der Familie. In letzterem Fall ist zu entscheiden, ob man sich für das Vorgehen Hilfe holt. Aus Sicht der Apobank, die sowohl Unterstützung für Praxisverkäufer als auch -käufer anbietet, ist der Fall natürlich klar. Umsonst macht das der Finanzdienstleister jedoch nicht: Für die Wertermittlung einer Einzelpraxis nimmt er 1.500 Euro netto, für Gemeinschaftspraxen kostet die Leistung 1.800 Euro. Weitere Beratungsleistung werden auf Stundenbasis abgerechnet.

Für den Internisten Dr. Stephan Krinke aus Leichlingen hat sich der Preis gelohnt. Er führe gemeinsam mit einem Kollegen eine hausärztliche Gemeinschaftspraxis, doch beide wollten zeitnah in den Ruhestand gehen. Sie hätten sich „konzeptionslos“ auf die Suche nach einer Praxisnachfolge begeben, unzählige teils „komische“ Gespräche geführt und mehrere Medizinische Versorgungszentren abgewehrt. Aber sie hätten nicht gewusst, wie sie vorgehen sollten und wie viel Geld sie für ihre Praxis verlangen sollten. Für sie war deshalb der Kontakt zur Apobank „der Gamechanger“.

Was Apobank-Praxisberater Carsten Bauer für Krinke – insgesamt nach eigenen Angaben für bis zu 30 Praxen im Jahr – machte, war zunächst, den Praxiswert zu ermitteln. Es gebe verschiedene Möglichkeiten dafür. Die Apobank nutze ein „modifiziertes Ertragswertverfahren“. Auf die Details ging Bauer nicht ein, erzählte aber, man schaue auf den Umsatz sowie dessen Zusammensetzung, auf die Kostenstruktur, den Ort der Praxis, die Fachrichtung und ermittle daraus einen Wert. Dieser werde außerdem mit den Preisen vergleichbarer Praxen abgeglichen. Auch die Preisvorstellung derer, die eine Praxis abgeben wollten, spiele zur Preisfindung eine Rolle.

Wie verhandelt man nun diesen Preis mit potenziellen Käufern? Bauer rät, sie erst durch die Praxis zu führen und dafür zu begeistern und erst danach den Kaufpreis zu nennen. Zu diesen Gesprächen könne man auch Praxisberater hinzuholen.

Diese Steuern fallen an

Nach Angaben von Bauer lässt sich eine Praxis in NRW für durchschnittlich 150.000 bis 170.000 Euro verkaufen – vor Steuern. „Das Finanzamt will in der Regel eine Scheibe abhaben vom Verkaufspreis“, so Jens Hellmann, Diplom-Finanzwirt und Steuerberater bei der Trilling – Hellmann & Partner. Aber er macht Hoffnung: „Die gute Nachricht ist, dass der Verkaufspreis selten der Betrag ist, der auch im Steuerbescheid landet.“

Nicht der Verkaufspreis, sondern der Veräußerungsgewinn stehe im Steuerbescheid. Beides könne sich „erheblich“ unterscheiden. Ein Beispiel von Hellmann: Ein Arzt verkauft seine Praxis für 200.000 Euro. Für die Ermittlung des Veräußerungsgewinns geht der Buchwert des Betriebsvermögens ab, in diesem Fall 45.000 Euro. Gemeint sind alle nicht abgeschriebenen Investitionen in der Praxis. Außerdem werden die Veräußerungskosten in Höhe von 5.000 Euro abgezogen. Es bleibt ein Veräußerungsgewinn von 150.000 Euro.

Von diesem Veräußerungsgewinn hängt die Höhe des Steuerfreibetrags ab, der nach Hellmanns Angaben noch abgezogen werden kann. Dieser beträgt maximal 45.000 Euro. Das Finanzamt gewährt ihn nur einmal im Leben Menschen, die älter sind als 55 Jahre oder dauerhaft berufsunfähig. „Man merkt an dieser Stelle schon, es macht Sinn, einen Experten daran zu lassen“, so Hellmann – und empfiehlt damit, Steuerberaterinnen und -berater aufzusuchen, sollte man eine Praxis verkaufen wollen.

Den eigenen Kindern Praxis schenken oder verkaufen?

Viele junge Ärztinnen und Ärzte treten in die beruflichen Fußstapfen ihrer Eltern und wollen deren Praxis übernehmen. Häufig wollten Eltern eine Praxis aber nicht an ihre Kinder verkaufen. Aber ergibt eine Schenkung steuerlich Sinn? „Steuerlich gesehen muss man sagen, aufgrund der Steuersätze, über die wir eben geredet haben, macht das total Sinn, einen Kaufpreis anzusetzen“, rät Jens Hellmann. Denn: Der Veräußerungspreis, an dem das Finanzamt die Steuerlast ermittelt, sei deutlich geringer als der Verkaufspreis. Außerdem gebe es noch den zweiten Steuersatz. Bei einer Schenkung würden Mutter oder Vater jedoch im schlimmsten Fall ein Viertel des Werts ans Finanzamt zahlen. „Das wäre schon hoch.“ Außerdem könnten die Kinder den Praxis-Kaufpreis steuerlich abschreiben über die nächsten Jahre.

Ein Punkt, den sich diejenigen, die eine Praxis verkaufen möchten, ebenfalls überlegen müssten, sei, wie eine Übergabe ablaufen soll. Will man sukzessive aussteigen oder direkt komplett raus sein? Für den Leichlinger Hausarzt und seinen Kollegen war klar, sie wollten ihre Praxis schleichend übergeben. „Wir sind zwei Jahre mit ihm Partner.“ Danach wollten sie sich zurückziehen. Auch Praxisberater Bauer hält das für eine gute Vorgehensweise, wobei das nicht immer der Sichtweise des Käufers entspreche. Deshalb glaubt er, „es ist immer wichtig, flexibel zu sein“.

Es gibt also vieles abzustimmen. Deshalb empfiehlt er auch, frühzeitig mit den Planungen zu beginnen. Grob überlegen solle man idealerweise schon zehn Jahre vor einer geplanten Übergabe. Fünf Jahre vor Übergabe könne man sich dann konkreten Fragen stellen: Welche Optionen gibt es gerade? Was möchten beide Seiten, wie findet man zusammen? Vier Jahre lang hat die Suche bei Krinke gedauert. Und das deckt sich auch mit der Erfahrung der Apobank: „Drei bis fünf Jahre kann das Ganze wirklich mal dauern, also man kann schon sagen, es ist leider meistens nicht in einem Jahr erledigt“, so Moderatorin Zumdick.

Amalgam-Aus: Neue Abrechnungsregelung im BEMA

Füllungen: BEMA und Mehrkostenvereinbarung
Da hierzulande in den meisten Praxen schon seit Jahren nur selten oder gar keine Amalgamfüllungen mehr gelegt werden, ändert sich für die meisten praxen mit dem Amalgam-Aus zum Jahresanfang nicht viel – oder doch? Was sich in der Gl(/-Abrechnung ändert und warum jetzt die Kostenkalkulation einer Füllung wichtiger denn je ist,. ln vielen Praxen kommen bereits ausschließlich Komposit-Materialien zum Einsatz, auch als Basisversorgung.
Was ändert sich durch das Amalgam-Aus ab 1.1.2025 in der Abrechnung der Basisversorgung?
Bisher regelte der BEMA Ziffer 13 a bis d die Abrechnung für eine Füllung mit einem plastischen Füllmaterial und die Ziffern 13 e bis h galten ausschließlich für Kompositfüllungen in der Adhäsivtechnik im Seitenzahnbereich bei konkret definierten Patientengruppen.
Ab Januar 25 werden zwar 13 a bis d aufgewertet, allerdings nur minimal. Letztlich können nur rund ein bis sechs Euro mehr, gestaffelt von der ein- bis zur mehr als dreiflächigen Füllung, oder Eckenaufbauten berechnet werden. lm Klartext heißt das: Eine einflächige Füllung nach 13 a ist dann für ca.40 Euro und eine zweiflächige Füllung für rund 47 Euro zu erbringen. Darin sehe ich keine nennenswerte Aufwertung der GKV-Füllung. Denn bei den Materialkosten, die hier nicht gesondert berechnet werden können, werden sich die höheren Kosten für die Amalgamalternativen bemerkbar machen. Zwar sind die infrage kommenden selbstadhäsiven Basismaterialien wie Glasionomerzemente günstiger als Komposit-Materialien, dennoch ist ein wirtschaftliches Arbeiten zum GKV-Tarif unmöglich.
Die gute Nachricht ist: Die Mehrkostenregelung bleibt.
Für eine Versorgung mit Füllungsmaterialien, die außerhalb der Basisversorgung liegen, kann also eine Mehrkostenvereinbarung nach § 28 Abs. 2 SCB V mit dem Patienten getroffen werden. Die BEMA-sachleistung wird nach wie vor angerechnet.
Stichwort Kostenkalkulation: Lässt sich zum GKV-Tarif kostendeckend arbeiten?
Leider nein. Daher ist es jetzt wichtiger denn je, dass sich die Zahnärzte vor dem Hintergrund der neuen Regelungen eine gute Kostentransparenz verschaffen. Die konkrete Kostenkalkulation einer Basis-Füllung ist empfehlenswert, aber in vielen Praxls noch nicht geschehen.
Das lässt sich relativ einfach berechnen:
In der Regel kann man für eine selbstadhäsive Basisfüllung rund ei ne halbe Stunde Belegungszeit des Behandlungszimmers kalkulieren.
Nach GKV-Tarif werden ca. 40 bis71 Euro berechnet werden können. Je nach Fall ist eine bMF und/oder Lokalanästhesie notwendig und kann berechnet werden.
Aber: Stellen wir dann den in Deutschland durchschnittlichen zahnärztlichen Stundensatz von rund 400 Euro dagegen, tut sich ein Defizit auf. Das kann je nach Materialkosten noch variieren.
Denn auch darüber, ob in einer Praxis möglicherweise ein ,,höherpreisiges“ Basisprodukt zum Einsatz kommt, ist bei einer Erstattung in Höhe von rund 40 bis 7’l Euro unterwirtschaftlichen Aspekten nachzudenken.
Die Zahnärzte sind also gefordert, die Basisversorgung gut zu kalkulieren.
Gegenüber dem Patienten werden sie vor der kommunikativen Herausforderung stehen, die Vorteile einer Füllung mit einem höherwertigen Komposit-Material, dass über eine Mehrkostenvereinbarung abgerechnet wird, verständlich zu erklären.
Ein Argument für eine Mehrkostenvereinbarung ist die Qualität der Füllung.
Was ändert sich in der Abrechnung von Füllungen im Seitenzahnbereich bei besonderen Patientengruppen?
Die BEMA Ziffern 13 e bis h für adhäsive Komposit-Füllungen im Seitenzahnbereich regelten die Basisversorgung für Kinder bis 15 Jahre, Schwangere, Stillende und Patienten mit einer Amalgamallergie oder einer Kontraindikation – und fallen nun komplett weg. Diese Patientengruppe wird auch zuzahlungsfrei mit selbstadhäsiven Materialien im Seitenzahnbereich versorgt. Für adhäsiv befestigte Kompositver-sorgungen muss dann eine Mehrkostenvereinbarung vereinbart werden. Für Kinderzahnärzte bedeutet diese neue Regelung, dass sie ein Bulkfill-Material nur im Falle einer Ausnahmeindikation im Seitenzahnbereich, also wenn ein selbst adhäsives Material nicht indiziert ist, über den BEMA abrechnen können. Für alle anderen Fällen ist der Einsatz von adhäsiv befestigten Kompositen nur über eine Mehrkostenvereinbarung mit den Eltern der jungen Patienten möglich.
Hier eröffnet sich die Problematik einer Zwei-Klassen-Zahnmedizin, weil Kinder, deren Eltern keine Zuzahlung stemmen können, nicht mehr mit einem langlebigeren adhäsiven Komposit versorgt werden. Diesen Fakt können Kinderzahnärzte jedoch auch dazu nutzen, die Individualprophylaxe für die weitere Kariesprävention zu kommunizieren. Stichwort Bulk-Fill-Materialien:
In Ausnahmefällen können diese ohne Zuzahlung abgerechnet werden.
Wie muss das begründet werden?
Das lndikationsspektrum für Glasionomerzemente deckt ein-, zwei- und zur Not vielleicht auch noch eine dreiflächige Füllung ab. Doch für mehrflächige Füllungen ist das Material nicht geeignet. In solchen Ausnahmefällen können Bulk-Fill-Composits ins Spiel kommen – das ist für die Abrechnung jedoch genau zu dokumentieren.

Ist damit zu rechnen, dass sich zukünftig mehr Patienten für eine Basisversorgung entscheiden?
Weil die Patienten seit vielen Jahren wissen, dass eine hochwertigere Füllung mit Mehrkosten verbunden ist, wird das allgemein für unwahrscheinlich gehalten.
Ob sich Patienten für eine adhäsiv befestigte Restauration im Seitenzahnbereich oder für Restaurationen in Mehrschicht- und Mehrfarbentechnik entscheiden, hängt allein davon ab, wie gut die Zahnärzte mit ihnen kommunizieren.
Müssen sich Zahnärzte und Mitarbeitende ab Januar auf mehr Aufklärungs- und Kommunikationsarbeit einstellen? Wie bereitet man sich am besten vor?
Zunächst sollte sich jedes Praxisteam jetzt mit dem Thema Amalgam Verbot und den neuen Abrechnungspositionen auseinandersetzen. Es ist schade, dass der BEMA nun in einer Art Schnellschuss geändert wird, aber für die Zahnärzte noch unklar ist, welche Materialien in welche Anwendungskategorien fallen. Daher stehen die Zahnärzte jetzt davor, die Produkte, die sie täglich einsetzen, im Hinblick auf die neue Regelung einzuordnen. Außerdem ist es wichtig, dass alle Zahnärzte und Mitarbeitenden einer Praxis in der Kommunikation rund um dieses Thema eine einheitliche Tonspur gegenüber ihren Patienten fahren. Das heißt: eine einheitliche Argumentation, wie die Patienten über die unterschiedlichen Materialeigenschaften der Füllungsmaterialien informiert werden. Und letztlich gilt es, im Einzelfall darüber aufzuklären, ob die Indikation des Patienten mit einem Basis-Material sicher versorgt werden kann oder ob es eine ,,bessere“ Materialalternative – wenn auch mit Zuzahlung – gibt. Das alles sollte jetzt in Team-Meetings besprochen werden, damit im Januar möglichst keine Fragen mehr offen sind.