Anti-Aging zum Anbeißen
Wer will es nicht: Gesund altern. Komplexe Kohlenhydrate spielen dabei eine Schlüsselrolle. Warum es nicht nur auf die Menge, sondern vor allem auf die Art der Kohlenhydrate ankommt, lesen Sie hier.
Dass man durch den regelmäßigen Verzehr von komplexen Kohlenhydraten lang, gesund und vital leben kann, konnte ein amerikanisches Team von Wissenschaftlern zeigen. Dabei wurde der präventive Effekt von Kohlenhydraten nachgewiesen: Frauen, die in ihren mittleren Lebensjahren auf ballaststoffreiche Pflanzenkost setzen, waren drei Jahrzehnte später tendenziell gesünder und fitter.
Die prospektive Kohortenstudie wurde am 16. Mai im renommierten Fachjournal JAMA Network Open veröffentlicht und stützt sich auf Daten der Nurses’ Health Study (NHS), eine der größten und längsten Gesundheitsstudien weltweit. Über 47.500 amerikanische Krankenschwestern, die in den 1980er-Jahren zwischen 42 und 55 Jahre alt waren, nahmen daran teil.
Drei Jahrzehnte später wurde ihre Gesundheit erneut beurteilt. Dabei zeigte sich, dass es nicht nur darauf ankommt, wie viele Kohlenhydrate man verzehrt, sondern vor allem welche. Hochwertige Kohlenhydrate fördern nicht nur das gesunde Altern, sondern helfen auch, chronische Krankheiten zu vermeiden sowie die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit im Alter zu erhalten.
Kraftstoff für den Alltag
Kohlenhydrate sind unsere Haupt-Nahrungsquelle. Sie liefern rund die Hälfte unserer gesamten Kalorienzufuhr und landen in verschiedenen Formen auf unseren Tellern. Während isolierte und angereicherte Kohlenhydrate wie Haushaltszucker und Auszugsmehl in Form von stark verarbeiteten Fertigprodukten – darunter süße Brotaufstriche, Müsliriegel, Cornflakes, Toastbrot, Gebäck, Pasta, Chips und Softdrinks – mit gesundheitlichen Risiken verbunden sind, können komplexe naturbelassene Kohlenhydrate wie Obst, Gemüse, Pilze, Hülsenfrüchte, Nüsse, Saaten und Vollkornprodukte einen positiven Einfluss auf unsere Gesundheit ausüben.
In den USA stammen etwa 42 % der täglichen Kalorienzufuhr aus raffinierten Kohlenhydraten und nur rund 8 % entfallen auf hochwertige Quellen. In Deutschland liegt der durchschnittliche Anteil sämtlicher Kohlenhydrate an der täglichen Energiezufuhr bei Männern bei etwa 45 % und bei Frauen bei rund 49 %. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt, dass Kohlenhydrate 45–60 % der täglichen Energiezufuhr ausmachen sollten.
Anspruchsvolles Studienziel
Über die unmittelbaren Auswirkungen von Nahrungs-Kohlenhydraten auf den Blutzuckerspiegel, die Insulinausschüttung und das Körpergewicht gibt es zahlreiche Untersuchungen. Wenig bis gar nichts ist jedoch darüber bekannt, was der langjährige Verzehr von Kohlenhydraten über einen Zeitraum von mehreren Dekaden für die Gesundheit im fortgeschrittenen Alter bedeutet.
Im Fokus der Studie stand deshalb die Frage, welchen Einfluss Menge und Qualität von verschiedenen Kohlenhydraten in der mittleren Lebensphase auf den Alterungsprozess von Frauen haben. Der primäre Endpunkt, „gesundes Altern“, wurde definiert als das Fehlen schwerwiegender chronischer Krankheiten (Krebs, Typ-2-Diabetes, Herzinfarkt, koronare Herzkrankheit (Bypass-Operation, Koronar-Angioplastie), Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz, COPD, Parkinson, Multiple Sklerose, Amyotrophe Lateralsklerose), kognitiver und körperlicher Funktionseinschränkungen sowie psychischer Beeinträchtigungen am Ende des dreißigjährigen Beobachtungszeitraums.
Umfassendes Methodenarsenal
Aus den Ernährungsfragenbögen (Food Frequency Questionnaires) ermittelten die Forscher die Gesamt-Kohlenhydratmenge, die Menge der raffinierten und komplexen Kohlenhydrate sowie den Ballaststoffgehalt der verzehrten Lebensmittel und errechneten, wie viel davon aus Vollkorn, Obst und Gemüse, Hülsenfrüchten oder Weißmehl und Zucker stammten.
Die Kohlenhydrataufnahme wurde als Prozentsatz der gesamten Energieaufnahme ausgedrückt, der Ballaststoff-Verzehr wurde in kalorienkorrigierten Gramm pro Tag angegeben. Die Qualität der Kohlenhydrate wurde anhand des Alternative Healthy Eating Index (AHEI) beurteilt. Das Verhältnis der Gesamtkohlenhydratzufuhr zur Ballaststoffmenge wurde berechnet, indem die Aufnahme der Gesamtkohlenhydrate durch die Ballaststoffaufnahme dividiert wurde. Darüber hinaus wurde der glykämische Index bestimmt, also die Geschwindigkeit, mit der die Kohlenhydrate in Glukose umgewandelt werden und im Blutkreislauf erscheinen.
Mit Hilfe von multivariaten logistischen Regressionsmodellen wurden die Odds Ratios (ORs) und 95 %-Konfidenzintervalle (KI) für den Zusammenhang zwischen den einzelnen Kohlenhydrat-Arten und dem gesunden Altern berechnet. Dabei wurden relevante Einflussfaktoren wie Rauchen, Alkoholkonsum, körperliche Aktivität, Gesamtenergieaufnahme, Proteinzufuhr, Übergewicht (BMI), Anwendung postmenopausaler Hormone, Einnahme von Aspirin und Multivitaminpräparaten, Bluthochdruck, Hypercholesterinämie, ethnische Zugehörigkeit sowie Bildungs- und Familienstand berücksichtigt. Zahlreiche Sensitivitätsanalysen rundeten die statistische Auswertung ab.
Schwergewicht unter den Gesundheitsstudien
Die Nurses’ Health Study ist eine der größten und ältesten Gesundheitsstudien weltweit. Sie ging 1976 mit 121.700 weiblichen Pflegekräften im Alter von 30-55 Jahren an den Start. Demografische, anthropometrische, lebensstil-, gesundheits- und ernährungsbezogene Informationen der Teilnehmerinnen wurden alle zwei Jahre mittels umfangreicher Fragebögen erhoben.
Die Nachverfolgungsrate lag bei über 90 %. Von den 81.702 Teilnehmerinnen, die 1984 (Studienbeginn) ihre Fragebögen zurückgeschickt hatten, wurden diejenigen ausgeschlossen, die zu diesem Zeitpunkt bereits 60 Jahre oder älter waren, eine der elf chronischen Krankheiten hatten und bei denen unvollständige Ernährungsfragebögen (FFQ, AHEI) oder nicht plausible Angaben zur täglichen Kalorienzufuhr vorlagen (< 500 kcal oder > 3500 kcal).
Nur jede dreizehnte Frau altert gesund
Von den 47.513 untersuchten Studienteilnehmerinnen erfüllten 30 Jahre nach Studienbeginn (2014) nur 3.706 Frauen (7,8 %) alle Kriterien für gesundes Altern, d. h. sie hatten das 70. Lebensjahr erreicht, litten an keiner der elf häufigsten chronischen Krankheiten und hatten auch sonst keine gravierenden körperlichen oder kognitiven Funktionsstörungen bzw. psychische Einschränkungen.
Die untersuchten Frauen nahmen durchschnittlich rund 47 % (SD 7,1 %) ihrer täglichen Kalorien in Form von Kohlenhydraten auf. Davon entfielen 23,2 % (SD 6,1 %) auf raffinierte und 13,6 % (SD 5,6 %) auf hochwertige Kohlenhydrate. Zucker aus Milchprodukten, Fruchtsäften, Trockenfrüchten und Fertigprodukten trugen mit 10,2 % zur Energiezufuhr bei.
Ernährung in der Lebensmitte entscheidend
Die Ergebnisse zeigen, dass Frauen, die überwiegend hochwertige Kohlenhydrate konsumieren, eine um 6–37 % höhere Chance für ein gesundes Altern und eine gute psychische und körperliche Gesundheit haben. Im Gegensatz dazu führte der vermehrte Konsum von stärkehaltigem Gemüse und von raffinierten Kohlenhydraten zu einer um 10–13% geringeren Wahrscheinlichkeit für einen gesunden Alterungsprozess.
Konkret fanden die Forscher erhöhte Wahrscheinlichkeiten, gesund zu altern für folgende Kohlenhydrat-Arten:
- Gemüse, ohne Kartoffeln und Hülsenfrüchte [OR 1,37; 95 % KI 1,20–1,57]
- Komplexe Kohlenhydrate [OR 1,31; 95 % KI 1.22–1.41]
- Früchte, ohne Fruchtsäfte [OR 1,22; 95 % KI 1,15–1,28]
- Gesamtkohlenhydrate [OR 1,17; 95 % KI 1,10–1,25]
- Vollkorngetreide [OR 1,11; 95 % KI 1,01–1,21]
- Hülsenfrüchte [OR 1,06; 95 % KI 1,01-1,12]
Auch der Konsum von Ballaststoffen erhöhte laut Auswertung die Wahrscheinlichkeit gesund zu altern um 7–17 %:
- Gesamtballaststoffe [OR 1,17; 95 % KI 1,13–1,22]
- Ballaststoffe aus Obst [OR 1,14; 95 % KI 1,10–1,19]
- Ballaststoffe aus Gemüse [OR 1,11; 95 % KI 1,07–1,15]
- Ballaststoffe aus Getreide [OR 1,07; 95 % KI 1,03–1,11]
Die glykämische Last (GL), also das Produkt aus GI und Kohlenhydratmenge, war ebenfalls mit einer höheren Wahrscheinlichkeit, gesund zu altern, assoziiert. In Substitutionsanalysen erwies sich der isokalorische Austausch von raffinierten Kohlenhydraten, Gesamtfett, tierischem Protein und trans-Fettsäuren (TFA) durch hochwertige Kohlenhydrate als vorteilhaft.
Die Kehrseite der Kohlenhydrate
Anders sah es hingegen bei Frauen aus, die hauptsächlich auf raffinierte Kohlenhydrate setzten, also auf Weißbrot, zuckerhaltige Cerealien, stark verarbeitete Getreideprodukte, stärkehaltige Gemüsesorten (Kartoffeln, Mais) oder gesüßte Getränke. In diesen Gruppen verringerten sich die Chancen auf ein gesundes Altern um 13–10 %:
- Raffinierte Kohlenhydrate [OR 0,87; 95 % KI 0,80–0,95]
- Stärkehaltiges Gemüse [OR 0,90; 95 % KI 0,82–0,99]
Auch der glykämische Index (GI) spielte eine Rolle: Ein höherer GI war mit einer um 24 % geringeren Wahrscheinlichkeit für gesundes Altern assoziiert (OR 0,76; 95 % KI 0,67–0,87). Nicht zuletzt war auch ein ungünstiger Quotient aus Gesamtkohlenhydratzufuhr und Ballaststoffmenge mit einer um 29 % geringeren Wahrscheinlichkeit für gesundes Altern assoziiert (OR 0,71; 95 % KI 0,62–0,81).
Aussagekraft der Studienergebnisse
Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine Untersuchung, die höchsten methodischen Standards genügt und nach bester wissenschaftlicher Praxis durchgeführt wurde. Neben einer mehr als 30-jährigen Beobachtungsdauer und einer weitgehend lückenlosen Erfassung sämtlicher Daten besticht die Studie auch durch ihre hohe Teilnehmerzahl. Epidemiologische Studien dieser Art stellen derzeit die einzige Möglichkeit dar, langfristige Auswirkungen dauerhaft veränderter Ernährungsgewohnheiten aufzuspüren.
Ein wesentlicher Schwachpunkt der Studie ist der Tatsache geschuldet, dass die Studienpopulation überwiegend aus gut ausgebildeten weißen Frauen in Gesundheitsberufen besteht und damit eine Übertragung auf andere Bevölkerungsgruppen nicht möglich ist. Ferner kann nicht ausgeschlossen werden, dass verbliebene oder nicht gemessene Störfaktoren die Ergebnisse verzerren.
Einordnung der Resultate
Dennoch fügen sich die Ergebnisse dieser groß angelegten Beobachtungsstudie nahtlos in die aktuelle Evidenzlage einer gesunden pflanzenbasierten Ernährung ein. Sie sollten jedoch unter Berücksichtigung prinzipieller methodischer Einschränkungen interpretiert werden. So kann auch diese großangelegte Beobachtungsstudie keinen unumstößlichen kausalen Ursache-Wirkungs-Nachweis erbringen. Dazu hätte es eines randomisierten kontrollierten Studiendesigns (RCT) bedurft. Dennoch stärken die Studienbefunde die Empfehlungen vieler Ernährungs-Fachgesellschaften für eine pflanzenbasierte, vollwertige Kost und unterstreichen einmal mehr, welchen entscheidenden Einfluss die Qualität der Kohlenhydrate auf einen gesunden Alterungsprozess hat.
Evidenzbasierte Übereinstimmung
Darüber hinaus stehen die gewonnenen Erkenntnisse im Einklang mit den Resultaten zahlreicher Untersuchungen, die vermehrt Gemüse, Obst, Vollkornprodukte und Hülsenfrüchte auf dem Speiseplan mit einem geringeren Risiko für chronische Erkrankungen in Verbindung bringen. Umgekehrt gibt es eine Fülle von Studien, die den Verzehr raffinierter Kohlenhydrate in Form von Zucker und Weißmehl für die Entwicklung häufiger Zivilisationserkrankungen verantwortlich machen. So z. B. auch das natürliche Experiment, das auf der Zuckerrationierung in England nach dem zweiten Weltkrieg basiert. Die Studie zeigt eindrucksvoll, dass eine geringe Zuckermenge in der frühen Kindheit positive Auswirkungen auf die Gesundheit im Erwachsenenalter hat.
Gestützt werden die vorliegenden Ergebnisse auch durch den Nachweis einer linearen Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen den einzelnen Kohlenhydrat-Arten und dem primären Endpunkt. Außerdem liegt dem beobachteten Zusammenhang mit dem Kohlenhydrat-Insulin-Modell (KIM) auch ein plausibler Wirkungsmechanismus zugrunde. Das KIM besagt, dass die anhaltende Aufnahme großer Mengen raffinierter Kohlenhydrate zu einer dauerhaft hohen Insulinausschüttung führt, die ihrerseits die Entwicklung von Übergewicht fördert und dadurch zahlreiche Zivilisationserkrankungen wie z. B. Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Leiden und Krebs begünstigt.
Nicht zuletzt gehen die Studienautoren davon aus, dass die komplexen Kohlenhydrate und Ballaststoffe durch ihre positive Wirkung auf die Verdauung und das Mikrobiom, ihren hohen Gehalt an Vitaminen und sekundären Pflanzenstoffen sowie ihre sättigende Wirkung maßgeblich zu den beobachteten gesundheitlichen Effekten beitragen. Schon kleine Veränderungen auf dem Teller können also einen großen Unterschied für ein gesundes und aktives Altern machen – am besten fangen Sie heute noch damit an.
Quellen:
Reynolds et al.: Carbohydrate quality and human health: a series of systematic reviews and meta-analyses. Lancet, 2019. doi: 10.1016/S0140-6736(18)31809-9 Gracner et al.: Exposure to sugar rationing in the first 1000 days of life protected against chronic disease. Science, 2024. doi: 10.1126/science.adn5421 Hill: The Environment and Disease: Association or Causation? Proceedings Of The Royal Society Of Medicine,1965. 10.1177/003591576505800503 Hall: A review of the carbohydrate–insulin model of obesity. European Journal Of Clinical Nutrition, 2017. 10.1038/ejcn.2016.260 |