Rechtstipp Juni 2012 GOZ 2012 und PZR-Erstattung

Der Kostenträger verweigert die Erstattung der Professionellen Zahnreinigung – keine medizinische Notwendigkeit?

Das Gebührenverzeichnis der seit dem 01.01.2012 geltenden Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) enthält unter der Geb.-Nr. 1040 GOZ die professionelle Zahnreinigung. Bereits die Aufnahme in die GOZ macht deutlich, dass es sich nach dem ausdrücklich erklärten Willen des Verordnungsgebers um eine zahnmedizinisch notwendige Leistung im Sinne des § 1 Abs. 1 und 2 GOZ handelt.

Nicht nachvollziehbar ist insoweit die Haltung einiger Versicherungen, welche eine Erstattung mit der Begründung ablehnen, es handele sich hierbei um eine rein prophylaktische Maßnahme und nicht um eine versicherte Heilbehandlung.

Wie können Sie darauf reagieren?

Den nachfolgenden Mustertext können Sie bei Nichterstattung einer PZR für die Antwort an den Patienten verwenden.

 

Sehr geehrte(r) Frau/Herr (Name des Patienten),

mit der Novellierung der Gebührenordnung für Zahnärzte ist unter der Gebührenposition 1040 die “Professionelle Zahnreinigung” in das Leistungsverzeichnis der GOZ aufgenommen worden. Demzufolge ist ohne Zweifel klargestellt, dass es sich nach Ansicht des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) bei dieser Maßnahme um eine Leistung handelt, die in der Regel als zahnmedizinisch notwendig anzusehen ist. Dessen ungeachtet teilt Ihnen die private Krankenversicherung mit, die professionelle Zahnreinigung hätte nur einen prophylaktischen Charakter und sei gemäß MB/KK § 1 Abs. 2 von einer Erstattung ausgeschlossen.

Grundsätzlich beschreibt die Gebührenordnung (GOZ) in ihrem Leistungskatalog nur medizinisch notwendige Leistungen. Dies ergibt sich bereits aus § 1 Abs. 1 und 2 der GOZ, wo festgelegt wird, dass der Leistungskatalog der GOZ die beruflichen Leistungen des Zahnarztes, die medizinisch notwendig sind, beschreibt.

Soweit medizinisch nicht notwendige Leistungen erbracht werden, ist dafür zwingend eine gesonderte Vereinbarung zwischen Zahnarzt und Patient (§ 2 Abs. 3 GOZ) notwendig. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass bei Vorliegen einer Liquidation ohne Kennzeichnung von Wunschbehandlungen gemäß GOZ vom Zahnarzt bereits bestätigt worden ist, dass es sich um notwendige Behandlungsmaßnahmen handelt.

Die Professionelle Zahnreinigung ist ebenso medizinisch notwendig wie z.B. eine Zahnsteinentfernung, Fluoridierung, Mundhygieneunterweisungen, Bakterientests etc., die ebenfalls als individualprophylaktische Maßnahmen eingesetzt werden, deren jeweilige Erstattungsfähigkeit aber in der Regel von einer Versicherung nicht angezweifelt wird.

Es ist mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass die professionelle Zahnreinigung die einfachste nichtchirurgische Parodontaltherapie darstellt, um kostenintensivere Behandlungen zu vermeiden. Laut einer Untersuchung der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DGP) leiden 45 bis 60 Prozent der deutschen erwachsenen Bevölkerung an einer mehr oder weniger ausgeprägten Parodontitis marginalis. Nach den Erkenntnissen der DGP konnte festgestellt werden, dass bis zu 80 Prozent dieser entzündlichen Veränderungen am Zahnfleisch durch professionelle Zahnreinigungsmaßnahmen beseitigt oder gar vermieden werden könnten. Auch Ergebnisse einer Studie in Taiwan bestätigen, dass chronische Entzündungen im Zahnbereich ein erhöhtes Risiko für Herz- und Gefäßkrankheiten bedeuten. Insoweit ist der therapeutische Stellenwert dieser Maßnahmen wissenschaftlich gesichert. Auch einige Gerichte, z.B. das Amtsgericht Jever vom 15.04.1999 (Az. 5 C 347/98) und das Amtsgericht Hamburg vom 29.06.2000 (Az. 20b C 2091/96) haben die medizinische Notwendigkeit einer professionellen Zahnreinigung im Sinne von § 1 (2) GOZ attestiert.

Abschließend möchten wir darauf hinweisen, dass lediglich spezielle versicherungsvertragliche Regelungen (z.B. ein Ausschluss von prophylaktischen Leistungen) einer Erstattung entgegenstehen können. Soweit ein normaler Tarif in der privaten Krankenversicherung ohne spezielle Einschränkungen abgeschlossen wurde, ist die Ablehnung der Erstattung einer medizinisch notwendigen professionellen Zahnreinigung nicht rechtskonform.

Mit freundlichen Grüßen

 

Diesen Text und viele weitere Informationen zur Auseinandersetzung mit Kostenerstattern finden auf www.juradent.de.

Stand: 01.06.2012

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Rechtstipp Mai 2012 Beihilfe abgelehnt: Zahnarzt steht offener Rechnungsbetrag zu

Beihilfe abgelehnt: Zahnarzt steht offener Rechnungsbetrag zu

Zahnärzte können unter Umständen Rechnungen, die aus gutem Grund erhöht sind, vom Patienten einklagen Die Erstattung scheinbar überhöhter Zahnarztrechnungen kann nicht von den Beihilfestellen ohne sorgfältige Prüfung begrenzt werden.

Wird dieses trotzdem durchgeführt, kann der Zahnarzt seine ausstehenden Kosten vom Patienten einklagen und Schadensersatz für die entstandenen Verfahrensgebühren von der Beihilfestelle verlangen.

Der im niedersächsischen Schuldienst tätige Kläger verlangte von der Beihilfestelle die Kosten der Zahnbehandlung seines Sohnes in voller Höhe anzuerkennen. Das Problem: Der behandelnde Zahnarzt hatte in seiner Rechnung mehrfach einen 3,5-fachen Gebührensatz zu Grunde gelegt. Die Beihilfestelle hielt aber nur den 2,3-fachen Satz für gerechtfertigt und verweigerte die Erstattung des darüber hinausgehenden Betrags. Gegen diese Kürzung legte der Kläger Widerspruch ein und fügte dazu die Stellungnahme des behandelnden Zahnarztes bei, in der dieser die Überschreitung des 2,3-fachen Gebührensatzes begründete.

Der Widerspruch wurde jedoch zurückgewiesen. Daraufhin erhob der Kläger vor dem Verwaltungsgericht Zahlungsklage gegen das Land Niedersachsen (als Beihilfeträger). Da der Kläger bisher nur den reduzierten Rechnungsbetrag bezahlt hatte, reichte wiederum der Zahnarzt vor dem Amtsgericht Hannover Zahlungsklage gegen den Sohn des Klägers über den noch offenen Restbetrag ein. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren wurde zunächst ausgesetzt. Der Zahnarzt gewann den Prozess vor dem Amtsgericht, da ein Sachverständigengutachten zu dem Ergebnis kam, dass der 3,5-fache Gebührensatz zu Recht abgerechnet wurde. Der Sohn des Klägers wurde folglich dazu verurteilt, den noch offenen Rechnungsbetrag sowie die außergerichtlichen Kosten des Zahnarztes zu erstatten und die Gerichtskosten zu tragen. Im danach wieder aufgenommenen Verwaltungsgerichtsverfahrens wurde der Widerspruchsbescheid des Landes Niedersachsen, in dem die Erstattung der vollen Zahnarztkosten verweigert wurde, im Hinblick auf das rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts Hannover für rechtswidrig erklärt und aufgehoben. Die Beihilfestelle erstattete dann dem Kläger die restlichen Zahnarztkosten.

Blieben noch die Kosten, die dem Kläger im Zivilprozess mit dem Zahnarzt entstanden waren. Dafür begehrte er nun Schadensersatz von der Beihilfestelle. Der Bundesgerichtshof (BGH) bejahte diesen Schadensersatzanspruch mit der Begründung, die Beihilfestelle habe ihre Amtspflicht verletzt, weil sie die Erstattung des erhöhten Gebührensatzes ohne nähere Prüfung verweigert hatte. Stattdessen hätte sie zunächst ein zahnärztliches Gutachten oder eine Stellungnahme der Zahnärztekammer zur Höhe der Rechnung einholen müssen. So hätte sich der Prozess vor dem Amtsgericht vermeiden lassen, und dem Kläger wären keine weiteren Kosten entstanden.

Fazit Zwar sind zwei unterschiedliche Rechtsverhältnisse betroffen, nämlich zum einen der Dienstvertrag zwischen Zahnarzt und Patient, zum anderen das Rechtsverhältnis zwischen Patient (Beihilfeempfänger) und dem Land (Dienstherr und Beihilfeverpflichteter). Doch ist die Frage nach der Zahlungspflicht des Patienten und der Erstattungspflicht der Beihilfestelle zum maßgeblichen Zeitpunkt nach denselben Grundsätzen zu beurteilen (vgl. § 5 BhV, Beihilfevorschriften des Bundes). In ähnlichen Fällen ist betroffenen Patienten zu empfehlen, ihre Beihilfestelle auf das BGH-Urteil (Aktenzeichen: III ZR 231/10) hinzuweisen.

 

 

Rechtstipp April 2012 Gericht untersagt Zahnreinigung und Bleaching durch Dentalstudio

Genuin zahnärztliche Behandlungsleistungen – Aktuelles Urteil des OLG Frankfurt am Main –

Eine Zahnmedizinische Fachassistentin (ZMF) darf nicht selbstständig in einem „Zahnkosmetikstudio“ Zahnreinigungen und Bleaching durchführen. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat durch Urteil vom 1. März 2012 (Az.: 6 U 264/10) einer Zahnmedizinischen Fachassistentin (ZMF) die Durchführung von Zahnreinigungen mittels Wasser-Pulverstrahlgerät (AirFlow-Verfahren) sowie das Bleichen von Zähnen in einem von ihr geführten „Zahnkosmetikstudio“ untersagt, soweit dort nicht lediglich Bleachingprodukte verwendet werden, deren Wasserstoffperoxidgehalt 6 Prozent nicht übersteigt.

In der vorausgegangenen Gerichtsverhandlung habe der Vorsitzende Richter ausgeführt, dass die Durchführung von Zahnreinigungen sowie das Bleichen von Zähnen eine zahnärztliche Behandlungsleistung im Sinne des Paragrafen 1 Absatz 3 des Gesetzes zur Ausübung der Zahnheilkunde (ZHG) darstellen. Damit bestätigt das Gericht die Auffassung der Landeszahnärztekammer Hessen, die bereits im Jahr 2010 gegen die Betreiberin des betreffenden Frankfurter „Zahnkosmetikstudios“ geklagt hatte. Diese Klage war aber in erster Instanz durch das Landgericht Frankfurt abgewiesen worden.

Die Landeszahnärztekammer Hessen begrüße, dass das OLG durch seine Entscheidung nunmehr die vom Gesetzgeber mit dem Approbationsvorbehalt des Paragrafen 1 ZHG bezweckten Gesundheitsschutz des Patienten gestärkt hat. „Auch beim Bleaching und der professionellen Zahnreinigung können Gesundheitsgefahren für den Patienten entstehen, die sich nur durch den approbierten Zahnarzt beherrschen lassen. Deshalb dürfen solche Leistungen zwar selbstverständlich durch qualifiziertes Fachpersonal erbracht werden, dies aber nur unter Delegation und Aufsicht des Zahnarztes“, so der Präsident der Landeszahnärztekammer Hessen, Dr. Michael Frank.

Die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) wurde nicht zugelassen, die nähere Urteilsbegründung wird in den kommenden Wochen erwartet.

 

 

 

Rechtstipp März 2012 Zahnarztwerbung über Fensterfront

Zahnarztwerbung über Fensterfront

Die Außendarstellungsmöglichkeiten von Ärzten, Apothekern und Zahnärzten sind immer weiter liberalisiert worden, wobei das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) über viele Jahre hinweg Impulsgeber war und ist. Regeln in Berufsordnungen wurden dabei bisweilen als zu einengend angesehen, da sie den Heilberufler insbesondere in seiner Berufsausübungsfreiheit tangieren. Das Verwaltungsgericht Berlin (VG) hat sich in seiner Entscheidung vom 12.01.2011 (90 K 5.10 T) mit der Frage befasst, ob ein etwa zehn Meter langer und etwa ein Meter hoher Plakat-Schriftzug über einer Fensterfront eines Praxisgebäudes „Zahnarztpraxis am B…” berufsrechtlich zulässig ist.

Der Fall:

Auf die Beschwerde von zwei Zahnärzten aus der näheren Umgebung der Praxis erließ die Zahnärztekammer Berlin im März 2010 einen Rügebescheid gegen den werbungsaffinen Zahnarzt und machte ihm zur Auflage 1.000,00 Euro zu zahlen. Zur Begründung wurde dabei u. a. ausgeführt, dass das Werbeplakat über der Praxisfront darauf abziele, die Aufmerksamkeit auch an der Praxis weit entfernt vorbei gehender Passanten bzw. vorbei fahrender Verkehrsteilnehmer in anpreisender und typisch kommerzieller Weise zu erheischen (Blickfangwerbung). Diese Werbemaßnahme nähere sich den Werbemethoden der gewerblichen Wirtschaft – insbesondere des Dienstleistungs- und Einzelhandelsgewerbes – an und leiste so dem Eindruck der Kommerzialisierung des Arztberufes und damit Zweifel an der beruflichen Integrität des Arztes Vorschub. Außerdem vermittle die Bezeichnung „Zahnarztpraxis am B…” den Eindruck, als handele es sich vorliegend um die einzige oder auch aufgrund der Größe des Banners auch um eine besonders hervorgehobene Zahnarztpraxis an diesem Standort.

Die Entscheidung:

Das VG Berlin sprach den Zahnarzt von dem ihn vorgeworfenen Berufsvergehen frei. Durch die beanstandete Werbung habe dieser seine Berufspflichten nicht verletzt.

Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG schütze die Freiheit der Berufsausübung. Zu dieser gehöre nicht nur die berufliche Praxis selbst, sondern auch jede Tätigkeit, die mit der Berufsausübung zusammenhänge und dieser diene. Sie schließe die Außendarstellung von selbstständig Berufstätigen ein soweit sie auf die Förderung des beruflichen Erfolges gerichtet sei.

Unübliche Größe reklamehaft?

Der Werbefreiheit der Ärzte und Zahnärzte würde nur durch Gemeinwohlbelange Grenzen gesetzt. Das Werbeverbot diene dem Schutz der Bevölkerung, wobei das Vertrauen des Patienten darauf erhalten werden solle, dass der Arzt nicht aus Gewinnstreben besondere Untersuchungen vornimmt oder Behandlungen vorsieht. Für interessengerechte und sachangemessene Informationen, die keinen Irrtum erregen würden, müsse im rechtlichen und geschäftlichen Verkehr Raum bleiben. Vor dem Hintergrund der gegenüber früheren Vorstellungen durch das BVerfG deutlich erweiterten Grenzen der Zulässigkeit werbenden Verhaltens niedergelassener Ärzte, liege im vorliegenden Fall keine berufswidrige Werbung vor. Die Außendarstellung von Ärzten sei nicht (mehr) von allen Elementen der Anpreisung und Reklame freizuhalten. Sachliche Informationen über die berufliche Betätigung seien unabhängig von der Wahl der Werbemethode zulässig. Es habe sich zwar um eine unübliche Größe der Ankündigung einer Zahnarztpraxis gehandelt, wobei aber nicht festzustellen sei, dass in diesem Einzelfall durch die gewählte Form der Werbung Gemeinwohlbelange tatsächlich gefährdet worden seien. Aus der Wahl eines Werbeträgers unmittelbar auf eine Gefährdung der ärztlichen Gesundheitsversorgung oder mittelbar auf einen Schwund des Vertrauens der Öffentlichkeit in die berufliche Integrität der Ärzte zu schließen, sei schwerlich möglich, solange sich die Werbemittel im Rahmen des Üblichen bewegen würden. Die ortsfeste Werbung enthalte sachliche Aussagen über die Lage der Zahnarztpraxis. Die Größe der Werbung allein erwecke keinen Irrtum über die zu erwartende Qualität der zahnärztlichen Leistung.

Verstoß gegen Kollegialitätsgebot?

Es läge auch kein Verstoß gegen das Kollegialitätsgebot vor, da die gewählte Werbung sich nicht auf das Arzt-Patienten-Verhältnis auswirke. Das Kollegialitätsgebot diene dem allgemeinen Interesse an einer funktionierenden Gesundheitsfürsorge und solle im Interesse des Heilwesens ein kollegiales Klima schaffen. Die Pflicht zu rücksichts- und achtungsvollem Verhalten untereinander schütze dabei nicht die Kollegialität als solche, sondern nur die Kollegialität innerhalb der beruflichen Sphäre. Ein unkollegiales Verhalten sei folglich insoweit standesrechtlich von Bedeutung, da es das Ansehen der betroffenen Kollegen in den Augen der Patienten mindern könne.

RA Michael Lennartz

 

 

Rechtstipp Februar 2012 CMD-Kieferorthopädie-Behandlung auf Kasse?

CMD-Kieferorthopädie-Behandlung auf Kasse?

Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat sich in seinem Urteil vom 21.04.2011 (S 7 KR 152/10) mit der Frage befasst, ob eine Krankenkasse im Rahmen der Kostenerstattung die Kosten für eine kieferorthopädische Behandlung einer Craniomandibulären Dysfunktion (CMD) zu übernehmen hat.

Der Fall:

In dem konkreten Fall wurde bei einer Patientin nach einer ersten Befundung ein privater Heil- und Kostenplan für eine kieferorthopädische CMD-Behandlung erstellt. Die Patientin reichte den HKP über 4.758,17 Euro bei ihrer Krankenkasse ein und stellte einen Kostenübernahmeantrag. Aus dem Behandlungsplan gehe hervor, dass eine spezielle CMD-Kieferorthopädie auf der Basis der biofunktioniellen Orthodentie geplant sei. Die CMD-Kieferorthopädie wende eine in der üblichen Kieferorthopädie nicht vorhandene ursächliche, medizinisch strukturierte Diagnostik an, wobei die Methode eine „Neudefinition der Kieferorthopädie als komplexe Schmerztherapie und Therapie der Dysfunktion der Kopf-Schulterorgane” sei. Der GKV-Leistungskatalog sei auf die nach privatärztlichen Grundlagen abgerechnete CMD-Kieferorthopädie zu erweitern.

Nachdem der Antrag der Patientin auf eine Kostenübernahme abgelehnt wurde, erhob die Patientin Klage und trug vor, dass sie an massiven Hör- und Sehstörungen, Nacken- und Rückenverspannungen, Bewegungseinschränkungen, Konzentrationsschwächen und Kopfschmerzen leide. Die CMD beruhe auf einer Zahnfehlstellung, die durch eine nicht notwendige Zahnextraktion hervorgerufen worden sei. Es sei nicht gerechtfertigt, dass das Gesetz die Kostenübernahme für solche Fälle ausschließe. Nur die CMD-Kieferorthopädie setze an den Ursachen der Erkrankung an und sei für die Krankenkassen wirtschaftlicher. Ohne sie würde eine dauernde Minderung der Erwerbstätigkeit eintreten.

Die Entscheidung:

Das SG Duisburg konnte der Argumentation der Patientin nicht folgen, wobei es keinen Anspruch der Patientin auf Erstattung der bereits angefallenen und Übernahme der zukünftigen Kosten für die CMD-Kieferorthopädie erkennen konnte.

Keine unaufschiebbare Leistung

Für den bereits abgeschlossenen Teil der CMD-kieferorthopädischen Behandlung komme als Anspruchsgrundlage nur § 13 Abs. 3 SGB V in Betracht, wonach eine Krankenkasse die Kosten zu erstatten habe, wenn sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder zu Unrecht abgelehnt hat und hierdurch einem Versicherten Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung entstanden seien. Eine unaufschiebbare Leistung habe bei Beginn der Behandlung nicht vorgelegen. Die Kostenerstattung scheitere bereits daran, dass sich die Patientin die Leistung besorgt habe, ohne die Krankenkasse einzuschalten und deren Entscheidung abzuwarten. Krankenkassen müsse zur Vermeidung von Missbräuchen vorab die Prüfung ermöglicht werden, ob die beanspruchte Behandlung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung bereitgestellt werden könne.

Keine Empfehlung G-BA

Die Kostenerstattung und auch eine weitere Kostenübernahme würden aber ohnehin ausscheiden, weil es sich um eine neuartige Therapie handele, die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) nicht empfohlen worden sei. Nach § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V dürften neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der G-BA eine Empfehlung abgegeben habe. Auch eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer lebensbedrohlichen oder tödlich verlaufenden Erkrankung liege nicht vor, wobei auch der Vortrag die CMD-Behandlung sei wirtschaftlicher und nur durch sie könne eine dauerhafte Besserung erreicht und eine verminderte Erwerbsfähigkeit verhindert werden, nicht berücksichtigungsfähig sei.

RA Michael Lennartz

 

 

Rechtstipp Januar 2012 Einsichtsrecht der Erben in Behandlungsunterlagen

Einsichtsrecht der Erben in Behandlungsunterlagen

Wiederholt haben sich Gerichte mit der Frage befassen müssen, ob Erben eines Patienten ein Recht auf Einsicht in die Behandlungsunterlagen des Verstorbenen zusteht. So hat bspw. der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 31.05.1983 entschieden, dass ein solches Einsichtsrecht besteht, wenn ein ausdrückliches oder vermutetes Einverständnis des Verstorbenen mit der Offenlegung gegeben ist. In seiner Entscheidung vom 26.05.2011 (Vf. 45-VI-10) hat sich der Bayerischer Verfassungsgerichtshof (VerfGH Bayern) mit der Frage befasst, ob ein Arzt die Herausgabe von Kopien von Behandlungsunterlagen gegenüber den Erben eines verstorbenen Patienten verweigern kann, wenn sich der Patient nach seinem Vortrag vor seinem Tod von seiner Familie distanziert hat.

Die Vorinstanzen:

Mit dieser Frage hatte sich zuvor auch das Landgericht (LG) München I und das Oberlandesgericht (OLG) München in seinem Urteil vom 09.10.2008 (1 U 2500/08) befasst. Nach Auffassung des OLG München, das das Urteil des LG München bestätigte, reichte es für das Einsichtsrecht der Erben des verstorbenen Patienten aus, dass sie sich auf mögliche Arzthaftungsansprüche stützten und solche Ansprüche nicht von vorneherein ausgeschlossen waren. Der Arzt könne sich nicht auf seine Schweigepflicht berufen. Er könne und müsse auch nahen Angehörigen die Kenntnisnahme von Krankenunterlagen verweigern, soweit er sich bei gewissenhafter Prüfung seiner gegenüber dem Verstorbenen fortwirkenden Verschwiegenheitspflicht an der Preisgabe gehindert sehe. Eine mutmaßliche Einwilligung des Patienten zur Einsichtnahme, die der Verfolgung möglicher Behandlungsfehler diene, sei jedoch in der Regel anzunehmen. Der Arzt müsse eine Verweigerung der Einsicht nachvollziehbar begründen, wobei das Vorbringen des Arztes zur Verweigerung der Herausgabe nicht ausreiche. Soweit er sich darauf berufe, der Verstorbene habe sich von seiner Familie distanziert und diese habe aus seinem Vermögen nichts erhalten sollen, sei diese behauptete Distanzierung nicht nach außen getreten.

Die Entscheidung:

Vor dem VerfGH Bayern konnte sich der Arzt mit seiner Verfassungsbeschwerde nicht durchsetzen. Nach Auffassung der Münchener Richter verstießen die angegriffenen Entscheidungen nicht gegen das Willkürverbot nach Art. 118 Abs. 1 Bayerische Verfassung. Die Gerichte seien von der Rechtsprechung des BGH ausgegangen, wonach den Erben eines Patienten ein Einsichtsrecht in die Behandlungsunterlagen zustehe, wenn ein ausdrückliches oder vermutetes Einverständnis des Verstorbenen mit der Offenlegung gegeben sei. Der vertragliche Anspruch des Patienten sei danach auch vermögensrechtlicher Natur und könne insoweit auf die Erben übergehen. Dies sei insbesondere der Fall, wenn die Erben prüfen wollen, ob Schadensersatzansprüche wegen ärztlicher Behandlungsfehler bestünden. Die ärztliche Schweigepflicht stehe einer Offenlegung der Behandlungsunterlagen nur dann entgegen, wenn eine ausdrückliche Einwilligung des Patienten fehle und der Arzt bei gewissenhafter Prüfung aller Umstände – zu denen auch das Anliegen der die Einsicht begehrenden Personen gehöre – zu dem Ergebnis komme, dass der Verstorbene die vollständige oder teilweise Offenlegung der Krankenunterlagen gegenüber seinen Hinterbliebenen missbilligt hätte.

RA Michael Lennartz

 

 

Rechtstipp Dezember 2011 Befunderhebungsfehler und Diagnoseirrtum

Befunderhebungsfehler und Diagnoseirrtum

Anhand eines tragischen Falles aus der Humanmedizin hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Unterschiede zwischen einem Befunderhebungsfehler und einem Diagnoseirrtum sowie die unterschiedlichen rechtlichen Folgen dargelegt (Az.: VI ZR 284/ 09). Diese Materie ist nicht ganz einfach, hat aber – wie im entschiedenen Fall – weitreichende Folgen für den (Zahn-)Arzt.

Im konkreten Fall sollte eine Frau am Meniskus operiert werden. Zur Vorbereitung fertigte ein Anästhesist ein Röntgenbild des Brustkorbs an. Die Meniskus-Operation war erfolgreich, und es gab keine Komplikationen. Allerdings wurde ein Jahr später festgestellt, dass die Patientin im rechten Lungenflügel ein Adenokarzinom hat. Daraufhin wurde das wegen der Meniskusoperation angefertigte Röntgenbild noch einmal angeschaut. Nun stellte sich heraus, dass dort schon ein zwei Zentimeter großer Rundherd zu sehen war. Auf eine entsprechende Klage hin verurteilte das Berufungsgericht die Beklagten, weil der Anästhesist eine weitere Abklärung hätte veranlassen müssen. Diese hätte ergeben, dass ein Tumor vorliege. Dieser wäre dann rechtzeitig operiert worden. Der BGH folgte dieser Ansicht nicht und hob das Urteil auf. Die von dem Berufungsgericht vorgetragene Argumentation gelte bei einem Befunderhebungsfehler, nicht jedoch bei einem Diagnoseirrtum, wie er hier vorliege. Wird eine notwendige Befundung unterlassen, führt dies zu beweisrechtlichen Konsequenzen, genauer: Wenn der Befund mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ergeben hätte, dass die Unterlassung einer Behandlung ein grober Behandlungsfehler ist, kehrt sich die Beweislast um. Dann muss der Arzt beweisen, dass der gerügte Schaden auch eingetreten wäre, wenn die Behandlung vorgenommen worden wäre. Das ist meistens unmöglich, sodass unterlassene Befundungen ein Einfallstor für erfolgreiche Arzthaftungsklagen sind. Dies ist bei Diagnoseirrtümern anders: Wenn der Befund korrekt erhoben und nur falsch bewertet wurde, kommt es nicht zu einer solchen Umkehrung der Beweislast. Deshalb sollten Zahnärzte immer jede gebotene Befundung (zum Beispiel Röntgen, CMD-Befund) vornehmen und diese sorgfältig dokumentieren. Sollte es zu einem Arzthaftungsprozess kommen, sollte – sofern möglich – darauf abgestellt werden, dass nicht ein Befundungsfehler sondern ein Diagnoseirrtum vorliegt.

RA Dr. Wieland Schinnenburg, Zahnarzt und Rechtsanwalt, Hamburg

 

 

Rechtstipp November 2011 Sind niedergelassene Vertragsärzte „Amtsträger“ oder „Beauftragte“ der KKen

Sind niedergelassene Vertrags(zahn)ärzte „Amtsträger“ oder „Beauftragte“ der Kassen?

Die niedergelassenen Vertrags(zahn)ärzte und das sogenannte Pharmamarketing beschäftigen die Strafrechtler in Deutschland. Aktuell befasst sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Frage, ob Vertrags(zahn)ärzte bestechlich sind, wenn sie im weit verbreiteten Bereich des sogenannten Pharmamarketings Leistungen beziehen. 

Die Beantwortung dieser Frage hat erhebliche Bedeutung für Strafverfolgungsorgane und Vertrags(zahn)ärzte im gesamten Bundesgebiet. Denn sollte der Bundesgerichtshof Vertrags(zahn)ärzte als taugliche Personen im Bereich der Korruptionsdelikte ansehen, käme der gesamte Bereich des Pharmamarketings auf den strafrechtlichen Prüfstand. Es wäre wahrscheinlich mit der Einleitung einer Vielzahl von Ermittlungsverfahren zu rechnen. Das Gesetz sieht für Korruptionsdelikte in ihrer einfachsten Form Strafrahmen von der Geldstrafe bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe vor. Im Kern geht es um die Frage, ob Vertrags(zahn)ärzte im System der Gesetzlichen Krankenkassen als „Amtsträger“ oder als „Beauftragte“ der Krankenkassen im strafrechtlichen Sinn anzusehen und durch diese Einordnung taugliche Täter von Korruptionsdelikten sein können. Bislang wurden niedergelassene Vertrags(zahn)ärzte von der Rechtsprechung keinem dieser Begrifflichkeiten untergeordnet. Der 3. Strafsenat des BGH hat das Problem nun – ob ihrer Tragweite – mit der Entscheidung vom 5. Mai 2011 dem Großen Senat für Strafsachen zur Entscheidung vorgelegt. Daher wird der Große Senat für Strafsachen bald entscheidende Weichen für den Umgang mit Pharmamarketingmaßnahmen auf Seiten der Vertrags(zahn)ärzte stellen. Welcher Fall aber gab dem Bundesgerichtshof Anlass, über diese weitreichende Fragestellung nachzudenken? Nach der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs hatte die Staatsanwaltschaft gegen die Verantwortlichen eines Medizinprodukteherstellers ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bestechung beziehungsweise der Bestechung im geschäftlichen Verkehr geführt. Niedergelassene Vertragsärzte sollten bestochen worden sein. Nach der Einstellung dieses Ermittlungsverfahrens hatte sie in einem selbstständigen Verfallsverfahren beantragt, gegen das Unternehmen Wertersatz in Höhe von 350.225 Euro für verfallen zu erklären. Das Landgericht hatte diesen Antrag abgelehnt. Gegen diese Entscheidung ist die Staatsanwaltschaft in Revision gegangen, weshalb der 3. Strafsenat des BGH zur Entscheidung berufen war. Dabei war auch zu prüfen, ob niedergelassene Vertragsärzte überhaupt als bestechliche Person angesehen werden können. Denn das Gesetz sieht im Rahmen der Korruptionsdelikte nur bestimmte Personen (zum Beispiel Angestellte oder Beauftragte eines geschäftlichen Betriebes, Amtsträger) als taugliche Täter an. Auf den ersten Blick scheint der Vertrags(zahn)arzt als Täter auszuscheiden, da er freiberuflich und selbstständig tätig ist. Allerdings lässt seine Eingebundenheit in das kassenärztliche Versorgungssystem auch eine Argumentation dahingehend zu, dass er als verordnender Arzt Beauftragter der Krankenkasse oder gar „Amtsträger“ sein könnte; so behaupten es jedenfalls einige Autoren strafrechtlicher Kommentare und Aufsätze. Es verwundert kaum, dass diese Einschätzung heftigen Widerstand erfährt und die strafrechtliche Einstufung von niedergelassenen Vertrags(zahn)ärzten heftig umstritten ist. Nur vereinzelt gehen Staatsanwaltschaften momentan aufgrund eines korruptionsrechtlichen Anfangsverdachts bei dieser Berufsgruppe gegen das System des Pharmamarketings vor. Virulent wird das Problem in erster Linie dann, wenn Hersteller medizinischer Produkte oder sonstige Drittanbieter sowie Krankenhausträger Zuwendungen an Vertragsärzte erbringen, wie Bonuszahlungen oder gar finanzielle Vergütungen, um das Ziel zu erreichen, bei dem Bezug von Medikamenten, Heil- und Hilfsmitteln sowie bei der Einweisung von Patienten wettbewerbswidrig gegenüber anderen Wettbewerbern am Markt bevorzugt zu werden. Allerdings hängt die Strafbarkeit dabei nicht alleine von der bloßen Bewertung von Vertragsärzten, sei es als Amtsträger oder Beauftragter einer Krankenkasse ab. Dies wird in der Praxis häufig verkannt und demzufolge werden häufig zu Unrecht strafrechtliche Vorwürfe erhoben. In jedem Einzelfall ist zu prüfen, von wem der Vertragsarzt Leistungen bezogen hat und wem gegenüber er diese Leistungen wie abrechnet. Auch gibt es Fallkonstellationen, in denen eine Strafbarkeit zusätzlich von der Frage abhängt, ob und inwieweit verordnete Leistungen medizinisch indiziert waren oder nicht (so zum Beispiel bei dem Tatbestand der Untreue nach Paragraf 266 Strafgesetzbuch – StGB). Bislang ist die besondere Stellung der niedergelassenen Vertragsärzte vom Bundesgerichtshof nicht bewertet worden. Mit Spannung wird nun die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen erwartet.

RA Dr. Jens Bosbach, München

 

 

Rechtstipp Oktober 2011 Fatales Nebengeschäft eines angestellten Arztes

Arbeitsgericht Hagen: Fatales „Nebengeschäft“ eines angestellten Arztes

Auch auf den ersten Blick betragsmäßig geringfügige „Nebengeschäfte” eines angestellten Arztes können arbeitsrechtlich zu ganz gravierenden Folgen führen, wie ein Urteil des Arbeitsgerichtes (ArbG) Hagen vom 18.01.2011 (5 Ca 1324/10) zeigt.

Der Fall:

Im konkreten Fall arbeitete ein Arzt nach dem erfolgten Verkauf seiner Praxis bei den Praxiskäufern als angestellter Arzt weiter. Im Rahmen des vereinbarten Arbeitsvertrages wurde u. a. die Verpflichtung des angestellten Arztes festgeschrieben, den ärztlichen und organisatorischen Weisungen der Praxisinhaber nachzukommen, wobei auch vereinbart wurde, dass jede Nebentätigkeit des angestellten Arztes – mit Ausnahme von Vortrags- und Seminartätigkeiten sowie Autorentätigkeit für Fachartikel – einer vorherigen schriftlichen Genehmigung der Praxisinhaber bedurfte. Im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses untersuchte der angestellte Arzt am 19.04.2010 einen Privatpatienten und erstellte ein ärztliches Kurzgutachten über dessen Hörfähigkeit zur Vorlage beim Straßenverkehrsamt. Hierbei stellte er ein ärztliches Attest mit dem Stempel der nicht mehr bestehenden früheren Praxis aus und ließ sich einen Betrag von 17,43 Euro für das erstellte Gutachten von der Arzthelferin der Praxis auskehren, die das Geld von dem Privatpatienten vereinnahmt hatte. Am 20.03.2010 erstellte der angestellte Arzt darüber hinaus ein Kurzgutachten für den Tauchsport, wobei er bei einer Arzthelferin auch das hierfür vereinnahmte Honorar in Höhe von 25,00 Euro einforderte, was ihm aber mit dem Hinweis, dass das Geld verbucht werden müsse, verwehrt wurde. Nachdem den Praxisinhabern diese Vorgänge bekannt wurden, wurde dem angestellten Arzt am 09.06.2010 fristlos gekündigt.

Die Entscheidung:

Das ArbG Hagen bestätige die fristlose Kündigung. Von einem Arbeitnehmer zu Lasten des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte seien regelmäßig geeignet, eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund zu rechtfertigen, und zwar auch dann, wenn die rechtswidrige Verletzungshandlung nur Sachen von geringem Wert betreffe. Es könne dahinstehen, ob der angestellte Arzt eine vollendete und eine versuchte Unterschlagung an den Honorarbeträgen für die beiden Kurzgutachten im strafrechtlichen Sinne begangen habe, da dies aus arbeitsrechtlicher Sicht nicht entscheidend sei. Dem angestellten Arzt sei vielmehr eine erhebliche Verletzung der Treuepflicht vorzuwerfen, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertige. Bei den beiden Honorarbeträgen handele es sich um Patientengelder, die aus der Tätigkeit als angestellter Arzt resultierten. Der fristlosen Kündigung stünde auch nicht das Fehlen einer Abmahnung entgegen. Es spreche einiges dafür, dass bei vorsätzlichen Vermögenspflichtverletzungen das Erfordernis einer Abmahnung entfalle, weil kein verständiger Arbeitnehmer damit rechnen könne, dass der Arbeitgeber ein derartiges Fehlverhalten ohne unmittelbaren Ausspruch einer Kündigung hinnehme. Darüber hinaus habe die Vorgehensweise des angestellten Arztes das erforderliche Vertrauen in seine Redlichkeit irreparabel zerstört.

RA Michael Lennartz

 

 

Rechtstipp September 2011 Hoher Schadensersatz wegen Zahnsubstanzverlust bei Veneers

OLG Hamm: Hoher Schadensersatz wegen Zahnsubstanzverlust bei Veneers

In seinem Urteil vom 30.05.2011 (I-3 U 205/10) hat sich Oberlandesgericht (OLG) Hamm u. a. mit der Frage befasst, ob ein Zahnarzt bei einer Versorgung von Frontzähnen mit Veneers zu viel Zahnsubstanz zerstört hat. Das Urteil ist von Interesse, da es interessante Ausführungen zu den Standards bei einer Veneer-Behandlung macht, wobei es eingehend auf die Aufklärungspflichten des Zahnarztes eingeht.

Der Fall:

In dem konkreten Fall ließ sich eine Patientin Veneers an den Oberkieferfrontzähnen einsetzen. Nach der durchgeführten Versorgung reklamierte die Patientin, dass vor Aufbringen der Veneers die Frontzähne behandlungsfehlerhaft zu weit abgeschliffen worden seien. Bei den dann aufgebrachten Keramikschalen habe es sich schon definitionsgemäß nicht mehr um Veneers, sondern um Teilkronen gehandelt. Es sei fehlerhaft gewesen, dass über die Tiefe des Zahnschmelzes hinaus bis in das Dentin präpariert worden sei, was für das Aufbringen von Veneers viel zu viel gewesen sei. Zulässig sei nur ein Abtrag von 0,3 bis 0,5 mm der Zahnhartsubstanz. Zudem machte die Patientin geltend, dass sie von Seiten des Zahnarztes nicht ordnungsgemäß über die Risiken der Behandlung mit Veneers aufgeklärt worden sei, und zwar insbesondere nicht über die Schädigung der Pulpa sowie eine dauerhafte teils hochgradige thermische Empfindlichkeit und Abszedierung. Zudem sei sie über den Verlauf der Behandlung, insbesondere die Abschleifmaßnahmen sowie über Behandlungsalternativen, nicht aufgeklärt worden. Gegenüber ihrem Zahnarzt machte die Patientin einen Schmerzensgeldanspruch in Höhe von mindestens 8.000,00 Euro geltend und forderte zudem noch Kosten in Höhe von 177,12 Euro für eine zahnärztliche Nachbehandlung und Einholung eines Privatgutachtens ein.

Die Entscheidung:

Auf die Berufung der Patientin hin, änderte das OLG Hamm das Urteil der Vorinstanz ab und verurteilte den Zahnarzt an die Patientin Schmerzensgeld in Höhe von 8.177,12 Euro zzgl. Zinsen zu zahlen. Darüber hinaus wird in dem Urteil festgestellt, dass der Zahnarzt verpflichtet ist, einen weiteren immateriellen Schaden zu ersetzen, der der Patientin aus der Behandlung bzgl. der Präparation ihrer vier Schneidezähne zukünftig noch entsteht.. Interessant ist, wie das OLG Hamm zu dieser Entscheidung kommt.

Kein Behandlungsfehler festgestellt

Dem Zahnarzt wird selbst kein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen bescheinigt. Der Beweis habe nicht erbracht werden könne, dass der Zahnarzt in fehlerhafte Weise zu viel Zahnsubstanz an den Frontzähnen vor Anbringen der Veneers abgeschliffen habe. Ausweislich des Votums des Sachverständigen ließe sich aus der Tatsache, dass die Veneers die Größe von Teilkronen erreicht hätten, nicht auf einen Fehler schließen. Definitionsgemäß handele es sich bei keramischen Verblendungen im Frontzahnbereich um Veneers und bei derartigen Versorgungen im Backenzahnbereich um Teilkronen. Ein Veneer im Frontzahnbereich könne also bei entsprechender Ausdehnung einer Teilkrone im Seitenzahnbereich entsprechen. Auch nach erneuter Nachfrage bei dem Sachverständigen könne nicht festgestellt werden, dass der Zahnarzt vorliegend zu viel abgeschliffen habe bzw. zu dicke Veneers aufgebracht habe. Unter Berücksichtigung der klinischen und radiologischen Befunde könnten auch keine Feststellungen mehr dazu getroffen werden, in welchem Ausmaß tatsächlich Zahnschmelz abgeschliffen wurde. Zwar sei an Teilen der Zähne bis ans Dentin geschliffen worden, wobei diese Vorgehensweise aber an der Anatomie des Zahnes gelegen habe und nicht auf einen Behandlungsfehler rückschließe.

Aufklärungspflicht verletzt?

Das OLG Hamm bejaht aber gleichwohl eine Haftung des Zahnarztes für sämtliche Folgen der zahnärztlichen Behandlung im Zusammenhang mit dem Einsetzen der Veneers, da die Patientin nicht hinreichend über die Risiken, die mit einer solchen Behandlung verbunden sind, aufgeklärt worden sei. Die Patientin sei insbesondere nicht über das Risiko einer Pulpitis, in deren Folge auch eine Abszedierung auftreten könne, aufgeklärt worden. Über ein solches Risiko hätte der Zahnarzt allerdings nach den Kriterien, die der BGH für die Risikoaufklärung entwickelt habe, aufklären müssen. Insoweit sei nämlich auch über seltene Risiken aufzuklären, wo sie, wenn sie sich verwirklichen, die Lebensführung schwer belasten und trotz ihrer Seltenheit für den Eingriff spezifisch, für den Laien überraschend sind. Nach diesen Maßstäben entfalle eine Aufklärungsverpflichtung des Zahnarztes also nicht deshalb, da eine Aufklärung in der zahnärztlichen Praxis nicht üblich sei, weil es sich um ein seltenes Risiko handele. Der Sachverständige habe erklärt, dass mit jedem Beschleifen von Zähnen das typische und spezifische Risiko einer Pulpitis verbunden sei. Bei diesem Risiko handele es sich nicht um eine absolute Rarität, sodass es für die Entscheidung der Patientin zur Durchführung der Behandlung nicht ohne jede Bedeutung gewesen wäre. Dies gelte insbesondere deshalb, weil das Einsetzen der Veneers im Wesentlichen auch aus kosmetischen Gründen erfolge. Pulpitis ist Risiko Nach den Feststellungen des OLG Hamm entwickelte sich bei der Patientin nach der Versorgung mit Veneers eine Pulpitis, womit sich das aufklärungsbedürftige Risiko in diesem Fall verwirklicht hatte. Aufgrund der damit einhergehenden Beschwerden und Beeinträchtigungen stünde der Patientin ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von 8.000,00 Euro zu. Darüber hinaus sei auch der Feststellungsantrag der Patientin hinsichtlich weiterer zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vorhersehbarer immaterieller Schäden begründet, da solche Schäden bspw. der Verlust der Frontzähne durchaus noch möglich seien. In der Sache wurde die Revision zum BGH nicht zugelassen.

Bewertung:

Die Entscheidung des OLG Hamm zeigt einmal mehr, wie wichtig die Risikoaufklärung in der zahnärztlichen Praxis ist. Selbst wenn kein Behandlungsfehler vorliegt, kann eine nicht erfolgte Aufklärung über typische oder auch seltene Risiken zu einer Haftung des Zahnarztes führen, sofern sich das Risiko über das aufgeklärt werden musste, verwirklicht hat. Nach dieser Entscheidung ist jedenfalls dringend anzuraten, dass bei einer Versorgung mit Veneers auch über das Risiko einer Pulpitis aufgeklärt wird.

RA Michael Lennartz