Rechtstipp 07/2025 LSG Berlin-Brandenburg: Sechs Monate zur fristgerechten Eingliederung eines Zahnersatzes

Urteil vom 19.11.2024

Die Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg vom 19.11.2024 (Az.: L 1 KR 135/24) ist für alle gesetzlich versicherten Patienten von Bedeutung, die eine prothetische Versorgung planen. Das Gericht stellt klar: Ein genehmigter Heil- und Kostenplan (HKP) verliert seine Gültigkeit nach sechs Monaten. Danach besteht selbst dann kein Anspruch mehr auf Kostenbeteiligung der Krankenkasse, wenn sich am Zahnstatus nichts geändert hat.

Worum ging es im konkreten Fall?
Ein Patient reichte im Mai 2022 über seinen Zahnarzt einen HKP bei seiner gesetzlichen Krankenkasse ein. Die Kasse schaltete einen Gutachter ein, um die geplante Versorgung zu prüfen. Weil jedoch die Unterlagen des Zahnarztes verspätet beim Gutachter eingingen, verzögerte sich die Begutachtung. Erst Anfang Juli 2022 wurde der Patient untersucht – mit dem Ergebnis: Der vorgelegte HKP wurde abgelehnt. Es fehle an einer abgeschlossenen Vorbehandlung, und bestimmte Zahnschäden machten die geplante Versorgung aus medizinischer Sicht nicht indiziert.

Daraufhin lehnte die Krankenkasse mit Bescheid vom 7. Juli 2022 eine Kostenbeteiligung ab. Der Patient klagte – ohne Erfolg.

Warum hatte die Klage keinen Erfolg?
Das LSG bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz: Nach § 87 Abs. 1a SGB V und den entsprechenden Regelungen im Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) muss ein HKP innerhalb von sechs Monaten umgesetzt werden. Dem HKP ist immanent, dass er sich (nur) auf eine unmittelbar bevorstehende, nur durch das Genehmigungsverfahren hinausgeschobene vertragszahnärztliche Behandlung bezieht.

Diese Frist dient dazu, sicherzustellen, dass sich der Zustand der Zähne zwischen Planung und Behandlung nicht so verändert, dass der ursprüngliche Plan medizinisch nicht mehr passt. Der Anspruch auf die geplante Versorgung ist daher automatisch erloschen, wenn die Eingliederung des Zahnersatzes nicht innerhalb dieser Frist erfolgt – unabhängig davon, ob ein Behandlungsbeginn möglich war oder ob sich der Zahnbefund verändert hat.

Das LSG stellte klar: Selbst wenn die Krankenkasse zu lange mit ihrer Entscheidung gewartet hätte – was im konkreten Fall nicht der Fall war –, würde ein „fingierter“ Genehmigungsanspruch ebenfalls nur für sechs Monate gelten.

Was bedeutet das für Zahnarztpraxen und Patienten?
Für Zahnärzte ist es wichtig, Patienten rechtzeitig über die Bedeutung der Sechsmonatsfrist aufzuklären. Verzögerungen (auch unverschuldete), etwa bei der Einreichung von Unterlagen oder bei der Terminvereinbarung mit Gutachtern, können dazu führen, dass der Heil- und Kostenplan seine Gültigkeit verliert.

Patienten wiederum sollten nach Genehmigung des HKP oder auch während eines laufenden Begutachtungsverfahrens möglichst eng mit der Praxis und gegebenenfalls mit dem Gutachter kommunizieren, um Fristüberschreitungen zu vermeiden. Ist die Frist überschritten, muss ein neuer HKP erstellt und erneut genehmigt werden. Dies kann für den Patienten zeit- und kostenaufwändig werden.

Rechtstipp 6/2025 AG Reutlingen: Digitale Volumentomographie vor prothetischer/implantologischer Versorgung medizinisch notwendig und rechtlich abgesichert

Urteil vom 28.02.2020

Zahnärzte stehen regelmäßig vor der Frage, ob eine Digitale Volumentomographie (DVT) medizinisch notwendig und gegenüber dem Patienten sowie dem Kostenträger abrechnungsfähig ist. Das Amtsgericht (AG) Reutlingen hat mit Urteil vom 28.02.2020 (Az.: 5 C 409/19) bestätigt, dass vor einer prothetischen Versorgung sowie Implantation zur Abklärung von Zustand, Behandlungswürdigkeit, Erhaltungsfähigkeit und Situation der Zähne eine aussagekräftige Digitale Volumentomographie notwendig und sogar medizinisch geboten ist.

Sachverhalt:
Eine Patientin wurde zahnärztlich wegen zweier vorgeschädigter Zähne behandelt, bei denen zusätzlich eine Versorgung mit einem Implantat im Raum stand. Die hausärztlich vorgelegten 2D-Röntgenbilder reichten dem behandelnden Zahnarzt nicht aus, um eine fundierte Entscheidung über die Erhaltungswürdigkeit der Zähne zu treffen. Er veranlasste deshalb eine Digitale Volumentomographie (DVT) zur weiterführenden Diagnostik. Nach erfolgter Behandlung verweigerte die Patientin die Zahlung der Röntgenaufnahme und wendet ein, dass eine Leistungserstattung durch die private Krankenversicherung nicht erfolgt, weil die Aufnahme unnötigerweise erstellt worden sei.

Aus den Entscheidungsgründen:
Das Amtsgericht gab der Klägerin Recht: Die Patientin wurde zur Zahlung der restlichen Behandlungskosten in Höhe von 722,84 Euro verpflichtet. Im Zentrum der Entscheidung stand die medizinische Notwendigkeit der DVT.

Kernaussagen des Gerichts:

  • Die DVT war medizinisch notwendig und fachlich geboten, um Zustand, Erhaltungsfähigkeit und die Planung der weiteren Versorgung zu beurteilen.
  • Es handelt sich dabei um ein etabliertes und durch Leitlinien empfohlenes Verfahren, insbesondere laut der 2k-Leitlinie der AWMF zur dentalen DVT.
  • Die Behandlung war nicht ungewöhnlich teuer, gefährlich oder mit seltenen Methoden verbunden. Deshalb bestand keine besondere wirtschaftliche Aufklärungspflicht (§ 630c Abs. 3 BGB).
  • Der medizinische Sachverständige bestätigte, dass die 3D-Bildgebung gegenüber herkömmlichen 2D-Röntgenbildern signifikante diagnostische Vorteile bietet.
  • Der Vorwurf der „Gerätemedizin“ wurde ausdrücklich zurückgewiesen – vielmehr handele es sich um eine sinnvolle Weiterentwicklung der zahnärztlichen Diagnostik.

Dieses Urteil unterstreicht:

Zahnärzte dürfen und sollen moderne bildgebende Verfahren einsetzen, wenn herkömmliche Diagnostik nicht ausreicht.

Eine DVT kann insbesondere vor implantologischen oder komplex prothetischen Maßnahmen nicht nur sinnvoll, sondern aus haftungsrechtlicher Sicht geboten sein.

Die bloße Nichtverfügbarkeit eines DVT-Geräts in einer Praxis spricht nicht gegen die medizinische Notwendigkeit – das Gericht erkennt an, dass wirtschaftliche Aspekte die Geräteausstattung beeinflussen können.

Rechtstipp 5/2025: AG Bottrop bestätigt: GOZ-Nr. 2197 neben GOZ-Nr. 6100 abrechenbar

Urteil vom 13.01.2025

In Kenntnis des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil v. 05.03.2021 – Az.: 5 C 11.19) hat am 13.01.2025 das Amtsgericht (AG) Bottrop (Az.: 12 C 40/23) entschieden, dass die GOZ-Nr. 2197 neben den Gebühren nach Nr. 6100 der Anlage 1 der GOZ abrechenbar ist.

Die Beihilfe hatte dem Versicherten unter Verweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts mitgeteilt, dass die Gebühr nach GOZ-Nr. 2197 nicht neben der Gebühr nach GOZ-Nr. 6100 abrechenbar sei. Unter Berufung auf dieses Urteil forderte die Klägerin die Beklagten zur Rückforderung eines Betrages in Höhe von 386,86 EUR auf.

Aus den Entscheidungsgründen:

Gemäß § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO habe das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung als wahr oder nicht wahr zu erachten sei. Die hiernach erforderliche Überzeugung des erkennenden Gerichts erfordere keine absolute oder unumstößliche Gewissheit und auch keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, sondern vielmehr nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit, der vernünftigen Zweifel zwar nicht ausschließe, diesen jedoch Schweigen gebiete (BGH, Urteil vom 03.06.2008 – VI ZR 235/07).

Das Gericht verweist zunächst auf Urteile mit vergleichbaren Fallkonstellationen des Amtsgerichts WaiblingenUrteil vom 21.07.202 (Az.: 7 C 533/20), Landgerichts Stuttgart, Urteil vom 15.02.2023 (Az.: 4 S 153/22) und Landgerichts Hildesheim, Urteil vom 24.07.2014 (Az.: 1 S 15/14) und vertritt wie diese die Ansicht, dass im Streitfall die Gebühren nach GOZ-Nr. 2197 neben den Gebühren nach GOZ-Nr. 6100 abrechenbar sind.

Es stellt sodann fest, dass der Sachverständige in seinen schriftlichen Gutachten in nachvollziehbarer und überzeugender Weise zu der Beurteilung gelangt sei, dass die adhäsive Befestigung von Brackets im Rahmen der Eingliederung eines Klebebrackets zur Aufnahme orthodontischer Hilfsmittel nur eine der möglichen Behandlungsalternativen für das Aufkleben von Brackets darstelle. Zur Begründung führte der Sachverständige insbesondere aus, dass als Alternative zu Bracketklebern auf Kunststoffbasis kunststoffverstärkte Kleber auf Glasionomerbasis zur Verfügung stehen und zur Bracketklebung eingesetzt würden. Im Fachgebiet der Kieferorthopädie seien im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Leistungserbringung sehr unterschiedliche Bracket-Klebesysteme gebräuchlich gewesen und seien in der Fachwelt einzelfallbezogen unterschiedlich zum Einsatz gekommen.

Das Gericht schließt sich den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen nach eigener Prüfung vollumfänglich an. Zunächst sei der Sachverständige als Fachzahnarzt für Kieferorthopädie für die vorliegende Beweisfrage besonders geeignet. Zudem habe der Sachverständige sein Ergebnis sorgfältig und in einer überzeugenden Art und Weise begründet.

Nach Ansicht des Gerichts wäre eine Gebühr nach Nr. 2197 neben der Gebühr nach Nr. 6100 der Anlage 1 der GOZ nur dann nicht abrechenbar, wenn einzig die adhäsive Befestigung im Rahmen der Eingliederung eines Klebebrackets zur Aufnahme orthodontischer Hilfsmittel eine Behandlung darstellen würde, welche den allgemein anerkannten fachlichen Standards entspreche.

Die entsprechende Zahlung des kieferorthopädischen Honorars erfolgte insoweit aufgrund zulässiger Abrechnung der unstreitig durchgeführten kieferorthopädischen Behandlungen, mithin mit Rechtsgrund, so abschließend das Gericht.

Rechtstipp 4/2025 OLG Brandenburg: Keine Haftung für Reparatur einer Interimsprothese im Notdienst

Beschluss vom 01.10.2024

Mit Beschluss vom 01.10.2024 (Az.: 12 U 30/24) hat das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg alle Haftungsansprüche eines Patienten nach einer notfallmäßigen Reparatur einer bereits vorhandenen und gebrochenen Interimsprothese abgewiesen.

Der Patient hatte sich notfallmäßig in der Praxis der beklagten Zahnärztin mit einer zwei Jahre alten gebrochenen Interims-Unterkieferprothese vorgestellt, die repariert und ein paar Tage später wieder eingegliedert wurde.

Der Patient beklagt daraufhin eine zu niedrige Bisshöhe in der Region 44 – 47 sowie den fehlerhaften Einsatz einer Klammer am Zahn 37, die den Zahn aufgrund der kippelnden Bewegung fast vollständig zerstört und schwere Entzündungen hervorgerufen habe, die nicht behandelt worden seien. Darüber hinaus rügt er eine fehlende ordnungsgemäße Aufklärung.

Das Landgericht Potsdam hatte die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass der Patient sich unstreitig nur als Notfallpatient zur Reparatur einer nicht von der Beklagten gefertigten und gebrochenen Interimsprothese vorgestellt habe. Sein Sachvortrag, dass die Interimsprothese „gekippelt“ habe, die Bisshöhe zu gering sei und sich später Entzündungen gezeigt hätten, lasse keinen Behandlungsfehler der Beklagten erkennen. Die Prothese sei durch andere Zahnärzte gefertigt und eingegliedert worden, sodass auch die Bisshöhe durch die vorbehandelnden Zahnärzte festgelegt worden sei. Die Beklagte habe nur eine Notfallreparatur durchgeführt und damit denklogisch die Bisshöhe nicht verändert. Eine etwaige Entzündung im Bereich der Klammer am Zahn 37 lasse ebenfalls nicht auf einen Behandlungsfehler der Beklagten schließen, da der Kläger unstreitig eine schlechte Mundhygiene habe. Mangels eines Sachvortrags, der einen Behandlungsfehler der Beklagten jedenfalls andeute, sei das Gericht nicht zur Einholung eines Sachverständigengutachtens gehalten gewesen.

Der Patient rügte mit der Berufung, dass das Landgericht fehlerhaft von der Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens abgesehen und damit sein Recht auf rechtliches Gehör verletzt habe. Es habe nicht ohne eigene Sachkunde entscheiden dürfen. Auch über die Aufklärung sei fehlerhaft kein Beweis erhoben worden. Eine Anhörung der Beklagten über die Aufklärung sei nicht vorgenommen worden, was eine Rechtsverletzung darstelle. Die Behandlung mittels Klammer am Zahn 37 sei kontraindiziert gewesen. Die Beklagte sei auch verpflichtet gewesen, eine definitive Versorgung einzubringen oder ihn mit einer Sicherungsaufklärung überzuleiten.

Aus den Entscheidungsgründen des OLG Brandenburg:

Der Senat hält daran fest, dass Schadensersatzansprüche des Klägers wegen einer fehlerhaften Behandlung durch die Beklagte nicht gegeben sind. Soweit der Kläger ausführt, dass bei einem neuen Einsatz der Prothese denklogisch immer auch die Bisshöhe verändert wird, mag dies bei einer neu angefertigten Prothese der Fall sein. Im Streitfall handelte es sich jedoch – was bislang unstreitig war und so auch im unstreitigen Teil des Tatbestandes des angefochtenen Urteils festgehalten wurde – um eine notfallmäßige Reparatur einer bereits vorhandenen gebrochenen Interimsprothese und nicht um die Neuanfertigung einer Prothese. Die Veränderung der Bisshöhe durch die Notfallreparatur ist daher ausgeschlossen, was der Senat auch ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens beurteilen kann.

Hinsichtlich der gerügten fehlerhaften Behandlung des Zahnes 37 verbleibt der Senat bei seiner Auffassung, dass Schadensersatzansprüche des Klägers wegen der fehlenden Möglichkeit der Nachbesserung ausgeschlossen sind. Der Kläger hat auch nicht vorgetragen und der Senat demgemäß auch nicht im Hinweisbeschluss festgestellt, dass er sich am 18.03.2021 wegen einer Zahnfleischentzündung im Bereich der Klammer bei der Beklagten vorgestellt hat. Vielmehr ist im Tatbestand des angefochtenen Urteils festgestellt, dass er keine Beschwerden am Zahn 37 angab. Auch hat der Kläger über drei Monate zugewartet, bis er die Beklagte erneut aufgesucht hat.

Ungeachtet dessen hätte sich ein Behandlungsfehler nicht kausal ausgewirkt. Denn nach dem vom Kläger in erster Instanz nicht substantiiert bestrittenen Vorbringen der Beklagten, wie es sich auch aus der Dokumentation in den Behandlungsunterlagen ergibt, hat die Beklagte den Kläger darüber aufgeklärt, dass er in der Praxis der Beklagten nur notfallmäßig behandelt worden ist und er sich zur weiteren Behandlung an einen anderen Zahnarzt wenden müsse, was der Kläger offenbar nicht getan hat. Sofern dieser Vortrag – ebenfalls im unstreitigen Teil des Tatbestandes des angefochtenen Urteils mit der Bindungswirkung des § 314 ZPO festgehalten – nunmehr bestritten werden soll, ist dieses Bestreitens mangels Darlegung entsprechender Zulassungsgründe nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht mehr zu berücksichtigen. Im Übrigen ist das Bestreiten nicht ausreichend, da der Kläger für eine fehlerhafte therapeutische Aufklärung darlegungs- und beweisbelastet ist, worauf bereits das Landgericht zutreffend hingewiesen hat. Insoweit handelt es sich um einen Behandlungsfehler, der vom Patienten zu beweisen ist.

Rechtstipp 3/2025: OLG Naumburg: Ohne Einwilligung vorgenommene Erweiterung der zahnärztlichen Behandlung (Exz1, Exz2) kann zu Schmerzensgeld führen

Urteil vom 24.09.2024

Führt die ohne Einwilligung des Patienten vorgenommene Erweiterung der zahnärztlichen Behandlung zur Verletzung des Nervus lingualis, kann unter dem weiteren Gesichtspunkt der Genugtuung ein Schmerzensgeld von 10.000 Euro in Betracht kommen. Zu diesem Ergebnis kam das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg mit Urteil vom 24.09.2024 (Az.: 1 U 86/23) und führte dazu aus, dass es sich beim abgesprochenen oberflächlichen Abtragen einer Zahnfleischkapuze (Exzision 1) um eine einfache, wenig invasive Routine- oder Banalmaßnahme handle. Dagegen sei die vom Behandler unzweifelhaft durchgeführte tiefe Exzision der Schleimhautwucherung (Exzision 2) ein zahnärztlich-chirurgischer Eingriff im engeren Sinne.

Erweitere der Behandler den Eingriff in diesem Sinne, konnte und musste er innehalten und für die weitergehende Einwilligung unter Einschluss der erforderlichen Selbstbestimmungsaufklärung der Klägerin Sorge tragen. Dies habe er nicht getan, sondern die Exzision 1 kommentarlos ohne Einwilligung der Klägerin auf eine Exzision 2 erweitert.

Erschwerend komme hinzu, dass die geplante tiefe Exzision regelmäßig nach einer Röntgenaufnahme verlange, die dem Zahnarzt nicht vorlag und von ihm auch intraoperativ nicht angefertigt worden sei. Vor der tiefen Gewebeabtragung bedürfe es der Beurteilung der Lage und der Erhaltungswürdigkeit des Weisheitszahns sowie der Platzverhältnisse. Bei einem röntgenologisch erkennbaren Engstand sei die tiefe (komplikationsbehaftete und damit aufklärungsbedürftige) Exzision 2 eine sinnlose Maßnahme, weil dann – wie im Falle der Klägerin – die Extraktion des Zahnes die gebotene Behandlungsmethode sei. Der Zahnarzt habe damit „blind“ eine überflüssige und nicht erfolgversprechende tiefe Exzision durchgeführt. Dadurch sei es, so der Sachverständige, zweifelsfrei auf Grund der tiefen Exzision zu einer dauerhaften Verletzung des Nervus lingualis gekommen.

Bemessung des Schmerzensgeldes

Die Klägerin habe mit der Ablehnung des Vergleichsvorschlages richtig auf die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes verwiesen, die hier ausnahmsweise zum Tragen komme. Zumindest unter Berücksichtigung dessen, dürfe die Klägerin nicht unter 10.000,00 EUR entschädigt werden.

„Auch bei der Bemessung des Schmerzensgeldes in Arzthaftungssachen kann der Gesichtspunkt der Genugtuung im Falle objektiv wie subjektiv groben Verschuldens Bedeutung erlangen. Die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes bringt eine durch den Schadensfall hervorgerufene persönliche Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem zum Ausdruck, die es aus der Natur der Sache heraus gebietet, alle Umstände des Falles in den Blick zu nehmen und, sofern sie dem einzelnen Schadensfall sein besonderes Gepräge geben, bei der Bestimmung der Leistung zu berücksichtigen, wozu der Grad des Verschuldens des Schädigers gehört (BGH NJW 2022, 1443, 1444). Auch bei einer unzureichenden Selbstbestimmungsaufklärung kann die subjektive personale Seite der Verantwortlichkeit von Bedeutung sein und den Schadensfall prägen.

Der Beklagte wusste um die fehlende Einwilligung der Klägerin in eine tiefe Exzision. Als ausgebildetem Zahnmediziner war ihm bekannt, dass es sich bei der tiefen Exzision um einen chirurgischen Eingriff handelte, der mit Risiken, wie der Verletzung des Nervus lingualis, verbunden war. Weiter hatte der Beklagte Kenntnis von der Notwendigkeit der Einwilligung der Klägerin in einen solchen Eingriff, von der Bedeutung der Risiken und Behandlungsalternativen für die Willensbildung der Klägerin und damit von der Notwendigkeit, die Klägerin vor ihrer Einwilligung ordnungsgemäß aufzuklären. Dies hat der Beklagte willentlich unterlassen.

Das Vorgehen des Beklagten beeinträchtigte damit vorsätzlich die körperliche Integrität der Klägerin und nahm die medizinische Sinnlosigkeit dieser Maßnahmezumindest billigend in Kauf.Der Schaden am Nervus lingualis wurde in dieser Situation zweifelsohne grob fahrlässig verursacht, wenn man nicht sogar auch insoweit bedingten Vorsatz annehmen muss.“

Rechtstipp 2/2025: OLG Bayern: Gutachterliche Kritik an Kollegen ist nicht berufswidrig Beschluss vom 14.12.2024

Fachliche Aussagen eines (Zahn-)Arztes im Rahmen eines medizinischen Gutachtens stellen keine Verletzung der Berufspflicht zum kollegialen Verhalten dar, wenn sie sachlich sind. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Bayern mit Beschluss vom 14.12.2024 (Az.: 301 LBG-Z 1/23) entschieden und festgestellt, dass dem Gutachter bei seiner Expertise bezüglich der Eignung und Notwendigkeit seiner Ausführungen ein Freiraum zusteht, in den das Berufsgericht nicht ohne weiteres eingreifen darf. Es bedarf einer Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Antragsgegners einerseits und der von der Berufsordnung geschützten Rechtsgüter andererseits.

Sachverhalt:

Patienten eines Zahnarztes hatten sich über die medizinische Notwendigkeit von Heilbehandlungen sowie über seine vermeintlich fehlerhaften Kostenvoranschläge und Rechnungen bei ihrer privaten Krankenversicherung beschwert. Diese beauftragte daraufhin einen Zahnarzt, ein schriftliches Gutachten bezüglich der zahnärztlichen Befunderhebung, der Behandlungsplanung, der Behandlung nebst deren wissenschaftlichen Grundlagen und der Abrechnung zu erstellen.
Aufgrund der Ausführungen im Gutachten sah sich der behandelnde Zahnarzt unkollegial behandelt und verlangte die Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens. Er hatte dem Gutachter vorgehalten, er habe gegen das Gebot, den Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihm entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen, gegen das Gebot der Kollegialität und gegen das Gebot, Gutachten neutral und unabhängig zu erstellen, verstoßen.

Somit hatten die Richter des OLG zu beurteilen, ob sich der beklagte zahnärztliche Sachverständige unkollegial verhalten hatte, indem er in seinem Gutachten folgende Aussagen traf:

Fall 1: die Rechnungsstellungen des Behandlers seien für den Patienten unzumutbar, intransparent und befremdlich; diverse Abrechnungspositionen identischer Behandlungstage seien unchronologisch jeweils in drei separat erstellten Rechnungen aufgeführt und dem Patienten gegenüber doppelt abgerechnet worden

Fall 2: die nach einer abgeschlossenen kieferorthopädischen Behandlung vorgenommene Beschleifung der fünf Frontzähne 12, 11, 21, 22 und 23 der damals 20- jährigen Patientin zu Kronenstümpfen sei medizinisch nicht indiziert gewesen und mit Blick auf das Alter der Patientin sei das Vorgehen „riskant“; es hätte sehr viel gesunde Zahnhartsubstanz gekostet, die hätte erhalten werden müssen

Fall 3: die Behandlung mittels einer sogenannten MAGO-Schiene würde bei der Patientin zu grundlegenden Problemen führen, sei in ihrer Zielsetzung und im beabsichtigten Nutzen unverständlich und durch keinen Befund belegt und aufgrund der vorgelegten Situationsmodelle oberflächlich, wenig glaubhaft und verwirrend

Fall 4: es irritiere sehr, dass dem Behandler der aktuelle Standard der Funktionslehre offenbar nicht bekannt sei, obgleich dieser in diesem Fachgebiet arbeite

Aus den Entscheidungsgründen:

Zutreffend hat das Berufsgericht die vom Antragsteller dargestellten Äußerungen des Antragsgegners als Meinungsäußerungen beurteilt, die den Schutz von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG genießen.

Für die Entscheidung, ob eine Äußerung die Grenze des rechtlich Zulässigen überschreitet, muss stets sorgfältig zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen unterschieden werden. Während Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit geprägt werden und der Überprüfung mit Mitteln des Beweises zugänglich sind, handelt es sich bei einer Meinung um eine Äußerung, die durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt ist. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat anschließt, handelt es sich bei Ausführungen eines Gutachters zudem Ergebnis der vorangegangenen Untersuchung in der Regel um ein Werturteil und nicht um die Behauptung einer Tatsache, weil das Ergebnis, mag es auch äußerlich als Tatsachenbehauptung formuliert sein, auf Wertungen beruht.

Das OLG weist zudem darauf hin, dass einem Gutachter im Rahmen seiner Expertise bezogen auf seine Ausführungen ein Freiraum zusteht, in den das Berufsrecht nicht ohne Weiteres eingreifen darf. Das Offenlegen von – gravierenden – Pflichtverletzungen eines Behandlers kann den Pflichten eines gutachterlich tätigen Zahnarztes nicht widersprechen. Vielmehr entspricht sie ihnen. Die dadurch hervorgerufene Transparenz dient einerseits dem Schutz des Patienten, aber auch dem Ethos des Berufsstands und einer funktionierenden Gesundheitsfürsorge.

Danach kommt der Senat in Übereinstimmung mit dem Berufsgericht zum Ergebnis, dass in allen Fällen die Meinungsfreiheit überwiegt und die vom Antragsteller beanstandeten Formulierungen somit von der Meinungsfreiheit gedeckt sind. Vor dem Hintergrund dessen scheidet die Verhängung einer berufsgerichtlichen Maßnahme aus rechtlichen Gründen aus, weshalb die Eröffnung des berufsgerichtlichen Verfahrens abzulehnen war.

Von Angelika Enderle, erstellt am 09.12.2024, zuletzt aktualisiert am 09.12.2024

Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt.
© Asgard-Verlag Dr. Werner Hippe GmbH, Siegburg.

Juradent-ID: 4777

Rechtstipp 01/2025 Rückzahlung von Weihnachtsgeld

Die Zahlung von Weihnachtsgeld in Form einer Gratifikation/ Sonderzahlung (Achtung: Ein 13. Gehalt ist hiervon strikt zu trennen!) dient ohne Frage der Mitarbeitermotivation. Verlässt eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter seinen Arbeitgeber jedoch zu Beginn des neuen Jahres, fällt diese Sonderzahlung schnell in die Rubrik „Fehlinvestition“. Unter Umständen besteht allerdings die Möglichkeit der Rückforderung.

Rückzahlungsklausel

Entscheidend ist, ob diesbezüglich eine entsprechende vertragliche (oder tarifvertragliche) Vereinbarung existiert und wenn ja, ob es sich hierbei nicht um eine Klausel handelt, welche die Arbeitnehmerin/ den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt. Ist dies nämlich der Fall, ist die Klausel unwirksam.

So stufte beispielsweise das Landesarbeitsgericht (LAG) München in seiner Entscheidung vom 26. Mai 2009 (Az.: 6 Sa 1135/08) folgende Klausel als eine unangemessene Benachteiligung ein:

“ Der Mitarbeiter ist verpflichtet, die Gratifikation zurückzuzahlen, wenn das Beschäftigungsverhältnis bis zum 31.03. des auf die Auszahlung folgenden Kalenderjahres durch Kündigung durch den Arbeitnehmer oder den Arbeitgeber oder durch Aufhebungsvertrag endet.“

Zur Begründung führte das LAG München im konkreten Fall aus:

„ Die Rückzahlungsklausel benachteiligt den Kläger entgegen Treu und Glauben in unangemessener Weise, insoweit auch bei Ausspruch einer betriebsbedingten Arbeitgeberkündigung eine Rückzahlungsverpflichtung hinsichtlich der Weihnachtsgratifikation entsteht (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB); sie ist jedenfalls insoweit unwirksam (§ 306 Abs. 2 BGB). (…) Im Rahmen der nach § 307 BGB anzustellenden Interessenabwägung ist auch der die Rückzahlungspflicht auslösende Tatbestand zu berücksichtigen (Thüsing in v. Westphalen Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke Stand März 2006 Stichwort: Arbeitsverträge Rn. 151). Es ist nicht zulässig, die Rückzahlungspflicht schlechthin an jedes Ausscheiden des Arbeitnehmers zu knüpfen, das innerhalb der in der Klausel vorgesehenen Bleibefrist stattfindet. Vielmehr muss nach dem Grund des vorzeitigen Ausscheidens unterschieden werden (vgl. Dorndorf in Däubler/Dorndorf AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht § 307 BGB Rn. 119). Eine Rückzahlungsklausel stellt nur dann eine ausgewogene Gesamtregelung dar, wenn es der Arbeitnehmer in der Hand hat, durch eigene Betriebstreue der Rückzahlungspflicht zu entgehen. (…) Die in Ziff. 10.4 des Arbeitsvertrages enthaltene Rückzahlungsklausel differenziert nicht danach, wessen Verantwortungs- und Risikobereich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zuzurechnen ist.“

Achten Sie also unbedingt darauf, dass die Rückzahlungsklausel auf ein „Verschulden“ des Arbeitnehmers abstellt. So findet sich z.B. im „Merkblatt zur Zahlung der „Besonderen Zuwendung“ im Kontext arbeitsvertraglicher Vereinbarungen“ der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe folgende Formulierung:

„Die erhaltene Weihnachtsgratifikation ist in voller Höhe zurückzuzahlen, wenn Sie aufgrund eigener Kündigung oder durch Arbeitsvertragsbruch, treuwidrigem Verhalten, Störung des Betriebsfriedens bis einschließlich ………… des folgenden Kalenderjahres aus dem Beschäftigungsverhältnis ausscheiden. Dies gilt auch dann, wenn das Beschäftigungsverhältnis im gegenseitigen Einvernehmen oder durch Kündigung des Praxisinhabers aus einem von der Angestellten zu vertretenen wichtigen Grund beendet wird.“

Ebenso ist der im Rahmen eines Muster-Anstellungsvertrages gewählte Formulierungsvorschlag der Zahnärztekammer Nordrhein denkbar:

„Eine Zahlung kommt nur in Betracht, wenn das Anstellungsverhältnis zum Auszahlungszeitpunkt ungekündigt ist. Der/die Angestellte ist zur Rückzahlung der gezahlten Gratifikation verpflichtet, wenn das Anstellungsverhältnis vor dem … des auf die Auszahlung folgenden Kalenderjahres aufgrund einer Kündigung des/der Angestellten endet, es sei denn, dass diese auf rechtswidrigem und schuldhaftem Verhalten des Arbeitgebers beruht oder wenn das Arbeitsverhältnis vor dem … des auf die Auszahlung folgenden Kalenderjahres aufgrund einer Kündigung des Arbeitgebers aus anderen als betriebsbedingten Gründen endet.

Rückzahlungshöhe

Ferner gilt es zu beachten, dass das Bundesarbeitsgericht die Gültigkeit von Rückzahlungsklauseln gemessen an der Höhe der gezahlten Gratifikation eingeschränkt und folgende Kriterien entwickelt hat:

Höhe der Gratifikation  Folge
Bis EUR 100 Rückzahlungsklausel unzulässig
Über 100 €, weniger als ein Monatsgehalt Bindung per Rückzahlungsvereinbarung bis zum 31.3. des Folgejahres möglich
Ein Monatsgehalt Bindung über die folgenden 3 Monate hinaus bis zum nächstmöglichen Kündigungstermin. Im Fall einer 2jährigen Beschäftigung ist das z. B. der 30.04. des Folgejahres (BAG-Urteil v. 28.4.2004, Az. 10 AZR 356/03)
Bis zu 2 Monatsgehälter Bindung bis zum 30.6. des Folgejahres möglich. (BAG-Urteil v. 25.9.2002, Az: 10 AZR/7/02)
2 Bruttogehälter und mehr Bei einer Gratifikation von mehr als 2 Monatsgehältern ist eine Staffelung zulässig. Bei einem Ausscheiden – bis zum 31.3. des Folgejahres 1,5 Bruttogehälter, bei einem Ausscheiden bis zum 30.6. des Folgejahres ein Bruttogehalt, bei einem Ausscheiden bis zum 30.9. des Folgejahres die Hälfte des Brutto-monatsgehalts

Achtung: Eine Rückzahlungsklausel ist unwirksam, wenn sie weder Voraussetzungen für die Rückzahlungspflicht noch einen eindeutig bestimmten Zeitraum für die Bindung der Beschäftigten festlegt (Urteil des BAG v. 14.06.95, 10 AZR 25/94)!

Vertiefende Informationen zu diesem Thema bietet Ihnen darüber hinaus das bereits genannte „Merkblatt zur Zahlung der „Besonderen Zuwendung“ im Kontext arbeitsvertraglicher Vereinbarungen“ der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe (Stand: 01.01.2012), welches Ihnen anliegend zum Download zur Verfügung steht.

Rechtstipp 12/24 Wie erfolgt die Berechnung von Hilfeleistungen bei Ohnmacht bei einem Privatpatienten

Wie erfolgt die Berechnung von Hilfeleistungen bei Ohnmacht eines Privatpatienten?

Eine Hilfeleistung bei Ohnmacht oder Kollaps stellt keine selbstständige Leistung dar. Der dadurch erhöhte Zeitaufwand wird über den Steigerungsfaktor bis zum 3,5fachen Satz wegen besonderer Umstände, Zeitaufwand und Schwierigkeit der Umfeldpositionen bemessen.

Maßnahmen, die möglicherweise im Zusammenhang mit der Hilfeleistung erbracht werden (zum Beispiel GOÄ-Nrn. 253 oder 252) können gesondert berechnet werden.

Verbringt der Zahnarzt, ohne Unterbrechung und ohne Erbringung anderer (zahn)ärztlicher Leistungen, mindestens eine halbe Stunde beim Patienten, ist auch eine Berechnung nach der GOÄ-Nr. 56 möglich.
Zu beachten ist dabei, dass 30 Minuten komplett erfüllt sein müssen, ehe die GOÄ-Nummer 56 erstmals angesetzt werden kann. Das bedeutet, dass nach 29 ½ Minuten des Verweilens die Ziffer 56 noch nicht, nach 30 ½ Minuten jedoch gleich zweimal abgerechnet werden kann. Wichtige Voraussetzung ist ferner, dass der Zahnarzt aufgrund der Kreislauf-Fehlregulation mindestens eine halbe Stunde ohne Unterbrechung „untätig“ verweilt und während des Verweilens, sowohl am entsprechenden Patienten als auch an anderen Patienten, keine anderen Leistungen erbracht werden.

Rechtstipp 11/24 BGH: Kein Schriftformerfordernis für Heil- und Kostenpläne bei andersartiger Versorgung

BGH: Kein Schriftformerfordernis für Heil- und Kostenpläne bei andersartiger Versorgung

Urteil vom 02.05.2024

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 02.05.2024 (Az.: III ZR 197/23) entschieden, dass aus § 8 Abs. 7 Abs. 2 und 3 des Bundesmantelvertrags – Zahnärzte keine Schriftformerfordernis im Sinne des § 125 BGB für andersartige Versorgungen abzuleiten ist. Da die Kosten vorab durch einen Heil- und Kostenplan festgelegt und von der Krankenkasse geprüft werden müssten, sei eine ausreichende Transparenz und Schutz vor übereilten Entscheidungen gewährleistet.

Hintergrund der Entscheidung

Beklagter war ein gesetzlich versicherter Patient, der im März 2019 folgende Vereinbarungen unterzeichnet hatte:

Vier Heil- und Kostenpläne, die implantologische Leistungen betrafen und eine Gebührenvereinbarung nach § 2 Abs. 1 und 2 GOZ für ein DVT. Im gleichen Zeitraum einen Heil- und Kostenplan für OK/UK Totalprothesen mit 8 Wurzelstiftkappen mit Stift als Prothesenanker mit voraussichtlichen Gesamtkosten von 8.057,18 EUR und einem Eigenanteil von 7.282,92 EUR.

Einen weiteren Heil- und Kostenplan vom 1. Oktober 2019 für die Versorgung des zahnlosen Ober- und Unterkiefers mit jeweils einer totalen Prothese unter Verwendung eines zweiphasigen Implantatsystems für acht Zähne, mit voraussichtlichen Gesamtkosten von 13.685 EUR und einem Eigenanteil von 12.678,46 EUR, auf dessen Grundlage die nachfolgende zahnärztliche Behandlung erfolgte, hatte der Patient erhalten, aber nicht unterschrieben. Der Plan wurde jedoch vorschriftsgemäß der Krankenkasse des Patienten übermittelt, die einen Festzuschuss in Höhe von 1.006,54 EUR bewilligte.

Der Patient verweigerte nach der Implantation und Versorgung mit entsprechendem Zahnersatz trotz mehrfacher Aufforderungen die Zahlung.

In den vorherigen Instanzen wurde die Klage des Abrechnungsunternehmens abgewiesen. Das Landgericht Berlin argumentierte, die Unterschrift sei nach der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) erforderlich. Das Kammergericht Berlin lehnte den Anspruch mit der Begründung ab, ein Schriftformerfordernis ergebe sich aus § 8 Abs. 7 Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z).

Aus den Entscheidungsgründen:

Der BGH hat nunmehr entschieden, dass sich für einen Heil- und Kostenplan für eine andersartige Versorgung weder aus § 8 Abs. 7 Satz 2 und 3 des Bundesmantelvertrages Zahnärzte (BMV-Z) noch aus der GOZ (§ 2 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 2 Satz 2) ein Schriftformerfordernis im Sinne des § 125 BGB ableiten lasse.

§ 28 Abs. 2 Satz 4 SGB V schreibe eine schriftliche Vereinbarung für den Fall vor, dass der Versicherte bei Zahnfüllungen eine überobligatorische Versorgung wähle (z.B. eine Inlay-Versorgung aus Gold oder Keramik), da als ausreichend und zweckmäßig nur die preisgünstigste plastischeFüllung anzusehen sei. Wähle der Versicherte eine solche überobligatorische Füllung, habe er als Rechtsfolge die Mehrkosten zu tragen, was allerdings gemäß § 28 Abs. 2 Satz 4 SGB V eine schriftliche Vereinbarung zwischen dem Zahnarzt und dem Versicherten voraussetzt.

Diese Vorschrift sei für Zahnersatzleistungen indes nicht einschlägig:

„Für den Bereich der Versorgung mit Zahnersatz (§§ 55 ff SGB V) besteht kein solches gesetzliches Schriftformerfordernis, weil die zu erwartenden Kosten aus dem zwingend vor der Behandlung zu erstellenden und von der Krankenkasse insgesamt – auch hinsichtlich der zusätzlichen beziehungsweise andersartigen Leistungen nach § 55 Abs. 4 und 5 SGB V – zu prüfenden Heil- und Kostenplan ersichtlich sind […].

Inhaltlich muss die Prüfung insbesondere die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der geplanten Maßnahmen sowie die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen der Leistung umfassen. Bei bestehender Versorgungsnotwendigkeit bewilligt die Krankenkasse die Festzuschüsse gemäß § 55 Abs. 1 oder 2 SGB V entsprechend dem im Heil- und Kostenplan ausgewiesenen Befund (§ 87 Abs. 1a Satz 6 SGB V), wobei die Bewilligung des Festzuschusses grundsätzlich vor der Behandlung zu erfolgen hat.

Der Versicherte wird dadurch hinreichend vor übereilten Entscheidungen geschützt. Es fehlt auch nicht an der nötigen Transparenz hinsichtlich der zu tragenden Kostenanteile, zumal der Versicherte den ausgefüllten Kostenplan beziehungsweise einen entsprechenden Vordruck zur Vorlage bei der Krankenkasse erhält […] und den Vertragszahnarzt nach § 630c Abs. 3 Satz 1 BGB eine wirtschaftliche Aufklärungspflicht trifft, die er in Textform (§ 126b BGB) erfüllen muss.

Sofern – wie hier – eine andersartige Versorgung erfolgte, erhält der Versicherte den bewilligten Festzuschuss unmittelbar von seiner Krankenkasse (§ 55 Abs. 5 SGB V). Die KZV ist in diesem Fall nicht mehr in das Abrechnungsverfahren einbezogen. Vielmehr macht der Vertragszahnarzt selbst seinen Anspruch auf Bezahlung der bei der Behandlung entstandenen Kosten unmittelbar und in vollem Umfang gegenüber dem Versicherten nach der GOZ geltend […].“

Auch § 8 Abs. 7 Satz 2 und 3 BMV-Z enthält kein Schriftformerfordernis

Anders als das Berufungsgericht meine, enthalte § 8 Abs. 7 Satz 2 und 3 BMV-Z kein Schriftformerfordernis für den Fall, dass der Versicherte sich für eine gleichartige (§ 55 Abs. 4 SGB V) oder eine andersartige (§ 55 Abs. 5 SGB V) Versorgung entscheide. Dies folge aus dem Wortlaut und dem systematischen Zusammenhang der einzelnen Sätze des Absatzes 7 sowie aus einem Vergleich mit der in § 18 Abs. 8 Satz 3 Nr. 2 und 3 des Bundesmantelvertrags – Ärzte (BMV-Ä) enthaltenen Regelung.

Nach § 8 Abs. 7 Satz 1 BMV-Z rechne der Vertragsarzt gegenüber dem Versicherten die Eigenanteile an den Kosten der Versorgung mit Zahnersatz und Zahnkronen und der kieferorthopädischen Behandlung sowie die Mehrkosten für Zahnfüllungen nach § 28 Abs. 2 Satz 2 SGB V und für Zahnersatz und Zahnkronen nach § 55 Abs. 4 und 5 SGB V ab. Dadurch werde, soweit es um die Kosten für Zahnersatz geht, hinsichtlich der Abrechnung der Regelversorgung (§ 56 Abs. 2 SGB V) sowie der gleichartigen beziehungsweise andersartigen Versorgung (§ 55 Abs. 4 und 5 SGB V) auf die Regelung des § 87 Abs. 1a SGB V Bezug genommen, die – wie dargestellt – für den zwingend zu erstellenden Heil- und Kostenplan keine Schriftform im Sinne der §§ 125, 126 BGB, sondern eine umfassende Prüfung durch die Krankenkasse vorsehe (siehe § 87 Abs. 1a Satz 2 und 4 SGB V).

„Der von den Parteien vorgelegte Heil- und Kostenplan vom 1. Oktober 2019 erfüllt die vorgenannten Kriterien und entspricht den Vorgaben der Anlage 2 zum BMV-Z. Aus dem verwendeten Vordruck 3a „Heil- und Kostenplan Teil 1“ (Anlage B 6 S. 2) ergeben sich insbesondere der Befund, die Regelversorgung und die Therapieplanung. Außerdem ist darin kenntlich gemacht, dass die Auszahlung des Festzuschusses gemäß § 55 Abs. 5 SGB V direkt von der Krankenkasse an den Versicherten zu erfolgen hat. Aus dem ausgefüllten Vordruck 3b „Heil- und Kostenplan Teil 2“ (Anlage K 8) ergeben sich die Gesamtkosten in Höhe von 13.685 EUR (aufgegliedert nach Honorar gemäß GOZ und Material- und Laborkosten) sowie ein Festzuschuss von 1.006,54 EUR. Dass der Heil- und Kostenplan der T. Krankenkasse im Bewilligungsverfahren zur Prüfung vorlag, ist daraus ersichtlich, dass auf dem „Heil- und Kostenplan Teil 1“ (Anlage B 6 S. 2) unter dem 31. Januar 2020 ein Zuschuss von 1.006,54 EUR mit der Maßgabe festgesetzt wurde, dass die Krankenkasse diesen Zuschuss unter der Voraussetzung übernimmt, dass der Zahnersatz innerhalb von sechs Monaten in der vorgesehenen Weise eingegliedert wird.“

Nach der Zurückverweisung wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob der erstellte Heil- und Kostenplan inhaltlich ordnungsgemäß und die gestellte Rechnung in vollem Umfang berechtigt ist.

Hinweis:
In § 630c Abs. 3 BGB ist für die wirtschaftliche Aufklärungspflicht folgendes geregelt: Weiß der Behandelnde, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten nicht gesichert ist, oder ergeben sich nach den Umständen hierfür hinreichende Anhaltspunkte, muss er den Patienten vor Beginn der Behandlung über die voraussichtlichen Kosten der Behandlung in Textform informieren. Das kann beispielsweise durch die Übergabe einer ausgedruckten Kostenaufstellung geschehen.

Rechtstipp 10/24: Kostenzusage der Krankenkasse ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung

LSG Berlin-Brandenburg: Kostenzusage der Krankenkasse ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung

Urteil vom 24.01.2024

Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg äußert sich mit Urteil vom 24.01.2024 (Az.: L 14 KR 293/22) zur Genehmigungsdauer eines kieferorthopädisch-kieferchirurgischen Behandlungsplans in Relation zum tatsächlichen klinischen Therapieverlauf.
Es stellt in diesem Zusammenhang fest, dass die Kostenzusage der Krankenkasse für eine Kombinationsbehandlung aus KFO und Kieferchirurgie auch dann dauerhaft über 4 Jahre gültig bleibt, wenn der bei der Planung für medizinisch notwendig erachtete kieferchirurgische Eingriff letztlich entfällt. „Rechtserheblich für die Kostenzusage“ sei „der prognostizierte Behandlungsbedarf bei Beginn der Behandlung“ so das Gericht.

Hintergrund:

Der 1986 geborene und bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger litt an einer skelettalen Dysgnathie. Seine Krankenkasse bewilligte den Behandlungsplan für die auf vier Jahre angelegte kieferorthopädisch-kieferchirurgische Behandlung. Dabei teilte sie aber mit, dass die Kostenübernahme bei Erwachsenen an einige Voraussetzungen gebunden sei. Sie sei nur dann leistungspflichtig, „wenn eine schwere Kieferanomalie vorliegt, die eine kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlung erforderlich machtÄndert sich diese Planung während der Behandlung aus medizinischen Gründen, dürfen wir uns leider nicht weiter an den Kosten beteiligen.“

Aufgrund der kieferorthopädischen Behandlung entfiel nachfolgend das Erfordernis für einen kieferchirurgischen Eingriff. Daraufhin lehnte die Krankenkasse die Kostenübernahme auch der weiteren kieferorthopädischen Behandlung mit der Begründung ab, dass die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme nicht mehr vorlägen, da beim Kläger keine kieferchirurgische Behandlung mehr erforderlich sei.

Aus den Entscheidungsgründen:

Der dagegen gerichteten Klage gab das LSG statt. Die streitige Bewilligung erfordere lediglich das Vorliegen der Voraussetzungen „zum Zeitpunkt“ der Bewilligung. Die Abrechnungsmodalitäten könnten die Rechtsnatur der Entscheidung nicht verändern. Jedenfalls liege keine wesentliche Änderung der Verhältnisse vor, welche nur in Zusammenhang mit der entsprechenden materiellen Norm gesehen werden könne.

Die Bewilligungsregelung sehe die Erforderlichkeit einer kombiniert kieferchirurgisch-kieferorthopädischen Behandlung „zu Beginn der Maßnahme“ vor, so dass ein späterer Wegfall der Erforderlichkeit chirurgischer Eingriffe keine wesentliche Änderung im Sinne von § 48 SGB X darstellen könne. Der Kläger habe zudem nicht erkennen können, dass die Beklagte die Bewilligung zurücknehmen könne, da sich die Hinweise der Beklagten eindeutig nur auf den Fall bezögen, dass der Versicherte die Durchführung der chirurgischen Maßnahme verweigere.

In der Sache handle es sich bei der ärztlichen Einschätzung der Notwendigkeit einer kombiniert orthopädisch-chirurgischen Behandlung um eine zukunftsbezogene Prognoseentscheidung bei Behandlungsbeginn. Diese bleibe auch dann richtig, wenn sich unter der geplanten und genehmigten Behandlungsplanung der Behandlungsverlauf anders auswirkt. Andere wesentliche Änderungen liegen nicht vor. Weder wurde mit der Behandlung das Behandlungsziel erreicht noch sei die Behandlungsbereitschaft des Klägers entfallen.

Jedenfalls erklärte die Beklagte in Übereinstimmung mit der Vereinbarung im BMV-Z die Verpflichtung zur Kostenübernahme für die Behandlung gemäß dem eingereichten Kostenplan durch einen Vertragszahnarzt. Diese Entscheidung entfalte Wirkung für die Dauer der Behandlung des Klägers und darüber hinaus bis zur Abrechnung des Eigenanteils.

Mit dem Wegfall der streitigen Aufhebungsentscheidung sei die Beklagte wieder verpflichtet, die Behandlungskosten zu übernehmen, soweit die Behandlung im Übrigen gemäß dem ursprünglichen Behandlungsplan und durch einen Vertragsarzt fortgesetzt werde.