Studie aus den USA Zähne überleben nach der Endo rund elf Jahre

Die definitive Versorgung hat einen maßgeblichen Einfluss auf die Überlebensdauer von endodontisch behandelten Zähnen. So verlängert das Einsetzen einer Krone direkt nach einer Wurzelkanalbehandlung die Überlebensdauer des Zahns im Schnitt um rund 5,3 Jahre.

Forschende aus den USA haben die Langlebigkeit von Wurzelkanalbehandlungen von PatientInnen ausgewertet, die in zahnärztlichen Praxen verschiedener Bundesstaaten behandelt wurden. Die durchschnittliche Lebensdauer einer Wurzelkanalbehandlung betrug demnach rund elf Jahre.

Hierzu sammelte das Team anonymisierte elektronische Patienendaten des National Dental Practice-Based Research Network und wertete Aufzeichnungen von 99 kleinen Gruppen- und Einzelpraxen aus, in denen die meisten Amerikaner zahnärztlich versorgt werden. In die Studie wurden schließlich Informationen von mehr als 46.000 PatientInnen und insgesamt 71.283 endodontisch behandelten Zähnen inkludiert.

Definitive Füllung und Krone verlängerten das Leben auf 20 Jahre

Die Datenanalyse ergab, dass die durchschnittliche Überlebenszeit eines Zahns nach einer Wurzelbehandlung 11,1 Jahre betrug. Beeinflusst wird sie durch verschiedene Faktoren, unter anderem durch die definitive Restauration. So konnten die Forschenden zeigen, dass die Überlebensdauer von Zähnen, die direkt nach der Wurzelbehandlung eine definitive Füllung und Krone erhielten, eine Überlebensdauer von etwa 20 Jahren haben. Immerhin 26 Prozent aller Zähne überlebten mindestens 20 Jahre. Eine Krone verlängerte die Überlebensdauer eines Zahns um rund 5,3 Jahre. Im Unterschied dazu belief sich die Überlebensdauer von Zähnen ohne restaurative Maßnahmen nur auf etwa 6,5 Jahre.

Einfluss haben auch Wohnort und Versicherungsstatus

Die WissenschaftlerInnen konnten auch geografische Unterschiede feststellen. Im Nordosten der USA überlebten endodontisch behandelte Zähne durchschnittlich länger (20,5 Jahre) als im Westen des Landes (8,7 Jahre). Der Versicherungsstatus spielte ebenfalls eine Rolle für die Überlebensdauer der Zähne. Die AutorInnen betonen, dass die Ergebnisse den Wert von Kronen und dauerhaften Restaurationen nach Wurzelkanalbehandlungen bestätigen.

Thyvalikakath T, LaPradd M, Siddiqui Z, Duncan WD, Eckert G, Medam JK, Rindal DB, Jurkovich M, Gilbert GH; National Dental PBRN Collaborative Group. Root Canal Treatment Survival Analysis in National Dental PBRN Practices. J Dent Res. 2022 May 12:220345221093936. doi: 10.1177/00220345221093936. Epub ahead of print. PMID: 35549468.

Fehldiagnose bei morgendlichem Kopfschmerz

Eine 67-jährige Frau beklagt sich über anhaltende Kopfschmerzen am Morgen und ein Schweregefühl im Unterkiefer. Eine erste Diagnose weist auf temporomandibuläre Dysfunktionen hin – doch trotz eingeleiteter Behandlung bessern sich die Symptome nicht.

Eine Stabilisierungsschiene sowie Muskelmassagen zur Behandlung von Funktionsstörungen im Bereich des Kiefergelenks und der Kaumuskulatur bringen nur geringe Besserung. Auffällig ist, dass die Beschwerden vor allem morgens direkt nach dem Aufwachen auftreten, wie die Autoren schreiben.

Wahre Ursache fällt in anderes Fachgebiet

Erst eine vertiefte Anamnese, bei der auch das Schnarchverhalten und die subjektive Tagesmüdigkeit mittels Epworth Sleepiness Scale abgefragt werden, lenkt den Verdacht auf eine schlafbezogene Atemstörung. Ein ambulanter Schlafapnoe-Test (OCST) bestätigt diesen Verdacht: Der sogenannte Respiratory Event Index (REI) liegt bei 10,1 Ereignissen pro Stunde – ein klarer Hinweis auf eine milde Form von OSA. Die Sauerstoffsättigung sinkt während des Schlafs auf kritische 76 Prozent.

Wirksame Therapie mit Unterkiefer-Protrusionsschiene

Die behandelnden Ärztinnen und Ärzte verordnen eine individuell angepasste Unterkieferschiene (Mandibular Advancement Device, MAD), die während des Schlafs den Unterkiefer leicht nach vorn verlagert und so die oberen Atemwege offen hält. Bereits nach kurzer Zeit verbessert sich die Schlafqualität der Patientin deutlich, die morgendlichen Kopfschmerzen verschwinden.

Eine Nachuntersuchung bestätigt den Erfolg: Der REI sinkt auf 1,6/h, die Sauerstoffsättigung im Schlaf steigt auf 86 Prozent.

Anfängliche Fehlinterpretation durch Überlappung der Symptome

Der Fall verdeutliche die diagnostische Herausforderung bei sich überlappenden Krankheitsbildern. Temporomandibuläre Dysfunktionen und obstruktive Schlafapnoe können ähnliche Symptome wie Gesichtsschmerz und Kopfschmerzen verursachen. Ohne genaue Abklärung bestehe allerdings die Gefahr einer Fehldiagnose – mit langwieriger und ineffektiver Behandlung.

Die Autoren betonen daher, dass bei morgendlichen Kopfschmerzen immer auch schlafbezogene Ursachen in Betracht gezogen werden sollten – insbesondere bei Vorliegen weiterer Risikofaktoren wie Tagesmüdigkeit oder Schnarchen.

Fazit: Interdisziplinäre Diagnostik ist entscheidend

Es ist wichtig, bei unklaren Kopf- und Gesichtsschmerzen interdisziplinär zu diagnostizieren, so die Autoren zum Abschluss. Zahnärztinnen und Zahnärzte sollten bei Verdacht auf TMDs auch stets an schlafbezogene Ursachen denken und bei entsprechenden Hinweisen eine gezielte Schlafdiagnostik einleiten. Denn die richtige Diagnose sei in Fällen wie diesem der Schlüssel zu einer wirksamen und nachhaltigen Therapie.

 

Originalpublikation: Ishiyama H et al., Morning headache caused by obstructive sleep apnea misdiagnosed as temporomandibular disorders-related headache: A case report. Journal of Prosthodontic Research 2024; 69(2): 303–307

Chlorotonil lässt Bakterien chemisch „ausbluten“

Die Entwicklung und Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen stellt eine der größten Bedrohungen für die globale Gesundheit dar. Um diese Resistenzen zu überwinden, werden Medikamente mit neuartigen Wirkmechanismen dringend benötigt – Chlorotonile könnten hier zukünftig einen innovativen Weg beschreiten.


Chlorotonile entfalten ihre Wirkung auf zwei Ebenen: Zum einen destabilisieren sie die Zellmembran von Bakterien, zum anderen blockieren sie gezielt Enzyme, die für die Synthese von Zellwand und Proteinen unerlässlich sind. [Symbolbild]

Die rasante Verbreitung von Antibiotikaresistenzen zählt zu den größten Bedrohungen für die globale Gesundheit. Weltweit suchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler daher nach Wirkstoffen, die Bakterien auf bislang ungenutzte Weise angreifen – und so die bestehenden Resistenzmechanismen aushebeln. Forschende des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) haben nun einen entscheidenden Fortschritt erzielt: Sie konnten den Wirkmechanismus einer neuartigen Naturstoffklasse, der sogenannten Chlorotonile, entschlüsseln.

Doppelschlag gegen Bakterien

Chlorotonile entfalten ihre Wirkung demnach auf zwei Ebenen: Zum einen destabilisieren sie die Zellmembran von Bakterien, zum anderen blockieren sie gezielt Enzyme, die für die Synthese von Zellwand und Proteinen unerlässlich sind. Dieser kombinierte Angriff setzt die Bakterien so stark unter Druck, dass sie absterben – auch solche, die gegen viele gängige Antibiotika bereits resistent seien, so die Autoren, die ihre Ergebnisse unlängst in der Fachzeitschrift Cell Chemical Biology veröffentlichten.

Wirksam gegen Krankenhauskeime

Entdeckt wurde die Substanzklasse bereits 2008 im Bodenbakterium Sorangium cellulosum. Frühere Studien zeigten, dass Chlorotonile gegen gefährliche Erreger wie Staphylococcus aureus und Enterococcus faecium wirksam seien – beides Keime, die in Krankenhäusern besonders gefürchtet würden. Sogar der Malaria-Erreger Plasmodium falciparum lasse sich mit Chlorotonilen bekämpfen, schreiben die Autoren weiter. Doch der genaue Wirkmechanismus blieb lange ein Rätsel.

Angriff auf die Zellmembran

Unter der Leitung von Dr. Jennifer Herrmann und Prof. Rolf Müller konnten die HIPS-Forschenden nun zeigen, wie Chlorotonile im Detail wirken. Besonders ungewöhnlich: Die Moleküle binden direkt an Lipide in der Zellmembran. Dadurch kommt es zum unkontrollierten Austritt von Kaliumionen, was das elektrische Potenzial der Membran verändere. Die Folge: Der osmotische Druck in der Zelle bricht ein, lebenswichtige Prozesse geraten aus dem Gleichgewicht – und die Zelle stirbt schließlich ab.

Enzymhemmung verstärkt die Wirkung

Zusätzlich hemmen Chlorotonile zwei zentrale Enzyme: die Phosphatase YbjG und die Methionin-Aminopeptidase MetAP. Beide seien an der Herstellung von Zellwandbestandteilen und Proteinen beteiligt. Die gleichzeitige Störung mehrerer lebenswichtiger Funktionen mache es den Bakterien besonders schwer, effektive Abwehrmechanismen zu entwickeln.

Schwachstelle der Bakterien gezielt ausgenutzt

Ein Grund für die resistenzbrechende Wirkung liege im Angriffsziel selbst: Lipide lassen sich von Bakterien nicht so einfach verändern wie Proteine, heißt es weiter. Während bei enzymbasierten Angriffen häufig Mutationen ausreichten, um Resistenz zu erzeugen, sei das bei Membranlipiden deutlich schwieriger. Nur durch gezielte Mutationen im Lipidefflux-System – das die Zusammensetzung der Membran reguliere – konnten Forschende resistentere Bakterienstämme erzeugen.

Basis für neue Medikamente

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Chlorotonile ein völlig neues Wirkprinzip verfolgen und gleichzeitig mehrere kritische Strukturen in der Bakterienzelle angreifen“, erklärt Projektleiterin Dr. Herrmann. Diese Erkenntnisse eröffnen neue Perspektiven in der Antibiotikaforschung – und die Möglichkeit, gezielt nach weiteren Substanzen mit vergleichbarem Wirkprofil zu suchen.

Aktuell arbeite das HIPS-Team an der Weiterentwicklung der Chlorotonile, um deren Wirksamkeit und Sicherheit zu verbessern. Parallel dazu laufen im Rahmen des Förderprogramms GO-Bio initial erste Schritte zur Entwicklung eines Medikaments gegen Malaria. Die Forschung an den Chlorotonilen könnte damit nicht nur im Kampf gegen multiresistente Bakterien, sondern auch bei der Bekämpfung parasitärer Erkrankungen letztlich einen Durchbruch bringen, wie es abschließend heißt.

 

Originalpublikation: Deschner F et al., Natural products chlorotonils exert a complex antibacterial mechanism and address multiple targets. Cell Chemical Biology 2025. DOI: 10.1016/j.chembiol.2025.03.005

3D-gedruckt und bioaktiv: Zahnersatz setzt Chlorhexidin frei

Marius Behnecke, Promovend an der Hochschule Osnabrück, forscht im Rahmen seiner kooperativen Promotion gemeinsam mit der Universität Osnabrück an einem innovativen Ansatz: der Entwicklung bioaktiver Zahnersatzmaterialien aus dem 3D-Drucker: jetzt gibt es einen ersten Durchbruch.

Im Zentrum der Forschung steht ein Zahnersatz, der nicht nur die mechanischen Anforderungen erfüllt, sondern auch mit dem antiseptisch wirkenden Medikament Chlorhexidin angereichert ist. „Ziel ist es, ein Material zu entwickeln, das Entzündungen aktiv vorbeugt und gleichzeitig den hohen zahnmedizinischen Ansprüchen gerecht wird – stets mit dem Fokus auf die Gesundheit der Patientinnen und Patienten“, erklärt Behnecke seinen Ansatz.

Vorteile für Patienten und Gesundheitssystem

Der Einsatz bioaktiver Werkstoffe im Zahnersatz bietet gleich mehrere Vorteile. Der enthaltene Wirkstoff wird lokal und in exakt dosierter Menge freigesetzt, was systemische Nebenwirkungen minimieren kann. Darüber hinaus ermöglicht der 3D-Druck eine passgenaue Fertigung, die auf die individuellen anatomischen Gegebenheiten der Patientinnen und Patienten abgestimmt ist.

Auch aus Sicht der Nachsorge bietet das neue Material Potenzial: Die antiseptischen Eigenschaften können das Risiko für Infektionen verringern, die Pflege erleichtern und somit die Gefahr schlecht erreichbarer „toter Winkel“ im Mundraum reduzieren. „Langfristig könnte dies nicht nur die Patientensicherheit erhöhen, sondern auch Kosten sparen – sowohl für die Versicherten als auch für das Gesundheitssystem“, so der Nachwuchsforscher weiter.

Technologische Herausforderungen bei der Herstellung

Die Entwicklung des Materials ist technisch jedoch recht anspruchsvoll. Die Basis bildet eine Mischung aus flüssigen Kunststoffen (Monomeren), feinen Glaspartikeln und dem Wirkstoff Chlorhexidin. Diese Komponenten müssen homogen kombiniert werden, damit sie sich im 3D-Druckverfahren verarbeiten lassen. „Die gleichmäßige Verteilung des Wirkstoffs sowie die Stabilität der Mischung während des Druckprozesses sind zentrale Herausforderungen“, erklärt Behnecke.

Der Druck selbst erfolgt schichtweise, wobei jede Lage mittels UV-Licht ausgehärtet wird. Dabei müssen Belichtungszeit und -intensität so justiert sein, dass der Wirkstoff nicht beschädigt wird und gleichzeitig die Festigkeit des Endprodukts gewährleistet ist. Ein weiterer Aspekt: Die Menge und Dauer der Wirkstofffreisetzung müssen exakt bestimmt werden, um eine therapeutisch wirksame Dosis zu garantieren.

Wichtig ist Behnecke auch die Praxistauglichkeit: Die neuen Materialien sollen mit gängigen 3D-Druckern verarbeitet werden können, wie sie heute bereits in Zahnarztpraxen und Dentallaboren im Einsatz sind – ohne Investitionen in teure Spezialgeräte.

Perspektiven über die Zahnmedizin hinaus

Das Potenzial bioaktiver Materialien gehe zudem über den Einsatz in der Zahnmedizin hinaus. Auch in anderen Bereichen wie der Implantologie oder Orthopädie könnten solche Werkstoffe zukünftig eine wichtige Rolle spielen. „Die Arbeit von Marius Behnecke ist ein Beispiel dafür, wie interdisziplinäre Forschung und neue Technologien die Medizintechnik voranbringen können – zum direkten Nutzen für Patientinnen und Patienten und das gesamte Gesundheitssystem“, sagt Prof. Dr. Svea Petersen, Betreuerin der Promotion und Professorin für Chemie und Oberflächenmodifikation polymerer Biomaterialien an der Hochschule Osnabrück.

Mit seiner Forschung an der Schnittstelle von Materialwissenschaft, 3D-Druck und Medizin leiste Behnecke einen Beitrag zur patientenorientierten Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung – passgenau, wirksam und zukunftsweisend.

 

Weitere Informationen zum Projekt: Hochschule Osnabrück

Resistente Bakterien

Neues Antibiotikum löst Suizidprogamm bei Gonokokken aus

Forschende der Universitäten Konstanz und Wien haben eine Klasse von Antibiotika entdeckt, die speziell gegen den Erreger der Gonorrhö, Neisseria gonorrhoeae, wirksam ist. Auch multiresistente Stämme dieses Bakteriums werden durch den neuartigen Wirkstoff abgetötet. Die Ergebnisse der Forschung wurden im Fachjournal Nature Microbiology veröffentlicht.

Die Gonorrhö war vor Entdeckung der Antibiotika die häufigste Ursache für Blindheit bei Kindern. Problematisch ist die zunehmende Resistenzentwicklung der Bakterien (Symbolbild).

Mit über 80 Millionen Fällen ist die Gonorrhö die weltweit häufigste sexuell übertragbare Erkrankung.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt seit Jahren vor der wachsenden Bedrohung durch antibiotikaresistente Keime und hat im vergangenen Jahr eine Liste besonders problematischer Infektionserreger veröffentlicht. Besonders problematisch sind multiresistente Bakterien, welche die Behandlung von Infektionen erschweren und die moderne Medizin vor enorme Herausforderungen stellen. Neisseria gonorrhoeae gehört laut der WHO zu den hochproblematischen Erregern, da er sich rasch an neue Antibiotika anpassen kann, so die Studienleiter.

Superbugs sammeln Resistenzgene ein

„Gonokokken haben traurige Berühmtheit erlangt, weil sie in der Lage sind, sehr schnell gegen Antibiotika resistent zu werden“, erklärt Prof. Thomas Böttcher von der Universität Wien. Dies geschehe vor allem dadurch, dass sie Resistenzgene aufnehmen können. „Nicht zuletzt deshalb sind in den letzten Jahren Gonokokken-Stämme aufgetaucht, die gegen alle bislang verwendeten Antibiotika resistent sind – solche superbugs sind mit Antibiotika nicht mehr zu behandeln“, führt Böttcher seine Ausführungen fort.

Die Bakterien besiedeln die Schleimhäute des Genitaltrakts und werden hauptsächlich durch ungeschützten Geschlechtsverkehr übertragen. Zudem können sie bei Neugeborenen eine Infektion der Augen verursachen, die unbehandelt zur Erblindung führen kann.

Alkyl-Quinolone als neuer Wirkstoff

Das Forschungsteam unter der Leitung von Christof Hauck (Universität Konstanz) und Thomas Böttcher (Universität Wien) hat eine neue Klasse von Wirkstoffen identifiziert, die zur Gruppe der Alkyl-Quinolone (AQs) gehören. AQs werden eigentlich von einigen Bakterien genutzt, um sich gegen Konkurrenten durchzusetzen.

Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen haben diese Naturstoffe synthetisch hergestellt und modifiziert, wodurch sich eine überraschende Wirkung einstellte: „Tatsächlich zeigte sich bei einem dieser neuen AQ-Moleküle eine bislang einzigartige Wirkung: Diese chemische Verbindung war in der Lage, Gonokokken abzutöten, aber hatte keinerlei negativen Einfluss auf andere Bakterien oder menschliche Zellen“, erklärt der Zellbiologe Hauck.

Aktivierung eines Selbstzerstörungsprogramms

Die AQs aktivieren ein Selbsttötungsprogramm bei den Gonokokken. Die Erstautorin der Studie, Ann-Kathrin Mix, sagt dazu: „Solche suicide-Programme, die auf sogenannten Toxin-Antitoxin-Systemen beruhen, kennt man zwar auch von anderen Mikroorganismen, aber mit unserem AQ-Wirkstoff haben wir genau die Achillesferse der Gonokokken getroffen.“

Der neuartige Wirkstoff greift ein spezifisches Toxin-Antitoxin-System in den Bakterien an: Das Antibiotikum baut das schützende Antitoxin ab, so kann das Toxin seine zerstörerische Wirkung entfalten.

Zukunftsperspektiven: Wirkung auch bei anderen Bakterien vorstellbar

Da ähnliche Toxin-Antitoxin-Systeme auch in anderen problematischen Bakterien vorhanden sind, könnte dieser Wirkmechanismus in Zukunft in modifizierter Form womöglich auch zur Bekämpfung weiterer Erreger genutzt werden.

 

Originalpublikation:
Mix, AK., Nguyen, T.H.N., Schuhmacher, T. et al. A quinolone N-oxide antibiotic selectively targets Neisseria gonorrhoeae via its toxin–antitoxin system. Nat Microbiol 10, 939–957 (2025).
https://doi.org/10.1038/s41564-025-01968-y

Pathoblocker: Neue Waffe im Kampf gegen Salmonellen

Ein gemeinsames Team der Universität Tübingen und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung entdeckte unlängst einen Stoff, der Signalketten der Salmonellen bei der Zellinvasion hemmt – ein neuer Ansatz für deren Bekämpfung?


Pathoblocker wirken nicht, indem sie Bakterien abtöteten, sondern indem sie deren Pathogenitätsmechanismen stören.

Salmonellen zählen zu den gefährlichsten bakteriellen Krankheitserregern im Magen-Darm-Trakt. Um sich im Körper zu verbreiten, injizieren sie sogenannte Effektorproteine in die Zellen des Darmgewebes – ein Mechanismus, der nun ins Visier der Forschung gerät, wie die Forschenden in Science Advances schreiben.

Früher Eingriff in den Infektionsprozess

Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Professor Samuel Wagner vom Exzellenzcluster „Kontrolle von Mikroorganismen zur Bekämpfung von Infektionen“ (CMFI) an der Universität Tübingen und dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) hat eine Substanz entdeckt, die den Infektionsprozess frühzeitig unterbrechen könne. Der künstlich erzeugte Stoff mit dem Kürzel C26 verhindert die Injektion der Effektorproteine – und könnte so die Ausbreitung der Bakterien im Körper stoppen.

Alternative zu Antibiotika: Pathoblocker

Da Salmonellen zunehmend Resistenzen gegen herkömmliche Antibiotika entwickelten, bestehe ein wachsender Bedarf an neuen Therapieansätzen. Pathoblocker wie C26 bieten hier eine gezielte Alternative. Sie wirkten nicht, indem sie Bakterien abtöteten, sondern indem sie deren Pathogenitätsmechanismen störten – in diesem Fall bevor die Erreger überhaupt in das Gewebe eindringen.

„Diese gezielte Wirkung verringert auch das Risiko, dass Resistenzen von anderen Bakterien übernommen werden“, erklärt Wagner.

Molekulare Zielstruktur: Der Regulator HilD

Im Zentrum der neuen Entdeckung stehe der Transkriptionsregulator HilD, ein Schlüsselprotein für die Aktivierung der Infektionsmechanismen bei Salmonellen. „Wir haben bei HilD eine spezifische Bindungsstelle gefunden, die sich hervorragend für Wirkstoffe eignet“, sagt Dr. Abdelhakim Boudrioua, Erstautor der Studie und Forscher am CMFI.

Die Wirkweise sei raffiniert: Der Wirkstoff C26 passe wie ein passgenauer Schlüssel in die molekulare „Tasche“ von HilD und blockiere so dessen Funktion – mit dem Effekt: die Infektionskaskade wird gestoppt.

Wirkstoff mit viel Potenzial

Um die Substanz zu identifizieren, durchsuchte das Team umfangreiche Substanzdatenbanken. C26 erwies sich als besonders vielversprechend. Anschließend wurden Strukturanalysen und Tests durchgeführt, unter anderem in Makrophagen – Immunzellen, in denen sich Salmonellen verstecken können. Dabei zeigte sich: C26 blockiert gezielt den Infektionsprozess, ohne das menschliche Mikrobiom zu beeinträchtigen.

„Wir haben damit einen idealen Ausgangsstoff zur Entwicklung eines Medikaments gegen Salmonelleninfektionen“, resümiert Wagner.

Ein bedeutender Fortschritt aus der Grundlagenforschung, aber …

Trotz des vielversprechenden Ansatzes liege noch ein weiter Weg zur marktreifen Therapie vor den Forschenden. Doch das Potenzial sei groß – nicht nur für den Einsatz beim Menschen, sondern auch in der Tiermedizin, insbesondere in der Geflügelzucht. Anders als klassische Antibiotika dürfte ein gezielter Pathoblocker wie C26 das körpereigene Mikrobiom nicht angreifen – ein entscheidender Vorteil für die Gesundheit von Mensch und Tier, so die Forschenden abschließend.

 

Originalpublikation: Boudrioua A et al., Discovery of synthetic small molecules targeting the central regulator of Salmonella pathogenicity. Science Advances 2025. https://doi.org/10.1126/sciadv.adr5235

Neuer Wirkstoff

Hoffnung im Kampf gegen Krankenhauskeime

Eine aktuelle Studie hat einen neuartigen Ansatz zur Behandlung von Staphylococcus aures und MRSA getestet. Die Daten sind vielversprechend und geben neue Hoffnung im Kampf gegen schwere nosokomiale Lungenentzündungen.

Eine im Krankenhaus erworbene Pneumonie kann fatale Folgen haben. Insbesondere, wenn es sich um multiresistente Keime handelt. Neue Antiinfektiva bieten vielversprechende Ansätze ohne erhöhtes Resistenzrisiko (Symbolbild).

Das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) hat gemeinsam mit internationalen Partnern eine neue Wirkstoffklasse zur Behandlung schwerer Lungeninfektionen durch den Krankenhauskeim Staphylococcus aureus entwickelt. Die aktuelle Studie, veröffentlicht in Cell Host & Microbe, zeigt, dass kleine Moleküle aus der Klasse der Quinoxalindione das bakterielle Toxin α-Hämolysin gezielt hemmen und dadurch Gewebeschäden sowie Entzündungen verhindern können.

Sterblichkeitsrate im Krankenhaus häufig über 20 Prozent

Infektionen mit S.aureus sind weltweit verbreitet und besonders in Krankenhäusern gefährlich, da multiresistente Stämme oft nicht mehr auf gängige Antibiotika ansprechen. Trotz intensiver Behandlungen liegt die Sterblichkeitsrate bei Betroffenen häufig über 20 Prozent. „Selbst mit eigentlich wirksamen Antibiotika sind Infektionen mit Staphylococcus aureus oft schwer behandelbar“, sagt Prof. Mark Brönstrup, Letztautor der Studie und Leiter der Abteilung „Chemische Biologie“ am HZI.

Der neue Ansatz greife daher nicht direkt die Bakterien an, sondern neutralisiere gezielt das von ihnen produzierte Toxin, was neue therapeutische Möglichkeiten eröffne, so der Wissenschaftler weiter.

Wirkstoff neutralisiert das Toxin α-Hämolysin

In dem neuen Forschungsansatz analysierte das Forschungsteam in einem miniaturisierten Testsystem mehr als 180.000 Substanzen auf ihre Wirksamkeit gegen das Toxin α-Hämolysin. Das Toxin bildet Poren in Zellmembranen und führt so zur Zerstörung von Lungengewebe.

Besonders vielversprechend erwies sich der Wirkstoff H052, der sowohl in Zellkulturen als auch in Tiermodellen hochwirksam war. In Mausversuchen konnte H052 die Überlebensrate bei akuten Lungeninfektionen mit dem virulenten S.aureus-Stamm USA300 deutlich erhöhen. Sowohl bei kursiver als auch bei präventiver Einnahme. Die Kombination von H052 mit dem Antibiotikum Linezolid war ebenfalls wirksam.

Dieser so sogenannten „Pathoblocker“ hemmt gezielt bakterielle Virulenzmechanismen, ohne das Bakterium selbst anzugreifen. Dadurch wird kein Selektionsdruck auf die Erreger ausgeübt und das Risiko einer Resistenzbildung minimiert.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich auch große bakterielle Toxine gezielt mit kleinen Molekülen hemmen lassen – das öffnet Türen für eine völlig neue Klasse von Antiinfektiva“, ergänzt Dr. Aditya Shekhar, Erstautor der Studie.

Potenzial für die Zukunft

Der Wirkstoff H052 hat das Potenzial, als Infusionspräparat in Kliniken zur Vorbeugung und Behandlung schwerer Lungenentzündungen eingesetzt zu werden.

 

Originalpublikation:
Aditya Shekhar et al.: Highly potent quinoxalinediones inhibit α-hemolysin and ameliorate Staphylococcus aureus lung infections. Cell Host & Microbe (2025).
DOI: https://www.cell.com/cell-host-microbe/fulltext/S1931-3128(25)00089-7.

Neuartige Antibiotika

„Überraschende Entdeckung“: Antisense-PNA hemmt Tumor-assoziierte Bakterien

Fusobakterien gehören zur Mundflora. Und sie stehen im Verdacht, das Wachstum von Krebs zu fördern. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung entdeckte nun unerwarteterweise eine Verbindung, die das Wachstum von fünf Fusobakterienarten zuverlässig stoppt. Die Ergebnisse wurden in „mBio“, dem Fachmagazin der Amerikanischen Gesellschaft für Mikrobiologie, veröffentlicht.

Elektronenmikroskopieaufnahme von Fusobakterien: Fusobakterien gehören zur Mundflora. Und sie stehen im Verdacht, das Wachstum von Krebs zu fördern.

„Fusobakterien fanden lange Zeit wenig Beachtung – und das trotz ihrer klinischen Bedeutung“, wird Studienleiter Jörg Vogel (Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung, Würzburg) in einer Mitteilung des Instituts zitiert. Fusobakterien besiedelten viele Bereiche des Körpers: Neben der Mundhöhle seien sie insbesondere auch in Tumorgewebe zu finden, beispielsweise bei Speiseröhren-, Darm- und Brustkrebs. Dort stehen sie in Verdacht, das Tumorwachstum sowie die Metastasenbildung zu fördern.

Gezielt wirkende Antibiotika

Ein Ziel seiner Arbeitsgruppe sei es, Strategien zu untersuchen, die diese Mikroben in Karzinomen gezielt beseitigen können. Zwar seien auch herkömmliche Antibiotika in der Lage, die Verbreitung von Fusobakterien zu hemmen und das Tumorwachstum zu verlangsamen, doch könne ihr Einsatz unerwünschte Nebenwirkungen wie Magen-Darm-Probleme hervorrufen. Gezielte Behandlungsmethoden sollen dies vermeiden.

Peptidnukleinsäuren: neue Generation antibakterieller Wirkstoffe

Bei der Suche nach einem zielgenauen Wirkstoff konzentrierte sie sich das Team um Vogel auf Peptidnukleinsäure (PNA). Dabei handelt es sich um künstlich hergestellte Moleküle, die der DNA oder der RNA ähneln. Im Gegensatz zu natürlichen Nukleinsäuren besteht das Rückgrat von PNAs jedoch nicht aus Zucker- und Phosphatgruppen, sondern aus einer proteinartigen Struktur. Diese Struktur, die kurzen Proteinketten (Peptiden) ähnelt, verleihe den PNAs eine außergewöhnliche Stabilität. „Die Basen entsprechen denen in DNA, was es den PNAs ermöglicht, Transkripte gezielt anzusteuern. Als sogenannte Antisense-Moleküle binden PNAs an die komplementäre Boten-RNA (mRNA) eines Zielgens und blockieren deren Funktion. Auf diese Weise unterbinden sie die Produktion lebenswichtiger Proteine. Diese gezielte Wirkungsweise positioniert PNAs als potentielle Vertreter einer neuen Generation antibakterieller Wirkstoffe“, so das Helmholtz-Institut.

Ergebnis: Eine „überraschende Entdeckung“

Die von den Forschenden bei den Versuchen eingeschleusten Antisense-Moleküle konnten das Bakterienwachstum jedoch nicht wie angenommen hemmen. Stattdessen gelang eine „unerwartete Entdeckung“: Die Kontrollverbindung FUS79, die nicht auf ein bestimmtes Transkript abzielte, zeigte eine starke Wirkung gegen fünf Fusobakterienstämme, ohne andere getestete Bakterienarten zu beeinflussen! „Das Ergebnis war überraschend, da die Verbindung nicht auf die für Antisense-Nukleinsäureketten erwartete Weise agiert, sondern einen neuen Mechanismus aufweist“, wird Valentina Cosi, Erstautorin der Studie und Doktorandin im Labor von Jörg Vogel, zitiert. „Dieser scheint über Membranstress zu wirken, indem er die Struktur der Zellmembran destabilisiert oder ihre Funktion beeinträchtigt, was jedoch noch genauer untersucht werden muss.“

Fazit: Grundlage für neuartige Antisense-Therapeutika

„Die Studie liefert eine Grundlage für die Entwicklung von Antisense-Therapeutika gegen F. nucleatum und zeigt, dass diese Verbindung eine neue Strategie für gezieltere Antibiotika bieten könnte“, so das Fazit der Forschenden. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen nun dazu beitragen, Forschung auf diesem Gebiet zu beschleunigen und zukünftig die Heilungschancen bei verschiedenen Krebsarten zu verbessern.

Originalpublikation:

Cosi V, Jung J, Popella L, Ponath F, Ghosh C, Barquist L, Vogel J (2025) An antisense oligomer conjugate with unpredicted bactericidal activity against Fusobacterium nucleatum. mBio, DOI: 10.1128/mbio.00524-25 https://doi.org/10.1128/mbio.00524-25

Mundgesundheit ist „signifikanter“ Demenz-Risikofaktor!

024 hatte die Lancet-Kommission für Demenz ihre neuesten Erkenntnisse zu der Erkrankung veröffentlicht. US-Forschende rügen nun, dass der Bericht die große Rolle der Mundgesundheit für das Demenzrisiko übersieht.

Im vergangenen Jahr hatten mehr als zwei Dutzend Wissenschaftler aus aller Welt einen hohen Cholesterinspiegel und Sehkraftverlust als neue Risikofaktoren für Demenz ausgemacht. Ihre Erkenntnisse veröffentlichten sie im August in der Fachzeitschrift „The Lancet“, um ihren Schlussfolgerungen Nachdruck zu verleihen. Der Bericht machte international Schlagzeilen.

Der Faktor Mundgesundheit wird übersehen

Bei Wu, Professorin für globale Gesundheit und stellvertretende Forschungsdekanin am Rory Meyers College of Nursing der New York University, leitet seit Anfang der 2000er Jahre staatlich finanzierte Forschungen, die den Abbau kognitiver Fähigkeiten, darunter Demenz, mit der Mundgesundheit in Zusammenhang bringen. Sie fordert, die Mundgesundheit als Risikofaktor mit einzubeziehen.

„Obwohl der Bericht wertvolle Erkenntnisse bietet, glauben wir, dass er die wesentliche Rolle der Mundgesundheit bei dem Demenzrisiko übersieht“, schrieb Wu in einem am 20. Februar in The Lancet veröffentlichten Brief.

Enger Fokus und eingeschränkte Auswahl

Der enge Fokus der Kommission auf Zahnerkrankungen als potenziellen Risikofaktor werde der Komplexität von Mundgesundheitsproblemen nicht gerecht. „Obwohl die Autoren behaupten, die beste Evidenz anhand der neuesten Literatur zusammenzufassen, zitierten sie bei ihrer Diskussion über Mundgesundheit nur zwei Studien. Diese eingeschränkte Auswahl spiegelt nicht die Fülle der neuen Belege wider“, stellte sie in ihrem Schreiben fest.

Zahlreiche Längsschnittkohorten aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, darunter aus den USA, Japan, Großbritannien, Schweden und China, belegten den Zusammenhang zwischen Mundgesundheit und kognitiven Beeinträchtigungen oder Demenz.

„Unsere Metaanalyse von 14 Längsschnittstudien (34.074 Erwachsene im Alter von 60 Jahren und älter) ergab eine Dosis-Wirkungs-Beziehung: Jeder zusätzliche fehlende Zahn war mit einem 1,4 Prozent erhöhten Risiko für kognitive Beeinträchtigungen und einem 1,1 Prozent erhöhten Risiko einer Demenzdiagnose verbunden“, führte sie aus. „Darüber hinaus vereinfacht die ausschließliche Kategorisierung von Zahnerkrankungen unter Infektionen und systemischen Entzündungen die komplexen Mechanismen, die die Mundgesundheit mit dem Demenzrisiko verbinden.“

Schlechte Mundgesundheit verdreifacht das Demenzrisiko

„Wir haben festgestellt, dass eine schlechte Mundgesundheit das Demenzrisiko im Vergleich zu Diabetes oder Bluthochdruck fast verdreifacht“, sagte Xiang Qi, PhD, RN, Assistenzprofessor am NYU Rory Meyers College of Nursing. Qi, der den Brief gemeinsam mit Wu verfasst hat.

Obwohl die Verfasser die Notwendigkeit weiterer langfristiger, qualitativ hochwertiger, randomisierter, kontrollierter Studien anerkennen, sind sie der Ansicht, dass die vorhandenen Beweise in künftigen Berichten einer gründlicheren Überprüfung bedürfen.

„Wir ermutigen die Kommission, eine umfassende Untersuchung der Beziehung zwischen Mundgesundheitsproblemen und Demenzrisiko in Betracht zu ziehen und dies möglicherweise als vielversprechenden Bereich für die Forschung zur Demenzprävention, -intervention und -pflege hervorzuheben“, fordern sie abschließend.

Schon 2002 hatte Wu in ihrer Arbeit gezeigt, dass kognitiver Abbau mit der Mundgesundheit zusammenhängt, obwohl es zu früh war, um eine eindeutige Verbindung zu Demenz herzustellen. In der Dezemberausgabe des American Journal of Public Health von 2007 veröffentlichte sie bereits den Beitrag „Cognitive Function and Dental Care Utilization Among Community-Dwelling Older Adults“. „Das Thema war damals so neu“, erinnert sie sich heute.

14 Risikofaktoren für Demenz

Der Bericht von 2024 identifizierte Hörverlust, Bluthochdruck, Fettleibigkeit, übermäßigen Alkoholkonsum, Rauchen, Depression, körperliche Inaktivität, Diabetes, soziale Isolation, Luftverschmutzung, traumatische Hirnverletzungen, hohen Cholesterinspiegel und Sehverlust als Demenzrisikofaktoren, wobei einige Risikofaktoren jedoch schwerwiegender sind als andere. Nimmt man orale Erkrankungen hinzu, kommt man auf 14 Risikofaktoren.

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird sich die Zahl der Demenzkranken aufgrund der alternden Weltbevölkerung bis 2050 verdreifachen: von 50 Millionen auf 152 Millionen.

1. Dementia prevention, intervention, and care: 2024 report of the Lancet standing CommissionLivingston, Gill et al.The Lancet, Volume 404, Issue 10452, 572 – 628
2. Reflections on The Lancet’s Commission on dementia prevention, intervention, and careQi, Xiang et al.The Lancet, Volume 405, Issue 10479, 625

Cholesterin und Demenz: Riskantes Auf und Ab

Gutes Cholesterin, schlechtes Cholesterin – so einfach ist es nicht. Für das Demenzrisiko scheinen Schwankungen wichtiger zu sein als die absoluten Werte. Was das für die Statintherapie bedeuten könnte.

Zu den vielen bekannten Risikofaktoren für Demenz kommen ständig neue hinzu. Forscher haben jetzt einen überraschenden Faktor entdeckt, der das Demenzrisiko deutlich erhöhen kann. Für viele Faktoren ist bereits gut erforscht, wie sie zur Entstehung einer Demenz beitragen können. Glücklicherweise sind viele dieser Faktoren durch unser Verhalten beeinflussbar, sodass wir unser Schicksal zumindest teilweise selbst in die Hand nehmen können. Große mediale Aufmerksamkeit erregte die Veröffentlichung der Lancet Commission on Dementia, die zu dem Schluss kam, dass fast die Hälfte aller Demenzerkrankungen verhindert werden könnte, wenn man 14 Risikofaktoren in den Griff bekäme. Auch wenn der Wert von fast 50 % vielleicht etwas hoch gegriffen erscheint, so steht doch fest, dass jeder Einzelne sein individuelles Risiko beeinflussen kann.

Die Sache mit dem Cholesterin

Zu den beeinflussbaren Risikofaktoren gehört beispielsweise ein erhöhter LDL-Cholesterinspiegel im mittleren Lebensalter. Wer im Alter von 50 Jahren einen hohen LDL-Cholesterinwert aufweist, hat im Alter von 80 Jahren ein erhöhtes Risiko, an Demenz zu erkranken. Dabei spielt das Alter, in dem ein erhöhter Cholesterinspiegel gemessen wird, eine entscheidende Rolle. Während der Zusammenhang im mittleren Lebensalter (40–60 Jahre) eindeutig belegt ist, ist die Datenlage für ältere Menschen uneinheitlich. Hier konnte in den meisten Studien kein Zusammenhang zwischen einem erhöhten LDL-Cholesterin und einem erhöhten Demenzrisiko nachgewiesen werden. Eine etwas ältere Studie konnte sogar zeigen, dass ein hohes Gesamtcholesterin bei älteren Menschen im Hinblick auf das Demenzrisiko von Vorteil ist. Diese und andere Studien führten zu einer Abkehr vom damals vorherrschenden Schwarz-Weiß-Denken in Sachen Cholesterin. Die Wahrheit war wieder einmal komplexer als der einfache Zusammenhang „Cholesterin ist schlecht“.

Cholesterin schwankt hin und her

Während bisherige Studien die Cholesterinwerte zu einem bestimmten Zeitpunkt betrachteten, stellten amerikanische Forscher die Hypothese auf, dass weniger der absolute Wert als vielmehr die Schwankungen der Werte im Laufe der Zeit von Bedeutung sein könnten. Hintergrund ist die Beobachtung, dass die Cholesterinwerte mit zunehmendem Alter dynamischer werden und mal höher und mal niedriger ausfallen. Die Messung zu einem bestimmten Zeitpunkt könnte daher nicht ausreichen, um ein Gesamtbild des Cholesterinstoffwechsels zu erhalten.

Statineinnahme verboten

Um ihre Hypothese zu testen, untersuchten die Wissenschaftler eine bereits bestehende Studienkohorte. Knapp 10.000 Studienteilnehmer wurden in die Analyse einbezogen. Ausgeschlossen wurden Studienteilnehmer, die im Untersuchungszeitraum eine Therapie mit lipidsenkenden Medikamenten (meist Statine) begonnen oder beendet hatten. Damit sollte eine Verzerrung der Ergebnisse durch die Medikamenteneinnahme vermieden werden. Dennoch sind die Ergebnisse nicht völlig frei von Statineinflüssen, da sowohl Teilnehmer eingeschlossen wurden, die über den gesamten Zeitraum Statine einnahmen, als auch solche, bei denen die Dosis im Verlauf geändert wurde, da keine Daten über die Dosierung der Medikamente vorlagen.

Gefährliches Schwanken

Bei den Studienteilnehmern wurden über einen Zeitraum von mindestens drei Jahren jährliche Cholesterinmessungen durchgeführt. In der Nachbeobachtungszeit wurde dann der Zusammenhang zwischen der Variabilität der einzelnen Messwerte und dem Auftreten von kognitiven Einschränkungen oder Demenz untersucht. Dazu wurden die Teilnehmer entsprechend ihrer Cholesterinvariabilität in vier Gruppen eingeteilt. In der Gruppe mit der größten Variabilität der Messwerte war auch das Risiko, später an Demenz zu erkranken, signifikant erhöht. In der Gruppe mit der höchsten Schwankung des Gesamtcholesterins erkrankten 11,3 Personen pro 1.000 beobachteten Personenjahren, in der Gruppe mit der niedrigsten Schwankung nur 7,1. Dies entspricht einem um 60 % erhöhten Risiko bei hoher Schwankung des Gesamtcholesterins. Bei einer hohen Schwankung des LDL-Cholesterins war das Risiko um 48 % höher als bei einer geringen Schwankung. Für HDL-Cholesterin und Triglyceride war dieser Zusammenhang nicht gegeben, hier hatte die Schwankungsbreite keinen Einfluss.

Zeitverlauf schlägt punktuelle Messung

Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass die Variabilität des Gesamtcholesterins und des LDL-Cholesterins ein neuer Risikofaktor sein könnte, der das Demenzrisiko besser vorhersagt als die einmalige Messung. Das bedeutet für die Praxis: Statt nur auf absolute Werte zu achten, sollte auch der zeitliche Verlauf stärker berücksichtigt werden. In anderen Bereichen der Medizin ist dieser Ansatz längst etabliert. Eine Hyponatriämie ist viel gefährlicher, wenn das Natrium rasch fällt, als wenn sich über lange Zeit ein Gleichgewicht eingestellt hat. Auch beim Körpergewicht gibt eine rasche Gewichtsabnahme mehr Anlass zur Sorge, als wenn ein Mensch sehr schlank veranlagt ist und dauerhaft ein unterdurchschnittliches Körpergewicht hat.

Erklärung gesucht

Eine mögliche Erklärung für diesen Zusammenhang ist, dass Schwankungen der Cholesterinwerte auf eine Entgleisung des Stoffwechsels hinweisen. Verschiedene Erkrankungen im Alter können zu einem gestörten (Fett-)Stoffwechsel führen, der wiederum das Demenzrisiko erhöhen kann. Die schwankenden Cholesterinwerte wären dann ein Hinweis darauf, dass es dem Körper zunehmend schwerfällt, die metabolischen Auf- und Abbauprozesse im Gleichgewicht zu halten. Eine andere mögliche Erklärung ist, dass die schwankenden Cholesterinwerte die Blutgefäße des Gehirns direkt schädigen. In den Blutgefäßen bilden sich häufig Plaques. Wenn sie stabil sind, verursachen diese Plaques kaum Probleme. Mit steigendem oder sinkendem Cholesterinspiegel kann sich jedoch die Zusammensetzung der Plaques verändern, die Plaques verlieren ihre Stabilität und die Gefahr von Rissen und Gefäßverschlüssen steigt.

Implikationen für Statintherapie?

Wenn schwankende Cholesterinwerte an sich gefährlich sind und zu Schäden an den Blutgefäßen führen, wäre dies vielleicht auch ein Argument, mit einer zu aggressiven medikamentösen Cholesterinsenkung im Alter zurückhaltend zu sein. Da der Einfluss von Medikamenten aber in der Studie nicht untersucht wurde, lassen sich auch keine belastbaren Rückschlüsse auf den Nutzen oder Schaden einer bestimmten Therapie ziehen. Wie so oft sind weitere Untersuchungen nötig, um den komplexen Zusammenhang zwischen Cholesterinwerten und Demenzrisiko weiter zu entschlüsseln.

Quellen:
Livingston et al. Dementia prevention, intervention, and care: 2024 report of the Lancet standing Commission. Lancet, 2024. doi: 10.1016/S0140-6736(24)01296-0

Mielke et al. High total cholesterol levels in late life associated with a reduced risk of dementia. Neurology, 2005. doi: 10.1212/01.WNL.0000161870.78572.A5

Zhou et al. Association of Year-to-Year Lipid Variability With Risk of Cognitive Decline and Dementia in Community-Dwelling Older Adults. Neurology, 2025. doi: 10.1212/WNL.0000000000210247