Vorsicht bei Saftkuren!

Entzündender Saft: Kuren mit Zerstörungspotenzial

Ob Apfel, Orange oder Maracuja – Saftkuren sind besonders im Frühjahr hoch im Kurs und sollen dem Körper beim „Entschlacken“ helfen. Warum sich das Mikrobiom aber so gar nicht über die Zusatzliter freut.

Jedes Frühjahr dieselbe Situation: Kunden betreten die Apotheke mit der festen Überzeugung, ihrem Körper mit einer Saftkur etwas Gutes zu tun. „Ich mache wieder meine Entgiftungskur!“, heißt es dann. „Ich brauche 100 Gramm Glaubersalz zur Darmreinigung.“ Der Vorsatz ist löblich – aber ist eine solche Kur tatsächlich gesund? Und welchen Einfluss hat der einseitige Konsum von Frucht- und Gemüsesäften auf den Organismus? Eine aktuelle Studie aus dem Fachjournal Nutrients untersucht, wie sich eine Saftkur auf das Darm- und Mundmikrobiom auswirkt. Das Ergebnis ist sehr interessant und zeigt neben den Vorteilen auch die Risiken einer solchen Frühjahrskur auf, die vielen Saftkuren-Anhängern vielleicht gar nicht bewusst sind.

Wie funktioniert eine klassische Saftkur?

Bei einer typischen Saftkur verzichten Menschen für mehrere Tage – teilweise sogar für wenige Wochen – auf feste Nahrung. Stattdessen konsumieren sie ausschließlich frisch gepresste Obst- und Gemüsesäfte. Die Annahme dahinter: Der Körper könne durch die flüssige Ernährung „entgiften“, sich von „Schlacken“ befreien und regenerieren. Während wissenschaftlich gesehen keine Belege für die Existenz von „Schlacken“ existieren, zeigen sich viele Saftkur-Anhänger dennoch überzeugt von den positiven Effekten: Sie berichten von gesteigertem Wohlbefinden, besserer Verdauung und mehr Energie. Doch sind diese Effekte wirklich nachhaltig – oder hat eine solche Kur auch Schattenseiten?

 

Der Einfluss auf das Mikrobiom

Die Studie untersuchte die Auswirkungen einer mehrtägigen Saftkur auf das Darm- und Mundmikrobiom. Das Mikrobiom ist in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus der medizinischen Forschung gerückt, da es eine entscheidende Rolle für die allgemeine Gesundheit spielt – von der Immunabwehr über die Verdauung bis hin zur psychischen Verfassung.

Das Studiendesign umfasste eine kontrollierte Intervention mit insgesamt 14 Teilnehmern:

  • Teilnehmer: 14 gesunde Erwachsene im Alter von 18 bis 35 Jahren, die aus einer Gruppe von 143 Teilnehmern mit einem BMI zwischen 18,5 und 30 kg/m2 ausgesucht wurden.
  • Intervention: Die Probanden wurden in drei Gruppen aufgeteilt: Eine Gruppe konsumierte ausschließlich Säfte, eine weitere Gruppe kombinierte Säfte mit fester Nahrung, und die dritte Gruppe ernährte sich ausschließlich pflanzenbasiert. Vor der Intervention durchliefen alle Gruppen eine Eliminationsdiät.
  • Methodik: Mikrobiotaproben (Stuhl-, Speichel- und Wangenabstriche) wurden zu mehreren Zeitpunkten entnommen: vor der Intervention, nach einer Eliminationsdiät, direkt nach der Saftkur und 14 Tage danach.
  • Analysemethoden: Die Forscher nutzten eine 16S-rRNA-Sequenzierung, um die Veränderungen in der Bakterienzusammensetzung im Darm- und Mundmikrobiom zu erfassen.

Die Ergebnisse zeigten, dass sich insbesondere das Speichelmikrobiom als Reaktion auf die Eliminationsdiät signifikant veränderte. Es wurde eine deutliche Reduktion von Firmicutes und eine Zunahme von Proteobakterien festgestellt. Auch nach der Saftkur waren im Mundraum Veränderungen erkennbar, besonders in der relativen Häufigkeit entzündungsfördernder Bakterienfamilien.

Im Gegensatz dazu zeigte das Darmmikrobiom insgesamt keine signifikanten Verschiebungen in der Zusammensetzung. Allerdings nahmen bakterielle Taxa, die mit Darmpermeabilität, Entzündungen und kognitivem Verfall assoziiert sind, in der relativen Häufigkeit zu. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass kurzfristiger Saftkonsum potenziell vor allem negative Auswirkungen auf die Mikrobiota haben kann.

Fluch oder Segen für die Gesundheit?

Die Studie kommt zu dem Schluss, dass eine kurzfristige Saftkur keinen langfristig positiven Effekt auf das Mikrobiom hat und stattdessen sogar eher das Potenzial für negative Auswirkungen birgt:

  • Veränderungen in der Mundflora: Durch den hohen Zuckergehalt und die Säure der Säfte wurden entzündungsfördernde Bakterien begünstigt, während schützende Bakterienstämme reduziert wurden.
  • Keine nachhaltige Verbesserung der Darmflora: Während eine pflanzenbasierte Ernährung positive Effekte auf die Mikrobiota zeigte, führte der Saftkonsum nicht zu einer langfristigen Erhöhung der bakteriellen Vielfalt.
  • Erhöhte Entzündungsmarker: Bestimmte Bakterienfamilien, die mit Entzündungsprozessen in Verbindung stehen, nahmen nach der reinen Saftkur zu, was auf eine potenzielle Beeinträchtigung der Darmgesundheit hinweisen könnte.

Die Rolle der Apotheke: Beratung statt Hype

Saftkuren sind ein – vor allem saisonal – wiederkehrendes Thema in der Apothekenberatung. Viele Kunden suchen gezielt nach Produkten zur Unterstützung ihrer Kur – seien es Abführmittel, Darmbakterienpräparate, Elektrolyte oder weitere Nahrungsergänzungsmittel. Hier haben Apothekenmitarbeiter die Möglichkeit, fundierte Aufklärung zu betreiben:

  • Individuelle Eignung prüfen: Nicht jeder Mensch profitiert von einer Saftkur. Bei Diabetikern, älteren Menschen oder Patienten mit Verdauungsproblemen ist besondere Vorsicht geboten.
  • Mikronährstoffmangel vorbeugen: Wer über mehrere Tage nur Säfte zu sich nimmt, sollte auf eine ausreichende Zufuhr essenzieller Nährstoffe achten. Eiweißreiche Ergänzungen oder gezielt eingesetzte Nahrungsergänzungsmittel können helfen.
  • Ballaststoffe integrieren: Ein Smoothie statt eines Saftes kann eine bessere Alternative sein, da hierbei die Ballaststoffe erhalten bleiben.
  • Mundhygiene nicht vernachlässigen: Kunden sollten darauf hingewiesen werden, dass der Säuregehalt von Säften den Zahnschmelz angreifen kann. Ein einfaches Mittel: Nach dem Trinken mit Wasser nachspülen, um die Säurekonzentration zu reduzieren.

Kritische Betrachtung der Studie

Obwohl die Ergebnisse dieser Studie interessante Erkenntnisse liefern, gibt es einige Kritikpunkte, die berücksichtigt werden sollten. So basiert die Untersuchung auf nur 14 Teilnehmern, was ihre statistische Aussagekraft begrenzt. Eine größere Stichprobe wäre notwendig, um fundiertere Schlussfolgerungen zu ermöglichen. Zudem wurde die Studiendauer auf wenige Tage beschränkt, sodass langfristige Effekte einer Saftkur, insbesondere auf die Darmflora, nicht untersucht wurden. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die individuelle Variabilität des Mikrobioms. Da jedes Mikrobiom einzigartig ist, könnten Unterschiede durch vorbestehende Ernährungsgewohnheiten oder genetische Faktoren eine Rolle spielen, die in der Studie nicht detailliert berücksichtigt wurden.

Zudem fokussiert sich die Untersuchung ausschließlich auf mikrobiologische Veränderungen, ohne subjektiv wahrgenommene Effekte wie gesteigerte Energie oder verbessertes Wohlbefinden zu erfassen. Kritiker könnten auch anmerken, dass die getestete Saftkur nicht repräsentativ für alle Detox-Konzepte ist, da viele Programme zusätzliche Maßnahmen wie Darmreinigungen oder Nahrungsergänzung beinhalten, die möglicherweise andere Ergebnisse liefern könnten. Schließlich bleibt unklar, ob regelmäßige Saftkuren langfristig positive oder negative Auswirkungen auf das Mikrobiom haben, da nach 14 Tagen eine Rückkehr zur Ausgangszusammensetzung festgestellt wurde.

Saftkur: Ja oder Nein?

Die aktuelle Forschung legt nahe, dass eine kurzfristige Umstellung auf eine rein flüssige Ernährung keine nachhaltigen positiven Effekte auf das Mikrobiom hat. Während eine pflanzenbasierte Ernährung durchaus vorteilhaft sein kann, birgt eine reine Saftkur das Risiko von Blutzuckerschwankungen, Zahnproblemen und Veränderungen im Mikrobiom, die mit Entzündungsprozessen in Verbindung stehen könnten. Wer sich dennoch für eine Saftkur entscheidet, sollte gesund sein, dies bewusst tun und sich über potenzielle Risiken im Klaren sein.

Allergische Kontaktstomatitis gegen Zahnfüllungen

Allergische Reaktionen auf Dentalmaterialien sind selten, doch die Ergebnisse einer aktuellen Studie betonen, wie wichtig es ist, neben Metallen wie Nickel und Palladium auch Kunststoffe und natürliche Substanzen in Patch-Tests einzubeziehen.

Ziel der Studie war es, aktuelle Muster von Sensibilisierungen zu identifizieren und deren klinische Relevanz zu bewerten.

Die Untersuchung umfasste Daten von 2.730 Patientinnen und Patienten, die zwischen 2005 und 2019 getestet wurden. Diese Personen wiesen Symptome im Bereich des Mundes, der Lippen oder der perioralen Haut auf. Alle Probanden wurden mit verschiedenen Testreihen, darunter der deutschen Basistestserie sowie spezifischen Reihen für Metalle und Dentaltechniker, gepatcht.

Die Mehrheit der getesteten Teilnehmenden war weiblich (81,2 Prozent) und älter als 40 Jahre (92,8 Prozent).

Kontaktstomatitis selten, aber sehr breites Ursachenspektrum

Eine Allergische Kontaktstomatitis wurde im Allgemeinen eher selten diagnostiziert, war jedoch bei Frauen deutlich häufiger als bei Männern zu finden. Die höchsten Sensibilisierungsraten bei Frauen wurden für Nickel (28,6 Prozent), Palladium (21,4 Prozent) und Amalgam (10,9 Prozent) festgestellt. Auch natürliche Substanzen wie Propolis (6,8 Prozent) und „Peru-Balsam“ (11,4 Prozent) zeigten relevante Werte.

Unter den Acrylaten erwiesen sich insbesondere 2-Hydroxyethylmethacrylat (HEMA, 4,8 Prozent), 2-Hydroxypropylmethacrylat und andere Monomere als stark sensibilisierend.

Bei Männern waren die Sensibilisierungsraten am höchsten für Propolis (14,9 Prozent) und Amalgam (13,6 Prozent).

Bedeutung für die Praxis

Allergische Reaktionen auf Dentalmaterialien seien insgesamt selten, doch die Ergebnisse der vorliegenden Studie betonten die Notwendigkeit, neben Metallen wie Nickel und Palladium auch Acrylate und natürliche Substanzen wie Propolis in die Allergie-Patch-Tests einzubeziehen. „Unsere Analyse trägt dazu bei, potenzielle Risikofaktoren für Kontaktallergien besser zu verstehen und die Auswahl geeigneter Materialien für Patienten mit Allergierisiken zu optimieren“, erklären die Autoren zum Abschluss.

Die Ergebnisse unterstreichen einmal mehr, dass Fortschritte bei der Materialentwicklung und auch der zurückgehende Einsatz von Amalgam möglicherweise zu veränderten Sensibilisierungsprofilen führen könnten. [Anm. d. Red.: Mit dem EU-weiten Verbot von Amalgamfüllungen ab 1.1.2025 könnte dies wohl schon bald auch in der Praxis spürbar werden.]

 

Originalpublikation: Forkel S et al., Contact allergies to dental materials in patients. British Journal of Dermatology 2024; 190(6): 895–903. https://doi.org/10.1093/bjd/ljad525

Blutspenden verändert Ihre Gene

jüngste Forschungen des Francis Crick Institute haben faszinierende genetische Anpassungen in den Blutstammzellen von regelmäßigen Blutspendern aufgedeckt, die die Produktion neuer, nicht-krebsartiger Zellen unterstützen, ohne das Krebsrisiko zu erhöhen, wie in der Zeitschrift Blood berichtet.

Klonahemapoese bei Spendern

Die Studie untersuchte Blutproben von über 200 regelmäßigen Spendern, definiert als Personen, die dreimal im Jahr über 40 Jahre hinweg Blut gespendet hatten, was insgesamt mehr als 120 Spenden ergibt. Diese Proben wurden mit denen von sporadischen Spendern verglichen, die weniger als fünfmal gespendet hatten1. Während beide Gruppen ähnliche Niveaus klonaler Diversität aufwiesen, unterschied sich die Zusammensetzung der Blutzellpopulationen signifikant zwischen regelmäßigen und sporadischen Spendern2. Diese Forschung liefert wertvolle Einblicke, wie sich der menschliche Körper an regelmäßige Blutspenden anpasst, und könnte Wissenschaftlern helfen, die Unterschiede zwischen vorteilhaften genetischen Veränderungen und solchen, die zu Blutkrebs führen könnten, besser zu verstehen.

Wichtige Erkenntnisse zu genetischen Anpassungen

Die Studie zeigte keinen signifikanten Unterschied in der Gesamtinzidenz der klonalen Hämatopoese (CH) zwischen häufigen und sporadischen Blutspendern1. Allerdings wurden unterschiedliche Mutationsmuster in DNMT3A, dem am häufigsten betroffenen Gen bei CH, beobachtet1. Bemerkenswerterweise zeigten die genetischen Varianten, die bei häufigen Spendern angereichert waren, ein konkurrenzfähiges Wachstumspotenzial, wenn sie mit Erythropoetin (EPO) stimuliert wurden, einem Hormon, das als Reaktion auf Blutverlust ansteigt1. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass häufiges Blutspenden genetische Varianten selektieren könnte, die besonders effizient auf den Stress regelmäßigen Blutverlusts reagieren, indem sie die Produktion roter Blutkörperchen steigern, ohne das Krebsrisiko zu erhöhen.

Rolle von DNMT3A-Mutationen

DNMT3A-Mutationen spielen eine entscheidende Rolle bei der genetischen Anpassung von Blutstammzellen bei häufigen Blutspendern. Diese Mutationen, die insbesondere im DNMT3A-Gen häufig vorkommen, ermöglichen es den Zellen, besser auf den Stress durch regelmäßigen Blutverlust zu reagieren1. Im Gegensatz zu anderen DNMT3A-Mutationen, die mit einem Leukämierisiko verbunden sind, fördern die bei häufigen Spendern gefundenen Varianten eine gesunde Regeneration der Blutzellen, ohne das Krebsrisiko zu erhöhen.

  • DNMT3A ist an der epigenetischen Programmierung beteiligt und beeinflusst die Genaktivität, um Zellen bei der Anpassung an sich ändernde Bedingungen zu unterstützen.

  • Zellen mit diesen spezifischen DNMT3A-Mutationen haben einen Vorteil bei der schnellen Ersetzung verlorener Blutzellen nach einer Spende.

  • Unter dem Einfluss von Erythropoetin (EPO), das nach Blutverlust ansteigt, setzen sich diese mutierten Zellen gegenüber anderen Stammzellen durch.

  • Die Mutationen scheinen die EPO-gesteuerte Bluterneuerung zu verbessern, ohne die normale Blutbildung zu stören oder das Leukämierisiko zu erhöhen.

Diese genetische Anpassung zeigt die bemerkenswerte Fähigkeit des Körpers, seine Reaktion auf die regelmäßige Herausforderung der Blutspende zu optimieren, was möglicherweise erklärt, wie häufige Spender trotz wiederholter Spenden gesunde Blutwerte aufrechterhalten können.

Funktionale Vorteile bei Spendern

Regelmäßiges Blutspenden wird mit mehreren funktionalen Vorteilen für Spender in Verbindung gebracht, die über die genetischen Anpassungen in Blutstammzellen hinausgehen. Diese Vorteile umfassen kardiovaskuläre Verbesserungen und potenzielle metabolische Effekte:

  • Niedrigerer Blutdruck und ein reduziertes Risiko für Herzinfarkte wurden mit regelmäßigem Blutspenden in Verbindung gebracht.

  • Blutspenden kann helfen, den Eisenspiegel im Körper auszugleichen, was besonders für Personen mit hohen Eisenspeichern von Vorteil ist.

  • Einige Studien legen nahe, dass häufiges Spenden die Glukosetoleranz und Insulinsensitivität verbessern könnte, was potenziell schützende Effekte gegen Typ-2-Diabetes bietet.

Darüber hinaus kann der Akt des Blutspendens positive psychologische Auswirkungen haben. Spender berichten oft von reduziertem Stress, verbessertem emotionalen Wohlbefinden und einem Gefühl der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft. Obwohl diese Vorteile ermutigend sind, ist es wichtig zu beachten, dass weitere Forschung erforderlich ist, um die langfristigen Auswirkungen von häufigem Blutspenden auf die allgemeine Gesundheit vollständig zu verstehen.

Bestimmte Zahnerkrankungen steigern das KHK-Risiko beträchtlich

Kranke Zähne, krankes Herz? Die Zusammenhänge zwischen bestimmten Zahnerkrankungen und einem damit verbundenen erhöhten Herz-Kreislauf-Risiko beschäftigen die Forschung seit längerer Zeit – mitsamt inzwischen vorliegenden Ergebnissen und ersten Hinweisen auf eine vorliegende Assoziation. Den aktuellen Forschungsstand dazu haben die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) und die Deutsche Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie (DGET) nun in Form von Kompaktempfehlungen  zusammengefasst und veröffentlicht. Darüber sprach der änd mit dem DGET-Präsidenten Prof. Edgar Schäfer, Leiter der Zentralen Interdisziplinären Ambulanz am Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde des Universitätsklinikums Münster.

 

Herr Prof. Schäfer, welche Zahnerkrankungen können die Herz-Kreislauf-Gesundheit gefährden?

Die sind vor allem die sogenannten endodontischen Erkrankungen und alle Zahnerkrankungen, die mit Entzündungen in der Mundhöhle einhergehen. Relevant ist dabei die apikale Parodontitis, eine Entzündung des Zahnhalteapparats im Bereich der Zahnwurzelspitzen. Diese entsteht, wenn das Gewebe im Inneren eines Zahns, die Zahnpulpa, sich beispielsweise durch Karies oder undichte Füllungen entzündet und dieses Gewebe dadurch nekrotisiert. Dort hineingeratene Mikroorganismen wie Bakterien, Viren oder Pilze produzieren dann Toxine, die eine Entzündung im umgebenden Gewebe hervorrufen: eine apikale Parodontitis.

Wie relevant sind derartige Zahnerkrankungen bei uns?

Weit relevanter, als man wohl erst einmal vermuten würde! Eine Metaanalyse (bitte verlinken mit: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33378579/) ergab, dass weltweit bei jedem zweiten Erwachsenen eine apikale Parodontitis vorliegt. Und eine Studie (bitte verlinken mit: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31312970/) aus Münster aus dem Jahr 2020 mit 500 Zahnpatienten ermittelte bei etwas mehr als 60 Prozent der Teilnehmenden mindestens einen von dieser Erkrankung betroffenen Zahn.

In entwickelten Ländern zeigen sich hier kaum regionale und geschlechterspezifische Unterschiede, in Entwicklungsländern liegt das Risiko für eine apikale Parodontitis etwa zwei Prozent höher.

Welche Risikofaktoren begünstigen diese Zahnerkrankungen?

Ganz generell steigt das Erkrankungsrisiko mit zunehmendem Alter. Die weiteren Risikofaktoren ähneln denen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, speziell für eine koronare Herzkrankheit (KHK). Fettreiche Ernährung spielt dabei ganz offensichtlich eine große Rolle, aber auch das Rauchen. Nikotinkonsumenten haben ein 2,78-fach erhöhtes Risiko für die Ausprägung einer apikalen Parodontitis. Außerdem gibt es Hinweise, dass Alkohol einen negativen Einfluss auf die Krankheitsentstehung nimmt.

Hinzu kommen verschiedene Allgemeinerkrankungen, die mit dieser Zahnerkrankung assoziiert sind. Osteoporose steigert das Risiko dafür um den Faktor 3,36, eine dialysepflichtige Niereninsuffizienz um den Faktor 2,6. Die Odds Ratio bei Hypertonie beträgt 2,32 und bei Typ-1-Diabetes 1,42.

Liegt hier dann auch eine mögliche Erklärung dafür, dass solche Zahnerkrankungen offenbar im Zusammenhang mit einem erhöhten KHK-Risiko in Verbindung stehen?

Ein umfassendes Review (bitte verlinken mit: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34240297/) mit insgesamt 23 Studien zu Assoziationen zwischen KHK und apikaler Parodontitis ist genau dieser Fragestellung nachgegangen. Ergebnis: 18 Studien ergaben Zusammenhänge, 5 jedoch nicht.

Unterm Strich zeigte die Auswertung ein um 1,4- bis 5-fach erhöhtes Risiko bei diagnostizierter apikaler Parodontitis für eine koronare Herzerkrankung. Wobei es sich – ganz wichtig – hierbei um Assoziationen handelte, nicht um Korrelationen! Denn noch fehlt ein eindeutiger Beleg von Kausalzusammenhängen, auch wenn die ermittelten Daten darauf hindeuten, wie wichtig eine endodontische Behandlung nicht nur für die orale, sondern auch für die systemische Gesundheit ist.

Und das lässt sich auch gut nachvollziehen. Denn eine apikale Parodontitis geht mit erhöhten Entzündungsmarkern im Blutplasma einher – speziell hochsensitives CRP, IL6, ADMA, IgE, IgM und der Komplementfaktor C3 steigen an. Auch der oxidative Stress schnellt in die Höhe. All dies sind Faktoren, die arteriosklerotische Gefäßveränderungen begünstigen können – unter anderem auch in den Herzgefäßen, was dann wiederum die KHK-Gefahr steigert.

Umso wichtiger ist es, Infektionen im Mundraum so gut es geht zu eliminieren, was auch meistens erfolgreich gelingt. Denn nach einer vollständig durchgeführten Wurzelkanalbehandlung befinden sich die eben genannten erhöhten Werte üblicherweise wieder im Normbereich und stellen dann kein systemisches Gesundheitsrisiko mehr dar.

Gibt es auch dazu Daten?

Ja, durchaus; beispielsweise eine Studie aus Finnland (bitte verlinken mit: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28332718/). Diese verglich Patient:innen mit abgeschlossenen, also beseitigten, Wurzelkanalbehandlungen und nicht abgeschlossenen Wurzelkanalbehandlungen – also mit persitierenden endodontischen Infektionen –, im Zusammenhang mit kardiovaskulären Erkrankungen. Die Ergebnisse sind durchaus beeindruckend und untermauern noch einmal mehr den Einfluss der Zahngesundheit auf den gesamten Organismus.

Denn die erfolgreich wurzelkanalbehandelten Studienteilnehmenden besaßen ein um bis zu 84 Prozent geringeres KHK-Risiko im Vergleich zu jenen mit nicht abgeschlossenen Wurzelkanalbehandlungen. Auch KHK-bedingte Klinikaufenthalte kamen bei den vollständig Behandelten deutlich weniger vor. Zusätzlich sank auch das KHK-Sterberisiko bei behandelten endodontischen Infektionen um bis zu 49 Prozent.

Was bedeuten diese Ergebnisse/Zusammenhänge für den zahnärztlichen Alltag?

Eine apikale Parodontitis verläuft nicht selten chronisch und damit schmerz- und symptomlos, was auch die in den eingangs erwähnten Untersuchungen hohen ermittelten Fallzahlen erklärt. Gut diagnostizierbar ist diese Erkrankung über Kälte-Sensibilitätstests. Also eine einfache, aber zeitaufwändige Maßnahme, die in der zahnärztlichen Praxis nicht immer standardmäßig stattfindet.

Wenn Patientinnen oder Patienten an einem getesteten Zahn keinen Kältereiz spüren, deutet dies auf eine nekröse Zahnpulpa und möglicherweise eine endodontische Erkrankung hin, die sich dann eindeutig per Röntgenbild bestätigen lässt.

Im Prinzip wäre es sinnvoll, einmal jährlich solche Sensibilitätsprüfungen vorzunehmen, aber das wird bislang kaum gemacht – auch aus abrechnungstechnischen Gründen. Dabei wäre es so wichtig, speziell Patient:innen mit Herz-Kreislauf-Risiken auch dahingehend regelmäßig und sorgfältig zu screenen!

Solch ein Vorgehen funktioniert auch umgekehrt. Denn je älter wir werden, desto häufiger bilden sich im Zahn sogenannte Dentikel (Pulpasteine) – also Hartsubstanzbildungen in oder am Rand der Zahnpulpa. Zeigen sich diese Veränderungen an mehreren Zähnen, geht damit ein um mehr als dreifach erhöhtes KHK-Risiko einher, das dann baldmöglichst internistisch-kardiologisch abgeklärt werden sollte. Hier sind Zahnärztinnen unbedingt gefragt, dies dann an ihre Patientinnen und Patienten zu vermitteln und zu einer baldigen weiterführenden Diagnostik zu raten.

Und inwieweit sollten diese Ergebnisse von anderen ärztlichen Fachgruppen berücksichtigt werden?

Die Entzündungsfreiheit ist das gemeinsame Ziel, speziell für all jene mit KHK-Risiken aber auch zur KHK-Prophylaxe. Und dafür müssen wir fachübergreifend zusammenarbeiten und intensiv kooperieren, beispielsweise in Form gegenseitiger Zuweisungen.

So wäre es beispielsweise durchaus wünschenswert und sinnvoll, KHK-Risiko-Patienten und erst recht all jene mit bereits diagnostizierter KHK zu fragen, wann die letzte zahnärztliche Kontrolle stattgefunden hat. Und auch darauf hinzuweisen, dass regelmäßige Zahn-Checks nicht nur für die ausschließliche Zahngesundheit wichtig sind und ihre Herzerkrankung beim nächsten Besuch einer zahnärztlichen Praxis erwähnt werden sollte im Hinblick auf eine dann möglicherweise erforderliche/ratsame entsprechende endodontische Diagnostik.

Als derzeitiger DGET-Präsident ist es mir daher ein großes Anliegen, die Schnittstelle Allgemeinmedizin/Endodontie mehr in den Vordergrund zu stellen und Kooperationen mit anderen Fachgesellschaften zu etablieren. Mit bereits einer Fachgesellschaft – der Deutschen Gesellschaft für Endoprothetik – läuft solch eine Kooperation bereits und wir befinden uns auch schon im Gespräch mit weiteren Fachgesellschaften.

Parallel haben wir eine Kampagne gestartet mit Praxisbriefen, Kompaktempfehlungen und Social-Media-Aktivitäten, um auf die Zusammenhänge von Zahngesundheit und systemischen Erkrankungen aufmerksam zu machen.

26.02.2025, 09:53, Autor/-in: Jutta Heinze

War alles so toll bei den Wikingern? Zahnschmerzen als Dauerzustand !

Gesundheitsprobleme der Wikinger

Sie galten als der Schrecken der Meere und als recht übellaunige Zeitgenossen: die Wikinger. Befunde an Schädeln deuten nun darauf hin, dass nicht wenige von ihnen unter chronischen Entzündungen und Schmerzen litten


Zahnprobleme waren unter Wikingern weit verbreitet – sogar abgebrochene Zähne und Kieferentzündungen kamen vor.

Moderne Medizin und Archäologie gingen in der nun vorgestellten Studie ganz neue Wege: Die Forschenden untersuchten die Schädel von 15 Wikingern mittels Computertomographie (CT). Das Ergebnis? Unsere nordischen Vorfahren hatten nicht nur mit rauen Seereisen zu kämpfen, sondern auch ein ebensolches Gemüt und erhebliche Gesundheitsprobleme.

Zahnschmerzen als Dauerzustand

Die CT-Scans offenbarten, dass Zahnprobleme unter Wikingern sehr weit verbreitet waren. Karies, schwere Zahnfleischentzündungen, Zysten (Originalabbildung) und sogar komplett zahnlose Kiefer wurden bei den Untersuchungen entdeckt. In 80 Prozent der Fälle fanden die Forschenden zudem Hinweise auf periapikale Entzündungen – Infektionen, die ohne moderne Zahnmedizin schmerzhaft und lebensbedrohlich sein können und es damals sicher auch waren. Manche Wikingerschädel zeigten überdies deutliche Spuren von abgebrochenen Zähnen und entzündeten Kieferknochen.

Sinusitis und Ohrinfektionen – ein Wikingerleiden?

Neben Zahnproblemen wiesen die Wikinger erstaunlich häufig Anzeichen von chronischer Sinusitis auf. In 20 Prozent der untersuchten Fälle fanden sich Veränderungen in den Nasennebenhöhlen  – ein Zeichen für anhaltende Infektionen. Auch Mastoiditis, eine Entzündung des Warzenfortsatzes hinter dem Ohr, stellten die Forschenden fest. Diese konnte im Mittelalter ohne Antibiotika tödlich verlaufen.

Nordmänner mit Biss

Die Forschenden entdeckten aber auch in mehr als der Hälfte der Fälle Veränderungen am Kiefergelenk. Osteophytenbildungen, degenerative Gelenkerkrankungen und knöcherne Abnutzungserscheinungen lassen darauf schließen, dass das Kauen harter Nahrung oder vielleicht auch das Zerkauen von Leder und Seilen zu erheblichen Belastungen der Kiefergelenke führte.

CT als Fenster in die Geschichte

„Unsere Studie zeigt eindrucksvoll, wie moderne radiologische Verfahren helfen können, das Leben vergangener Generationen besser zu verstehen. Die Computertomographie ermöglichte es, verborgene Infektionen und Knochenveränderungen zu entdecken, die mit bloßem Auge nicht sichtbar wären. Diese Methode könnte in Zukunft eine noch größere Rolle in der Paläopathologie spielen“, schätzen die Autoren abschließend ein.

Fazit: Ein Wikinger kennt keinen Schmerz

Die Untersuchung der Wikingerschädel offenbare, dass unsere skandinavischen Vorfahren mit erheblichen Gesundheitsproblemen zu kämpfen hatten. Doch trotz Karies, Infektionen und Kieferproblemen segelten sie mutig über die Meere und prägten dabei längst nicht nur die europäische Geschichte.

 

Originalpublikation: Bertilsson C et al., Findings from computed tomography examinations of Viking age skulls. BDJ Open 2025; 11: 18

Hörgeräte senken nicht per se das Demenzrisiko

Studien legen nahe, dass Hörverlust ein wesentlicher Risikofaktor ist und möglicherweise bis zu acht Prozent der Demenzfälle beeinflussen könnte, heißt es in einer aktuellen Studie aus Frankreich. Doch sind Hörgeräte tatsächlich ein verlässlicher Weg, um dieses Risiko zu senken?

 

Bisherige Untersuchungen waren oft begrenzt: Sie stützten sich häufig auf subjektive Hörmessungen, beschränkten sich auf eine Altersgruppe oder betrachteten nur eine Dimension der Kognition. Die vorliegende Studie von Grenier et al. setzt nun an, diese Lücken zu schließen und untersuchte, wie sich objektiv gemessener Hörverlust und der Gebrauch von Hörgeräten auf mehrere kognitive Dimensionen bei Erwachsenen im mittleren Alter auswirkten.

Studiendesign

Die Analyse basiere auf Daten der CONSTANCES-Kohorte, einer repräsentativen Stichprobe französischer Erwachsener im Alter zwischen 45 bis 69 Jahren, die zwischen 2012 und 2020 erhoben wurden, erklären die Autoren eingangs. Die Teilnehmenden absolvierten vorab umfassende Hörtests und kognitive Assessments in insgesamt 21 Gesundheitszentren in Frankreich.

Als Hauptkriterium für den Hörverlust zogen die Forschenden den durchschnittlichen Hörschwellenwert (Pure Tone Average) heran, wobei sie den Hörverlust als mild (über 20 dB) oder schwer (über 35 dB) klassifizierten. Zusätzlich erfasste die Studie den Gebrauch von Hörgeräten, wobei die Teilnehmenden danach eingeteilt wurden, ob sie Hörgeräte nutzten oder nicht. Die kognitiven Leistungen evaluierten die Forschenden anhand standardisierter Tests, die verschiedene Bereiche wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Exekutivfunktionen abdeckten, heißt es weiter.

Zusammenhang zwischen Hörverlust und kognitiver Beeinträchtigung

Von den insgesamt 62.072 Teilnehmern litten etwa 38 Prozent an mildem und 10 Prozent an schwerem Hörverlust. Die weitere Analyse ergab zudem, dass Personen mit mildem Hörverlust ein um 10 Prozent höheres Risiko für kognitive Beeinträchtigungen hatten, während das Risiko bei schwerem Hörverlust um bis zu 24 Prozent höher war. Das Risiko kognitiver Beeinträchtigungen stieg demnach proportional mit dem Grad der Höreinschränkungen. Die betroffenen Teilnehmenden hatten oft auch andere Risikofaktoren wie ein höheres Lebensalter, ein geringeres Bildungsniveau und eine niedrigere soziale Stellung, berichten die Autoren.

Hörgeräte und deren Einfluss auf die Kognition

Ein zentrales Ziel der Studie war die Untersuchung zum Nutzen von Hörgeräten auf den Erhalt der kognitiven Fähigkeiten. „Hier zeigte sich jedoch, dass die Nutzung von Hörgeräten das Risiko einer kognitiven Beeinträchtigung nicht signifikant verringerte. Teilnehmende mit Hörgeräten wiesen nach unseren Ergebnissen zu urteilen ähnliche Raten an kognitiven Beeinträchtigungen auf wie Personen mit schwerem Hörverlust, die keine Hörgeräte verwendeten“, fassen die Studienautoren kurz zusammen.

Eine Ausnahme bildeten diejenigen Teilnehmenden mit Depressionen: Bei ihnen fanden die Forschenden einen leicht positiven Effekt, denn das Risiko kognitiver Beeinträchtigungen wurde durch das Tragen eines Hörgerätes um etwa 38 Prozent verringert. Dies könnte darauf hindeuten, dass Hörgeräte bei depressiven Menschen, die möglicherweise anfälliger für soziale Isolation und kognitive Beeinträchtigungen sind, eine unterstützende Rolle spielen, beurteilen die Autoren.

Empfehlungen für die Praxis

Die Studie zeige deutlich, dass Menschen mit Hörverlust ein erhöhtes Risiko für kognitive Beeinträchtigungen haben. Daher könnte es aus Sicht der Autoren nach gegenwärtigem Kenntnisstand sinnvoll sein, die kognitiven Funktionen von betroffenen Personen regelmäßig zu überwachen, insbesondere dann, wenn weitere Risikofaktoren wie Depressionen vorliegen.

Es werde jedoch überdies betont, dass Hörgeräte bislang keinen nachweislichen Effekt auf das kognitive Demenzrisiko hätten und ihre Verschreibung daher primär auf die Verbesserung der Lebensqualität und der sozialen Integration abziele, heißt es zum Abschluss.

 

Originalpublikation: Grenier B et al., Hearing Loss, Hearing Aids, and Cognition. JAMA Netw Open 2024; 7(10): e2436723

Cannabis fördert Karies und Parodontitis – Studie aus den USA

Cannabisrauchen korreliert mit vermehrter Karies und Zahnverlust. Das hat jetzt eine Arbeitsgruppe der Universität Buffalo in einer Studie festgestellt, die im Journal of the American Dental Association erschienen ist.

Mit der Legalisierung von Cannabis in einzelnen Bundesstaaten der USA stieg auch der Konsum der Droge an. Einer Studie des National Institute on Drug Abuse aus dem Jahr 2023 zufolge erreichte der Prozentsatz junger Erwachsener (19 bis 30 Jahre), die im vergangenen Jahr (teils täglich) Marihuana konsumierten konsumierten, den höchsten Stand aller Zeiten.

Marihuanakonsum auf höchstem Stand aller Zeiten

Ausgehend von vorausgegangenen klinischen Beobachtungen hat ein Forscherteam um Ellyce Clonan, DDS, an der School of Dental Medicine der University at Buffalo, eine Umfragestudie zu den Auswirkungen von Cannabis aufgelegt.

In dieser Querschnittsstudie wurden Daten von 5.656 Teilnehmern im Alter von 18 bis 59 Jahren analysiert, die von 2015 bis 2018 an der National Health and Nutrition Examination Survey teilgenommen hatten. Der Cannabiskonsum wurde definiert als selbstberichteter Konsum von Marihuana oder Haschisch mindestens einmal pro Monat in den letzten zwölf Monaten.

Vor und nach der Kontrolle soziodemografischer und verhaltensbezogener Faktoren wurden Regressionsanalysen durchgeführt, um den Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und unbehandelter Karies, speziell auch Wurzelkaries und Zahnverlust zu untersuchen.

Mehr Karies und Zahnverlust bei Cannabisrauchern

Im Vergleich zu Nicht-Cannabis-Nutzern hatten Teilnehmer, die Cannabiskonsum angaben, eine um 17 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit für eine Kronenkaries (95 Prozent KI 1,02 bis 1,35), eine um 55 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit für eine Wurzelkaries (95 Prozent KI 1,21 bis 1,99) und eine um 41 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit für einen Zahnverlust (95 Prozent KI 1,00 bis 1,99), nach Berücksichtigung von Alter, Geschlecht, Rasse oder Ethnizität, Geburtsort, Bildung, Familieneinkommen im Verhältnis zur Armut und Alkoholkonsum.

Die Ergebnisse spiegeln Ellyce Clonan, Erstautorin der Studie, zufolge einen nationalen Trend wider. Der Cannabiskonsum habe zugenommen und damit rücken auch die Konsequenzen für die Mundgesundheit in den Fokus. Im Hinblick auf die durchgeführte Studie sind Verzerrungen bei der Häufigkeit des Cannabiskonsums wahrscheinlich.

Da alle Informationen auf Selbstauskunft beruhen, vermutet Clonan, dass die Cannabis-Nutzung höher ist als aus den Umfragen hervorgeht: „Jemand in New York ist möglicherweise offener als jemand in Alabama, der sich vielleicht Sorgen darüber macht, wer sich die Umfrage ansieht.“

Ellyce Clonan et al, Frequent recreational cannabis use and its association with caries and severe tooth loss, The Journal of the American Dental Association (2024). DOI: 10.1016/j.adaj.2024.10.005

Endodontie kann Risiken für Herzerkrankungen senken

Wurzelkanalbehandlungen senken systemische Risikofaktoren

Die Verbindung zwischen endodontischen Erkrankungen und koronaren Herzerkrankungen (KHK) rückt zunehmend in den Fokus der Forschung. Studien zeigen, dass Patienten mit apikaler Parodontitis ein 1,4- bis 5-fach erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen aufweisen. Obwohl ein direkter Kausalzusammenhang bislang nicht belegt ist, verdeutlichen die Daten die Bedeutung einer erfolgreichen endodontischen Therapie – nicht nur für die orale, sondern auch für die systemische Gesundheit.

Die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) hat zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie (DGET) den aktuellen Forschungsstand zum Thema im Format der „Kompaktempfehlung“ kurzgefasst veröffentlicht.

Eine apikale Parodontitis ist mit erhöhten Konzentrationen von Entzündungsmarkern im Blutplasma und gesteigertem oxidativem Stress verbunden. Diese Faktoren tragen zur Entwicklung von arteriosklerotischen Gefäßveränderungen bei, die letztlich eine KHK begünstigen können. Erfolgreiche Wurzelkanalbehandlungen oder Revisionen, die die endodontische Infektion eliminieren, führen nachweislich zu einer:

  • Normalisierung systemischer Entzündungsmarker und Rückgang des oxidativen Stresses.
  • Reduzierung des KHK-Risikos um bis zu 84 Prozent im Vergleich zu unbehandelten endodontischen Infektionen.
  • Verminderung des Sterberisikos aufgrund einer KHK um bis zu 49 Prozent im Vergleich zu unbehandelten endodontischen Infektionen.

Der Präsident der DGET Prof. Dr. Edgar Schäfer aus Münster betont in diesem Zusammenhang: „Es ist bekannt, dass durch eine erfolgreiche Wurzelkanalbehandlung die erhöhten Serumkonzentrationen wieder auf die Normwerte reduziert werden können.“

Eine KHK und eine apikale Parodontitis teilen viele Risikofaktoren, darunter ungesunde Lebensgewohnheiten wie Alkohol- und Nikotinkonsum, fettreiche Ernährung sowie systemische Erkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 1 oder Hypertonie. Patientinnen und Patienten sollten als wichtiger Beitrag zur Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen routinemäßig über diese Zusammenhänge aufgeklärt werden.

Kompaktempfehlungen der DGZMK

Die Kompaktempfehlungen der DGZMK und ihrer wissenschaftlichen zahnmedizinischen Fachgesellschaften sind ein praxisnahes Format, das Zahnärzten evidenz- und konsensbasierte Entscheidungshilfen bietet. Sie wurden entwickelt, um bei einzelnen Fragestellungen schnell und unkompliziert Orientierung im „Kitteltaschenformat“ zu geben, ohne den zeitaufwendigen Leitlinienprozess durchlaufen zu müssen.

Die Empfehlungen basieren auf der bestverfügbaren Evidenz und werden vor der Veröffentlichung von der DGZMK und der beteiligten Fachgesellschaft geprüft und verabschiedet. Sie sind nicht rechtlich bindend und sollten immer individuell im jeweiligen Patientenfall abgewogen werden. Auf der Website der DGZMK gibt es weitere Kompaktempfehlungen.

Schlechte Mundgesundheit fördert Atemwegsrisiken

Eine Übersichtsarbeit warnt: Parodontitis ist mit mehreren schwerwiegenden, nicht übertragbaren
Erkrankungen verbunden! Dazu zählen z. B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, chronisch
obstruktive Lungenerkrankung (COPD), obstruktive Schlafapnoe, aber auch Komplikationen nach
Covid-19.

Die Verbindung zwischen Parodontal- und Atemwegserkrankungen rücke derzeit weiter in den Fokus. Studien
hätten gezeigt, dass das Bakterienmilieu im Mundraum bei Patientinnen und Patienten mit Parodontitis auch zu
einer Verschlechterung der Lungenfunktion führen könne, heißt es einleitend in einer neuen
internationalen Übersichtsarbeit.
„Insbesondere bei COPD-Patienten kann sich der Verlauf der Krankheit verschärfen, wenn die
Parodontalerkrankung unbehandelt bleibt“, warnen die Autoren. Auch bei obstruktiver Schlafapnoe kann
Parodontitis eine Rolle spielen, da Entzündungsprozesse im Mundraum die Atemwege zusätzlich belasten und
die Symptome verschärfen können.
Früherkennung und Prävention
Eine frühzeitige Diagnose von Parodontitis durch Fachärztinnen und Fachärzte für Allgemeinmedizin und/oder
Innere Medizin könnte einen entscheidenden Einfluss auf die Prävention und Behandlung von
Atemwegserkrankungen haben. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht fordere hier eine stärkere Zusammenarbeit
zwischen diesen Disziplinen und der Zahnmedizin. Dabei solle das Erkennen von Parodontalerkrankungen in
primärmedizinischen Versorgungseinrichtungen und die Untersuchung auf Atemwegserkrankungen in
Zahnarztpraxen wechselseitig vorangetrieben werden. Die frühzeitige Diagnose beider Krankheitsbilder könne
am Ende dabei helfen, Komplikationen zu vermeiden und die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten zu
verbessern.
Zahnmedizinische Behandlung als Unterstützung bei der Atemwegsbehandlung
„Die Behandlung von Parodontitis könnte auch positive Auswirkungen auf die Lungengesundheit haben“,
erklären die Autoren. Studien belegten beispielsweise, dass eine Parodontitis die Symptome einer COPD
verstärken und die allgemeine Atemfunktion um annähernd 5 Prozent reduzieren könne.
Patientinnen und Patienten, welche sowohl ihre Parodontalerkrankung als auch ihre Atemwegserkrankung
behandeln ließen, könnten dadurch womöglich eine deutlich bessere Kontrolle über ihre Symptome erfahren.
Forderung nach intensiver Zusammenarbeit
„Die enge Kooperation zwischen Zahnmedizinern und internistisch tätigen Hausärzten bzw. Fachärzten für
Innere Medizin könnte dazu beitragen, Atemwegserkrankungen und Parodontalerkrankungen frühzeitiger zu
erkennen und gezielt zu behandeln“, fassen die Autoren abschließend zusammen. Sie fordern, dass gezielte
Präventionsprogramme entwickelt werden sollten, die sowohl auf die Mundgesundheit als auch auf die
Lungenfunktion ausgerichtet seien.
So könnten am Ende nicht nur die Auswirkungen einer Parodontitis auf die Atemwege verringert, sondern auch
das Risiko für schwerwiegende Komplikationen, wie etwa die Verschlechterung einer COPD oder Schlafapnoe,
gesenkt werden.
Originalpublikation: Herrera D et al.,
Periodontal diseases and cardiovascular diseases, diabetes, and
respiratory diseases: Summary of the consensus report by the European Federation of Periodontology and
WONCA Europe. Eur J Gen Pract 2024; 30(1): 2320120
10.02.2025 12:48, Autor: , © änd Ärztenachrichtendienst Verlags-AG
Quelle: https://www.aend.de/article/233303

Das Fluorid-Dilemma: Intelligenz oder Karies?

Fluoride sind der Goldstandard im Kampf gegen Karies – doch gerade bei Neugeborenen besteht Sorge, dass sie sich auf die Intelligenz auswirken könnten. Eine neue Metaanalyse hat das nun untersucht.

Nach der Geburt eines Kindes zählt in Deutschland und vielen weiteren Ländern die prophylaktische Gabe von Fluorid in Form einer täglichen Tablette oder über die Zahnpasta 2x täglich zum Goldstandard. Fluorid soll dabei vor allem die ersten Zähnchen schützen und eine frühe und dann meist chronische Infektion mit Kariesbakterien vermeiden. Da Fluoride, die Salze der Fluorwasserstoffsäure, aber nicht nur auf dem Zahnschmelz, sondern auch auf der Mundschleimhaut, im Magen-Darm-Trakt und schließlich im ganzen Körper landen, stellt sich unweigerlich die Frage nach potenziellen Nebenwirkungen.

Schmilzt der Goldstandard?

Kyla Taylor und ihr Team wollten an dieser Stelle Wissenslücken schließen und konzentrierten sich im Rahmen ihrer Metaanalyse vor allem auf mögliche Assoziationen zwischen einer verhältnismäßig hohen Fluorid-Exposition und den Intelligenzquotienten (IQ) exponierter Kinder. Auf Grundlage einer systematischen Literaturrecherche identifizierten sie insgesamt 74 Querschnitts- und prospektive Kohortenstudien.

Die wichtigsten Einschlusskriterien umfassten die Untersuchung von Assoziationen zwischen Fluorid-Exposition und kindlichem IQ, Details zum Ausmaß der Exposition, sowie den Bericht von Effektgrößen. Des Weiteren orientierte sich das Forscherteam an den gängigen Leitlinien zur Verfassung systematischer Reviews und Metaanalysen und griff u. a. auf ein Risk-of-Bias-Tool zur Beurteilung der Studienqualitäten zurück.

Mit einer Anzahl von 64 handelte es sich bei den meisten Untersuchungen um Querschnittsstudien, 45 Publikationen stammten aus China und 52 Arbeiten hatten ein auffällig hohes Bias-Risiko. Trotz dieser und weiterer möglicher methodischer Einschränkungen zeigte sich ein dosisabhängiger inverser Zusammenhang zwischen einer hohen Fluorid-Exposition und dem IQ. Die Exposition wurde dabei entweder als Konzentration von Fluoriden im Trinkwasser oder in Urinproben gemessen.

 

Im erstgenannten Fall ließ sich die umgekehrte Assoziation beispielsweise bei Konzentrationen von 4 mg/l und auch noch bei 2 mg/l nachweisen. Und auch unter Berücksichtigung der Urinkonzentrationen blieb der beunruhigende Zusammenhang bis zu einer Konzentration von 1,5 mg/l bestehen. Je nachdem, ob die Forschergruppe Studien mit hohem oder niedrigem Bias-Risiko betrachtete, führte die Exposition zu einer relativen Verringerung des IQs von 1,63 oder 1,14 Punkten.

Karies als Alternative zur IQ-Abnahme?

Sollten sich Eltern deshalb nun Sorgen um die Intelligenz ihrer Kinder machen oder sogar ganz auf diese Art der frühen Kariesprophylaxe verzichten? Ein kritischer Blick auf diese Metaanalyse ist sicher angebracht. Denn schließlich gibt es eine große Heterogenität und ein nicht unerhebliches Bias-Risiko bei den überwiegend in China durchgeführten Studien.

Darüber hinaus wurden überwiegend hohe Konzentrationen untersucht, die wahrscheinlich nicht mit den Dosen durch beispielsweise unsere „deutsche“ Prophylaxe nach Empfehlungen der Zahnärzte erreicht werden können. Und was ist die Alternative? Karies bei Babys im Alter von 10 Monaten?

Arbeiten dieser Art sind immer wichtig, um gängige Vorgehensweisen überprüfen, hinterfragen und bei Bedarf optimieren zu können. Dennoch empfehlen sich weitere prospektive Studien mit guter methodischer Qualität und einer vergleichbaren Operationalisierung von Exposition und IQ-Messung. Bis dahin könnt ihr besorgte Eltern beruhigen – denn vermutlich ist ein IQ-Punkt weniger doch deutlich harmloser als ständige schmerzhafte Zahnarztbehandlungen.

Quellen: 
Taylor, Kyla W. et al. Fluorid Exposure and Childrens IQ Scores, JAMA, 2025. doi: 
10.1001/jamapediatrics.2024.5542

Hederson, Jennifer. High Fluoride Exposure Linked to Lower IQ-Levels in KidsMedpagetoday, 2025.

Hinweis der Bundeszahnärztekammer: https://www.bzaek.de/fileadmin/PDFs/b16/Hinweise_fuer_Eltern_ecc.pdf