Bestimmte Zahnerkrankungen steigern das KHK-Risiko beträchtlich
Kranke Zähne, krankes Herz? Die Zusammenhänge zwischen bestimmten Zahnerkrankungen und einem damit verbundenen erhöhten Herz-Kreislauf-Risiko beschäftigen die Forschung seit längerer Zeit – mitsamt inzwischen vorliegenden Ergebnissen und ersten Hinweisen auf eine vorliegende Assoziation. Den aktuellen Forschungsstand dazu haben die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) und die Deutsche Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie (DGET) nun in Form von Kompaktempfehlungen zusammengefasst und veröffentlicht. Darüber sprach der änd mit dem DGET-Präsidenten Prof. Edgar Schäfer, Leiter der Zentralen Interdisziplinären Ambulanz am Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde des Universitätsklinikums Münster.
Herr Prof. Schäfer, welche Zahnerkrankungen können die Herz-Kreislauf-Gesundheit gefährden?
Die sind vor allem die sogenannten endodontischen Erkrankungen und alle Zahnerkrankungen, die mit Entzündungen in der Mundhöhle einhergehen. Relevant ist dabei die apikale Parodontitis, eine Entzündung des Zahnhalteapparats im Bereich der Zahnwurzelspitzen. Diese entsteht, wenn das Gewebe im Inneren eines Zahns, die Zahnpulpa, sich beispielsweise durch Karies oder undichte Füllungen entzündet und dieses Gewebe dadurch nekrotisiert. Dort hineingeratene Mikroorganismen wie Bakterien, Viren oder Pilze produzieren dann Toxine, die eine Entzündung im umgebenden Gewebe hervorrufen: eine apikale Parodontitis.
Wie relevant sind derartige Zahnerkrankungen bei uns?
Weit relevanter, als man wohl erst einmal vermuten würde! Eine Metaanalyse (bitte verlinken mit: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33378579/) ergab, dass weltweit bei jedem zweiten Erwachsenen eine apikale Parodontitis vorliegt. Und eine Studie (bitte verlinken mit: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31312970/) aus Münster aus dem Jahr 2020 mit 500 Zahnpatienten ermittelte bei etwas mehr als 60 Prozent der Teilnehmenden mindestens einen von dieser Erkrankung betroffenen Zahn.
In entwickelten Ländern zeigen sich hier kaum regionale und geschlechterspezifische Unterschiede, in Entwicklungsländern liegt das Risiko für eine apikale Parodontitis etwa zwei Prozent höher.
Welche Risikofaktoren begünstigen diese Zahnerkrankungen?
Ganz generell steigt das Erkrankungsrisiko mit zunehmendem Alter. Die weiteren Risikofaktoren ähneln denen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, speziell für eine koronare Herzkrankheit (KHK). Fettreiche Ernährung spielt dabei ganz offensichtlich eine große Rolle, aber auch das Rauchen. Nikotinkonsumenten haben ein 2,78-fach erhöhtes Risiko für die Ausprägung einer apikalen Parodontitis. Außerdem gibt es Hinweise, dass Alkohol einen negativen Einfluss auf die Krankheitsentstehung nimmt.
Hinzu kommen verschiedene Allgemeinerkrankungen, die mit dieser Zahnerkrankung assoziiert sind. Osteoporose steigert das Risiko dafür um den Faktor 3,36, eine dialysepflichtige Niereninsuffizienz um den Faktor 2,6. Die Odds Ratio bei Hypertonie beträgt 2,32 und bei Typ-1-Diabetes 1,42.
Liegt hier dann auch eine mögliche Erklärung dafür, dass solche Zahnerkrankungen offenbar im Zusammenhang mit einem erhöhten KHK-Risiko in Verbindung stehen?
Ein umfassendes Review (bitte verlinken mit: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34240297/) mit insgesamt 23 Studien zu Assoziationen zwischen KHK und apikaler Parodontitis ist genau dieser Fragestellung nachgegangen. Ergebnis: 18 Studien ergaben Zusammenhänge, 5 jedoch nicht.
Unterm Strich zeigte die Auswertung ein um 1,4- bis 5-fach erhöhtes Risiko bei diagnostizierter apikaler Parodontitis für eine koronare Herzerkrankung. Wobei es sich – ganz wichtig – hierbei um Assoziationen handelte, nicht um Korrelationen! Denn noch fehlt ein eindeutiger Beleg von Kausalzusammenhängen, auch wenn die ermittelten Daten darauf hindeuten, wie wichtig eine endodontische Behandlung nicht nur für die orale, sondern auch für die systemische Gesundheit ist.
Und das lässt sich auch gut nachvollziehen. Denn eine apikale Parodontitis geht mit erhöhten Entzündungsmarkern im Blutplasma einher – speziell hochsensitives CRP, IL6, ADMA, IgE, IgM und der Komplementfaktor C3 steigen an. Auch der oxidative Stress schnellt in die Höhe. All dies sind Faktoren, die arteriosklerotische Gefäßveränderungen begünstigen können – unter anderem auch in den Herzgefäßen, was dann wiederum die KHK-Gefahr steigert.
Umso wichtiger ist es, Infektionen im Mundraum so gut es geht zu eliminieren, was auch meistens erfolgreich gelingt. Denn nach einer vollständig durchgeführten Wurzelkanalbehandlung befinden sich die eben genannten erhöhten Werte üblicherweise wieder im Normbereich und stellen dann kein systemisches Gesundheitsrisiko mehr dar.
Gibt es auch dazu Daten?
Ja, durchaus; beispielsweise eine Studie aus Finnland (bitte verlinken mit: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28332718/). Diese verglich Patient:innen mit abgeschlossenen, also beseitigten, Wurzelkanalbehandlungen und nicht abgeschlossenen Wurzelkanalbehandlungen – also mit persitierenden endodontischen Infektionen –, im Zusammenhang mit kardiovaskulären Erkrankungen. Die Ergebnisse sind durchaus beeindruckend und untermauern noch einmal mehr den Einfluss der Zahngesundheit auf den gesamten Organismus.
Denn die erfolgreich wurzelkanalbehandelten Studienteilnehmenden besaßen ein um bis zu 84 Prozent geringeres KHK-Risiko im Vergleich zu jenen mit nicht abgeschlossenen Wurzelkanalbehandlungen. Auch KHK-bedingte Klinikaufenthalte kamen bei den vollständig Behandelten deutlich weniger vor. Zusätzlich sank auch das KHK-Sterberisiko bei behandelten endodontischen Infektionen um bis zu 49 Prozent.
Was bedeuten diese Ergebnisse/Zusammenhänge für den zahnärztlichen Alltag?
Eine apikale Parodontitis verläuft nicht selten chronisch und damit schmerz- und symptomlos, was auch die in den eingangs erwähnten Untersuchungen hohen ermittelten Fallzahlen erklärt. Gut diagnostizierbar ist diese Erkrankung über Kälte-Sensibilitätstests. Also eine einfache, aber zeitaufwändige Maßnahme, die in der zahnärztlichen Praxis nicht immer standardmäßig stattfindet.
Wenn Patientinnen oder Patienten an einem getesteten Zahn keinen Kältereiz spüren, deutet dies auf eine nekröse Zahnpulpa und möglicherweise eine endodontische Erkrankung hin, die sich dann eindeutig per Röntgenbild bestätigen lässt.
Im Prinzip wäre es sinnvoll, einmal jährlich solche Sensibilitätsprüfungen vorzunehmen, aber das wird bislang kaum gemacht – auch aus abrechnungstechnischen Gründen. Dabei wäre es so wichtig, speziell Patient:innen mit Herz-Kreislauf-Risiken auch dahingehend regelmäßig und sorgfältig zu screenen!
Solch ein Vorgehen funktioniert auch umgekehrt. Denn je älter wir werden, desto häufiger bilden sich im Zahn sogenannte Dentikel (Pulpasteine) – also Hartsubstanzbildungen in oder am Rand der Zahnpulpa. Zeigen sich diese Veränderungen an mehreren Zähnen, geht damit ein um mehr als dreifach erhöhtes KHK-Risiko einher, das dann baldmöglichst internistisch-kardiologisch abgeklärt werden sollte. Hier sind Zahnärztinnen unbedingt gefragt, dies dann an ihre Patientinnen und Patienten zu vermitteln und zu einer baldigen weiterführenden Diagnostik zu raten.
Und inwieweit sollten diese Ergebnisse von anderen ärztlichen Fachgruppen berücksichtigt werden?
Die Entzündungsfreiheit ist das gemeinsame Ziel, speziell für all jene mit KHK-Risiken aber auch zur KHK-Prophylaxe. Und dafür müssen wir fachübergreifend zusammenarbeiten und intensiv kooperieren, beispielsweise in Form gegenseitiger Zuweisungen.
So wäre es beispielsweise durchaus wünschenswert und sinnvoll, KHK-Risiko-Patienten und erst recht all jene mit bereits diagnostizierter KHK zu fragen, wann die letzte zahnärztliche Kontrolle stattgefunden hat. Und auch darauf hinzuweisen, dass regelmäßige Zahn-Checks nicht nur für die ausschließliche Zahngesundheit wichtig sind und ihre Herzerkrankung beim nächsten Besuch einer zahnärztlichen Praxis erwähnt werden sollte im Hinblick auf eine dann möglicherweise erforderliche/ratsame entsprechende endodontische Diagnostik.
Als derzeitiger DGET-Präsident ist es mir daher ein großes Anliegen, die Schnittstelle Allgemeinmedizin/Endodontie mehr in den Vordergrund zu stellen und Kooperationen mit anderen Fachgesellschaften zu etablieren. Mit bereits einer Fachgesellschaft – der Deutschen Gesellschaft für Endoprothetik – läuft solch eine Kooperation bereits und wir befinden uns auch schon im Gespräch mit weiteren Fachgesellschaften.
Parallel haben wir eine Kampagne gestartet mit Praxisbriefen, Kompaktempfehlungen und Social-Media-Aktivitäten, um auf die Zusammenhänge von Zahngesundheit und systemischen Erkrankungen aufmerksam zu machen.
26.02.2025, 09:53, Autor/-in: Jutta Heinze