Vitamin D in der Schwangerschaft: Schlüssel zur Kariesprävention bei Kleinkindern?

Der Vitamin-D-Status in der Schwangerschaft hat offenbar einen entscheidenden Einfluss auf die Zahngesundheit von Kindern. Das fanden Forschende heraus, als sie in einer Kohortenstudie die Zahnentwicklung von Kindern bis ins Vorschulalter beobachteten.

Frühkindliche Karies stellt weltweit ein erhebliches Public-Health-Problem dar. Die Erkrankung betrifft bereits sehr junge Kinder und erreicht in vielen Ländern alarmierende Prävalenzen: Global liegt sie bei knapp 24 Prozent unter Dreijährigen und über 57 Prozent bei Kindern zwischen drei und sechs Jahren. In China, wo die Studie erstellt wurde, zeigen nationale Daten sogar einen Anstieg auf fast 72 Prozent bei unter Fünfjährigen. Frühkindliche Karies beeinträchtigt nicht nur die Zahngesundheit, sondern auch das Kauvermögen, Aussehen, schulische Leistungen und das allgemeine Wohlbefinden – mit entsprechend hoher Belastung für Familien und Gesundheitssysteme.

Die Wurzeln der Erkrankung reichen oft bis in die Schwangerschaft zurück, da die Mineralisierung der Milchzähne bereits im zweiten und dritten Trimester beginnt. Vitamin D spielt in dieser Entwicklungsphase eine entscheidende Rolle und ein mütterlicher Vitamin-D-Mangel kann zu Schmelzdefekten und einer erhöhten Kariesanfälligkeit des Kindes führen.

Forschende untersuchen daher in einer Studie, veröffentlicht in JAMA Network open, wie sich die mütterlichen Vitamin-D-Spiegel in verschiedenen Trimestern auf das spätere Kariesrisiko der Kinder auswirken.

Vor allem zweites und drittes Trimenon relevant

In der groß angelegten Kohortenstudie mit 4109 Mutter-Kind-Paaren aus den Jahren 2011 bis 2021 wurde den Frauen zu verschiedenen Zeitpunkten Blut abgenommen und die Plasmakonzentrationen von 25-Hydroxyvitamin D2 und 25-Hydroxyvitamin D3 gemessen. Die Kinder wurden in den ersten 30 Monaten halbjährlich, und bis zum fünften Lebensjahr jährlich klinisch untersucht.

Die Ergebnisse zeigen einen deutlichen Zusammenhang:

  • Niedrige Konzentrationen von Vitamin D, insbesondere im mittleren und späten Schwangerschaftsdrittel, gingen mit einem erhöhten Risiko für frühkindliche Karies einher.
  • 23,4 Prozent der Kinder mit Karies: Von den untersuchten Kindern entwickelten 960 Karies, während 3149 kariesfrei blieben.
  • Mit jedem Anstieg des Vitamin-D-Spiegels verringerte sich statistisch signifikant die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind an frühkindlicher Karies erkrankte.

Effekte auf mehreren Ebenen

Als möglichen biologischen Mechanismus für den schützenden Effekt von Vitamin D nennen die Autorinnen und Autoren die Regulation des Calcium- und Phosphathaushalts, der für die Mineralisation von Zahnschmelz und Dentin entscheidend ist. Ameloblasten und Odontoblasten exprimieren Vitamin-D-Rezeptoren, die die Bildung von Schmelzmatrixproteinen steuern, während Vitamin D zusätzlich die immunologische Abwehr gegen kariesverursachende Bakterien stärkt. Neuere Studien deuten darauf hin, dass Vitamin D auch epigenetische Effekte auf Gene der Zahnentwicklung ausübt und die Barrierefunktion der Mundschleimhaut verbessert, wodurch die Zähne zusätzlich geschützt werden.

Aber: Fehlende Daten

Es wurden aber auch einige Limitationen der Studie beschrieben, die die Aussagekraft einschränken: Es fehlten zum einen Daten zu beeinflussenden Faktoren wie die Vitamin-D-Zufuhr der Kinder, Fluoridnutzung oder die Zuckeraufnahme. Und auch die familiäre Kariesgeschichte und die Anzahl von Zahnarztbesuchen ist nicht grundlegend erfasst. Daher plädieren die Forschenden für weitere, groß angelegte Studien zu dem Thema.

Plädoyer für entsprechende Vorsorge

Die Autorinnen und Autoren unterstreichen die Bedeutung einer ausreichenden Vitamin-D-Versorgung bereits vor und während der gesamten Schwangerschaft, insbesondere in den kritischen Phasen der Zahnmineralisation, um die Kariesanfälligkeit der Kinder zu reduzieren. Höhere mütterliche Vitamin-D-Spiegel, besonders im mittleren und späten Drittel, schützen Kinder statistisch signifikant vor frühkindlicher Karies und senken deren Schweregrad. Daher raten die Forschenden, Vitamin-D-Messungen und eine gezielte Supplementierung in die routinemäßige Schwangerschaftsvorsorge zu integrieren.

 

Originalpublikation:
Xu N, Chen Z, Wang B, et al. Vitamin D Levels During Pregnancy and Dental Caries in Offspring. JAMA Netw Open. 2025;8(12):e2546166. doi:10.1001/jamanetworkopen.2025.46166

Wurzelbehandlung bessert auch Glukose- und Fettstoffwechsel

Apikale Parodontitis ist weit verbreitet und wirkt über den Mund hinaus. Sie erhöht die Entzündung im Körper und könnte Herz-Kreislauf-Risiken sowie die Blutzuckerkontrolle beeinflussen. Inwieweit eine Wurzelbehandlung dagegen hilft, war bislang unklar.

Das Forschungsteam begleitete 65 Patientinnen und Patienten mit diagnostizierter apikaler Parodontitis über einen Zeitraum von zwei Jahren. Jede Person fungierte dabei als ihre eigene Kontrollgruppe. Mittels Kernspinresonanzspektroskopie wurden Stoffwechselprofile im Blut analysiert, und zwar vor der endodontischen Behandlung sowie drei Monate, sechs Monate, ein Jahr und zwei Jahre danach. Im Fokus standen Veränderungen von Metaboliten, Markern der metabolischen Gesundheit, Entzündungsparameter sowie mikrobiologische Aspekte im Blut und im Wurzelkanal, wie die Autoren erklären.

Mehr als nur Zahnerhalt – messbare Stoffwechselverbesserungen

Die Ergebnisse seien eindeutig: Bei über der Hälfte der untersuchten Metaboliten zeigten sich nach der Behandlung signifikante Veränderungen. Besonders auffällig war der Rückgang verzweigter Aminosäuren (BCAA) schon nach drei Monaten. Diese gelten als Biomarker für Insulinresistenzen und metabolische Störungen. Ihr Abbau deute somit auf eine Verbesserung der Glukoseverwertung hin, wie es heißt.

Nach zwei Jahren fanden die Forschenden zudem deutlich geringere Serumwerte von Glukose und Pyruvat, was auf eine langfristige Optimierung des Energiestoffwechsels schließen lasse. Parallel sanken kurzfristig Cholesterin-, Cholin- und Fettsäurekonzentrationen, während Tryptophanwerte stetig anstiegen. Dies interpretieren die Autoren als einen Hinweis auf reduzierte Entzündungsaktivität und mögliche Effekte auf das Immunsystem.

Systemischer Einfluss eines lokalen Eingriffs

Bemerkenswert sei überdies der Zusammenhang zwischen dem metabolischen Fingerabdruck und klassischen Indikatoren des metabolischen Syndroms, darunter Blutdruck- oder Lipidwerte. Ebenso korrelierten präoperative Mikrobiome aus Blut und Wurzelkanal mit systemischen Veränderungen.

Ein dynamisches Bayes-Modell identifizierte Stoffwechselwege des Zitronensäurezyklus (TCA-Zyklus) als zentrale Regulatoren der beobachteten Anpassungen.

Fazit: Zahnmedizin wird zur Präventionsmedizin

Die Studie zeige erstmals überzeugend, dass eine erfolgreiche Wurzelbehandlung nicht nur den Zahn retten könne, sondern auch systemische Stoffwechselprozesse verbessere und Entzündungen reduziere. Damit deute sich ein bislang unterschätzter Zusammenhang zwischen oraler Gesundheit und kardiometabolischem Risiko an.

Endodontie könnte künftig wohl auch eine Rolle in der Prävention von Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen spielen, ein Paradigmenwechsel, der die Zahnmedizin neu positioniere, so die Autoren abschließend.

 

Originalpublikation: Zhang Y et al., Successful endodontic treatment improves glucose and lipid metabolism: a longitudinal metabolomic study. J Transl Med 2025; 23: 1195

„Orale Gebrechlichkeit“: Wenn der Mund zum Altersproblem wird

Drei japanische Fachgesellschaften warnen vor einem unterschätzten Altersrisiko: der „oralen Frailty“ – einem frühen, reversiblen Funktionsverlust im Mundraum, der weit über reine Zahnprobleme hinausgeht.

Das Konzept beschreibe den Übergang zwischen einem gesunden Mund und einer manifesten Funktionsstörung mit zunehmendem Alter. Bereits kleinste Einbußen wie Zahnverlust, Kau- oder Schluckprobleme, Mundtrockenheit oder eine verwaschene Aussprache können eine fatale Kaskade auslösen, die über Mangelernährung und sozialen Rückzug bis hin zu körperlicher Gebrechlichkeit und erhöhter Sterblichkeit führe, schätzen die Autoren des Konsensuspapiers ein.

Der Mund über entscheidet über die Lebenserwartung

Japan stehe mit seiner rasant alternden Bevölkerung an der Spitze einer gesellschaftlichen Entwicklung, die viele Industrienationen erwartet. Die Autoren sehen daher die orale Gebrechlichkeit als Schlüsselvariable, um körperliche Autonomie und Lebensqualität im Alter zu sichern. Sie warnen zugleich, dass funktionelle Einbußen im Mund nicht isoliert entstünden, sondern Teil eines multifaktoriellen Gebrechlichkeitsprozesses seien, der körperliche, psychische und soziale Aspekte miteinander verbinde.

Besonders brisant sei dabei, dass rund 40 Prozent älterer Menschen in japanischen Gemeinden bereits die Kriterien der oralen Gebrechlichkeit erfüllten – oft ohne es zu wissen.

Die OF-5-Checkliste: Diagnose ohne Zahnarzt

Um eine frühzeitige Diagnose von Veränderungen zu ermöglichen, stellen die Fachgesellschaften ein neu entwickeltes Screening vor: die „Oral Frailty 5-Item Checklist“ (OF-5). Sie komme ohne zahnärztliche Untersuchung aus und frage im Wesentlichen fünf Kernsymptome ab (Originalgrafik):

  1. Anzahl verbleibender eigener Zähne,
  2. Schwierigkeiten beim Kauen,
  3. Schluckbeschwerden,
  4. Mundtrockenheit sowie
  5. Probleme mit klarer Aussprache

Bereits zwei positive Antworten reichten letztlich aus, um ein erhöhtes Risiko zu signalisieren. Der Test sei damit ein niedrigschwelliges Instrument, das insbesondere für den Einsatz in Hausarztpraxen, Pflegeeinrichtungen oder im öffentlichen Gesundheitswesen entwickelt wurde, schreiben die Autoren weiter.

Vom Mund zur Muskelschwäche

Die Folgen oraler Gebrechlichkeit reichten weit, wie es heißt: Studien belegten zuvor, dass Personen mit oraler Gebrechlichkeit häufiger körperlich gebrechlich und pflegebedürftig würden und auch häufiger sterben als Vergleichspersonen ohne diese Einschränkungen.

Der Mechanismus dahinter sei gut nachvollziehbar: Wer schlecht kauen könne, esse weniger abwechslungsreich, verliere an Muskelmasse und isoliere sich überdies zunehmend auch sozial. Genau hier setze das neue Konzept an.

Intervention statt Defizitdenken

„Der zentrale Punkt unseres Konsenspapiers ist, dass die orale Gebrechlichkeit eben kein Schicksal ist. Die funktionellen Einschränkungen gelten häufig noch im Frühstadium sogar als reversibel“, erklären die Autoren.

Gefordert werde deshalb eine engere Verzahnung von Zahnmedizin, Geriatrie, Ernährungsberatung und Pflege. Umfassende Konzepte sollen dabei helfen, Kau- und Schluckfähigkeit zu trainieren, Mundtrockenheit zu behandeln und sprachmotorische Fähigkeiten zu verbessern.

Fazit

Mit der neuen Definition mache Japan die orale Gesundheit zu einem politischen und gesellschaftlichen Thema. Der Mund wird nicht länger als isolierter Problembereich betrachtet, sondern als biologische Schnittstelle, die über Autonomie, Lebensqualität und Lebenserwartung im Alter (mit)entscheidet, wie es zum Abschluss heißt.

 

Originalpublikation: Tanaka T et al., Consensus statement on “Oral frailty” from the Japan Geriatrics Society, the Japanese Society of Gerodontology, and the Japanese Association on Sarcopenia and Frailty. Geriatr Gerontol Int 2024; 24(11): 1111–1119. doi: 10.1111/ggi.14980

Zähneputzen gegen Schlaganfall

Schlechte Zahngesundheit steht mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko in Verbindung. Eine chronische Entzündungsreaktion könnte die Ursache sein – oder leben regelmäßige Zähneputzer insgesamt gesünder? 

Gepflegte Zähne haben viele Vorteile: Sie sehen schön aus, verhindern Mundgeruch und ermöglichen ein schmerzfreies Kauen vielfältiger Speisen. Doch damit nicht genug – laut neuester Forschung kommt ein weiterer Vorteil hinzu: Eine gute Mundhygiene könnte auch das Schlaganfallrisiko senken. Dies legen zwei aktuelle Studien amerikanischer Forscher nahe.

In der ersten Studie wurde der Einfluss der Mund- und Zahngesundheit auf die zerebrale Mikroangiopathie untersucht, eine Erkrankung der kleinsten Blutgefäße des Gehirns, der Arteriolen, Kapillaren und kleinen Venen. Diese steht vor allem mit bekannten Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen und Diabetes in Verbindung. Liegt eine zerebrale Mikroangiopathie vor, ist das Risiko für Schlaganfälle und kognitiven Abbau deutlich erhöht.

Tief liegende SchädenDie kleinen Blutgefäße sind besonders für die Blutversorgung tief liegender Strukturen des Gehirns wie der weißen Substanz und der Stammganglien wichtig. Bei einer Mikroangiopathie kommt es deshalb in diesen Bereichen zu Schäden und Veränderungen, die sich mittels CT oder MRT darstellen lassen: Wo normalerweise klar voneinander abgrenzbare Hirnstrukturen sichtbar werden, zeigen sich dann unscharfe, helle Areale.Eine zentrale Rolle für die Mund- und Zahngesundheit spielen die sogenannten Parodontalerkrankungen, von denen die Parodontitis die häufigste ist. Bakterielle Beläge führen dabei zu einem Rückgang des Zahnfleisches und einer Lockerung des Zahnhalteapparats, unbehandelt droht im schlimmsten Fall der Zahnverlust. Durch die dauerhaft schwelende Entzündung im Mundraum können jedoch auch an entfernten Organen Schäden entstehen: Bei einer Parodontitis steigt das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle.Langzeitdaten mit deutlichem SignalFür die Studie wurden Daten von 1.143 Teilnehmern einer groß angelegten Kohorte analysiert. Die Zahngesundheit wurde in den Jahren 1996 und 1998 untersucht: 800 Teilnehmer hatten eine Parodontitis, die übrigen 343 eine gute Zahngesundheit. In den Jahren 2011 bis 2013 folgten MRT-Untersuchungen des Gehirns. Und tatsächlich zeigten sich nach 15 Jahren bei Menschen mit Parodontitis im MRT signifikant häufiger Zeichen einer zerebralen Mikroangiopathie.Es wird vermutet, dass der nachgewiesene Zusammenhang durch eine systemische Entzündungsreaktion verursacht wird. Durch die Parodontitis wird das Immunsystem chronisch aktiviert, Entzündungswerte im Blut steigen an. Dies wiederum greift die Gefäße an, führt so zu einer Mikroangiopathie und erhöht schließlich das Risiko für Erkrankungen wie Schlaganfälle und Herzinfarkte.

Parodontitis ist gefährlich, Karies noch gefährlicher

In einer zweiten Studie untersuchte dieselbe Forschergruppe den direkten Einfluss von Parodontitis und Karies auf das Schlaganfallrisiko. Die Daten von knapp 6.000 Teilnehmern wurden analysiert, die nach ihrer Mund- und Zahngesundheit in drei Gruppen eingeteilt wurden: gute Mund- und Zahngesundheit, Parodontitis allein und Parodontitis plus Karies. Innerhalb der Nachbeobachtungszeit von im Schnitt 21 Jahren stieg das Risiko für Schlaganfälle und andere Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit einer schlechteren Zahngesundheit an. Die Schlaganfallhäufigkeit lag bei guter Zahngesundheit bei 4,1 %, bei Parodontitis stieg sie auf 6,9 %, bei Parodontitis und Karies sogar auf 10 %. Dieser Zusammenhang blieb auch unabhängig von bekannten Risikofaktoren wie Diabetes, Bluthochdruck und Rauchen bestehen.

Zahnhygiene als Teil eines gesunden Lebensstils

Eine regelmäßige Zahnpflege war, wenig überraschend, mit einer geringeren Rate an Parodontitis und Karies assoziiert, konnte aber auch das Risiko für Schlaganfälle senken. Da es sich bei beiden Untersuchungen um reine Beobachtungsstudien handelt, könnten jedoch auch andere Faktoren eine Rolle spielen: Menschen, die auf eine gute Zahnhygiene achten, pflegen wahrscheinlich auch in anderen Bereichen einen gesunden Lebensstil, was ebenfalls zu einem geringeren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen führt. Dennoch verdichten sich die Hinweise, dass die Zahngesundheit einen Einfluss hat, der weit über den Mundraum hinausgeht. Die tägliche Zahnpflege und regelmäßige Vorsorge beim Zahnarzt könnten nicht nur zu einem schöneren Lächeln führen, sondern auch die Gefäße gesund und das Schlaganfallrisiko niedrig halten.

Quellen:

Meyer et al.: Periodontal Disease Independently Associated With White Matter Hyperintensity Volume – A Measure of Cerebral Small Vessel Disease. Neurology, 2025. doi: 10.1212/WN9.0000000000000037

Wood et al.: Combined Influence of Dental Caries and Periodontal Disease on Ischemic Stroke Risk. Neurology, 2025. doi: 10.1212/WN9.0000000000000036

Blut ohne Spender

Seit Jahrzehnten arbeiten Wissenschaftler an der Herstellung von künstlichem Spenderblut – universell einsetzbar, infektiologisch sicher und unbegrenzt haltbar. Doch der Durchbruch bleibt fern. Wo hakt es? 

Allein in den USA sterben jedes Jahr schätzungsweise 25.000 Menschen aufgrund eines vermeidbaren traumatischen hämorrhagischen Schocks in der präklinischen Phase. Weltweit sind es etwa 2 Millionen. Das liegt vor allem an einem bekannten Problem: Blutkonserven sind aufwändig in der Handhabung. Sie müssen gekühlt werden und sind nur begrenzt haltbar. In abgelegenen Regionen, bei Naturkatastrophen oder bei Kriegen ist eine sichere Versorgung mit Spenderblut deshalb oft unmöglich. Gleichzeitig spenden zu wenige Menschen Blut.

 

Hier kommen synthetische Blutprodukte ins Spiel. Anders als klassische Blutkonserven lassen sie sich im Idealfall bei Raumtemperatur lagern. Sie sind länger haltbar und direkt vor Ort einsetzbar. Ihr Nutzen geht dabei über den bloßen Volumenersatz hinaus: Sie sollen den Körper mit Sauerstoff versorgen und Kohlendioxid abtransportieren. Um diese Ziele zu erreichen, konzentrieren sich etliche Arbeitsgruppen weltweit auf Perfluorcarbon-Emulsionen und auf chemisch modifiziertes Hämoglobin.

Sauerstoffträger aus dem Labor – die Perfluorcarbone

 

Perfluorcarbone (PFC) sind synthetische Moleküle, die aus Kohlenstoff- und Fluoratomen bestehen. Sie zeichnen sich durch eine hohe chemische Stabilität aus und können große Mengen an Atemgasen – insbesondere Sauerstoff und Kohlendioxid – aufnehmen. Diese Eigenschaften machen sie zu vielversprechenden Kandidaten für den Einsatz als Blutersatzstoffe. Anders als Hämoglobin, das Sauerstoff chemisch bindet, lösen PFC Sauerstoff rein physikalisch, ähnlich wie Kohlendioxid in Wasser. Je mehr Sauerstoff in der Lunge vorhanden ist, etwa durch die Gabe reinen Sauerstoffs, desto mehr wird in der PFC-Emulsion gelöst. PFC entfernen ebenfalls Kohlendioxid aus dem Körper.

Ein weiterer Vorteil der PFC liegt in ihrer geringen Partikelgröße: Die Tröpfchen einer Emulsion sind etwa 40-mal kleiner als rote Blutkörperchen. Dadurch können sie selbst feinste Kapillaren erreichen, die für normale Erythrozyten unzugänglich sind, beispielsweise in schlecht durchblutetem Gewebe.

Hoffnungsträger mit Hürden

Von der Theorie zur Praxis: Mit Fluosol haben Arzneimittelbehörden ab 1989 in den USA und in einigen europäischen Ländern das erste PFC-haltige Blutersatzprodukt zugelassen, allerdings nur zur Sauerstoffversorgung des Herzmuskels während bestimmter Herzkathetereingriffe. Für die Behandlung eines hämorrhagischen Schocks war das Mittel ungeeignet. Auch die erforderliche Lagerung in Gefrierschränken stand dem im Wege. Bereits 1994 wurde das Produkt in den Staaten wieder vom Markt genommen. Anders in Russland und Mexiko: Dort sind vergleichbare Präparate wie Perftoran im Einsatz. Sie enthalten Mischungen verschiedener PFCs, sind tiefgekühlt haltbar und zeigen ihre beste Wirkung bei Patienten unter künstlicher Beatmung.

Dann folgten PFC-Emulsionen der zweiten Generation, zum Beispiel Oxygent oder Oxycyte. Diese Präparate enthalten höhere Konzentrationen an PFC mit verbessertem Sauerstofflösungsvermögen. Außerdem kommen biologisch besser verträgliche Emulgatoren zum Einsatz, etwa Lecithine aus Ei oder Soja. Bei Lagerung im Kühlschrank bleiben sie stabil. Nur wurden wichtige Studien wegen kardiovaskulärer Nebenwirkungen gestoppt. Einige PFC-Präparate wie PHER-O2 sind derzeit im Fokus von Studien. Ob sich die Hoffnung auf eine Zulassung erfüllen wird, lässt sich kaum abschätzen.

Dem Blut nachempfunden: Hämoglobin-basierte Blutersatzstoffe

Blutersatzmittel auf Basis von Hämoglobingelten als Alternative zu PFC. Ausgangsstoffe sind entweder menschliches Hämoglobin aus Blutkonserven, biotechnologisch hergestelltes Hämoglobin oder Hämoglobin tierischen Ursprungs, etwa vom Rind. Allerdings ist der direkte Einsatz von reinem Hämoglobin problematisch: Das Molekül ist instabil und zerfällt rasch in Dimere, welche die Nieren schädigen. Freies Hämoglobin bindet Stickstoffmonoxid (NO) – ein Molekül, das die Gefäße erweitert. Falls NO fehlt, sind Vasokonstriktionen die Folge.

Um Hämoglobin als Blutersatz nutzbar zu machen, haben Forscher etliche Strategien der chemischen Modifizierung entwickelt. Trotz intensiver Forschung und milliardenschwerer Investitionen hat bislang keines dieser Produkte umfassende Zulassungen großer Arzneimittelbehörden erhalten. Präparate der ersten Generation hatten zwar eine gute Sauerstofftransportkapazität, verursachten aber teils gravierende Nebenwirkungen. Dazu gehören Gefäßverengungen, Bluthochdruck, Entzündungsreaktionen und Herz- und Nierenschäden.

Zu einem herben Rückschlag kam es durch eine 2008 veröffentlichte Metaanalyse in JAMA mit Daten aus 16 klinischen Studien mit fünf verschiedenen Hämoglobin-basierten Produkten. Sie zeigt eine um 30 Prozent erhöhte Sterblichkeit und eine fast dreifach höhere Rate an Herzinfarkten im Vergleich zu Kontrollen. Trotz einiger Schwächen – die eingeschlossenen Studien waren methodisch nur teilweise vergleichbar – hat dies weitere Forschungsprojekte gestoppt.

Künstliches Blut aus Stammzellen

Auch die Biotechnologie liefert Beiträge zu Blut aus dem Labor. Wissenschaftlich ist es inzwischen möglich, funktionstüchtige rote Blutkörperchen aus Stammzellen zu züchten. Ein Meilenstein gelang im Rahmen der britischen RESTORE-Studie: Erstmals wurde ein Mensch mit roten Blutkörperchen behandelt, die vollständig im Labor gezüchtet wurden. Trotz dieser Fortschritte steht der Einsatz künstlicher Erythrozyten noch am Anfang.

Derzeit ist die Ausbeute pro Produktionszyklus gering. Um eine einzige Transfusionseinheit (etwa 200 bis 250 Milliliter) herzustellen, werden nach Schätzungen rund 24 Milliarden Zellen benötigt – aktuell sind solche Mengen nicht wirtschaftlich herstellbar. Zudem ist die Lagerfähigkeit laborgemachter Erythrozyten noch nicht systematisch untersucht. Unabhängig davon führt dieser Ansatz nicht zu einem Produkt, das bei Raumtemperatur stabil ist.

 

Trotz aller Rückschläge entwickelt sich das Feld derzeit rasant weiter – dank Fortschritten in der synthetischen Biologie und Nanotechnologie. Besonders vielversprechend ist das Konzept verkapselter, bioinspirierter Sauerstoffträger wie ErythroMer™ der Firma KaloCyte.

Das experimentelle Blutersatzprodukt basiert auf getrocknetem, nanoverkapseltem Hämoglobin, ist bei Raumtemperatur lagerfähig und kann direkt am Einsatzort mit Flüssigkeit aktiviert werden. Mit einem Durchmesser von nur einem Dreißigstel einer echten roten Blutzelle imitiert es die Funktion natürlicher Erythrozyten. Finanziert wird das Projekt u.a. durch ein 46-Millionen-Dollar-Programm der DARPA, der Forschungsagentur des US-Verteidigungsministeriums. Ziel ist, ErythroMer™ in präklinischen und klinischen Studien zu untersuchen – bis hin zur Zulassung bei Unfällen oder bei verletzten Soldaten.

Schwierige Studiendesigns bremsen die Forschung aus

Doch Schwierigkeiten treten nicht nur im Labor auf. Klinische Studien führen zu weiteren Hürden im Zulassungsprozess. Denn Blutersatzprodukte sollen in erster Linie dort zum Einsatz kommen, wo Spenderblut nicht zur Verfügung steht: bei Katastrophen, militärischen Einsätzen oder Patienten, die aus religiösen Gründen keine Bluttransfusionen akzeptieren. Ein direkter Vergleich mit klassischen Bluttransfusionen greift deshalb zu kurz – und eine Kontrollgruppe, die bewusst auf eine Sauerstoffversorgung verzichtet, ist ethisch nicht vertretbar.

Nur stellen Zulassungsbehörden wie die FDA oder die EMA hohe Anforderungen: Sie wollen belastbare Nachweise zur Sicherheit und Wirksamkeit – und das in unterschiedlichsten klinischen Anwendungsszenarien. Dieser Anspruch ist medizinisch sinnvoll, erschwert jedoch die Forschung und verzögert die Zulassung potenzieller Blutersatzstoffe erheblich.

 

Quellen:

Anindita De et al.: Why Perfluorocarbon nanoparticles encounter bottlenecks in clinical translation despite promising oxygen carriers? Eur J Pharm Biopharm, 2024. doi: 10.1016/j.ejpb.2024.114292

Ying Hui Low et al.: Artificial Oxygen Carriers (Blood Substitutes): A Pathway Forward? ASA Monitor 89(6), 2025. doi: 10.1097/01.ASM.0001118164.75847.a4

Gomes et al.: Engineering Synthetic Erythrocytes as Next-Generation Blood Substitutes. Adv Funct Mater, 2024. doi: 10.1002/adfm.202315879

Zhao et al.: Perfluorocarbon-based oxygen carriers: What is new in 2024? Journal of Anesthesia and Translational Medicine, 2024. doi: 10.1016/j.jatmed.2024.02.003.

Natanson et al.: Cell-free hemoglobin-based blood substitutes and risk of myocardial infarction and death: a meta-analysis. JAMA, 2008. doi: 10.1001/jama.299.19.jrv80007

Jahr et al.: Hemoglobin-based oxygen carriers: Biochemical, biophysical differences, and safety. Transfusion, 2025. doi: 10.1111/trf.18116

Kutikuppala et al.: Transfusions with laboratory-grown red blood cells: a new development in science. Exp Hematol.,2023. doi: 10.1016/j.exphem.2023.01.004

Spinella et al.: Prehospital hemostatic resuscitation to achieve zero preventable deaths after traumatic injury. Curr Opin Hematol., 2017. doi: 10.1097/MOH.0000000000000386

Zahnsanierung vor Herzklappenersatz

Die S2k-Leitlinie „Zahnsanierung vor Herzklappenersatz“ wurde aktualisiert. Die dritte Fassung der Empfehlungssammlung enthält nun acht neue Empfehlungen sowie zwei neue Statements. Zum ersten Mal ist beispielsweise „der optimale Zeitpunkt der konsiliarischen Beurteilung vor dem Herzklappenersatz und die Dauer sowie Frequenz der zahnärztlichen Kontrollen nach Herzklappenersatz definiert“ worden.

 

Unter „Zahnsanierung vor Herzklappenersatz“ wird in der Leitlinie, die unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (DGMKG) und der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) erstellt wurde, „eine oder mehrere Maßnahmen zur Elimination akuter und/ oder chronischer Entzündungsgeschehen verstanden mit dem Ziel einer Behandlungsfreiheit nach dem Herzklappenersatz für mindestens sechs Monate“.

Zielgruppe

Die Leitlinie richtet sich vornehmlich an Zahnärzte (Fachzahnärzte für Oralchirurgie/ Fachzahnärzte für Parodontologie/ spezialisierte Zahnärzte für Endodontologie, Parodontologie und Implantologie) sowie Fachärzte für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und Fachärzte für Herzchirurgie. Sie ist aber auch als Information für Kardiologen gedacht.

Themen

Um Redundanzen zu vermeiden, wurde die Leitlinie den Autoren zufolge in Teilen neu gegliedert: Themen der nun vorliegenden Leitlinie sind beispielsweise die „Inzidenz dentogener Endokarditiden nach Herzklappenersatz“, die „Mundhöhle als Quelle einer Endokarditis nativer und ersetzter Herzklappen“, der „Einfluss der Technik des Herzklappenersatzes (offenchirurgisch versus interventionell kathetergestützt) auf die Inzidenz und Verteilung der bakteriellen Besiedlung einer Endokarditis“, „evidenzbasierte Kriterien zur Erhaltungswürdigkeit von Zähnen“, die „evidenzbasierte Diagnostik (klinisch/radiologisch) als Mindestanforderung zur Beurteilung der Erhaltungswürdigkeit von Zähnen“ oder der „Einfluss der oralen Hygiene auf die Inzidenz der bakteriellen Endokarditis“.

Die wichtigsten Empfehlungen auf einen Blick:

Für die Risiko-Stratifizierung und die Behandlungsempfehlung sollten die Dokumente zur Anamnese und zur spezifischen kardialen Vorgeschichte zur Verfügung stehen.

Als notwendige Untersuchungen zur Therapieentscheidung sollen durchgeführt werden:

  • Inspektion,
  • Sensibilitätstest der Zähne,
  • Kontrolle der Sondierungstiefen (empfohlen: PSI), wenn nicht durch vorangegangene Untersuchungen festgestellt wurde, dass eine sanierungsbedürftige Parodontitis vorliegt,
  • Röntgenuntersuchung unter vollständiger Darstellung der Zähne inklusive der periapikalen Region und Darstellung relevanter umgebender anatomischer Strukturen, ggf. unter Einbeziehung früherer Aufnahmen zur Verlaufskontrolle.

Alle beteiligten Disziplinen sollten gemeinsam und interdisziplinär eine geeignete, patientenindividuelle Vorgehensweise festlegen und dabei alle potentiell relevanten Versorgungsaspekte abwägen.

Um die Mundhygiene der Patienten vor Herzklappenersatz zu optimieren, sollen individuell angepasste Techniken und Hilfsmittel empfohlen werden. Die Patienten sollten die richtige Anwendung dieser Hilfsmittel ggf. mit professioneller Unterstützung und Übungen erlernen.

Es sollte, wenn es die allgemeine und kardiale Krankheitssituation des Patienten zulässt, ein ausreichendes Intervall (bei Eröffnung der Schleimhaut, wenn möglich, 10 bis 30 Tage) zwischen indiziertem Herzklappenersatz und dennoch notwendiger Zahnsanierung beachtet werden.

Nach einem Herzklappenersatz sollten die Patienten zur regelmäßigen zahnärztlichen Nachsorge (Recall-System) beim behandelnden Zahnarzt, Oralchirurgen oder Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen für das erste postinterventionelle Jahr möglichst vierteljährlich einbestellt werden, um die alltäglichen Bakteriämieraten so gering wie möglich zu halten und um den Erfolg häuslicher Mundhygienemaßnahmen (Zähneputzen und Interdentalhygiene) zu überprüfen.

Bei invasiven dentalen Prozeduren sollte und bei moderaten dentalen Prozeduren kann eine Antibiotikaprophylaxe erfolgen.

Clindamycin kann häufigere und schwerwiegendere Nebenwirkungen hervorrufen als andere Antibiotika, die für eine Antibiotikaprophylaxe verwendet werden. Bei einer Unverträglichkeit von Penicillin oder Ampicillin sollte somit Cephalexin, Azithromycin/Clarithromycin, Doxycyclin oder Cefazolin/Ceftriaxon verordnet werden.

Zur Leitlinie:

DGMKG, DGZMK: „Zahnsanierung vor Herzklappenersatz“, Langfassung 2025, Version 3.0, AWMF-Registriernummer: 007-096

Paradontitis als neuer Risikofaktor identifiziert

Hat die Mundflora einen direkten Einfluss auf die Entstehung von Bauchspeicheldrüsenkrebs? Diese Frage beschäftigt Forschende aus den USA, die über mehrere Jahre Probanden und deren orale Bakterien und Pilze beobachteten. Heraus kam, dass manche Bakterien mit einem signifikant erhöhten Risiko für das Pankreaskarzinom einhergehen.


Im Jahr 2022 erkrankten in Deutschland etwa 18.700 Menschen an einem Bauchspeichelsdrüsenkrebs. Gesicherte Risikofaktoren sind Rauchen, starkes Übergewicht und Diabetes mellitus Typ 2, ebenso ein hoher Alkoholkonsum und stattgehabte Pankreatitiden

Bauchspeicheldrüsenkrebs gilt als eine der tödlichsten Krebserkrankungen: Die 5-Jahres-Überlebensrate liegt bei nur 13 Prozent. Bekannte Risikofaktoren wie Rauchen, Adipositas, Pankreatitis oder genetische Prädisposition erklären jedoch weniger als ein Drittel aller Fälle. Forschende vermuten, dass orale Mikroorganismen das Risiko für Pankreaskarzinome beeinflussen. Frühere Studien haben bereits gezeigt, dass eine schlechte Mundgesundheit und insbesondere Parodontitis das Erkrankungsrisiko erhöhen. Bislang fehlt es jedoch an systematischen Untersuchungen zur Rolle von oraler Mundflora und Krebsrisiko.

Mundspüllösung und Daten gesammelt

Um diese Zusammenhänge genauer zu beleuchten, führten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine prospektive Studie in zwei großen US-Kohorten mit rund 155.000 Teilnehmenden durch. In beiden Kohorten wurden zwischen 2000 und 2003 Mundspüllösungen als Biomaterial genommen. Daten zu Krebserkrankungen wurden über Krankenakten, Krebsregister und Sterbeurkunden gesammelt. Patientinnen und Patienten mit neu aufgetretenem Pankreaskarzinom, wie vor der Diagnose eine Probe abgegeben hatten, wurden in die Studie eingeschlossen. Die Forschenden analysierten die Bakterien durch whole-genome Shotgun-Sequenzierung und die Pilze durch ITS-Sequenzierung, um das orale Mikrobiom präzise zu charakterisieren.

Ziel der Studie, die in JAMA Oncologypubliziert wurde, war es, das Risiko für Bauchspeicheldrüsenkrebs in Abhängigkeit von einzelnen Mikrobenarten zu bestimmen einen mikrobiellen Risikoscore zu etablieren.

Erhöhtes Risiko durch Paradontitis-Keime

Die Studie ergab, dass bestimmte orale Bakterien und Pilze signifikant mit einem erhöhten Risiko für Pankreaskarzinome verbunden waren. Die Analysen identifizierten drei periodontale Bakterien (Porphyromonas gingivalis, Eubacterium nodatum und Parvimonas micra), die das Risiko für Bauchspeicheldrüsenkrebs signifikant erhöhten. In präklinischen Modellen wanderten sie direkt in das Pankreas und beschleunigten dort die Tumorentstehung. Die Forschenden vermuten, dass dies über eine Veränderung des Mikrobioms in der Bauchspeicheldrüse geschehe, was schließlich über Toxine, Metabolite und Immunreaktionen karzinogene Prozesse antreiben könnte.

Darüber hinaus fanden die Forschenden insgesamt 13 weitere Bakterienarten, die mit einem höheren Risiko assoziiert waren, während acht Bakterienarten das Risiko senkten. Aufseiten der Pilze war vor allem die Gattung Candida mit einer erhöhten Krebswahrscheinlichkeit verknüpft.

Zusammengenommen ergab sich aus 27 Keimen ein Mikrobieller Risikoscore (MRS): Jede Standardabweichung beim Anstieg im MRS war mit einem mehr als dreifach erhöhten Risiko für die Entwicklung eines Pankreaskarzinoms verbunden (Odds Ratio 3,44; 95%-KI: 2,63–4,51).

Mundgesundheit ist Krebsprävention

Mit der Studie rücke die Mundgesundheit stärker in den Fokus der Krebsprävention. Sie liefere Evidenz, dass die orale Mikrobiota ein relevanter Risikofaktor für Bauchspeicheldrüsenkrebs sei, erklären die Forschenden abschließend. Insbesondere die Kombination von Bakterien- und Pilzdaten in einem Mikrobiellen Risikoscore eröffne die Möglichkeit, nichtinvasive Biomarker für die Identifikation von Hochrisikopatientinnen und -patienten zu entwickeln.

Langfristig könnten gezielte orale Gesundheitsinterventionen, mikrobiombasierte Tests und personalisierte Präventionsstrategien dazu beitragen, die Belastung durch Pankreaskarzinome zu verringern.

 

Originalpublikation:
Meng Y, Wu F, Kwak S, et al. Oral Bacterial and Fungal Microbiome and Subsequent Risk for Pancreatic Cancer. JAMA Oncol. Published online September 18, 2025.
doi:10.1001/jamaoncol.2025.3377

Mondphasen und Migräne: Neue Hinweise für zirkalunaren Rhythmus

Migräne zählt zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen. Eine neue Studie untersucht erstmals prospektiv, ob die Mondzyklen das Auftreten von Migräneattacken beeinflussen – mit klinisch relevanten Ergebnissen.

Trigger für Migräneattacken bislang unvollständig aufgeklärt

Migräne ist mit einer weltweiten Prävalenz von etwa 15 % eine der führenden Ursachen für krankheitsbedingte Einschränkungen. Charakteristisch sind plötzliche, teils hochgradig belastende Schmerzattacken, deren Unvorhersehbarkeit für Patienten eine erhebliche Belastung darstellt. Bekannte Trigger wie Stress, Schlafmangel oder hormonelle Veränderungen erklären das Auftreten nur teilweise, wodurch die Entwicklung zuverlässiger Vorhersagemodelle bislang limitiert blieb.

Chronobiologische Rhythmen als Einflussfaktor bei Migräne

Chronobiologische Muster sind in der Migräneforschung seit Langem von Interesse. Neben tageszeitlichen und saisonalen Schwankungen wird seit Jahrzehnten auch ein Zusammenhang mit dem Menstruationszyklus diskutiert. Da viele biologische Prozesse lunaren Rhythmen unterliegen, lag die Hypothese nahe, dass Migräneattacken ebenfalls mit den Mondphasen korrelieren könnten. Belastbare prospektive Daten dazu fehlten bislang.

Prospektive Studie zu möglicher Assoziation zwischen Migräneattacken und Mondphase

Die aktuelle Analyse eines Forscherteams um Dr. Alexander Yoo von der University of Pennsylvania Perelman School of Medicine in Philadelphia, USA, nutzte Daten einer prospektiven Kohortenstudie mit 98 Erwachsenen, die zwischen 2016 und 2017 rekrutiert wurden und seit mindestens 3 Jahren unter episodischer Migräne litten. Ausgeschlossen wurden Personen mit chronischen Schmerzsyndromen, unbehandelter obstruktiver Schlafapnoe, Schwangerschaft, bestehenden Opioidtherapie oder nicht kontrollierten schwerwiegenden Komorbiditäten.

Über einen Zeitraum von sechs Wochen führten die Teilnehmer elektronische Kopfschmerztagebücher und trugen Aktigrafie-Geräte zur Erfassung von Schlafparametern. Zusätzlich wurden – falls relevant – Menstruationszyklen dokumentiert. Die Zuordnung der Kalendertage zu den Mondphasen erfolgte auf Basis astronomischer Referenzdaten.

Zunahme der Migräneattacken kurz vor Neumond

Die Analyse von 4.308 Beobachtungstagen zeigte eine signifikante Zunahme der Migränehäufigkeit in Abhängigkeit von den Mondphasen. Die Kopfschmerzrisiken stiegen um bis zu 34 % im Vergleich zu den Phasen um den Vollmond und erreichten ihr Maximum etwa 1–2 Tage vor Neumond. Schlafdauer, Schlafeffizienz, Menstruation und Menopausenstatus erwiesen sich nicht als wesentliche Mediatoren.

Potenzielle Mechanismen zum Einfluss der Mondphasen auf Migräne

Die genauen Ursachen bleiben unklar. Diskutiert werden sowohl direkte Einflüsse lunarer Umweltfaktoren wie Licht und Gravitation als auch endogene Oszillatoren, die durch Mondzyklen synchronisiert werden. Besonders interessant ist die mögliche Rolle zirkadianer Gene wie Casein-Kinase-1δ, das sowohl mit Migräne als auch mit anderen biologischen Rhythmen assoziiert ist.

Erstmals prospektive Hinweise auf Zusammenhang zwischen Migräneattacken und Mondphasen

Die Studie liefert erstmals prospektive Evidenz für einen Zusammenhang zwischen Migräneattacken und Mondphasen. Für die klinische Praxis eröffnen sich neue Perspektiven in der personalisierten Prävention: Eine zeitlich angepasste Prophylaxe, beispielweise durch gezielte Gabe von CGRP-Antikörpern, könnte bei Patienten mit ausgeprägten zyklischen Mustern wirksam sein.

Weitere Studien notwendig

Weitere Forschung ist notwendig, um interindividuelle Unterschiede zu charakterisieren, die Übertragbarkeit auf chronische Migräne zu prüfen und pathophysiologische Mechanismen besser zu verstehen. Folgestudien sind auch vor dem Hintergrund der geringen Teilnehmerzahl und der kurzen Beobachtungsdauer dringend nötig.

Studienergebnisse könnten zukünftige Vorhersagemodell unterstützen

Die Ergebnisse dieser prospektiven Studie zur Assoziation von Migräneattacken mit den Mondphasen legen nahe, dass Migräne nicht nur zirkadianen, sondern auch zirkalunaren Rhythmen folgt. Die Identifikation solcher Muster könnte langfristig helfen, Vorhersagemodelle zu verbessern und präventive Therapien präziser zu steuern.

Tattoos und Melanomrisiko – eine unerwartete Beziehung

Tattoos gelten wegen ihrer Inhaltsstoffe oft als potenziell krebserregend. Doch eine große Studie aus Utah zeigt: Mehr Tattoos könnten mit einem geringeren Melanomrisiko einhergehen. Welche biologischen und verhaltensbezogenen Faktoren dahinterstehen, überrascht selbst Experten.

Tätowierungen sind heute allgegenwärtig: Fast ein Drittel aller Erwachsenen in den USA trägt mindestens eine. Mit den Farben gelangen jedoch potenziell krebserregende Stoffe wie Metalle, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe und aromatische Amine in die Haut. Diese Substanzen können sich in Lymphknoten anreichern und photochemisch toxische Verbindungen bilden. Lange wurde daher vermutet, dass Tattoos das Melanomrisiko erhöhen – doch systematische epidemiologische Untersuchungen fehlten bislang nahezu vollständig.

Studiendesign und Datengrundlage

Eine Forschergruppe der University of Utah führte erstmals eine bevölkerungsbasierte Fall-Kontroll-Studie zu Tattoos und Melanominzidenz durch. Eingeschlossen waren 1.167 Melanomfälle und 5.835 demografisch angepasste Kontrollen aus dem Utah Behavioral Risk Factor Surveillance System. Die Teilnehmenden beantworteten standardisierte Fragen zur Zahl und Größe ihrer Tattoos sowie zum Alter bei der ersten Tätowierung. Utah wurde bewusst gewählt, da der Bundesstaat die höchste Melanominzidenz der USA aufweist und sich die Tätowierungsprävalenz zwischen den Geschlechtern deutlich unterscheidet.

Überraschend: Mehr Tattoos, geringeres Risiko

Die Ergebnisse widersprachen gängigen Annahmen: Personen mit vier oder mehr Tattoo-Sitzungen oder mindestens drei großen Tattoos hatten ein signifikant niedrigeres Risiko für invasives und in-situ-Melanom als Nicht-Tätowierte. Ein einziges Tattoo hingegen war mit einem leicht erhöhten Risiko assoziiert, insbesondere bei Frauen. Männer profitierten stärker von mehreren Tattoos als Frauen, während frühe Tätowierungen vor dem 20. Lebensjahr bei beiden Geschlechtern tendenziell schützend wirkten. Eine Lokalisation der Tumoren direkt in tätowierten Arealen fand sich kaum.

Mögliche biologische Mechanismen

Die Autorinnen und Autoren vermuten, dass immunologische Faktoren eine Rolle spielen könnten. Tätowierungen lösen lokale Entzündungsreaktionen aus, die möglicherweise eine verbesserte Immunüberwachung präkanzeröser Zellen bewirken. Alternativ könnte dunkle Tätowierfarbe UV-Strahlung absorbieren und somit die karzinogene Belastung der Haut senken. Tierexperimente stützen diese Hypothese: Schwarze Tinte reduzierte bei Mäusen die UV-induzierte Tumorentwicklung.

Einfluss von Lebensstil und Sonnenexposition

Gleichzeitig wiesen tätowierte Melanompatienten häufiger riskante UV-Verhaltensweisen auf, etwa häufige Nutzung von Solarien oder Sonnenbrände. Frühere Studien zeigten allerdings, dass stark tätowierte Personen auch konsequenter Sonnenschutzmittel mit höherem Lichtschutzfaktor verwenden. Diese widersprüchlichen Verhaltensmuster könnten die beobachteten Assoziationen beeinflusst haben, lassen sich jedoch aufgrund fehlender Kontrollvariablen nicht abschließend bewerten. Unbekannte Einflussgrößen wie genetische Prädisposition, Hauttyp oder familiäre Vorbelastung blieben in der Studie unberücksichtigt.

Bedeutung und Ausblick

Ob Tattoos tatsächlich einen schützenden Effekt gegenüber Melanomen entfalten, bleibt offen – doch die Daten stellen bisherige Annahmen infrage. Ungeachtet methodischer Limitationen wie fehlender Kontrollvariablen liefert die Studie erstmals robuste populationsbasierte Hinweise auf komplexe Zusammenhänge zwischen Tätowierungen, Immunsystem und UV-Exposition. Künftige Forschungen sollten detaillierte Daten zu Sonnenverhalten, Pigmentdichte und Tattoo-Lokalisation erfassen, um die biologischen Mechanismen zu entschlüsseln. Fest steht: Tattoos sind längst nicht nur ein kulturelles Phänomen, sondern möglicherweise ein unerwarteter Schlüssel in der Hautkrebsforschung.

Herzinfarkt: Eine Infektionskrankheit?

Eine bahnbrechende Studie von Forschern aus Finnland und Großbritannien hat zum ersten Mal gezeigt, dass es sich bei einem Myokardinfarkt um eine Infektionskrankheit handeln kann. Diese Entdeckung stellt das konventionelle Verständnis der Pathogenese des Myokardinfarkts in Frage und eröffnet neue Wege für die Behandlung, Diagnostik und sogar die Entwicklung von Impfstoffen.

Laut der kürzlich veröffentlichten Studie kann eine Infektion einen Myokardinfarkt auslösen. Unter Verwendung einer Reihe fortschrittlicher Methoden fand die Forschung heraus, dass atherosklerotische Plaques, die Cholesterin enthalten, bei koronarer Herzkrankheit einen gallertartigen, asymptomatischen Biofilm beherbergen können, der von Bakterien über Jahre oder sogar Jahrzehnte gebildet wird. Schlafende Bakterien innerhalb des Biofilms bleiben sowohl vor dem Immunsystem des Patienten als auch vor Antibiotika abgeschirmt, da sie die Biofilmmatrix nicht durchdringen können.

Eine Virusinfektion oder ein anderer äußerer Auslöser kann den Biofilm aktivieren, was zur Vermehrung von Bakterien und einer Entzündungsreaktion führt. Die Entzündung kann einen Riss in der fibrösen Kappe der Plaque verursachen, was zur Thrombusbildung und schließlich zum Myokardinfarkt führt.

Professor Pekka Karhunen, der die Studie leitete, merkt an, dass man bisher davon ausging, dass Ereignisse, die zu einer koronaren Herzkrankheit führen, nur durch oxidiertes Low-Density-Lipoprotein (LDL) ausgelöst werden, das der Körper als Fremdstruktur erkennt.

„Eine bakterielle Beteiligung an der koronaren Herzkrankheit wurde seit langem vermutet, aber direkte und überzeugende Beweise fehlten. Unsere Studie zeigte das Vorhandensein von genetischem Material – DNA – von mehreren Mundbakterien in atherosklerotischen Plaques“, erklärt Karhunen.

Die Ergebnisse wurden durch die Entwicklung eines Antikörpers validiert, der auf die entdeckten Bakterien abzielte und unerwartet Biofilmstrukturen im arteriellen Gewebe aufdeckte. Bakterien, die aus dem Biofilm freigesetzt wurden, wurden bei Myokardinfarkten beobachtet. Das körpereigene Immunsystem hatte auf diese Bakterien reagiert und eine Entzündung ausgelöst, die die cholesterinbeladene Plaque aufriss.

Die Beobachtungen ebnen den Weg für die Entwicklung neuartiger diagnostischer und therapeutischer Strategien für den Myokardinfarkt. Darüber hinaus fördern sie die Möglichkeit, die koronare Herzkrankheit und den Myokardinfarkt durch Impfungen zu verhindern.

Die Studie wurde von den Universitäten Tampere und Oulu, dem Finnish Institute for Health and Welfare und der University of Oxford durchgeführt. Es wurden Gewebeproben von Personen entnommen, die am plötzlichen Herztod gestorben waren, sowie von Patienten mit Arteriosklerose, die sich einer Operation zur Reinigung der Halsschlagader und der peripheren Arterien unterzogen.

Die Forschung ist Teil eines umfangreichen, von der EU finanzierten kardiovaskulären Forschungsprojekts, an dem 11 Länder beteiligt sind. Bedeutende Finanzmittel wurden auch von der finnischen Stiftung für kardiovaskuläre Forschung und der Jane and Aatos Erkko Foundation bereitgestellt.

Der Forschungsartikel Viridans Streptococcal Biofilm Evades Immune Detection and Contribute to Inflammation and Rupture of Atherosclerotic Plaques wurde am 6. August 2025 im Journal of the American Heart Association veröffentlicht.