Seit Jahrzehnten arbeiten Wissenschaftler an der Herstellung von künstlichem Spenderblut – universell einsetzbar, infektiologisch sicher und unbegrenzt haltbar. Doch der Durchbruch bleibt fern. Wo hakt es?
Allein in den USA sterben jedes Jahr schätzungsweise 25.000 Menschen aufgrund eines vermeidbaren traumatischen hämorrhagischen Schocks in der präklinischen Phase. Weltweit sind es etwa 2 Millionen. Das liegt vor allem an einem bekannten Problem: Blutkonserven sind aufwändig in der Handhabung. Sie müssen gekühlt werden und sind nur begrenzt haltbar. In abgelegenen Regionen, bei Naturkatastrophen oder bei Kriegen ist eine sichere Versorgung mit Spenderblut deshalb oft unmöglich. Gleichzeitig spenden zu wenige Menschen Blut.
Hier kommen synthetische Blutprodukte ins Spiel. Anders als klassische Blutkonserven lassen sie sich im Idealfall bei Raumtemperatur lagern. Sie sind länger haltbar und direkt vor Ort einsetzbar. Ihr Nutzen geht dabei über den bloßen Volumenersatz hinaus: Sie sollen den Körper mit Sauerstoff versorgen und Kohlendioxid abtransportieren. Um diese Ziele zu erreichen, konzentrieren sich etliche Arbeitsgruppen weltweit auf Perfluorcarbon-Emulsionen und auf chemisch modifiziertes Hämoglobin.
Sauerstoffträger aus dem Labor – die Perfluorcarbone
Perfluorcarbone (PFC) sind synthetische Moleküle, die aus Kohlenstoff- und Fluoratomen bestehen. Sie zeichnen sich durch eine hohe chemische Stabilität aus und können große Mengen an Atemgasen – insbesondere Sauerstoff und Kohlendioxid – aufnehmen. Diese Eigenschaften machen sie zu vielversprechenden Kandidaten für den Einsatz als Blutersatzstoffe. Anders als Hämoglobin, das Sauerstoff chemisch bindet, lösen PFC Sauerstoff rein physikalisch, ähnlich wie Kohlendioxid in Wasser. Je mehr Sauerstoff in der Lunge vorhanden ist, etwa durch die Gabe reinen Sauerstoffs, desto mehr wird in der PFC-Emulsion gelöst. PFC entfernen ebenfalls Kohlendioxid aus dem Körper.
Ein weiterer Vorteil der PFC liegt in ihrer geringen Partikelgröße: Die Tröpfchen einer Emulsion sind etwa 40-mal kleiner als rote Blutkörperchen. Dadurch können sie selbst feinste Kapillaren erreichen, die für normale Erythrozyten unzugänglich sind, beispielsweise in schlecht durchblutetem Gewebe.
Hoffnungsträger mit Hürden
Von der Theorie zur Praxis: Mit Fluosol haben Arzneimittelbehörden ab 1989 in den USA und in einigen europäischen Ländern das erste PFC-haltige Blutersatzprodukt zugelassen, allerdings nur zur Sauerstoffversorgung des Herzmuskels während bestimmter Herzkathetereingriffe. Für die Behandlung eines hämorrhagischen Schocks war das Mittel ungeeignet. Auch die erforderliche Lagerung in Gefrierschränken stand dem im Wege. Bereits 1994 wurde das Produkt in den Staaten wieder vom Markt genommen. Anders in Russland und Mexiko: Dort sind vergleichbare Präparate wie Perftoran im Einsatz. Sie enthalten Mischungen verschiedener PFCs, sind tiefgekühlt haltbar und zeigen ihre beste Wirkung bei Patienten unter künstlicher Beatmung.
Dann folgten PFC-Emulsionen der zweiten Generation, zum Beispiel Oxygent oder Oxycyte. Diese Präparate enthalten höhere Konzentrationen an PFC mit verbessertem Sauerstofflösungsvermögen. Außerdem kommen biologisch besser verträgliche Emulgatoren zum Einsatz, etwa Lecithine aus Ei oder Soja. Bei Lagerung im Kühlschrank bleiben sie stabil. Nur wurden wichtige Studien wegen kardiovaskulärer Nebenwirkungen gestoppt. Einige PFC-Präparate wie PHER-O2 sind derzeit im Fokus von Studien. Ob sich die Hoffnung auf eine Zulassung erfüllen wird, lässt sich kaum abschätzen.
Dem Blut nachempfunden: Hämoglobin-basierte Blutersatzstoffe
Blutersatzmittel auf Basis von Hämoglobingelten als Alternative zu PFC. Ausgangsstoffe sind entweder menschliches Hämoglobin aus Blutkonserven, biotechnologisch hergestelltes Hämoglobin oder Hämoglobin tierischen Ursprungs, etwa vom Rind. Allerdings ist der direkte Einsatz von reinem Hämoglobin problematisch: Das Molekül ist instabil und zerfällt rasch in Dimere, welche die Nieren schädigen. Freies Hämoglobin bindet Stickstoffmonoxid (NO) – ein Molekül, das die Gefäße erweitert. Falls NO fehlt, sind Vasokonstriktionen die Folge.
Um Hämoglobin als Blutersatz nutzbar zu machen, haben Forscher etliche Strategien der chemischen Modifizierung entwickelt. Trotz intensiver Forschung und milliardenschwerer Investitionen hat bislang keines dieser Produkte umfassende Zulassungen großer Arzneimittelbehörden erhalten. Präparate der ersten Generation hatten zwar eine gute Sauerstofftransportkapazität, verursachten aber teils gravierende Nebenwirkungen. Dazu gehören Gefäßverengungen, Bluthochdruck, Entzündungsreaktionen und Herz- und Nierenschäden.
Zu einem herben Rückschlag kam es durch eine 2008 veröffentlichte Metaanalyse in JAMA mit Daten aus 16 klinischen Studien mit fünf verschiedenen Hämoglobin-basierten Produkten. Sie zeigt eine um 30 Prozent erhöhte Sterblichkeit und eine fast dreifach höhere Rate an Herzinfarkten im Vergleich zu Kontrollen. Trotz einiger Schwächen – die eingeschlossenen Studien waren methodisch nur teilweise vergleichbar – hat dies weitere Forschungsprojekte gestoppt.
Künstliches Blut aus Stammzellen
Auch die Biotechnologie liefert Beiträge zu Blut aus dem Labor. Wissenschaftlich ist es inzwischen möglich, funktionstüchtige rote Blutkörperchen aus Stammzellen zu züchten. Ein Meilenstein gelang im Rahmen der britischen RESTORE-Studie: Erstmals wurde ein Mensch mit roten Blutkörperchen behandelt, die vollständig im Labor gezüchtet wurden. Trotz dieser Fortschritte steht der Einsatz künstlicher Erythrozyten noch am Anfang.
Derzeit ist die Ausbeute pro Produktionszyklus gering. Um eine einzige Transfusionseinheit (etwa 200 bis 250 Milliliter) herzustellen, werden nach Schätzungen rund 24 Milliarden Zellen benötigt – aktuell sind solche Mengen nicht wirtschaftlich herstellbar. Zudem ist die Lagerfähigkeit laborgemachter Erythrozyten noch nicht systematisch untersucht. Unabhängig davon führt dieser Ansatz nicht zu einem Produkt, das bei Raumtemperatur stabil ist.
Trotz aller Rückschläge entwickelt sich das Feld derzeit rasant weiter – dank Fortschritten in der synthetischen Biologie und Nanotechnologie. Besonders vielversprechend ist das Konzept verkapselter, bioinspirierter Sauerstoffträger wie ErythroMer™ der Firma KaloCyte.
Das experimentelle Blutersatzprodukt basiert auf getrocknetem, nanoverkapseltem Hämoglobin, ist bei Raumtemperatur lagerfähig und kann direkt am Einsatzort mit Flüssigkeit aktiviert werden. Mit einem Durchmesser von nur einem Dreißigstel einer echten roten Blutzelle imitiert es die Funktion natürlicher Erythrozyten. Finanziert wird das Projekt u.a. durch ein 46-Millionen-Dollar-Programm der DARPA, der Forschungsagentur des US-Verteidigungsministeriums. Ziel ist, ErythroMer™ in präklinischen und klinischen Studien zu untersuchen – bis hin zur Zulassung bei Unfällen oder bei verletzten Soldaten.
Schwierige Studiendesigns bremsen die Forschung aus
Doch Schwierigkeiten treten nicht nur im Labor auf. Klinische Studien führen zu weiteren Hürden im Zulassungsprozess. Denn Blutersatzprodukte sollen in erster Linie dort zum Einsatz kommen, wo Spenderblut nicht zur Verfügung steht: bei Katastrophen, militärischen Einsätzen oder Patienten, die aus religiösen Gründen keine Bluttransfusionen akzeptieren. Ein direkter Vergleich mit klassischen Bluttransfusionen greift deshalb zu kurz – und eine Kontrollgruppe, die bewusst auf eine Sauerstoffversorgung verzichtet, ist ethisch nicht vertretbar.
Nur stellen Zulassungsbehörden wie die FDA oder die EMA hohe Anforderungen: Sie wollen belastbare Nachweise zur Sicherheit und Wirksamkeit – und das in unterschiedlichsten klinischen Anwendungsszenarien. Dieser Anspruch ist medizinisch sinnvoll, erschwert jedoch die Forschung und verzögert die Zulassung potenzieller Blutersatzstoffe erheblich.
| Quellen:
Anindita De et al.: Why Perfluorocarbon nanoparticles encounter bottlenecks in clinical translation despite promising oxygen carriers? Eur J Pharm Biopharm, 2024. doi: 10.1016/j.ejpb.2024.114292
Ying Hui Low et al.: Artificial Oxygen Carriers (Blood Substitutes): A Pathway Forward? ASA Monitor 89(6), 2025. doi: 10.1097/01.ASM.0001118164.75847.a4
Gomes et al.: Engineering Synthetic Erythrocytes as Next-Generation Blood Substitutes. Adv Funct Mater, 2024. doi: 10.1002/adfm.202315879
Zhao et al.: Perfluorocarbon-based oxygen carriers: What is new in 2024? Journal of Anesthesia and Translational Medicine, 2024. doi: 10.1016/j.jatmed.2024.02.003.
Natanson et al.: Cell-free hemoglobin-based blood substitutes and risk of myocardial infarction and death: a meta-analysis. JAMA, 2008. doi: 10.1001/jama.299.19.jrv80007
Jahr et al.: Hemoglobin-based oxygen carriers: Biochemical, biophysical differences, and safety. Transfusion, 2025. doi: 10.1111/trf.18116
Kutikuppala et al.: Transfusions with laboratory-grown red blood cells: a new development in science. Exp Hematol.,2023. doi: 10.1016/j.exphem.2023.01.004
Spinella et al.: Prehospital hemostatic resuscitation to achieve zero preventable deaths after traumatic injury. Curr Opin Hematol., 2017. doi: 10.1097/MOH.0000000000000386 |