Rechtstipp 01/2025 Rückzahlung von Weihnachtsgeld

Die Zahlung von Weihnachtsgeld in Form einer Gratifikation/ Sonderzahlung (Achtung: Ein 13. Gehalt ist hiervon strikt zu trennen!) dient ohne Frage der Mitarbeitermotivation. Verlässt eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter seinen Arbeitgeber jedoch zu Beginn des neuen Jahres, fällt diese Sonderzahlung schnell in die Rubrik „Fehlinvestition“. Unter Umständen besteht allerdings die Möglichkeit der Rückforderung.

Rückzahlungsklausel

Entscheidend ist, ob diesbezüglich eine entsprechende vertragliche (oder tarifvertragliche) Vereinbarung existiert und wenn ja, ob es sich hierbei nicht um eine Klausel handelt, welche die Arbeitnehmerin/ den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt. Ist dies nämlich der Fall, ist die Klausel unwirksam.

So stufte beispielsweise das Landesarbeitsgericht (LAG) München in seiner Entscheidung vom 26. Mai 2009 (Az.: 6 Sa 1135/08) folgende Klausel als eine unangemessene Benachteiligung ein:

“ Der Mitarbeiter ist verpflichtet, die Gratifikation zurückzuzahlen, wenn das Beschäftigungsverhältnis bis zum 31.03. des auf die Auszahlung folgenden Kalenderjahres durch Kündigung durch den Arbeitnehmer oder den Arbeitgeber oder durch Aufhebungsvertrag endet.“

Zur Begründung führte das LAG München im konkreten Fall aus:

„ Die Rückzahlungsklausel benachteiligt den Kläger entgegen Treu und Glauben in unangemessener Weise, insoweit auch bei Ausspruch einer betriebsbedingten Arbeitgeberkündigung eine Rückzahlungsverpflichtung hinsichtlich der Weihnachtsgratifikation entsteht (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB); sie ist jedenfalls insoweit unwirksam (§ 306 Abs. 2 BGB). (…) Im Rahmen der nach § 307 BGB anzustellenden Interessenabwägung ist auch der die Rückzahlungspflicht auslösende Tatbestand zu berücksichtigen (Thüsing in v. Westphalen Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke Stand März 2006 Stichwort: Arbeitsverträge Rn. 151). Es ist nicht zulässig, die Rückzahlungspflicht schlechthin an jedes Ausscheiden des Arbeitnehmers zu knüpfen, das innerhalb der in der Klausel vorgesehenen Bleibefrist stattfindet. Vielmehr muss nach dem Grund des vorzeitigen Ausscheidens unterschieden werden (vgl. Dorndorf in Däubler/Dorndorf AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht § 307 BGB Rn. 119). Eine Rückzahlungsklausel stellt nur dann eine ausgewogene Gesamtregelung dar, wenn es der Arbeitnehmer in der Hand hat, durch eigene Betriebstreue der Rückzahlungspflicht zu entgehen. (…) Die in Ziff. 10.4 des Arbeitsvertrages enthaltene Rückzahlungsklausel differenziert nicht danach, wessen Verantwortungs- und Risikobereich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zuzurechnen ist.“

Achten Sie also unbedingt darauf, dass die Rückzahlungsklausel auf ein „Verschulden“ des Arbeitnehmers abstellt. So findet sich z.B. im „Merkblatt zur Zahlung der „Besonderen Zuwendung“ im Kontext arbeitsvertraglicher Vereinbarungen“ der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe folgende Formulierung:

„Die erhaltene Weihnachtsgratifikation ist in voller Höhe zurückzuzahlen, wenn Sie aufgrund eigener Kündigung oder durch Arbeitsvertragsbruch, treuwidrigem Verhalten, Störung des Betriebsfriedens bis einschließlich ………… des folgenden Kalenderjahres aus dem Beschäftigungsverhältnis ausscheiden. Dies gilt auch dann, wenn das Beschäftigungsverhältnis im gegenseitigen Einvernehmen oder durch Kündigung des Praxisinhabers aus einem von der Angestellten zu vertretenen wichtigen Grund beendet wird.“

Ebenso ist der im Rahmen eines Muster-Anstellungsvertrages gewählte Formulierungsvorschlag der Zahnärztekammer Nordrhein denkbar:

„Eine Zahlung kommt nur in Betracht, wenn das Anstellungsverhältnis zum Auszahlungszeitpunkt ungekündigt ist. Der/die Angestellte ist zur Rückzahlung der gezahlten Gratifikation verpflichtet, wenn das Anstellungsverhältnis vor dem … des auf die Auszahlung folgenden Kalenderjahres aufgrund einer Kündigung des/der Angestellten endet, es sei denn, dass diese auf rechtswidrigem und schuldhaftem Verhalten des Arbeitgebers beruht oder wenn das Arbeitsverhältnis vor dem … des auf die Auszahlung folgenden Kalenderjahres aufgrund einer Kündigung des Arbeitgebers aus anderen als betriebsbedingten Gründen endet.

Rückzahlungshöhe

Ferner gilt es zu beachten, dass das Bundesarbeitsgericht die Gültigkeit von Rückzahlungsklauseln gemessen an der Höhe der gezahlten Gratifikation eingeschränkt und folgende Kriterien entwickelt hat:

Höhe der Gratifikation  Folge
Bis EUR 100 Rückzahlungsklausel unzulässig
Über 100 €, weniger als ein Monatsgehalt Bindung per Rückzahlungsvereinbarung bis zum 31.3. des Folgejahres möglich
Ein Monatsgehalt Bindung über die folgenden 3 Monate hinaus bis zum nächstmöglichen Kündigungstermin. Im Fall einer 2jährigen Beschäftigung ist das z. B. der 30.04. des Folgejahres (BAG-Urteil v. 28.4.2004, Az. 10 AZR 356/03)
Bis zu 2 Monatsgehälter Bindung bis zum 30.6. des Folgejahres möglich. (BAG-Urteil v. 25.9.2002, Az: 10 AZR/7/02)
2 Bruttogehälter und mehr Bei einer Gratifikation von mehr als 2 Monatsgehältern ist eine Staffelung zulässig. Bei einem Ausscheiden – bis zum 31.3. des Folgejahres 1,5 Bruttogehälter, bei einem Ausscheiden bis zum 30.6. des Folgejahres ein Bruttogehalt, bei einem Ausscheiden bis zum 30.9. des Folgejahres die Hälfte des Brutto-monatsgehalts

Achtung: Eine Rückzahlungsklausel ist unwirksam, wenn sie weder Voraussetzungen für die Rückzahlungspflicht noch einen eindeutig bestimmten Zeitraum für die Bindung der Beschäftigten festlegt (Urteil des BAG v. 14.06.95, 10 AZR 25/94)!

Vertiefende Informationen zu diesem Thema bietet Ihnen darüber hinaus das bereits genannte „Merkblatt zur Zahlung der „Besonderen Zuwendung“ im Kontext arbeitsvertraglicher Vereinbarungen“ der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe (Stand: 01.01.2012), welches Ihnen anliegend zum Download zur Verfügung steht.

Rechtstipp 12/24 Wie erfolgt die Berechnung von Hilfeleistungen bei Ohnmacht bei einem Privatpatienten

Wie erfolgt die Berechnung von Hilfeleistungen bei Ohnmacht eines Privatpatienten?

Eine Hilfeleistung bei Ohnmacht oder Kollaps stellt keine selbstständige Leistung dar. Der dadurch erhöhte Zeitaufwand wird über den Steigerungsfaktor bis zum 3,5fachen Satz wegen besonderer Umstände, Zeitaufwand und Schwierigkeit der Umfeldpositionen bemessen.

Maßnahmen, die möglicherweise im Zusammenhang mit der Hilfeleistung erbracht werden (zum Beispiel GOÄ-Nrn. 253 oder 252) können gesondert berechnet werden.

Verbringt der Zahnarzt, ohne Unterbrechung und ohne Erbringung anderer (zahn)ärztlicher Leistungen, mindestens eine halbe Stunde beim Patienten, ist auch eine Berechnung nach der GOÄ-Nr. 56 möglich.
Zu beachten ist dabei, dass 30 Minuten komplett erfüllt sein müssen, ehe die GOÄ-Nummer 56 erstmals angesetzt werden kann. Das bedeutet, dass nach 29 ½ Minuten des Verweilens die Ziffer 56 noch nicht, nach 30 ½ Minuten jedoch gleich zweimal abgerechnet werden kann. Wichtige Voraussetzung ist ferner, dass der Zahnarzt aufgrund der Kreislauf-Fehlregulation mindestens eine halbe Stunde ohne Unterbrechung „untätig“ verweilt und während des Verweilens, sowohl am entsprechenden Patienten als auch an anderen Patienten, keine anderen Leistungen erbracht werden.

Rechtstipp 11/24 BGH: Kein Schriftformerfordernis für Heil- und Kostenpläne bei andersartiger Versorgung

BGH: Kein Schriftformerfordernis für Heil- und Kostenpläne bei andersartiger Versorgung

Urteil vom 02.05.2024

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 02.05.2024 (Az.: III ZR 197/23) entschieden, dass aus § 8 Abs. 7 Abs. 2 und 3 des Bundesmantelvertrags – Zahnärzte keine Schriftformerfordernis im Sinne des § 125 BGB für andersartige Versorgungen abzuleiten ist. Da die Kosten vorab durch einen Heil- und Kostenplan festgelegt und von der Krankenkasse geprüft werden müssten, sei eine ausreichende Transparenz und Schutz vor übereilten Entscheidungen gewährleistet.

Hintergrund der Entscheidung

Beklagter war ein gesetzlich versicherter Patient, der im März 2019 folgende Vereinbarungen unterzeichnet hatte:

Vier Heil- und Kostenpläne, die implantologische Leistungen betrafen und eine Gebührenvereinbarung nach § 2 Abs. 1 und 2 GOZ für ein DVT. Im gleichen Zeitraum einen Heil- und Kostenplan für OK/UK Totalprothesen mit 8 Wurzelstiftkappen mit Stift als Prothesenanker mit voraussichtlichen Gesamtkosten von 8.057,18 EUR und einem Eigenanteil von 7.282,92 EUR.

Einen weiteren Heil- und Kostenplan vom 1. Oktober 2019 für die Versorgung des zahnlosen Ober- und Unterkiefers mit jeweils einer totalen Prothese unter Verwendung eines zweiphasigen Implantatsystems für acht Zähne, mit voraussichtlichen Gesamtkosten von 13.685 EUR und einem Eigenanteil von 12.678,46 EUR, auf dessen Grundlage die nachfolgende zahnärztliche Behandlung erfolgte, hatte der Patient erhalten, aber nicht unterschrieben. Der Plan wurde jedoch vorschriftsgemäß der Krankenkasse des Patienten übermittelt, die einen Festzuschuss in Höhe von 1.006,54 EUR bewilligte.

Der Patient verweigerte nach der Implantation und Versorgung mit entsprechendem Zahnersatz trotz mehrfacher Aufforderungen die Zahlung.

In den vorherigen Instanzen wurde die Klage des Abrechnungsunternehmens abgewiesen. Das Landgericht Berlin argumentierte, die Unterschrift sei nach der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) erforderlich. Das Kammergericht Berlin lehnte den Anspruch mit der Begründung ab, ein Schriftformerfordernis ergebe sich aus § 8 Abs. 7 Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z).

Aus den Entscheidungsgründen:

Der BGH hat nunmehr entschieden, dass sich für einen Heil- und Kostenplan für eine andersartige Versorgung weder aus § 8 Abs. 7 Satz 2 und 3 des Bundesmantelvertrages Zahnärzte (BMV-Z) noch aus der GOZ (§ 2 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 2 Satz 2) ein Schriftformerfordernis im Sinne des § 125 BGB ableiten lasse.

§ 28 Abs. 2 Satz 4 SGB V schreibe eine schriftliche Vereinbarung für den Fall vor, dass der Versicherte bei Zahnfüllungen eine überobligatorische Versorgung wähle (z.B. eine Inlay-Versorgung aus Gold oder Keramik), da als ausreichend und zweckmäßig nur die preisgünstigste plastischeFüllung anzusehen sei. Wähle der Versicherte eine solche überobligatorische Füllung, habe er als Rechtsfolge die Mehrkosten zu tragen, was allerdings gemäß § 28 Abs. 2 Satz 4 SGB V eine schriftliche Vereinbarung zwischen dem Zahnarzt und dem Versicherten voraussetzt.

Diese Vorschrift sei für Zahnersatzleistungen indes nicht einschlägig:

„Für den Bereich der Versorgung mit Zahnersatz (§§ 55 ff SGB V) besteht kein solches gesetzliches Schriftformerfordernis, weil die zu erwartenden Kosten aus dem zwingend vor der Behandlung zu erstellenden und von der Krankenkasse insgesamt – auch hinsichtlich der zusätzlichen beziehungsweise andersartigen Leistungen nach § 55 Abs. 4 und 5 SGB V – zu prüfenden Heil- und Kostenplan ersichtlich sind […].

Inhaltlich muss die Prüfung insbesondere die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der geplanten Maßnahmen sowie die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen der Leistung umfassen. Bei bestehender Versorgungsnotwendigkeit bewilligt die Krankenkasse die Festzuschüsse gemäß § 55 Abs. 1 oder 2 SGB V entsprechend dem im Heil- und Kostenplan ausgewiesenen Befund (§ 87 Abs. 1a Satz 6 SGB V), wobei die Bewilligung des Festzuschusses grundsätzlich vor der Behandlung zu erfolgen hat.

Der Versicherte wird dadurch hinreichend vor übereilten Entscheidungen geschützt. Es fehlt auch nicht an der nötigen Transparenz hinsichtlich der zu tragenden Kostenanteile, zumal der Versicherte den ausgefüllten Kostenplan beziehungsweise einen entsprechenden Vordruck zur Vorlage bei der Krankenkasse erhält […] und den Vertragszahnarzt nach § 630c Abs. 3 Satz 1 BGB eine wirtschaftliche Aufklärungspflicht trifft, die er in Textform (§ 126b BGB) erfüllen muss.

Sofern – wie hier – eine andersartige Versorgung erfolgte, erhält der Versicherte den bewilligten Festzuschuss unmittelbar von seiner Krankenkasse (§ 55 Abs. 5 SGB V). Die KZV ist in diesem Fall nicht mehr in das Abrechnungsverfahren einbezogen. Vielmehr macht der Vertragszahnarzt selbst seinen Anspruch auf Bezahlung der bei der Behandlung entstandenen Kosten unmittelbar und in vollem Umfang gegenüber dem Versicherten nach der GOZ geltend […].“

Auch § 8 Abs. 7 Satz 2 und 3 BMV-Z enthält kein Schriftformerfordernis

Anders als das Berufungsgericht meine, enthalte § 8 Abs. 7 Satz 2 und 3 BMV-Z kein Schriftformerfordernis für den Fall, dass der Versicherte sich für eine gleichartige (§ 55 Abs. 4 SGB V) oder eine andersartige (§ 55 Abs. 5 SGB V) Versorgung entscheide. Dies folge aus dem Wortlaut und dem systematischen Zusammenhang der einzelnen Sätze des Absatzes 7 sowie aus einem Vergleich mit der in § 18 Abs. 8 Satz 3 Nr. 2 und 3 des Bundesmantelvertrags – Ärzte (BMV-Ä) enthaltenen Regelung.

Nach § 8 Abs. 7 Satz 1 BMV-Z rechne der Vertragsarzt gegenüber dem Versicherten die Eigenanteile an den Kosten der Versorgung mit Zahnersatz und Zahnkronen und der kieferorthopädischen Behandlung sowie die Mehrkosten für Zahnfüllungen nach § 28 Abs. 2 Satz 2 SGB V und für Zahnersatz und Zahnkronen nach § 55 Abs. 4 und 5 SGB V ab. Dadurch werde, soweit es um die Kosten für Zahnersatz geht, hinsichtlich der Abrechnung der Regelversorgung (§ 56 Abs. 2 SGB V) sowie der gleichartigen beziehungsweise andersartigen Versorgung (§ 55 Abs. 4 und 5 SGB V) auf die Regelung des § 87 Abs. 1a SGB V Bezug genommen, die – wie dargestellt – für den zwingend zu erstellenden Heil- und Kostenplan keine Schriftform im Sinne der §§ 125, 126 BGB, sondern eine umfassende Prüfung durch die Krankenkasse vorsehe (siehe § 87 Abs. 1a Satz 2 und 4 SGB V).

„Der von den Parteien vorgelegte Heil- und Kostenplan vom 1. Oktober 2019 erfüllt die vorgenannten Kriterien und entspricht den Vorgaben der Anlage 2 zum BMV-Z. Aus dem verwendeten Vordruck 3a „Heil- und Kostenplan Teil 1“ (Anlage B 6 S. 2) ergeben sich insbesondere der Befund, die Regelversorgung und die Therapieplanung. Außerdem ist darin kenntlich gemacht, dass die Auszahlung des Festzuschusses gemäß § 55 Abs. 5 SGB V direkt von der Krankenkasse an den Versicherten zu erfolgen hat. Aus dem ausgefüllten Vordruck 3b „Heil- und Kostenplan Teil 2“ (Anlage K 8) ergeben sich die Gesamtkosten in Höhe von 13.685 EUR (aufgegliedert nach Honorar gemäß GOZ und Material- und Laborkosten) sowie ein Festzuschuss von 1.006,54 EUR. Dass der Heil- und Kostenplan der T. Krankenkasse im Bewilligungsverfahren zur Prüfung vorlag, ist daraus ersichtlich, dass auf dem „Heil- und Kostenplan Teil 1“ (Anlage B 6 S. 2) unter dem 31. Januar 2020 ein Zuschuss von 1.006,54 EUR mit der Maßgabe festgesetzt wurde, dass die Krankenkasse diesen Zuschuss unter der Voraussetzung übernimmt, dass der Zahnersatz innerhalb von sechs Monaten in der vorgesehenen Weise eingegliedert wird.“

Nach der Zurückverweisung wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob der erstellte Heil- und Kostenplan inhaltlich ordnungsgemäß und die gestellte Rechnung in vollem Umfang berechtigt ist.

Hinweis:
In § 630c Abs. 3 BGB ist für die wirtschaftliche Aufklärungspflicht folgendes geregelt: Weiß der Behandelnde, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten nicht gesichert ist, oder ergeben sich nach den Umständen hierfür hinreichende Anhaltspunkte, muss er den Patienten vor Beginn der Behandlung über die voraussichtlichen Kosten der Behandlung in Textform informieren. Das kann beispielsweise durch die Übergabe einer ausgedruckten Kostenaufstellung geschehen.

Rechtstipp 10/24: Kostenzusage der Krankenkasse ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung

LSG Berlin-Brandenburg: Kostenzusage der Krankenkasse ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung

Urteil vom 24.01.2024

Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg äußert sich mit Urteil vom 24.01.2024 (Az.: L 14 KR 293/22) zur Genehmigungsdauer eines kieferorthopädisch-kieferchirurgischen Behandlungsplans in Relation zum tatsächlichen klinischen Therapieverlauf.
Es stellt in diesem Zusammenhang fest, dass die Kostenzusage der Krankenkasse für eine Kombinationsbehandlung aus KFO und Kieferchirurgie auch dann dauerhaft über 4 Jahre gültig bleibt, wenn der bei der Planung für medizinisch notwendig erachtete kieferchirurgische Eingriff letztlich entfällt. „Rechtserheblich für die Kostenzusage“ sei „der prognostizierte Behandlungsbedarf bei Beginn der Behandlung“ so das Gericht.

Hintergrund:

Der 1986 geborene und bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger litt an einer skelettalen Dysgnathie. Seine Krankenkasse bewilligte den Behandlungsplan für die auf vier Jahre angelegte kieferorthopädisch-kieferchirurgische Behandlung. Dabei teilte sie aber mit, dass die Kostenübernahme bei Erwachsenen an einige Voraussetzungen gebunden sei. Sie sei nur dann leistungspflichtig, „wenn eine schwere Kieferanomalie vorliegt, die eine kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlung erforderlich machtÄndert sich diese Planung während der Behandlung aus medizinischen Gründen, dürfen wir uns leider nicht weiter an den Kosten beteiligen.“

Aufgrund der kieferorthopädischen Behandlung entfiel nachfolgend das Erfordernis für einen kieferchirurgischen Eingriff. Daraufhin lehnte die Krankenkasse die Kostenübernahme auch der weiteren kieferorthopädischen Behandlung mit der Begründung ab, dass die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme nicht mehr vorlägen, da beim Kläger keine kieferchirurgische Behandlung mehr erforderlich sei.

Aus den Entscheidungsgründen:

Der dagegen gerichteten Klage gab das LSG statt. Die streitige Bewilligung erfordere lediglich das Vorliegen der Voraussetzungen „zum Zeitpunkt“ der Bewilligung. Die Abrechnungsmodalitäten könnten die Rechtsnatur der Entscheidung nicht verändern. Jedenfalls liege keine wesentliche Änderung der Verhältnisse vor, welche nur in Zusammenhang mit der entsprechenden materiellen Norm gesehen werden könne.

Die Bewilligungsregelung sehe die Erforderlichkeit einer kombiniert kieferchirurgisch-kieferorthopädischen Behandlung „zu Beginn der Maßnahme“ vor, so dass ein späterer Wegfall der Erforderlichkeit chirurgischer Eingriffe keine wesentliche Änderung im Sinne von § 48 SGB X darstellen könne. Der Kläger habe zudem nicht erkennen können, dass die Beklagte die Bewilligung zurücknehmen könne, da sich die Hinweise der Beklagten eindeutig nur auf den Fall bezögen, dass der Versicherte die Durchführung der chirurgischen Maßnahme verweigere.

In der Sache handle es sich bei der ärztlichen Einschätzung der Notwendigkeit einer kombiniert orthopädisch-chirurgischen Behandlung um eine zukunftsbezogene Prognoseentscheidung bei Behandlungsbeginn. Diese bleibe auch dann richtig, wenn sich unter der geplanten und genehmigten Behandlungsplanung der Behandlungsverlauf anders auswirkt. Andere wesentliche Änderungen liegen nicht vor. Weder wurde mit der Behandlung das Behandlungsziel erreicht noch sei die Behandlungsbereitschaft des Klägers entfallen.

Jedenfalls erklärte die Beklagte in Übereinstimmung mit der Vereinbarung im BMV-Z die Verpflichtung zur Kostenübernahme für die Behandlung gemäß dem eingereichten Kostenplan durch einen Vertragszahnarzt. Diese Entscheidung entfalte Wirkung für die Dauer der Behandlung des Klägers und darüber hinaus bis zur Abrechnung des Eigenanteils.

Mit dem Wegfall der streitigen Aufhebungsentscheidung sei die Beklagte wieder verpflichtet, die Behandlungskosten zu übernehmen, soweit die Behandlung im Übrigen gemäß dem ursprünglichen Behandlungsplan und durch einen Vertragsarzt fortgesetzt werde.

Rechtstipp 09/24: Festzuschuss ist auch bei Härtefall auf die Kosten der Regelversorgung begrenzt

LSG Nordrhein-Westfalen: Festzuschuss ist auch bei Härtefall auf die Kosten der Regelversorgung begrenzt

Urteil vom 13.04.2023

Mit Urteil vom 13.04.2023 (Az.: L 5 KR 26/23) stellt das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen klar, dass die Begrenzung bei Vorliegen eines „Härtefalls“ in Höhe des zweifachen Festzuschusses der Regelversorgung bzw. auf die tatsächlich entstandenen Kosten nicht gegen Grundrechte des Versicherten verstießen und verletze insbesondere nicht den allgemeinen Gleichheitssatz. Eine über die Regelversorgung hinausgehende Versorgung könne sich der Versicherte lediglich auf eigene Kosten verschaffen.

Hintergrund:

Die gesetzliche Krankenkasse hatte einem Patienten für eine prothetische Behandlung bei Annahme eines Härtefalls einen Zuschuss i.H.v. 11.294,74 Euro bewilligt. Hiergegen legte der er Widerspruch ein. Er habe Anspruch auf eine vollständige Kostenübernahme. Er erhalte Leistungen nach dem SGB II und könne den Eigenanteil nicht bezahlen. Zudem könne der behandelnde Zahnarzt wegen einer Allergie und Krankheiten durch Kontakt mit Schwermetallen „keine Eisenzähne“ implantieren.

Aus den Entscheidungsgründen:

Für die beantragte prothetische Versorgung habe der Kläger bereits den dort vorgesehenen doppelten Festzuschuss bewilligt erhalten. Die Beklagte sei hierbei von einer unzumutbaren Belastung nach § 55 Abs. 2 SGB V ausgegangen. Wählen Versicherte – wie hier der Kläger –, die unzumutbar belastet werden, nach § 55 Abs. 4 oder 5 SGB V einen über die Regelversorgung hinausgehenden gleich- oder andersartigen Zahnersatz, leisten die Krankenkassen nur den doppelten Festzuschuss. Die klare Begrenzung der Leistungen auf höchstens die vollen Kosten der Regelversorgung beruhe darauf, dass die Versicherten mit der Regelversorgung das erhalten, was geeignet, ausreichend und erforderlich sei. Eine über die Regelversorgung hinausgehende Versorgung könne sich der Versicherte lediglich auf eigene Kosten verschaffen.

Auch § 55 Abs. 3 SGB V begrenze den Leistungsumfang aus den gleichen Gründen höchstens auf den Betrag für die Regelversorgung, die vorliegend dem Kläger durch die Beklagte jedoch bereits gewährt worden sei. Versicherte hätten bei der Versorgung mit Zahnersatz zusätzlich zu den Festzuschüssen nach Abs. 1 Satz 2 Anspruch auf einen weiteren Betrag (§ 55 Abs. 3 S. 1 SGB V).

Die Krankenkassen erstatteten den Versicherten den Betrag, um den die Festzuschüsse nach Abs. 1 S. 2 das Dreifache der Differenz zwischen den monatlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt und der zur Gewährung eines zweifachen Festzuschusses nach Abs. 2 S. 2 Nr. 1 maßgebenden Einnahmegrenze überstiegen (§ 55 Abs. 3 S. 2 SGB V). Die Beteiligung an den Kosten umfasse jedoch höchstens einen Betrag in Höhe der zweifachen Festzuschüsse nach Abs. 1 S. 2, jedoch nicht mehr als die tatsächlich entstandenen Kosten (§ 55 Abs. 3 S. 3 SGB V).

Die dargelegten Regelungen verstießen nicht gegen Grundrechte Versicherter. § 55 SGB V verletze insbesondere nicht den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs. 1 GG; BSG, Urt. v. 27.08.2019 – a.a.O. Rn. 21). Insofern komme dem Kläger auch kein Anspruch aus einer grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts wie bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen sowie bei wertungsmäßig in damit vergleichbaren Erkrankungen in Betracht, weil selbst drohende Zahnlosigkeit keinen vergleichbaren Schweregrad erreiche (BSG, Urt. v. 04.03.2014 – B 1 KR 6/13 R Rn. 16; BSG, Urt. v. 02.09.2014 – B 1 KR 12/13 R Rn. 21).

Rechtstipp 08/24: Verstoß gegen Strahlenschutzbestimmungen kann zu Betriebsverbot von Röntgeneinrichtungen führen

VG Schleswig-Holstein: Verstoß gegen Strahlenschutzbestimmungen kann zu Betriebsverbot von Röntgeneinrichtungen führen

Urteil vom 14.02.2023

Mit Urteil vom 14.02.2023 (Az.: 6 B 3/23) stellt das Verwaltungsgericht (VG) Schleswig-Holstein fest, dass Verstöße eines Strahlenschutzverantwortlichen gegen Strahlenschutzbestimmungen über einen langen Zeitraum, Bedenken gegen dessen Zuverlässigkeit begründen können und auch die Untersagung des Betriebs der Röntgeneinrichtungen durch die zuständige Behörde rechtfertigen kann.

Hintergrund:

Ein Zahnarzt wandte sich gegen einen Bescheid der Aufsichtsbehörde, mit dem ihm der Betrieb einer Röntgeneinrichtung für die Dauer von fünf Jahren untersagt wurde. Für den Fall, dass er der Anordnung nicht nachkommt, wurde ihm eine Ersatzvornahme in Höhe von 1.061,96 Euro angedroht.

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Gericht stellt fest, dass nach summarischer Prüfung des Bescheides sich die darin getroffene Anordnung als rechtmäßig erweist. Die Rechtsgrundlage für die Untersagung des Betreibens von Röntgeneinrichtungen stellt § 20 Abs. 3 Nr. 2 und 5 Strahlenschutzgesetz (StrlSchG) dar. Hiernach kann die zuständige Behörde den Betrieb einer Röntgeneinrichtung untersagen,

  • wenn Tatsachen vorliegen, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit der zur Anzeige verpflichteten Person ergeben oder
  • gegen die Vorschriften des StrlSchG oder
  • auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen oder
  • gegen die hierauf beruhenden Anordnungen und Verfügungen der Aufsichtsbehörden erheblich oder wiederholt verstoßen wird und nicht in angemessener Zeit Abhilfe geschaffen wird.

Die zuständige Behörde habe zurecht Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Antragstellers angenommen. Zuverlässig sei, wer die Gewähr dafür biete, bei seiner Tätigkeit die für ihn geltenden Bestimmungen einzuhalten, wobei sich die Anforderungen an die Zuverlässigkeit aus dem konkreten Tätigkeitsfeld ergebe.

Unzuverlässigkeit des Strahlenschutzverantwortlichen

Im Bereich des Strahlenschutzes, der dem Schutz des Menschen und der menschlichen Gesundheit (§ 1 Abs. 1 StrlSchG) und damit hochrangigen Rechtsgütern diene, seien hohe Maßstäbe anzusetzen. Dies ergebe sich auch daraus, dass der Tatbestand eine Untersagung bereits beim Vorliegen von Tatsachen ermögliche, aus denen sich Bedenken betreffend die Zuverlässigkeit ergeben. Insofern müsse die Unzuverlässigkeit nicht feststehen, sondern es genüge eine geringe Wahrscheinlichkeit in Form von Bedenken.

Die Zuschreibung von Bedenken der Zuverlässigkeit bzw. einer Unzuverlässigkeit stellt auch keine Sanktion von Verstößen dar. Vielmehr sei sie eine Prognose, die sich insbesondere bei einer Vielzahl von Fehlverhalten in der Vergangenheit dahingehend auswirken könne, dass auch in der Zukunft damit zu rechnen sei, dass weitere Verstöße gegen Vorschriften zu besorgen seien.
Dies treffe auf den Antragsteller (Zahnarzt) zu. Die Verstöße reichten über einen Zeitraum von mehr als 10 Jahren zurück und belegten aufgrund der Dauer und der Häufigkeit eine Tendenz, die weit über ein punktuelles Fehlverhalten hinausgehe. Beispielhaft sei der Antragsteller Vorlageverpflichtungen nach § 130 Abs. 6 StrlSchV trotz mehrmaliger Aufforderungen nicht vollumfänglich nachgekommen. Bußgelder im Zusammenhang mit Verstößen aus der Röntgenverordnung (RöV) seien verhängt worden. Gegen den Antragsteller seien mehrfach Zwangsgelder festgesetzt worden, weil er behördlichen Aufforderungen nicht nachgekommen sei. Ein Röntgengerät des Antragstellers sei bereits zwangsweise stillgelegt worden. Sofern nunmehr Unterlagen nachgereicht worden sind, ändere dies nichts daran, dass Tatsachen vorliegen, die zu Bedenken der Zuverlässigkeit führen. Eine generelle Verhaltensänderung, die eine positive Zukunftsprognose stützen könnte, sei hierin nicht erkennbar.

Anordnung dient dem Zweck des Strahlenschutzes

Es seien zudem keine Ermessensfehler der zuständigen Behörden bei ihrer Entscheidung erkennbar und auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung genüge den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO.

Die Anordnung diene dem Zweck des Strahlenschutzgesetzes, Menschen vor unnötiger Strahlenbelastung zu schützen. Durch mangelnde (zeitnahe) Kontrolle der Röntgengeräte könne dies nicht gewährleistet werden. Die Untersagung sei damit auch nicht vollkommen ungeeignet, dieses Ziel zu fördern. Ein milderes, gleich geeignetes Mittel sei nicht erkennbar. Insbesondere hätten Buß- und Zwangsgelder in der Vergangenheit nicht zum gewünschten Erfolg geführt. Auch die zwangsweise Stilllegung eines Röntgengerätes habe keine Auswirkungen auf das Verhalten des Antragstellers gehabt. Aufgrund dessen sei die Anordnung auch im engeren Sinne verhältnismäßig. Der Antragsgegner habe über Jahre hinweg Fehlverhalten des Antragstellers dokumentiert, bevor er nunmehr die Untersagung als weiteres Mittel zum Schutz der Patienten angeordnet habe.

Der Vortrag des Antragstellers, dass es durch die Auslagerung der Praxisverwaltung während der Pandemie in das Homeoffice der zuständigen Mitarbeiterin zu einem Bearbeitungsstau auch von Anfragen des Antragsgegners gekommen sei und diese bereits vor Erlass der Verfügung beseitigt wurden, mag zutreffen. Aber auch eine solche Säumnis zeige, dass der Antragsteller nicht sicherstellen könne, seinen gesetzlichen Verpflichtungen nachzukommen.
Auch der Einwand, dass er eine von zwei Zahnarztpraxen in der Gemeinde A-Stadt betreibe und die Patienten daher auf ihn angewiesen seien, rechtfertige nicht, dass er weiter mit Röntgengeräten arbeiten dürfe, obwohl Bedenken hinsichtlich seiner Zuverlässigkeit bestehen. Ziel der Anordnung sei gerade der Schutz der Patienten.

Rechtstipp 07/2024 Beweiswert einer ärztlichen Dokumentation in einer Patientenakte

BGH: Beweiswert einer ärztlichen Dokumentation in einer Patientenakte

Urteil vom 05.12.2023

Der Behandlungsdokumentation kommt in Arzthaftungsprozessen häufig eine entscheidende Bedeutung zu. Mit Urteil vom 05.12.2023 (Az.: VI ZR 108/21) hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass die Eintragungen in einer Behandlungsdokumentation nur Indizwirkung haben und nicht zu einer Beweislastumkehr führen.

Im vorliegenden Rechtsstreit hat eine gesetzliche Kranken- und Pflegekasse rechtliche Schritte gegen eine Beleghebamme sowie den behandelnden Assistenzarzt auf Schadensersatz aus übergegangenem Recht eines Neugeborenen wegen behaupteter Behandlungsfehler im Rahmen der Geburt eingeleitet. Streitig war im zugrunde liegenden Fall, wem die Beweislast für den Behandlungsfehler oblag. Das Berufungsgericht war den Eintragungen der Beleghebamme gefolgt, die auf Fehler des Assistenzarztes hindeutete und bejahte eine Haftung des Arztes für den Geburtsschaden. Dieser hatte dagegen unter anderem notiert, dass er keine Informationen hatte.

Die Grundsätze, die der BGH aufstellt, gelten in allen medizinischen Fächern und auch für digitale fälschungssichere Behandlungsdokumentationen:

Einer ordnungsgemäßen, zeitnah erstellten Dokumentation in Papierform, die keinen Anhalt für Veränderungen, Verfälschungen oder Widersprüchlichkeiten bietet, kommt zugunsten der Behandlungsseite Indizwirkung zu, die im Rahmen der freien tatrichterlichen Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO zu berücksichtigen ist.

Als Urkunde begründet eine Behandlungsdokumentation gemäß § 416 ZPO vollen Beweis (nur) dafür, dass die darin enthaltenen Erklärungen abgegeben wurden, nicht aber dafür, dass sie inhaltlich zutreffend sind.

In die Beweiswürdigung sind alle vom Beweisgegner vorgebrachten Gesichtspunkte einzubeziehen. Der Beweisgegner muss nicht die inhaltliche Richtigkeit der Dokumentation widerlegen. Ihm obliegt nicht der Beweis des Gegenteils. Vielmehr genügt es, wenn er Umstände dartut, die bleibende Zweifel daran begründen, dass das Dokumentierte der Wahrheit entspricht, das Beweisergebnis also keine Überzeugung im Sinne von § 286 ZPO rechtfertigt. So verhält es sich insbesondere, wenn der Beweisgegner Umstände aufzeigt, die den Indizwert – die abstrakte Beweiskraft – der Dokumentation in Frage stellen.

An dem erforderlichen Indizwert der Dokumentation fehlt es dann, wenn der Dokumentierende Umstände in der Patientenakte festgehalten hat, die sich zu Lasten des im konkreten Fall in Anspruch genommenen Mitbehandlers (Beweisgegners) auswirken, und nicht ausgeschlossen werden kann, dass dies aus eigenem Interesse an einer Vermeidung oder Verringerung der eigenen Haftung erfolgt ist.

Eine andere Beurteilung folge auch nicht aus § 630 h Abs. 3 BGB. Dieser kodifiziert die bisherige Rechtsprechung zur Beweislastumkehr bei Dokumentationsversäumnissen. Eine positive Beweisvermutung spricht die Norm nicht aus, so der BGH.

Das Berufungsurteil war deshalb aufzuheben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Rechtstipp 06/2024 Haftung wegen Planungs-, Aufklärungs- und Behandlungsfehlern / Bemessung des Schmerzensgeldes

LG Karlsruhe: Haftung wegen Planungs-, Aufklärungs- und Behandlungsfehlern / Bemessung des Schmerzensgeldes

Urteil vom 26.07.2023

Das Landgericht (LG) Karlsruhe hat am 26.07.2023 (Az.: 6 O 140/17) Zahnärzte wegen Planungs-, Aufklärungs- und Behandlungsfehlern bei der Zahnsanierung zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 15.000,00 EUR sowie Schadensersatz für die daraus resultierenden langfristigen gesundheitlichen Schäden in Höhe von 2.850,78 EUR verurteilt. Das Gericht stellte fest, dass die Beklagten ihre Aufklärungs- und Behandlungspflichten verletzt hatten, was zu den vom Patienten geltend gemachten Schäden führte.

Nach den Ausführungen des Sachverständigen, war bereits die Planung der beabsichtigten Sanierung des Oberkiefers nicht ausreichend:

„Zu einer fachgerechten prothetischen Planung gehörten verschiedene Befunderhebungen mit Überprüfung der Werthaltigkeit der zu überkronenden Zähne: Vitalitätsprüfung, Prüfung der Lockerung, Paradontalzustand (Zahnhalteapparat – Zahnfleisch, Kieferknochen, Parodontalspalt, Wurzelhaut, Faserapparat der Zahnbefestigung), Röntgenbefunde und weitere Indizes. Im Rahmen der prothetischen Planung ist keine Vitalitätsprüfung der zu überkronenden Zähne dokumentiert. Das der Planung zugrunde liegende präprothetische Orthopantomogramm […] lässt keine eindeutige Einschätzung der apikalen Situation, d. h. der Entzündungssituation der Wurzelspitzen […] verschiedener Zähne (11, 13, 14, 15, 16, 21, 22, 23, 24) zu. Zudem besteht bei 25 ein deutlicher Verdacht auf eine apikale Aufhellung, in der Regel die Folge des Absterbens der Pulpa […]. Hier wäre in der Planungsphase durch scharf zeichnende Einzelaufnahmen abzuklären gewesen, ob sich die Zähne zur Überkronung eignen. Zwei Detailaufnahmen der Oberkieferfront von 13 bis 23 vom 30.12.2011 sind für eine Planung im Jahr 2014 zu alt […].“

Nach eigener Prüfung legt das Gericht diese Feststellungen seiner Entscheidung zugrunde und stellt fest: Ist die prothetische Planung im Hinblick auf die gewählte Behandlung nicht ausreichend, so kann der Patient durch den behandelnden Zahnarzt grundsätzlich auch nicht ordnungsgemäß aufgeklärt werden.

Nach gefestigter Rechtsprechung haftet ein Arzt für alle den Gesundheitszustand des Patienten betreffenden nachteiligen Folgen, wenn der ärztliche Eingriff nicht durch eine wirksame Einwilligung des Patienten gedeckt und damit rechtswidrig ist. Eine wirksame Einwilligung des Patienten setzt dessen ordnungsgemäße Aufklärung voraus. Kern der Aufklärung ist zunächst die Selbstbestimmungsaufklärung in Form der Behandlungsaufklärung (§ 630e Abs. 1 S. 3 BGB). Die Behandlungsaufklärung – als vertragliche Pflicht aus dem Behandlungsvertrag sowie als Ausfluss der deliktischen Garantenstellung des Arztes – verlangt im Besonderen auch die Erläuterung der Tragweite des Eingriffs. Dies betrifft vor allem den als sicher oder regelmäßig eintretend vorhersehbaren postoperativen Zustand, sowie, dass der Arzt dem Patienten innerhalb des vom Patienten bestimmten Therapieziels Kenntnis von Behandlungsalternativen verschaffen muss, wenn gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden mit wesentlich unterschiedlichen Risiken und Erfolgschancen eine echte Wahlmöglichkeit für den Patienten begründen. Eine Aufklärung kann nur dann erforderlich werden, wenn die Behandlungsalternativen zu jeweils wesentlich unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen, oder wesentlich unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten.
[…] Einen wesentlichen Anhaltspunkt für die Tatsache, dass ein Aufklärungsgespräch stattgefunden hat, gibt dabei das von dem Arzt und dem Patienten unterzeichnete Formular, mit dem der Patient sein Einverständnis zu dem ärztlichen Eingriff gegeben hat. Dieses Formular ist – sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht – zugleich ein Indiz für den Inhalt des Aufklärungsgesprächs.

Zu den Behandlungs- und Aufklärungsfehlern:

Zahn 11, 12 und 13: In seinem Gutachten hatte der Sachverständige ausgeführt, dass in der Herstellungsphase des Zahnersatzes nach der Abnahme der alten Versorgung notwendig wurde, bei Zahn 12 eine Wurzelbehandlung durchzuführen, was zugleich die Aufnahme der Zähne 11 und 13 bedingte. Die sich daraus ergebenden Befunde bedeuten für die Beklagte, dass sie zumindest nach Abnahme der alten Kronen und der Wurzelbehandlung bei Zahn 12 hätte erkennen können, dass bei diesen Zähnen ein erhöhtes Frakturrisiko besteht und eine Einzelüberkronung äußerst risikoreich ist. Hierüber hätte der Kläger aufgeklärt werden müssen.
Wäre bei der Versorgung der Frontzähne 13 – 23 eine dem Befund entsprechende Planung und damit einhergehende Aufklärung durchgeführt worden, hätte mit großer Wahrscheinlichkeit der Verlust von Zahn 13, die Erneuerung der Kronen 11 und 12 und die erneute Überkronung der Zähne 21 – 23 durch Verblockung und Einbeziehung in eine neue Versorgung der Zähne 12 – 23 vermieden werden können. Insoweit hat sich das Aufklärungsrisiko auch verwirklicht.

Zahn 16: Aufgrund des röntgenologischen Befundes hätte der Sachverständig den Zahn 16 nicht mehr in eine prothetische Versorgung einbezogen, da die Prognose angesichts des fast vollständigen Verlustes der Zahn Hartsubstanz, der erhöhten Bruchgefahr als Folge der Wurzelfüllung und der reduzierten Qualität der Wurzelfüllung sehr unsicher war. Ferner hätte die Beklagte hinsichtlich des Zahnes 16 über die Behandlungsalternative einer Wurzelbehandlung und eines Brückengliedes aufklären müssen, da die bei Zahn 16 ursprünglich vorhandene Füllung mit hoher Wahrscheinlichkeit an die Knochengrenze reichte. Zusammen mit dem eindeutigen Befund, dass zusätzlich eine unvollständige Wurzelfüllung vorliegt, wäre in diesem Fall die Entfernung des Zahnes und die Versorgung entweder mit einer Brücke oder einem Implantat die sicherere und zudem preisgünstigere Lösung gewesen. Die Implantation von zwei Implantaten 15 und 16 stellt eine erfolgversprechende und dem aktuellen Standard entsprechende Alternative zu der hier von der Beklagten gewählten Brücke 14 – 17 dar, worüber der Kläger nicht aufgeklärt wurde.

Brücke 14 – 17: Die Brücke 14 – 17 zur Versorgung der Lücke 15, 16 war verfrüht während der Ausheilphase eingesetzt worden, sodass es zu einer Spaltbildung zwischen der Brückenbasis und dem Zahnfleisch (Gingiva) kam. Bei der vorliegend „definitiv zementierten Brücke“ kommt keine Nachbesserung, sondern nur eine Neuplanung- und -anfertigung des Zahnersatzes in Betracht. Hierbei handelt es sich objektiv um einen Behandlungsfehler.

Zahn 25: Bei den beiden präprothetischen OPG ergab sich ein deutlicher Verdacht auf eine apikale Aufhellung (chronische Vereiterung), der im Rahmen der Planung mittels einer Einzelaufnahme hätte abgeklärt werden müssen. Vor der Überkronung wären lege artis und auch nach den Zahnersatzrichtlinien der gesetzlichen Kassen endodontische Maßnahmen angezeigt gewesen. Der Zahn hätte vorerst nur provisorisch versorgt werden dürfen. Erst nach Ausheilung wäre definitiver Zahnersatz angezeigt gewesen. Im Nachhinein kann nicht darauf geschlossen werden, dass der Zahn nicht verloren gegangen wäre, wenn die Beklagten vor der Überkronung bereits eine Wurzelkanalbehandlung durchgeführt hätten. Es handelt sich vielmehr um eine schicksalhafte Komplikation nach Wurzelbehandlung.

Nachbehandlung Oberkiefer: Aufgrund der mangelhaften Brücke 14 -17, des Verlustes von Zahn 13 und 16, der notwendigen Extraktion von Zahn 25 und der Kronenfraktur der Zähne 11 bis 13 war überwiegend eine neue prothetische Planung und Versorgung notwendig. Die Entscheidung des Nachbehandlers, die Lücke bei Zahn 13 durch ein Implantat zu ersetzten und einen weiteren Pfeiler durch ein Implantat bei Zahn 15 zu bekommen, um den wurzelgefüllten Zahn 14 zu entlasten, war die fachlich korrekte Entscheidung. Durch die Neuversorgung der Zähne 12 und 11 und Verblockung mit den linken Nachbarzähnen 21, 22 und 23 ist das Frakturrisiko zumindest deutlich verringert worden.

Zur Bemessung des Schmerzensgeldes:

Mit der gefestigten Rechtsprechung hängt die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes entscheidend von dem Maß der Lebensbeeinträchtigung ab. Die Schwere dieser Belastungen wird vor allem durch die Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen bestimmt, wobei etwaigen Dauerfolgen der Verletzungen besonderes Gewicht zukommt.

Unter Beachtung dieser Grundsätze ist bei dem Kläger zunächst zu berücksichtigen, dass die Implantatbehandlung des Oberkiefers von Anfang an rechtswidrig war, weshalb die Beklagte die Leidenszeit einer zahnprothetischen Behandlung des Klägers insgesamt bis in das Jahr 2019 verlängerte. Dabei ist jedoch wiederum zu beachten, dass der Kläger besondere Umstände dieser Verlängerung nicht substantiiert dargelegt hat, sondern pauschal auf eingereichte Unterlagen, insbesondere die Karteikarten der Ärzte verwies, aus denen sich zwar bei sorgfältiger Lektüre die einzelnen Arztbesuche herauslesen lassen, nicht jedoch ein besonderes Leiden über die vier Jahre hinweg. Auch wird nicht deutlich, warum die Behandlung so lange gedauert hat. Besonders sind demgegenüber die Verluste der Zähne 13 und 16 zu berücksichtigen. Die Brücke hätte bei Erhalt des Zahnes 16 dann nicht von Zahn 14 bis 17 erstellt werden müssen. Ferner fällt ins Gewicht, dass beim Kläger wegen der überwiegenden Ungeeignetheit der von der Beklagten gefertigten Prothetik die Kronen von Zahn 11 und 12 erneuert, die Zähne 21 – 23 neu überkront und durch Verblockung und Einbeziehung der Zähne 12 – 23 neu versorgt werden mussten. Zahn 25 hätte vorerst nur provisorisch versorgt werden dürfen; erst nach Ausheilung wäre definitiver Zahnersatz angezeigt gewesen. Bei Festsetzung des Schmerzensgeldes ist daher dem Ausgleichsgedanken insgesamt besondere Bedeutung beizumessen.

Dies zu Grunde gelegt ist ein Schmerzensgeld von insgesamt 15.000,00 EUR erforderlich, aber auch unter Berücksichtigung der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion in Würdigung und Wägung der zuvor aufgezeigten erlittenen Schäden und daraus folgenden Beeinträchtigungen ausreichend.

Rechtstipp 05/2024: Fällt der orale Perkussionstest (Klopftest) unter den Leistungsinhalt der GOÄ-Nr. 399?

Fällt der orale Perkussionstest (Klopftest) unter den Leistungsinhalt der GOÄ-Nr. 399?

Vielfach wird vertreten, dass die GOÄ-Nr. 399 auch für den sog. Klopf- oder Perkussionstest berechnet werden kann. Der Leistungstext der GOÄ-Nr. 399 lautet:

Oraler Provokationstest, auch Expositionstest bei Nahrungsmittel- oder Medikamentenallergien – einschließlich Überwachung zur Erkennung von Schockreaktionen (200 Punkte/26,81 EUR, 2,3-fach)

Mit dem Provokationstest soll gezielt eine körperliche oder psychische Reaktion auf ein Medikament oder einen Reiz hervorgerufen (provoziert) werden. Der zahnärztliche Perkussionstest erfolgt in der Regel durch das Beklopfen eines Zahnes mit einem metallischen Instrumentengriff und liefert durch Klangvergleich bzw. Schmerzempfinden eine Information über die Empfindlichkeit eines Zahnes. Sie ist eines der Merkmale, um festzustellen, ob ein Zahn erkrankt sein könnte. Somit erfolgt tatsächlich eine orale Provokation (Reiz), allerdings werden hier keine Nahrungsmittel- oder Medikamentenallergien provoziert. Der Leistungsinhalt der GOÄ-Nr. 399 ist somit nicht erfüllt. Desgleichen ist die Empfehlung, die GOÄ-Nr. 399 mit dem 1,0fachen Satz zu berechnen, abzulehnen, da auch bei einem reduzierten Faktor der vollständige Leistungsinhalt erfüllt sein muss.

Dazu teilt die Zahnärztekammer Berlin in ihrer Stellungnahme vom 21.11.2023 (MBZ 9/23) mit:

„Die Geb.‐Nr. 399 GOÄ: „Oraler Provokationstest, auch Expositionstest bei Nahrungsmittel‐ oder Medikamentenallergien ‐ einschließlich Überwachung zur Erkennung von Schockreaktionen“ ist zwar Zahnärzten formal zugänglich, steht aber im Kontext zu Allergietest u. dgl. Auch die Bewertung der ä399, die mit 200 Punkten (26,81 €, 2,3fach) viermal höher ist, als die der Geb.‐Nr. 0070 GOZ (50 Punkte, 6,47 €, 2,3fach), wäre unverhältnismäßig, da der Aufwand für einen Klopftest sicher nicht viermal höher ist als der für die Vitalitätsprüfung eines Zahnes oder mehrere Zähne einschließlich Vergleichstest. An der Unverhältnismäßigkeit der Bewertungen (0070/ä399) und der Zuordnung im Gebührenverzeichnis der GOÄ kann man ablesen, dass mit der ä399 kein Klopftest gemeint sein kann.
Ein Klopf‐ oder Perkussionstest wäre mit der zugrundeliegenden Untersuchung, z. B. nach Geb.‐Nr. 5 GOÄ, „symptombezogene Untersuchung“ oder mit der Gebühr für eine eingehende Untersuchung nach Geb.‐Nr. 0010 GOZ abgegolten, löst aber keine gesonderte Gebühr aus.“

Bestätigt wird diese Auffassung von dem in der Rechtsprechung anerkannten „Kommentar zu BEMA und GOZ“ von Liebold/Raff/Wissing (Stand: Januar 2024):

„Die Perkussion (das Beklopfen) der Zähne gibt Aufschluss über eventuell vorliegende Erkrankungen (vgl. Abschnitt 1.2) der Pulpa oder des Parodontiums. Eine gesonderte Berechnung des Perkussionstestes nach der GOÄ-Nr. 399 ist nicht möglich. Der erste Teil deren Leistungslegende „Oraler Provokationstest“ könnte bei oberflächlicher Betrachtung die Berechnung nahelegen. Jedoch zeigt sich bei genauer Betrachtung auch des zweiten Teils der Leistungslegende „…, auch Expositionstest bei Nahrungsmittel- oder Medikamentenallergien – einschließlich Überwachung zur Erkennung von Schockreaktionen“, dass es sich beim oralen Provokationstest um einen Allergietest handelt, bei dem die zu testende Substanz dem Patienten auf oralem Wege (also nicht etwa über die Haut oder intravenös) zugeführt wird, um ggf. allergische Symptome zu provozieren. Die Leistung nach der GOÄ-Nr. 399 hat somit nichts mit einer zahnärztlichen Maßnahme im Mund, wie z. B. der Perkussionstestung oder auch der Vitalitätsprüfung (vgl. GOZ-Nr. 0070) an Zähnen, zu tun.

Somit handelt es sich bei einem Klopf‐ oder Perkussionstestum einen Handgriff, der Bestandteil der Nrn. 0010 GOZ, 5 GOÄ oder 6 GOÄ wäre und nicht um eine selbstständige Leistung.

Rechtstipp 04/2024: Begründung des Steigerungssatzes kann nachgeholt werden

VGH Bayern: Begründung des Steigerungssatzes kann nachgeholt werden

Urteil vom 23.03.2023

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) stellt mit Urteil vom 23.03.2023 (Az.: 24 B 20.549) klar, dass der Behandler die im Rahmen des § 10 Abs. 3 S. 1 GOZ erforderliche Begründung, die für die Fälligstellung der Rechnung erforderlich ist, auch noch im behördlichen sowie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen, erläutern und korrigieren kann.
Nach Ansicht des VGH kann eine Beschränkung dahingehend, dass der Arzt das Überschreiten des 2,3-fachen Satzes nachträglich im Verfahren nur noch erläutern, nicht jedoch um neue, bislang nicht vorgetragene Gründe ergänzen darf, um die Besonderheiten des jeweiligen Behandlungsfalles nach § 5 Abs. 2 Satz 4 GOZ darzulegen, der GOZ nicht entnommen werden.

Aus den Entscheidungsgründen:

Der VGH Bayern betont zunächst die allgemeinen Grundsätze der Beihilfegewährung:

„Angemessen und damit beihilfefähig sind Aufwendungen, die dem Zahnarzt nach Maßgabe der GOZ zustehen (BVerwG, 20.03.2008 – 2 C 19.06 –, Rz. 17). Die angesetzten Rechnungsbeträge sind beihilferechtlich als angemessen anzusehen, wenn der Zahnarzt diese bei zutreffender Auslegung der Gebührenordnung zu Recht in Rechnung gestellt hat (BVerwG, 30.05.1996 – 2 C 10.95 –, Rz. 23).“

Zu den Bemessungskriterien des § 5 GOZ führt der VGH Bayern aus:

„Die Annahme von Besonderheiten der Bemessungskriterien im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 4 GOZ setzt voraus, dass die Besonderheiten gerade bei der Behandlung des betreffenden Patienten, abweichend von der großen Mehrzahl der Behandlungsfälle, aufgetreten sind. Dem Ausnahmecharakter des Überschreitens des Schwellenwertes widerspräche es, wenn schon eine vom Arzt allgemein oder häufig, jedenfalls nicht nur bei einzelnen Patienten wegen in ihrer Person liegender Schwierigkeiten angewandte Behandlung als eine das Überschreiten des Schwellenwertes rechtfertigende Besonderheit angesehen würde. Diese Betrachtungsweise ergibt sich bereits aus der in § 10 Abs. 3 Satz 1 GOZ enthaltenen Anordnung einer schriftlichen Begründung beim Überschreiten des Schwellenwertes. Ob „Besonderheiten“ der Bemessungskriterien im Sinne des zweiten Halbsatzes des § 5 Abs. 2 Satz 4 GOZ vorliegen, die ein Überschreiten des Schwellenwertes rechtfertigen, ist gerichtlich voll nachprüfbar.

Wann der Honoraranspruch des behandelnden Arztes fällig wird, regelt § 10 GOZ. Hierzu ist gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 GOZ dem Zahlungspflichtigen eine dieser Verordnung entsprechende Rechnung nach der Anlage 2 zu erteilen, die insbesondere die in § 10 Abs. 2 GOZ aufgeführten Positionen enthalten muss. Soweit die berechnete Gebühr das 2,3-Fache des Gebührensatzes überschreitet, fordert § 10 Abs. 3 Satz 1 GOZ zusätzlich, dass in solchen Fällen dies auf die einzelne Leistung bezogen für den Zahlungspflichtigen verständlich und nachvollziehbar schriftlich begründet werden muss. Auf Verlangen ist die Begründung näher zu erläutern (§ 10 Abs. 3 Satz 2 GOZ). Die Frage, ob der behandelnde Arzt, der eine Gebühr mit einem höheren als dem 2,3-fachen Satz abgerechnet hat, dies nach § 10 Abs. 3 Satz 1 GOZ gegenüber dem Patienten ausreichend begründet hat, ist damit eine Frage der Fälligkeit der Rechnung, die im Rahmen der formellen Voraussetzungen an die Rechnungsstellung zu prüfen ist, denn nur insoweit sind dem Beamten Aufwendungen entstanden. § 10 Abs. 3 Satz 1 GOZ betrifft damit nicht die materielle Rechtmäßigkeit des Vergütungsanspruches, also die Frage, ob die ärztliche Leistung medizinisch notwendig und angemessen ist.

Legt man diesen Maßstab – also die Abgrenzung der formellen Voraussetzungen des Honoraranspruches nach § 10 GOZ und der materiellrechtlichen Anforderungen für das Überschreiten des Schwellenwertes nach § 5 Abs. 2 GOZ – zugrunde, ergibt sich hieraus, dass der behandelnde Arzt im behördlichen sowie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren noch Ausführungen zur Begründung für das Überschreiten des Schwellenwertes vorbringen, seine vorgebrachte Begründung erläutern und diese auch ergänzen darf, um hiermit die Notwendigkeit und Angemessenheit der erbrachten ärztlichen Leistung darzulegen.

Eine Beschränkung dahingehend, dass der Arzt das Überschreiten des 2,3-fachen Satzes nachträglich im Verfahren nur noch erläutern, nicht jedoch um neue, bislang nicht vorgetragene Gründe ergänzen darf, um die Besonderheiten des jeweiligen Behandlungsfalles nach § 5 Abs. 2 Satz 4 GOZ darzulegen, kann nach Ansicht des erkennenden Senats weder der GOZ noch der BayBhV (Bayerischen Beihilfeverordnung) entnommen werden. Zudem bleibt es der Beihilfestelle unbenommen, bei Zweifeln darüber, ob die in der Begründung dargelegten Umstände den Umfang des Überschreitens des Schwellenwertes rechtfertigen, den Beihilfeberechtigten zu bitten, die Begründung von seinem behandelnden Arzt erläutern zu lassen (§ 10 Abs. 3 Satz 2 GOZ). Zudem kann die Beihilfestelle nach § 28 Abs. 7 Satz 1 BayBhV zur Überprüfung von Notwendigkeit und Angemessenheit einzelner geltend gemachter Aufwendungen Gutachterinnen bzw. Gutachter, Beratungsärztinnen bzw. Beratungsärzte und sonstige geeignete Stellen beteiligen. Ein Anspruch des Beamten darauf, dass dies bereits im Festsetzungsverfahren geschieht, besteht indes nicht. […]

Nach ausführlichen Erläuterungen zu den Begründungsanforderungen befasst sich der VGH mit 17 Leistungsziffern aus der GOZ und GOÄ an zwei Behandlungstagen. Er hält die Berufung allerdings lediglich für die GOÄ-Nr. 5000 und die GOZ-Nrn. 4020, 0050, 5170 und 7030 als begründet.

Zu GOÄ-Nr. 5000: Soweit das Verwaltungsgericht ausführt, der behandelnde Arzt habe keine patientenspezifischen Besonderheiten dargelegt was die Positionierung des Sensors patientenbezogen besonders schwierig gemacht habe, hat das Gericht fehlerhaft die ärztliche Stellungnahme unberücksichtigt gelassen.
Denn der Zahnarzt hat ausgeführt, dass sich die Röntgenaufnahmen deswegen besonders schwierig gestaltet hätten, weil die Klägerin aufgrund ihres Krankheitsbildes – craniomandibuläre Dysfunktion – nur eingeschränkt den Mund öffnen habe können und der analoge Röntgensensor damit nur unter Schmerzen positionierbar gewesen sei, sodass hierfür überdurchschnittlich mehr Zeit benötigt worden sei.

Zu GOZ-Nr. 4020: Das Verwaltungsgericht hat dazu ausgeführt, dass sich aus der Begründung des Zahnarztes „Mehrfachanwendungen und Wiederholungen“ keine Hinweise auf patientenbezogene Umstände ergäben.
Der Zahnarzt hat jedoch in seiner Stellungnahme nachvollziehbar ausgeführt, dass sich die Maßnahmen insbesondere durch die eingeschränkte Mundöffnung besonders schwierig und zeitaufwändig gestaltet hätten und nicht in einem Behandlungsschritt hätten durchgeführt werden können. Der dadurch bedingt eingeschränkte Zugang sowie das wiederholte Schließen des Mundes wegen Schmerzen im Kiefer Gesichtsbereich (craniomandibuläre Dysfunktion) habe einen außergewöhnlich hohen Zeitaufwand durch die nur schrittweise Durchführung dieser Maßnahme bedingt.
Diese Begründung erscheint nach Ansicht des erkennenden Senates nachvollziehbar. Die individuelle Besonderheit der Klägerin, ihre Krankheit des Kauapparates, haben vorliegend nach überzeugender Ausführung des Zahnarztes einen erhöhten zeitlichen Aufwand verursacht, der in der erhöhten Abrechnungsgebühr zum Ausdruck kommen durfte.

Zu GOZ-Nr. 0050: Der Zahnarzt begründete die besondere Erschwernis bei der Abformung eines Kiefers für ein Situationsmodell in der Rechnung zunächst mit einer „besonders schwierigen Lagefixierung“, ergänzte diese Begründung mit Stellungnahmen weiter mit der motorischen Unruhe der Klägerin am Unterkiefer. Diese motorische Unruhe sei bedingt durch die hochgradige Myo-/Arthropathie der Klägerin, aber auch durch die Schmerzsymptome der craniomandibulären Dysfunktion (CMD).
Der Einwand des Verwaltungsgerichts, dass rund zwei Drittel der Bevölkerung an einer Myo-/Arthropathie leide, weshalb hiermit eine besondere Erschwernis nicht begründet werden könne, überzeugt nicht. Denn der behandelnde Arzt führt hierzu zutreffend aus, dass nach den wissenschaftlichen Studien der WHO innerhalb der Gruppe der von CMD-Betroffenen (80% einer Gesamtbevölkerung unabhängig vom Zivilisationsgrad) in Europa 3,5% als behandlungsbedürftig anzusehen seien.
Nachdem der Zahnarzt damit ausreichend die Erschwernisse bei der Abformung dargelegt hat (vgl. GOZ-Kommentar, GOZ-Nr. 0050, S. 40: „Zusätzlicher Aufwand: Erschwernisse bei der Abformung [z. B. Stellungsanomalie, inserierende Bänder, Würgereiz]“), war nach Ansicht des erkennenden Senats der erhöhte Ansatz des Gebührensatzes gerechtfertigt und ermessensgerecht.

Zu GOZ-Nrn. 5170: Das Verwaltungsgericht hat bei der GOZ-Nummer 5170 argumentiert, dass das Vorliegen einer hochgradigen Myo-/Arthropathie nicht genüge, um eine außergewöhnliche patientenbezogene Besonderheit zu begründen, da nach Angabe der Gesellschaft für Zahngesundheit, Funktion und Ästhetik rund zwei Drittel der Bevölkerung Symptome Myo-/Arthropathie aufzeigen würden. Diese Ausführungen überzeugen aus den zu GOZ-Nummer 0050 dargelegten Gründen nicht.
Vielmehr berechtigt hier ausnahmsweise die vom Zahnarzt vorgebrachte Begründung für die erhöhte Abrechnung, die „besonders schwierige Lagefixierung; hochgradige Myo-/Arthropathie“ nach Ansicht des erkennenden Senats eine erhöhte Abrechnung, da sich gerade bei der bestehenden Krankheit des Kauapparates die Fixierung des Abformlöffels über einen mehrminütigen Zeitraum nachvollziehbar als besonders schwierig gestalten kann, zumal wenn wegen der bestehenden motorischen Unruhe am Unterkiefer ein Ablösen des Löffels bzw. des Abbaumaterials verhindern werden muss, wie der Zahnarzt ausführte. Die motorische Unruhe sei bei der Klägerin insbesondere durch die Krankheit der hochgradigen Myo-/Arthropathie aufgrund des völligen Verlustes der Abstützung rechtsseitig verursacht. Der für die Behandlung abgerechnete 3,5-fache Gebührensatz für die GOZ-Nr. 5170 war damit nach Ansicht des erkennenden Senats gerechtfertigt.

Zu GOZ-Nr. 7030: Entgegen der Ansicht des Beklagten genügt nach Ansicht des erkennenden Senates die Begründung des behandelnden Zahnarztes bei der Gebührenposition GOZ-Nummer 7030 (Wiederherstellung der Funktion eines Aufbissbehelfes) den Anforderungen des § 10 Abs. 3 Satz 1 GOZ. Spätestens mit den Ausführungen des Zahnarztes, wonach der untere Kieferbereich von Zahn 44 bis Zahn 48 durch die Entfernung des Zahnes 47 völlig zahnlos sei und bei der Neuanpassung die entzündlichen, degenerativen Veränderungen des Kiefergelenks und auch die hochgradige Myo-/Arthropathie zu berücksichtigen gewesen seien, hat der Zahnarzt darüber hinaus Besonderheiten im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 1 GOZ vorgetragen, die ein Überschreiten des Gebührensatzes als gerechtfertigt erscheinen lassen. Auch in dem GOZ-Kommentar (GOZ-Nummer 7030, S. 235) wird bei dieser Gebührenposition die erschwerte Abdrucknahme bei eingeschränkter Mundöffnung (M/A) sowie das Vorliegen von Freiendsätteln als „zusätzlicher Aufwand“ aufgeführt.

Nach alledem war die Berufung in Höhe von insgesamt 74,93 Euro begründet.