Rechtstipp September 2012 Faktorsteigerung GOÄ 5004 und 5090 bei KFO

VG Stuttgart: Faktorsteigerung GOÄ 5004 und 5090 bei KFO

Wer kennt sie nicht, die langatmigen Bescheide der Beihilfe, in denen die Steigerungssatzerhöhungen des Zahnarztes pauschal als „nicht abweichend von der großen Mehrzahl der Behandlungsfälle“ und/oder „nicht patientenbezogen“ verworfen werden.

Dies, obwohl das Bundesverwaltungsgericht in einem Beschluss vom 19. Januar 2011 (BVerwG 2B 64.10) noch einmal eindeutig festgestellt, dass die Auslegungen des ärztlichen Gebührenrechts durch die Zivilgerichte auch für die Beihilfestellen maßgebend sind.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 13. Oktober 2011 (Az. III ZR 231/10) noch einmal nachgelegt und darauf hingewiesen, dass Beihilfestellen wegen ihrer Verweigerungshaltung schadensersatzpflichtig werden können.
Das kann dann passieren, wenn der Beihilfeberechtigte in treuem Glauben auf die Richtigkeit eines Ablehnungsbescheids der Beihilfestelle den Rechnungsbetrag seines Arztes oder Zahnarztes in gleicher Höhe kürzt, dann von dem behandelnden Arzt auf Zahlung verklagt wird und den Prozess verliert.

Umso erstaunlicher ist eine neue Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart, das sich mit Urteil vom 03.01.2012 (Az. 12 K 2580/11) zu den Anforderungen an die Begründung des 2,5fachen Gebührensatzes der GOÄ-Ziffern 5004 und 5090 äußert. Es stellt u. A. fest, die Besonderheiten müssten gerade bei der Behandlung des betreffenden Patienten auftreten und von der großen Mehrzahl der Behandlungsfälle abweichen.

In seinen Entscheidungsgründen führt es aus:
Für die Nrn. 5004 und 5090 GOÄ, die zum Abschnitt O. des Gebührenverzeichnisses zur GOÄ gehören, gilt Folgendes: Nach § 5 Abs. 3 Satz 1 GOÄ bemisst sich die Höhe der einzelnen Gebühr nach dem Einfachen bis Zweieinhalbfachen des Gebührensatzes. Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 GOÄ sind die Gebühren innerhalb des Gebührenrahmens unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und des Zeitaufwandes der einzelnen Leistung sowie der Umstände bei der Ausführung nach billigem Ermessen zu bestimmen. Nach § 5 Abs. 3 Satz 2, Abs. 2 Satz 4 GOÄ darf eine Gebühr in der Regel nur zwischen dem Einfachen und dem 1,8fachen des Gebührensatzes bemessen werden; ein Überschreiten des 1,8fachen des Gebührensatzes ist nur zulässig, wenn Besonderheiten der in § 5 Abs. 2 Satz 1 GOÄ genannten Bemessungskriterien dies rechtfertigen. Nach § 12 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz GOÄ muss die Überschreitung des 1,8fachen des Gebührensatzes auf die einzelne Leistung bezogen für den Zahlungspflichtigen verständlich und nachvollziehbar schriftlich begründet werden.
Auch hier gilt, dass Besonderheiten, die das Überschreiten des Schwellenwertes rechtfertigen, nur vorliegen, wenn sie gerade bei der Behandlung des betreffenden Patienten, abweichend von der großen Mehrzahl der Behandlungsfälle aufgetreten sind. Im Übrigen gelten die Ausführungen oben entsprechend.
Die in der Rechnung angegebenen Begründungen, die von Dr. H. S. in der Stellungnahme vom 25.10.2010 ergänzt wurden, beziehen sich nun nicht auf die Behandlung gerade von M. Sie beziehen sich vielmehr auf die in der Praxis allgemein gehandhabte Art und Weise der kieferorthopädischen Behandlung.“

Wie sind Beanstandungen der Beihilfe zu bewerten?

Die Forderung, dass nur personenbezogene Gründe mit dem „Charakter einer Ausnahme“ zur Regelsatzüberschreitung vorzuliegen haben, ist im Gesetzestext (GOZ 2012) nicht gefordert.
Aus zahnärztlicher Sicht können Gebührensätze oberhalb des 2,3/1,8-fachen Satzes auch durch die in einer Behandlung angewandten Verfahren, Technik oder Materialien begründet oder bereits wegen überdurchschnittlicher Schwierigkeiten gerechtfertigt sein. Auch diese Beurteilung wird durch zahlreiche gerichtliche Urteile gestützt.

Der BGH hat bereits vor der jetzt erfolgten Novellierung der GOZ – ebenso wie stets auch die Verwaltungsgerichte – betont, dass sich die Höhe der einzelnen Gebühr für Leistungen des Gebührenverzeichnisses nach § 5 Abs. 1 Satz 1 GOZ bemisst. Insoweit sind künftig die Kostenerstatter von Bund, Ländern und Gemeinden gut beraten, ein paar Grundsätze zu beherzigen:
Die Beihilfestelle verletzt ihre Amtspflicht, wenn sie bei Prüfung der Beihilfefähigkeit zahnärztlicher Behandlungskosten den Sachverhalt nicht vollständig erforscht und die dafür maßgeblichen Gesetze sowie allgemeinen Dienst- und Verwaltungsvorschriften nicht anwendet.
Die Verwaltungsvorschriften zur Bundesbeihilfeverordnung sehen ausdrücklich vor, dass die Beihilfestelle bei nicht ausgeräumten Zweifeln an einer ausreichenden Begründung für die Überschreitung des 2,3- fachen des Gebührensatzes eine Stellungnahme der zuständigen Zahnärztekammer oder eines zahnärztlichen Sachverständigen einholt. Die Regelung auf Ebene der Bundesländer ist ähnlich.

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Rechtstipp August 2012 Gebührenbemessung nach der GOZ 2012 vor dem Hintergrund der Aussage des Bundesministeriums (BMG)

Gebührenbemessung nach der GOZ 2012 vor dem Hintergrund der Aussage des Bundesministeriums (BMG)

Der Verordnungsgeber hat mit der von ihm errechneten Anpassung des Honorarvolumens die Aufforderung verbunden, dass in Zukunft bestimmte Leistungen nur noch zum Regelsatz abgerechnet werden sollen.
In seiner Begründung – Allgemeiner Teil III. (Finanzielle Auswirkungen) stellt das BMG wörtlich fest:
„Der finanziell bedeutsamste Punkt ist, dass bei einer ganzen Reihe häufig erbrachter und bisher deutlich über dem 2,3-fachen Satz berechneter Leistungen die Bewertung in Punkten auf Vorschlag der BZÄK angehoben wurde. Im Gegenzug wird davon ausgegangen, dass künftig durchschnittlich der 2,3-fache Gebührensatz berechnet wird.“

Vor diesem Hintergrund wird nunmehr von einigen privaten Krankenversicherungen die Ansicht vertreten, dass damit eine Überschreitung des Regelsatzes nicht mehr zulässig sei.

Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen!

Die Bundeszahnärztekammer hat sich mit einem Schreiben vom 20.04.2012 an den Verband der Privaten Krankenversicherung gewandt und deutlich gegen diese Argumentation ausgesprochen. In ihrem Schreiben weist sie darauf hin, dass die Behauptung, damit sei bei den betreffenden Leistungen die Berechnung von Steigerungssätzen über dem 2,3-fachen Satz erschwert oder gar nicht zulässig, eindeutig falsch sei.
Der Gebührenrahmen vom einfachen bis zum 3,5-fachen Satz werde weiterhin von Paragraf 5 Absatz 1 Satz 1 GOZ eröffnet, Absatz 2 lege fest, wie die individuelle Höhe der Gebühr zu finden ist. Daran ändere auch die Begründung des Verordnungsentwurfs nichts, die zudem nur Grundlage einer Auswirkungsprognose sei und nicht auf ein bestimmtes Abrechnungsverhalten ziele.
Umwertungen und Neubepunktungen von Leistungen würden den Paragrafen 5 und die dort für höhere Steigerungsfaktoren angegebenen Gründe ebenfalls nicht aushebeln. Die in den Schreiben der PKVen aufgestellten Behauptungen seien daher „irreführend und falsch“, die darauf gestützten Erstattungsverweigerungen würden vor Gericht nicht standhalten.

Auch die Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg (Stellungnahme zur Gebührenbemessung nach der GOZ 2012, Stand: 03/2012) hat jüngst noch einmal klargestellt
Jeder Zahnarzt hat diese Grundsätze der Gebührenbemessung zu berücksichtigen und seine Leistungen innerhalb des Gebührenrahmens zu bemessen. Überdurchschnittliche Leistungen müssen daher auch in Zukunft oberhalb des Regelsatzes liquidiert werden. Dies ergibt sich schon aus der Festsetzung des § 5, wonach der 2,3-fache Gebührensatz die nach Schwierigkeit und Zeitaufwand durchschnittliche Leistung abbildet.“

Anderenfalls würde man unterstellen, dass die Liquidation eines Faktors oberhalb der Regelspanne vor dem 01.01.2012 nicht dazu genutzt worden ist, einen tatsächlich überdurchschnittlichen Fall abzubilden, sondern einzig um das Honorar künstlich zu maximieren, was aufgrund der erfolgten „Aufwertung“ nun eben nicht mehr erforderlich sei. Dies würde aber auch bedeuten, dass man dem Behandler für die Vergangenheit eine nicht GOZ-konforme Abrechnung vorwirft. Ebenso wie eine schematische Berechnung von Gebührensätzen, verbietet sich jedoch eine derart pauschalierte und von Seiten der Kostenerstatter auch nicht belegbare Behauptung zu Lasten des Zahnarztes!

Fazit: Letztlich ist nur der Zahnarzt selbst, nicht aber der Kostenerstatter, in der Lage, diese individuellen Umstände mit den sich daraus ergebenden Folgen für den Aufwand seiner zahnärztlichen Leistung angemessen zu beurteilen.

 

 

Rechtstipp Juni 2012 GOZ 2012 und PZR-Erstattung

Der Kostenträger verweigert die Erstattung der Professionellen Zahnreinigung – keine medizinische Notwendigkeit?

Das Gebührenverzeichnis der seit dem 01.01.2012 geltenden Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) enthält unter der Geb.-Nr. 1040 GOZ die professionelle Zahnreinigung. Bereits die Aufnahme in die GOZ macht deutlich, dass es sich nach dem ausdrücklich erklärten Willen des Verordnungsgebers um eine zahnmedizinisch notwendige Leistung im Sinne des § 1 Abs. 1 und 2 GOZ handelt.

Nicht nachvollziehbar ist insoweit die Haltung einiger Versicherungen, welche eine Erstattung mit der Begründung ablehnen, es handele sich hierbei um eine rein prophylaktische Maßnahme und nicht um eine versicherte Heilbehandlung.

Wie können Sie darauf reagieren?

Den nachfolgenden Mustertext können Sie bei Nichterstattung einer PZR für die Antwort an den Patienten verwenden.

 

Sehr geehrte(r) Frau/Herr (Name des Patienten),

mit der Novellierung der Gebührenordnung für Zahnärzte ist unter der Gebührenposition 1040 die „Professionelle Zahnreinigung“ in das Leistungsverzeichnis der GOZ aufgenommen worden. Demzufolge ist ohne Zweifel klargestellt, dass es sich nach Ansicht des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) bei dieser Maßnahme um eine Leistung handelt, die in der Regel als zahnmedizinisch notwendig anzusehen ist. Dessen ungeachtet teilt Ihnen die private Krankenversicherung mit, die professionelle Zahnreinigung hätte nur einen prophylaktischen Charakter und sei gemäß MB/KK § 1 Abs. 2 von einer Erstattung ausgeschlossen.

Grundsätzlich beschreibt die Gebührenordnung (GOZ) in ihrem Leistungskatalog nur medizinisch notwendige Leistungen. Dies ergibt sich bereits aus § 1 Abs. 1 und 2 der GOZ, wo festgelegt wird, dass der Leistungskatalog der GOZ die beruflichen Leistungen des Zahnarztes, die medizinisch notwendig sind, beschreibt.

Soweit medizinisch nicht notwendige Leistungen erbracht werden, ist dafür zwingend eine gesonderte Vereinbarung zwischen Zahnarzt und Patient (§ 2 Abs. 3 GOZ) notwendig. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass bei Vorliegen einer Liquidation ohne Kennzeichnung von Wunschbehandlungen gemäß GOZ vom Zahnarzt bereits bestätigt worden ist, dass es sich um notwendige Behandlungsmaßnahmen handelt.

Die Professionelle Zahnreinigung ist ebenso medizinisch notwendig wie z.B. eine Zahnsteinentfernung, Fluoridierung, Mundhygieneunterweisungen, Bakterientests etc., die ebenfalls als individualprophylaktische Maßnahmen eingesetzt werden, deren jeweilige Erstattungsfähigkeit aber in der Regel von einer Versicherung nicht angezweifelt wird.

Es ist mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass die professionelle Zahnreinigung die einfachste nichtchirurgische Parodontaltherapie darstellt, um kostenintensivere Behandlungen zu vermeiden. Laut einer Untersuchung der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DGP) leiden 45 bis 60 Prozent der deutschen erwachsenen Bevölkerung an einer mehr oder weniger ausgeprägten Parodontitis marginalis. Nach den Erkenntnissen der DGP konnte festgestellt werden, dass bis zu 80 Prozent dieser entzündlichen Veränderungen am Zahnfleisch durch professionelle Zahnreinigungsmaßnahmen beseitigt oder gar vermieden werden könnten. Auch Ergebnisse einer Studie in Taiwan bestätigen, dass chronische Entzündungen im Zahnbereich ein erhöhtes Risiko für Herz- und Gefäßkrankheiten bedeuten. Insoweit ist der therapeutische Stellenwert dieser Maßnahmen wissenschaftlich gesichert. Auch einige Gerichte, z.B. das Amtsgericht Jever vom 15.04.1999 (Az. 5 C 347/98) und das Amtsgericht Hamburg vom 29.06.2000 (Az. 20b C 2091/96) haben die medizinische Notwendigkeit einer professionellen Zahnreinigung im Sinne von § 1 (2) GOZ attestiert.

Abschließend möchten wir darauf hinweisen, dass lediglich spezielle versicherungsvertragliche Regelungen (z.B. ein Ausschluss von prophylaktischen Leistungen) einer Erstattung entgegenstehen können. Soweit ein normaler Tarif in der privaten Krankenversicherung ohne spezielle Einschränkungen abgeschlossen wurde, ist die Ablehnung der Erstattung einer medizinisch notwendigen professionellen Zahnreinigung nicht rechtskonform.

Mit freundlichen Grüßen

 

Diesen Text und viele weitere Informationen zur Auseinandersetzung mit Kostenerstattern finden auf www.juradent.de.

Stand: 01.06.2012

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Rechtstipp Mai 2012 Beihilfe abgelehnt: Zahnarzt steht offener Rechnungsbetrag zu

Beihilfe abgelehnt: Zahnarzt steht offener Rechnungsbetrag zu

Zahnärzte können unter Umständen Rechnungen, die aus gutem Grund erhöht sind, vom Patienten einklagen Die Erstattung scheinbar überhöhter Zahnarztrechnungen kann nicht von den Beihilfestellen ohne sorgfältige Prüfung begrenzt werden.

Wird dieses trotzdem durchgeführt, kann der Zahnarzt seine ausstehenden Kosten vom Patienten einklagen und Schadensersatz für die entstandenen Verfahrensgebühren von der Beihilfestelle verlangen.

Der im niedersächsischen Schuldienst tätige Kläger verlangte von der Beihilfestelle die Kosten der Zahnbehandlung seines Sohnes in voller Höhe anzuerkennen. Das Problem: Der behandelnde Zahnarzt hatte in seiner Rechnung mehrfach einen 3,5-fachen Gebührensatz zu Grunde gelegt. Die Beihilfestelle hielt aber nur den 2,3-fachen Satz für gerechtfertigt und verweigerte die Erstattung des darüber hinausgehenden Betrags. Gegen diese Kürzung legte der Kläger Widerspruch ein und fügte dazu die Stellungnahme des behandelnden Zahnarztes bei, in der dieser die Überschreitung des 2,3-fachen Gebührensatzes begründete.

Der Widerspruch wurde jedoch zurückgewiesen. Daraufhin erhob der Kläger vor dem Verwaltungsgericht Zahlungsklage gegen das Land Niedersachsen (als Beihilfeträger). Da der Kläger bisher nur den reduzierten Rechnungsbetrag bezahlt hatte, reichte wiederum der Zahnarzt vor dem Amtsgericht Hannover Zahlungsklage gegen den Sohn des Klägers über den noch offenen Restbetrag ein. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren wurde zunächst ausgesetzt. Der Zahnarzt gewann den Prozess vor dem Amtsgericht, da ein Sachverständigengutachten zu dem Ergebnis kam, dass der 3,5-fache Gebührensatz zu Recht abgerechnet wurde. Der Sohn des Klägers wurde folglich dazu verurteilt, den noch offenen Rechnungsbetrag sowie die außergerichtlichen Kosten des Zahnarztes zu erstatten und die Gerichtskosten zu tragen. Im danach wieder aufgenommenen Verwaltungsgerichtsverfahrens wurde der Widerspruchsbescheid des Landes Niedersachsen, in dem die Erstattung der vollen Zahnarztkosten verweigert wurde, im Hinblick auf das rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts Hannover für rechtswidrig erklärt und aufgehoben. Die Beihilfestelle erstattete dann dem Kläger die restlichen Zahnarztkosten.

Blieben noch die Kosten, die dem Kläger im Zivilprozess mit dem Zahnarzt entstanden waren. Dafür begehrte er nun Schadensersatz von der Beihilfestelle. Der Bundesgerichtshof (BGH) bejahte diesen Schadensersatzanspruch mit der Begründung, die Beihilfestelle habe ihre Amtspflicht verletzt, weil sie die Erstattung des erhöhten Gebührensatzes ohne nähere Prüfung verweigert hatte. Stattdessen hätte sie zunächst ein zahnärztliches Gutachten oder eine Stellungnahme der Zahnärztekammer zur Höhe der Rechnung einholen müssen. So hätte sich der Prozess vor dem Amtsgericht vermeiden lassen, und dem Kläger wären keine weiteren Kosten entstanden.

Fazit Zwar sind zwei unterschiedliche Rechtsverhältnisse betroffen, nämlich zum einen der Dienstvertrag zwischen Zahnarzt und Patient, zum anderen das Rechtsverhältnis zwischen Patient (Beihilfeempfänger) und dem Land (Dienstherr und Beihilfeverpflichteter). Doch ist die Frage nach der Zahlungspflicht des Patienten und der Erstattungspflicht der Beihilfestelle zum maßgeblichen Zeitpunkt nach denselben Grundsätzen zu beurteilen (vgl. § 5 BhV, Beihilfevorschriften des Bundes). In ähnlichen Fällen ist betroffenen Patienten zu empfehlen, ihre Beihilfestelle auf das BGH-Urteil (Aktenzeichen: III ZR 231/10) hinzuweisen.

 

 

Rechtstipp April 2012 Gericht untersagt Zahnreinigung und Bleaching durch Dentalstudio

Genuin zahnärztliche Behandlungsleistungen – Aktuelles Urteil des OLG Frankfurt am Main –

Eine Zahnmedizinische Fachassistentin (ZMF) darf nicht selbstständig in einem „Zahnkosmetikstudio“ Zahnreinigungen und Bleaching durchführen. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat durch Urteil vom 1. März 2012 (Az.: 6 U 264/10) einer Zahnmedizinischen Fachassistentin (ZMF) die Durchführung von Zahnreinigungen mittels Wasser-Pulverstrahlgerät (AirFlow-Verfahren) sowie das Bleichen von Zähnen in einem von ihr geführten „Zahnkosmetikstudio“ untersagt, soweit dort nicht lediglich Bleachingprodukte verwendet werden, deren Wasserstoffperoxidgehalt 6 Prozent nicht übersteigt.

In der vorausgegangenen Gerichtsverhandlung habe der Vorsitzende Richter ausgeführt, dass die Durchführung von Zahnreinigungen sowie das Bleichen von Zähnen eine zahnärztliche Behandlungsleistung im Sinne des Paragrafen 1 Absatz 3 des Gesetzes zur Ausübung der Zahnheilkunde (ZHG) darstellen. Damit bestätigt das Gericht die Auffassung der Landeszahnärztekammer Hessen, die bereits im Jahr 2010 gegen die Betreiberin des betreffenden Frankfurter „Zahnkosmetikstudios“ geklagt hatte. Diese Klage war aber in erster Instanz durch das Landgericht Frankfurt abgewiesen worden.

Die Landeszahnärztekammer Hessen begrüße, dass das OLG durch seine Entscheidung nunmehr die vom Gesetzgeber mit dem Approbationsvorbehalt des Paragrafen 1 ZHG bezweckten Gesundheitsschutz des Patienten gestärkt hat. „Auch beim Bleaching und der professionellen Zahnreinigung können Gesundheitsgefahren für den Patienten entstehen, die sich nur durch den approbierten Zahnarzt beherrschen lassen. Deshalb dürfen solche Leistungen zwar selbstverständlich durch qualifiziertes Fachpersonal erbracht werden, dies aber nur unter Delegation und Aufsicht des Zahnarztes“, so der Präsident der Landeszahnärztekammer Hessen, Dr. Michael Frank.

Die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) wurde nicht zugelassen, die nähere Urteilsbegründung wird in den kommenden Wochen erwartet.

 

 

 

Rechtstipp März 2012 Zahnarztwerbung über Fensterfront

Zahnarztwerbung über Fensterfront

Die Außendarstellungsmöglichkeiten von Ärzten, Apothekern und Zahnärzten sind immer weiter liberalisiert worden, wobei das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) über viele Jahre hinweg Impulsgeber war und ist. Regeln in Berufsordnungen wurden dabei bisweilen als zu einengend angesehen, da sie den Heilberufler insbesondere in seiner Berufsausübungsfreiheit tangieren. Das Verwaltungsgericht Berlin (VG) hat sich in seiner Entscheidung vom 12.01.2011 (90 K 5.10 T) mit der Frage befasst, ob ein etwa zehn Meter langer und etwa ein Meter hoher Plakat-Schriftzug über einer Fensterfront eines Praxisgebäudes „Zahnarztpraxis am B…“ berufsrechtlich zulässig ist.

Der Fall:

Auf die Beschwerde von zwei Zahnärzten aus der näheren Umgebung der Praxis erließ die Zahnärztekammer Berlin im März 2010 einen Rügebescheid gegen den werbungsaffinen Zahnarzt und machte ihm zur Auflage 1.000,00 Euro zu zahlen. Zur Begründung wurde dabei u. a. ausgeführt, dass das Werbeplakat über der Praxisfront darauf abziele, die Aufmerksamkeit auch an der Praxis weit entfernt vorbei gehender Passanten bzw. vorbei fahrender Verkehrsteilnehmer in anpreisender und typisch kommerzieller Weise zu erheischen (Blickfangwerbung). Diese Werbemaßnahme nähere sich den Werbemethoden der gewerblichen Wirtschaft – insbesondere des Dienstleistungs- und Einzelhandelsgewerbes – an und leiste so dem Eindruck der Kommerzialisierung des Arztberufes und damit Zweifel an der beruflichen Integrität des Arztes Vorschub. Außerdem vermittle die Bezeichnung „Zahnarztpraxis am B…“ den Eindruck, als handele es sich vorliegend um die einzige oder auch aufgrund der Größe des Banners auch um eine besonders hervorgehobene Zahnarztpraxis an diesem Standort.

Die Entscheidung:

Das VG Berlin sprach den Zahnarzt von dem ihn vorgeworfenen Berufsvergehen frei. Durch die beanstandete Werbung habe dieser seine Berufspflichten nicht verletzt.

Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG schütze die Freiheit der Berufsausübung. Zu dieser gehöre nicht nur die berufliche Praxis selbst, sondern auch jede Tätigkeit, die mit der Berufsausübung zusammenhänge und dieser diene. Sie schließe die Außendarstellung von selbstständig Berufstätigen ein soweit sie auf die Förderung des beruflichen Erfolges gerichtet sei.

Unübliche Größe reklamehaft?

Der Werbefreiheit der Ärzte und Zahnärzte würde nur durch Gemeinwohlbelange Grenzen gesetzt. Das Werbeverbot diene dem Schutz der Bevölkerung, wobei das Vertrauen des Patienten darauf erhalten werden solle, dass der Arzt nicht aus Gewinnstreben besondere Untersuchungen vornimmt oder Behandlungen vorsieht. Für interessengerechte und sachangemessene Informationen, die keinen Irrtum erregen würden, müsse im rechtlichen und geschäftlichen Verkehr Raum bleiben. Vor dem Hintergrund der gegenüber früheren Vorstellungen durch das BVerfG deutlich erweiterten Grenzen der Zulässigkeit werbenden Verhaltens niedergelassener Ärzte, liege im vorliegenden Fall keine berufswidrige Werbung vor. Die Außendarstellung von Ärzten sei nicht (mehr) von allen Elementen der Anpreisung und Reklame freizuhalten. Sachliche Informationen über die berufliche Betätigung seien unabhängig von der Wahl der Werbemethode zulässig. Es habe sich zwar um eine unübliche Größe der Ankündigung einer Zahnarztpraxis gehandelt, wobei aber nicht festzustellen sei, dass in diesem Einzelfall durch die gewählte Form der Werbung Gemeinwohlbelange tatsächlich gefährdet worden seien. Aus der Wahl eines Werbeträgers unmittelbar auf eine Gefährdung der ärztlichen Gesundheitsversorgung oder mittelbar auf einen Schwund des Vertrauens der Öffentlichkeit in die berufliche Integrität der Ärzte zu schließen, sei schwerlich möglich, solange sich die Werbemittel im Rahmen des Üblichen bewegen würden. Die ortsfeste Werbung enthalte sachliche Aussagen über die Lage der Zahnarztpraxis. Die Größe der Werbung allein erwecke keinen Irrtum über die zu erwartende Qualität der zahnärztlichen Leistung.

Verstoß gegen Kollegialitätsgebot?

Es läge auch kein Verstoß gegen das Kollegialitätsgebot vor, da die gewählte Werbung sich nicht auf das Arzt-Patienten-Verhältnis auswirke. Das Kollegialitätsgebot diene dem allgemeinen Interesse an einer funktionierenden Gesundheitsfürsorge und solle im Interesse des Heilwesens ein kollegiales Klima schaffen. Die Pflicht zu rücksichts- und achtungsvollem Verhalten untereinander schütze dabei nicht die Kollegialität als solche, sondern nur die Kollegialität innerhalb der beruflichen Sphäre. Ein unkollegiales Verhalten sei folglich insoweit standesrechtlich von Bedeutung, da es das Ansehen der betroffenen Kollegen in den Augen der Patienten mindern könne.

RA Michael Lennartz

 

 

Rechtstipp Februar 2012 CMD-Kieferorthopädie-Behandlung auf Kasse?

CMD-Kieferorthopädie-Behandlung auf Kasse?

Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat sich in seinem Urteil vom 21.04.2011 (S 7 KR 152/10) mit der Frage befasst, ob eine Krankenkasse im Rahmen der Kostenerstattung die Kosten für eine kieferorthopädische Behandlung einer Craniomandibulären Dysfunktion (CMD) zu übernehmen hat.

Der Fall:

In dem konkreten Fall wurde bei einer Patientin nach einer ersten Befundung ein privater Heil- und Kostenplan für eine kieferorthopädische CMD-Behandlung erstellt. Die Patientin reichte den HKP über 4.758,17 Euro bei ihrer Krankenkasse ein und stellte einen Kostenübernahmeantrag. Aus dem Behandlungsplan gehe hervor, dass eine spezielle CMD-Kieferorthopädie auf der Basis der biofunktioniellen Orthodentie geplant sei. Die CMD-Kieferorthopädie wende eine in der üblichen Kieferorthopädie nicht vorhandene ursächliche, medizinisch strukturierte Diagnostik an, wobei die Methode eine „Neudefinition der Kieferorthopädie als komplexe Schmerztherapie und Therapie der Dysfunktion der Kopf-Schulterorgane“ sei. Der GKV-Leistungskatalog sei auf die nach privatärztlichen Grundlagen abgerechnete CMD-Kieferorthopädie zu erweitern.

Nachdem der Antrag der Patientin auf eine Kostenübernahme abgelehnt wurde, erhob die Patientin Klage und trug vor, dass sie an massiven Hör- und Sehstörungen, Nacken- und Rückenverspannungen, Bewegungseinschränkungen, Konzentrationsschwächen und Kopfschmerzen leide. Die CMD beruhe auf einer Zahnfehlstellung, die durch eine nicht notwendige Zahnextraktion hervorgerufen worden sei. Es sei nicht gerechtfertigt, dass das Gesetz die Kostenübernahme für solche Fälle ausschließe. Nur die CMD-Kieferorthopädie setze an den Ursachen der Erkrankung an und sei für die Krankenkassen wirtschaftlicher. Ohne sie würde eine dauernde Minderung der Erwerbstätigkeit eintreten.

Die Entscheidung:

Das SG Duisburg konnte der Argumentation der Patientin nicht folgen, wobei es keinen Anspruch der Patientin auf Erstattung der bereits angefallenen und Übernahme der zukünftigen Kosten für die CMD-Kieferorthopädie erkennen konnte.

Keine unaufschiebbare Leistung

Für den bereits abgeschlossenen Teil der CMD-kieferorthopädischen Behandlung komme als Anspruchsgrundlage nur § 13 Abs. 3 SGB V in Betracht, wonach eine Krankenkasse die Kosten zu erstatten habe, wenn sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder zu Unrecht abgelehnt hat und hierdurch einem Versicherten Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung entstanden seien. Eine unaufschiebbare Leistung habe bei Beginn der Behandlung nicht vorgelegen. Die Kostenerstattung scheitere bereits daran, dass sich die Patientin die Leistung besorgt habe, ohne die Krankenkasse einzuschalten und deren Entscheidung abzuwarten. Krankenkassen müsse zur Vermeidung von Missbräuchen vorab die Prüfung ermöglicht werden, ob die beanspruchte Behandlung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung bereitgestellt werden könne.

Keine Empfehlung G-BA

Die Kostenerstattung und auch eine weitere Kostenübernahme würden aber ohnehin ausscheiden, weil es sich um eine neuartige Therapie handele, die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) nicht empfohlen worden sei. Nach § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V dürften neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der G-BA eine Empfehlung abgegeben habe. Auch eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer lebensbedrohlichen oder tödlich verlaufenden Erkrankung liege nicht vor, wobei auch der Vortrag die CMD-Behandlung sei wirtschaftlicher und nur durch sie könne eine dauerhafte Besserung erreicht und eine verminderte Erwerbsfähigkeit verhindert werden, nicht berücksichtigungsfähig sei.

RA Michael Lennartz

 

 

Rechtstipp Januar 2012 Einsichtsrecht der Erben in Behandlungsunterlagen

Einsichtsrecht der Erben in Behandlungsunterlagen

Wiederholt haben sich Gerichte mit der Frage befassen müssen, ob Erben eines Patienten ein Recht auf Einsicht in die Behandlungsunterlagen des Verstorbenen zusteht. So hat bspw. der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 31.05.1983 entschieden, dass ein solches Einsichtsrecht besteht, wenn ein ausdrückliches oder vermutetes Einverständnis des Verstorbenen mit der Offenlegung gegeben ist. In seiner Entscheidung vom 26.05.2011 (Vf. 45-VI-10) hat sich der Bayerischer Verfassungsgerichtshof (VerfGH Bayern) mit der Frage befasst, ob ein Arzt die Herausgabe von Kopien von Behandlungsunterlagen gegenüber den Erben eines verstorbenen Patienten verweigern kann, wenn sich der Patient nach seinem Vortrag vor seinem Tod von seiner Familie distanziert hat.

Die Vorinstanzen:

Mit dieser Frage hatte sich zuvor auch das Landgericht (LG) München I und das Oberlandesgericht (OLG) München in seinem Urteil vom 09.10.2008 (1 U 2500/08) befasst. Nach Auffassung des OLG München, das das Urteil des LG München bestätigte, reichte es für das Einsichtsrecht der Erben des verstorbenen Patienten aus, dass sie sich auf mögliche Arzthaftungsansprüche stützten und solche Ansprüche nicht von vorneherein ausgeschlossen waren. Der Arzt könne sich nicht auf seine Schweigepflicht berufen. Er könne und müsse auch nahen Angehörigen die Kenntnisnahme von Krankenunterlagen verweigern, soweit er sich bei gewissenhafter Prüfung seiner gegenüber dem Verstorbenen fortwirkenden Verschwiegenheitspflicht an der Preisgabe gehindert sehe. Eine mutmaßliche Einwilligung des Patienten zur Einsichtnahme, die der Verfolgung möglicher Behandlungsfehler diene, sei jedoch in der Regel anzunehmen. Der Arzt müsse eine Verweigerung der Einsicht nachvollziehbar begründen, wobei das Vorbringen des Arztes zur Verweigerung der Herausgabe nicht ausreiche. Soweit er sich darauf berufe, der Verstorbene habe sich von seiner Familie distanziert und diese habe aus seinem Vermögen nichts erhalten sollen, sei diese behauptete Distanzierung nicht nach außen getreten.

Die Entscheidung:

Vor dem VerfGH Bayern konnte sich der Arzt mit seiner Verfassungsbeschwerde nicht durchsetzen. Nach Auffassung der Münchener Richter verstießen die angegriffenen Entscheidungen nicht gegen das Willkürverbot nach Art. 118 Abs. 1 Bayerische Verfassung. Die Gerichte seien von der Rechtsprechung des BGH ausgegangen, wonach den Erben eines Patienten ein Einsichtsrecht in die Behandlungsunterlagen zustehe, wenn ein ausdrückliches oder vermutetes Einverständnis des Verstorbenen mit der Offenlegung gegeben sei. Der vertragliche Anspruch des Patienten sei danach auch vermögensrechtlicher Natur und könne insoweit auf die Erben übergehen. Dies sei insbesondere der Fall, wenn die Erben prüfen wollen, ob Schadensersatzansprüche wegen ärztlicher Behandlungsfehler bestünden. Die ärztliche Schweigepflicht stehe einer Offenlegung der Behandlungsunterlagen nur dann entgegen, wenn eine ausdrückliche Einwilligung des Patienten fehle und der Arzt bei gewissenhafter Prüfung aller Umstände – zu denen auch das Anliegen der die Einsicht begehrenden Personen gehöre – zu dem Ergebnis komme, dass der Verstorbene die vollständige oder teilweise Offenlegung der Krankenunterlagen gegenüber seinen Hinterbliebenen missbilligt hätte.

RA Michael Lennartz

 

 

Rechtstipp Dezember 2011 Befunderhebungsfehler und Diagnoseirrtum

Befunderhebungsfehler und Diagnoseirrtum

Anhand eines tragischen Falles aus der Humanmedizin hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Unterschiede zwischen einem Befunderhebungsfehler und einem Diagnoseirrtum sowie die unterschiedlichen rechtlichen Folgen dargelegt (Az.: VI ZR 284/ 09). Diese Materie ist nicht ganz einfach, hat aber – wie im entschiedenen Fall – weitreichende Folgen für den (Zahn-)Arzt.

Im konkreten Fall sollte eine Frau am Meniskus operiert werden. Zur Vorbereitung fertigte ein Anästhesist ein Röntgenbild des Brustkorbs an. Die Meniskus-Operation war erfolgreich, und es gab keine Komplikationen. Allerdings wurde ein Jahr später festgestellt, dass die Patientin im rechten Lungenflügel ein Adenokarzinom hat. Daraufhin wurde das wegen der Meniskusoperation angefertigte Röntgenbild noch einmal angeschaut. Nun stellte sich heraus, dass dort schon ein zwei Zentimeter großer Rundherd zu sehen war. Auf eine entsprechende Klage hin verurteilte das Berufungsgericht die Beklagten, weil der Anästhesist eine weitere Abklärung hätte veranlassen müssen. Diese hätte ergeben, dass ein Tumor vorliege. Dieser wäre dann rechtzeitig operiert worden. Der BGH folgte dieser Ansicht nicht und hob das Urteil auf. Die von dem Berufungsgericht vorgetragene Argumentation gelte bei einem Befunderhebungsfehler, nicht jedoch bei einem Diagnoseirrtum, wie er hier vorliege. Wird eine notwendige Befundung unterlassen, führt dies zu beweisrechtlichen Konsequenzen, genauer: Wenn der Befund mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ergeben hätte, dass die Unterlassung einer Behandlung ein grober Behandlungsfehler ist, kehrt sich die Beweislast um. Dann muss der Arzt beweisen, dass der gerügte Schaden auch eingetreten wäre, wenn die Behandlung vorgenommen worden wäre. Das ist meistens unmöglich, sodass unterlassene Befundungen ein Einfallstor für erfolgreiche Arzthaftungsklagen sind. Dies ist bei Diagnoseirrtümern anders: Wenn der Befund korrekt erhoben und nur falsch bewertet wurde, kommt es nicht zu einer solchen Umkehrung der Beweislast. Deshalb sollten Zahnärzte immer jede gebotene Befundung (zum Beispiel Röntgen, CMD-Befund) vornehmen und diese sorgfältig dokumentieren. Sollte es zu einem Arzthaftungsprozess kommen, sollte – sofern möglich – darauf abgestellt werden, dass nicht ein Befundungsfehler sondern ein Diagnoseirrtum vorliegt.

RA Dr. Wieland Schinnenburg, Zahnarzt und Rechtsanwalt, Hamburg

 

 

Rechtstipp November 2011 Sind niedergelassene Vertragsärzte „Amtsträger“ oder „Beauftragte“ der KKen

Sind niedergelassene Vertrags(zahn)ärzte „Amtsträger“ oder „Beauftragte“ der Kassen?

Die niedergelassenen Vertrags(zahn)ärzte und das sogenannte Pharmamarketing beschäftigen die Strafrechtler in Deutschland. Aktuell befasst sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Frage, ob Vertrags(zahn)ärzte bestechlich sind, wenn sie im weit verbreiteten Bereich des sogenannten Pharmamarketings Leistungen beziehen. 

Die Beantwortung dieser Frage hat erhebliche Bedeutung für Strafverfolgungsorgane und Vertrags(zahn)ärzte im gesamten Bundesgebiet. Denn sollte der Bundesgerichtshof Vertrags(zahn)ärzte als taugliche Personen im Bereich der Korruptionsdelikte ansehen, käme der gesamte Bereich des Pharmamarketings auf den strafrechtlichen Prüfstand. Es wäre wahrscheinlich mit der Einleitung einer Vielzahl von Ermittlungsverfahren zu rechnen. Das Gesetz sieht für Korruptionsdelikte in ihrer einfachsten Form Strafrahmen von der Geldstrafe bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe vor. Im Kern geht es um die Frage, ob Vertrags(zahn)ärzte im System der Gesetzlichen Krankenkassen als „Amtsträger“ oder als „Beauftragte“ der Krankenkassen im strafrechtlichen Sinn anzusehen und durch diese Einordnung taugliche Täter von Korruptionsdelikten sein können. Bislang wurden niedergelassene Vertrags(zahn)ärzte von der Rechtsprechung keinem dieser Begrifflichkeiten untergeordnet. Der 3. Strafsenat des BGH hat das Problem nun – ob ihrer Tragweite – mit der Entscheidung vom 5. Mai 2011 dem Großen Senat für Strafsachen zur Entscheidung vorgelegt. Daher wird der Große Senat für Strafsachen bald entscheidende Weichen für den Umgang mit Pharmamarketingmaßnahmen auf Seiten der Vertrags(zahn)ärzte stellen. Welcher Fall aber gab dem Bundesgerichtshof Anlass, über diese weitreichende Fragestellung nachzudenken? Nach der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs hatte die Staatsanwaltschaft gegen die Verantwortlichen eines Medizinprodukteherstellers ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bestechung beziehungsweise der Bestechung im geschäftlichen Verkehr geführt. Niedergelassene Vertragsärzte sollten bestochen worden sein. Nach der Einstellung dieses Ermittlungsverfahrens hatte sie in einem selbstständigen Verfallsverfahren beantragt, gegen das Unternehmen Wertersatz in Höhe von 350.225 Euro für verfallen zu erklären. Das Landgericht hatte diesen Antrag abgelehnt. Gegen diese Entscheidung ist die Staatsanwaltschaft in Revision gegangen, weshalb der 3. Strafsenat des BGH zur Entscheidung berufen war. Dabei war auch zu prüfen, ob niedergelassene Vertragsärzte überhaupt als bestechliche Person angesehen werden können. Denn das Gesetz sieht im Rahmen der Korruptionsdelikte nur bestimmte Personen (zum Beispiel Angestellte oder Beauftragte eines geschäftlichen Betriebes, Amtsträger) als taugliche Täter an. Auf den ersten Blick scheint der Vertrags(zahn)arzt als Täter auszuscheiden, da er freiberuflich und selbstständig tätig ist. Allerdings lässt seine Eingebundenheit in das kassenärztliche Versorgungssystem auch eine Argumentation dahingehend zu, dass er als verordnender Arzt Beauftragter der Krankenkasse oder gar „Amtsträger“ sein könnte; so behaupten es jedenfalls einige Autoren strafrechtlicher Kommentare und Aufsätze. Es verwundert kaum, dass diese Einschätzung heftigen Widerstand erfährt und die strafrechtliche Einstufung von niedergelassenen Vertrags(zahn)ärzten heftig umstritten ist. Nur vereinzelt gehen Staatsanwaltschaften momentan aufgrund eines korruptionsrechtlichen Anfangsverdachts bei dieser Berufsgruppe gegen das System des Pharmamarketings vor. Virulent wird das Problem in erster Linie dann, wenn Hersteller medizinischer Produkte oder sonstige Drittanbieter sowie Krankenhausträger Zuwendungen an Vertragsärzte erbringen, wie Bonuszahlungen oder gar finanzielle Vergütungen, um das Ziel zu erreichen, bei dem Bezug von Medikamenten, Heil- und Hilfsmitteln sowie bei der Einweisung von Patienten wettbewerbswidrig gegenüber anderen Wettbewerbern am Markt bevorzugt zu werden. Allerdings hängt die Strafbarkeit dabei nicht alleine von der bloßen Bewertung von Vertragsärzten, sei es als Amtsträger oder Beauftragter einer Krankenkasse ab. Dies wird in der Praxis häufig verkannt und demzufolge werden häufig zu Unrecht strafrechtliche Vorwürfe erhoben. In jedem Einzelfall ist zu prüfen, von wem der Vertragsarzt Leistungen bezogen hat und wem gegenüber er diese Leistungen wie abrechnet. Auch gibt es Fallkonstellationen, in denen eine Strafbarkeit zusätzlich von der Frage abhängt, ob und inwieweit verordnete Leistungen medizinisch indiziert waren oder nicht (so zum Beispiel bei dem Tatbestand der Untreue nach Paragraf 266 Strafgesetzbuch – StGB). Bislang ist die besondere Stellung der niedergelassenen Vertragsärzte vom Bundesgerichtshof nicht bewertet worden. Mit Spannung wird nun die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen erwartet.

RA Dr. Jens Bosbach, München